Profis sehen Licht am Ende des Tunnels
Der deutsche Patient
von THOMAS LUTHER
Vor sechs Wochen sahen Pessimisten den Neuen Markt schon vor dem Aus. Doch jetzt feiert das Wachstumssegment der Frankfurter Börse ein eindrucksvolles Comeback. Nach Ansicht von Anlagestrategen sind die Kurse noch nicht ausgereizt.
Broadvision + 147 Prozent, Morphosys + 134 Prozent, Pixelpark + 102 Prozent, T-Online + 80 Prozent – bei solchen Zahlen denken Anleger am Neuen Markt voll Wehmut an die Zeit, als die Euphorie an der deutschen Wachstumsbörse noch groß und das Geldverdienen einfach war. Doch die beeindruckenden Kurszuwächse konnten Anleger erzielen, die erst Anfang Oktober eingestiegen sind – allen Terroranschlägen und Rezessionsängsten zum Trotz.
Dabei markierte der Nemax-50-Index nur ein paar Tage vorher mit 680 Punkten seinen historischen Tiefpunkt. Seit seinem Hoch im März 2000 hatte der Neue Markt, der zuletzt eher durch Skandale und Prozesse als durch positive Nachrichten von sich reden machte, mehr als 90 Prozent verloren. Doch einmal mehr hat sich die alte Börsenweisheit bewahrheitet, nach der es sich lohnt zu kaufen, wenn die Kanonen donnern.
Nach dem fulminanten Comeback sehen Profis nun Licht am Ende des Tunnels. „Es gibt erste Anzeichen einer Trendwende“, macht Jürgen Graf, Head of Small Cap Research bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), Anlegern Hoffnung. Auch Michael Fraikin, Fondsmanager bei Invesco, erwartet, „dass der Markt seinen Tiefpunkt gesehen hat“.
Dabei sind die aktuellen Meldungen von Unternehmensseite alles andere als ermutigend. Schwergewicht T-Online hat beispielsweise in dieser Woche erneut rote Zahlen bekannt geben müssen, und beim Spezialmaschinenbauer Pfeiffer Vacuum brachen Umsatz und Gewinn im 3. Quartal ein.
Doch sinkende Renditen am Rentenmarkt, eine offensive Geldpolitik der Notenbanken und die Aussicht auf eine Konjunkturerholung im zweiten Halbjahr 2002 lassen Wachstumstitel haussieren.
Für Analysten ist das Ende der Fahnenstange noch nicht einmal erreicht. Die Experten von HSBC Trinkaus & Burkhardt sehen für den marktumfassenden Nemax-all-share-Index ein Potenzial bis 1 400 Punkte, und LBBW-Experte Graf hält sogar 1 500 Punkte für möglich.
Doch bei der Aktienauswahl kommt es mehr denn je auf Selektion an. „Bei den großen Werten aus dem Nemax 50 sehe ich wenig Aufwärtspotenzial“, meint Raik Hoffmann, Fondsmanager bei der DWS, „interessant sind die kleineren Werte aus der zweiten Reihe. Die haben teilweise nur Kurs-Gewinn-Verhältnisse von 10 bis 20.“
Hoffman bevorzugt momentan Werte, die sich konjunkturresistent zeigen – etwa einzelne Aktien aus den Bereichen Medien oder Logistik. Zurückhaltend ist er dagegen bei Top-Titeln wie Aixtron. „Ob man jetzt schon High-Tech-Maschinenbauer kaufen sollte, denen ein zyklischer Abschwung noch bevorsteht und die eventuell erst 2003 wieder bessere Zeiten sehen, bezweifle ich.“
Selektion ist auch für HSBC Trinkaus & Burkhardt Trumpf. „Gemessen an der Bewertung sind profitable nicht-zyklische und ab Anfang nächsten Jahres auch zyklische Wachstumsaktien attraktiv“, empfiehlt Volker Borghoff, Anlagestratege bei HSBC, „wobei die Betonung auf profitabel liegt.“
Zu den derzeitigen Top-Empfehlungen seines Hauses gehören unter anderem der Computer-Wert Gericom, die Medienaktie Senator Entertainment und Pfeiffer Vacuum. Ähnlich fällt die Einschätzung der LBBW aus, bei der neben Pfeiffer auch Thiel Logistik, IDS Scheer und BB-Biotech auf der Empfehlungsliste stehen.
Dagegen sucht Fondsmanager Fraikin seine Favoriten im Bereich Technologie und industrielle Dienstleistungen. „Meiden würde ich derzeit die Sparten Finanzdienstleistung und Internet“, rät der Invesco-Mann.
Alle Profis raten allerdings zum Einstieg mit angezogener Handbremse. Für LBBW-Experte Graf hat der Markt angesichts der in kurzer Zeit stark angezogenen Kurse durchaus Korrekturpotenzial, das den Index auf unter 1 000 Punkte drücken könnte. Schließlich ist es alles andere als ausgemacht, dass der kommende Wirtschaftsaufschwung so schnell und stark ausfällt, wie das in den Kursen bereits vorweggenommen wird. „Der Neue Markt wird sich kaum gegen eine allgemeine Abwärtsbewegung an den Weltbörsen stemmen können, wenn sich die Erwartungen als übertrieben herausstellen“, glaubt Graf.
