New Economy: Die Dinge passieren nicht so schnell

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New Economy: Die Dinge passieren nicht so schnell

 
16.05.02 06:04
"Die Dinge passieren nicht so schnell"

Bedeutet das kräftige Produktivitätswachstum in den USA, dass die New Economy schon angekommen ist? Der Wirtschaftshistoriker Joel Mokyr glaubt: Nein

DIE ZEIT: Das war ja eine merkwürdige Rezession in den USA. Die Statistiker melden jetzt, dass die Produktivität in den US-Unternehmen durch die ganze Wirtschaftsflaute hindurch gestiegen ist. Und im ersten Quartal des Jahres ging die Wirtschaftskraft der USA durchs Dach. Sind das jetzt endlich die Früchte der "Informationsrevolution"?

Joel Mokyr: Ein wenig hat es damit zu tun. Eine Menge des Produktivitätswachstums ist ja in den vergangenen Jahren aus dem Hightech-Sektor gekommen, trotz aller Unkenrufe.

ZEIT: Sprich, die Hersteller von Computern oder Mobiltelefonen haben immer besser, schneller und preisgünstiger gearbeitet - aber die Anhänger der "Informationsrevolution" behaupten mehr. Sie glauben an einen Transfer aus diesen Branchen. Dass wir uns auf gewaltige Produktivitätsschübe in allen Branchen einrichten müssen, weil überall Computer und Computernetzwerke stehen.

Mokyr: Im Prinzip glaube ich an solche Effekte - ich muss aber zugestehen, dass unsere empirischen Erkenntnisse dazu noch sehr durchmischt sind. Nehmen wir eins der meistzitierten Beispiele: Die Paketdienste, bei denen jetzt jeder Fahrer drahtlos an einen Computer angeschlossen ist, der wiederum seine Routen plant. Aber ein Paket braucht immer noch etwa die gleiche Zeit zum Empfänger wie vor 30 oder 40 Jahren.

ZEIT: Ist das nicht ein bisschen phantasielos gedacht? In der Wirtschaft gibt so viele praktische Anwendungen für Computer - elektronischer Dokumentenversand macht die Paketdienste vielleicht bald ganz überflüssig, Videokonferenzen machen persönliche Treffen unnötig ...

Mokyr: Ja, ja, aber ich wiederhole es: Im Augenblick ist nicht viel davon zu sehen, dass deswegen auch wirklich unterm Strich die Produktivität wächst. Zumindest nicht in dem Ausmaß, dass ich von einer "Informationsrevolution" erwarten würde. Und wissen Sie was? Ich finde das nicht mal besonders spannend. Bei der New Economy geht es doch gar nicht vordringlich um die Produktivität.

ZEIT: Produktivität gilt doch als eine enorm wichtige Kennzahl. Sie misst, wie viele Produkte oder Dienstleistungen man pro Arbeitsstunde schaffen kann - sprich, eine Kerngröße für das