HANDELSBLATT, Freitag, 09. November 2001
Der deutsche Patient
von THOMAS LUTHER
Vor sechs Wochen sahen Pessimisten den Neuen Markt schon vor dem Aus. Doch jetzt feiert das Wachstumssegment der Frankfurter Börse ein eindrucksvolles Comeback. Nach Ansicht von Anlagestrategen sind die Kurse noch nicht ausgereizt.
Broadvision + 147 Prozent, Morphosys + 134 Prozent, Pixelpark + 102 Prozent, T-Online + 80 Prozent – bei solchen Zahlen denken Anleger am Neuen Markt voll Wehmut an die Zeit, als die Euphorie an der deutschen Wachstumsbörse noch groß und das Geldverdienen einfach war. Doch die beeindruckenden Kurszuwächse konnten Anleger erzielen, die erst Anfang Oktober eingestiegen sind – allen Terroranschlägen und Rezessionsängsten zum Trotz.
Dabei markierte der Nemax-50-Index nur ein paar Tage vorher mit 680 Punkten seinen historischen Tiefpunkt. Seit seinem Hoch im März 2000 hatte der Neue Markt, der zuletzt eher durch Skandale und Prozesse als durch positive Nachrichten von sich reden machte, mehr als 90 Prozent verloren. Doch einmal mehr hat sich die alte Börsenweisheit bewahrheitet, nach der es sich lohnt zu kaufen, wenn die Kanonen donnern.
Nach dem fulminanten Comeback sehen Profis nun Licht am Ende des Tunnels. „Es gibt erste Anzeichen einer Trendwende“, macht Jürgen Graf, Head of Small Cap Research bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), Anlegern Hoffnung. Auch Michael Fraikin, Fondsmanager bei Invesco, erwartet, „dass der Markt seinen Tiefpunkt gesehen hat“.
Dabei sind die aktuellen Meldungen von Unternehmensseite alles andere als ermutigend. Schwergewicht T-Online hat beispielsweise in dieser Woche erneut rote Zahlen bekannt geben müssen, und beim Spezialmaschinenbauer Pfeiffer Vacuum brachen Umsatz und Gewinn im 3. Quartal ein.
Doch sinkende Renditen am Rentenmarkt, eine offensive Geldpolitik der Notenbanken und die Aussicht auf eine Konjunkturerholung im zweiten Halbjahr 2002 lassen Wachstumstitel haussieren.
Für Analysten ist das Ende der Fahnenstange noch nicht einmal erreicht. Die Experten von HSBC Trinkaus & Burkhardt sehen für den marktumfassenden Nemax-all-share-Index ein Potenzial bis 1 400 Punkte, und LBBW-Experte Graf hält sogar 1 500 Punkte für möglich.
Doch bei der Aktienauswahl kommt es mehr denn je auf Selektion an. „Bei den großen Werten aus dem Nemax 50 sehe ich wenig Aufwärtspotenzial“, meint Raik Hoffmann, Fondsmanager bei der DWS, „interessant sind die kleineren Werte aus der zweiten Reihe. Die haben teilweise nur Kurs-Gewinn-Verhältnisse von 10 bis 20.“
Hoffman bevorzugt momentan Werte, die sich konjunkturresistent zeigen – etwa einzelne Aktien aus den Bereichen Medien oder Logistik. Zurückhaltend ist er dagegen bei Top-Titeln wie Aixtron. „Ob man jetzt schon High-Tech-Maschinenbauer kaufen sollte, denen ein zyklischer Abschwung noch bevorsteht und die eventuell erst 2003 wieder bessere Zeiten sehen, bezweifle ich.“
Selektion ist auch für HSBC Trinkaus & Burkhardt Trumpf. „Gemessen an der Bewertung sind profitable nicht-zyklische und ab Anfang nächsten Jahres auch zyklische Wachstumsaktien attraktiv“, empfiehlt Volker Borghoff, Anlagestratege bei HSBC, „wobei die Betonung auf profitabel liegt.“
Zu den derzeitigen Top-Empfehlungen seines Hauses gehören unter anderem der Computer-Wert Gericom, die Medienaktie Senator Entertainment und Pfeiffer Vacuum. Ähnlich fällt die Einschätzung der LBBW aus, bei der neben Pfeiffer auch Thiel Logistik, IDS Scheer und BB-Biotech auf der Empfehlungsliste stehen.
Dagegen sucht Fondsmanager Fraikin seine Favoriten im Bereich Technologie und industrielle Dienstleistungen. „Meiden würde ich derzeit die Sparten Finanzdienstleistung und Internet“, rät der Invesco-Mann.
Alle Profis raten allerdings zum Einstieg mit angezogener Handbremse. Für LBBW-Experte Graf hat der Markt angesichts der in kurzer Zeit stark angezogenen Kurse durchaus Korrekturpotenzial, das den Index auf unter 1 000 Punkte drücken könnte. Schließlich ist es alles andere als ausgemacht, dass der kommende Wirtschaftsaufschwung so schnell und stark ausfällt, wie das in den Kursen bereits vorweggenommen wird. „Der Neue Markt wird sich kaum gegen eine allgemeine Abwärtsbewegung an den Weltbörsen stemmen können, wenn sich die Erwartungen als übertrieben herausstellen“, glaubt Graf.
HANDELSBLATT, Freitag, 09. November 2001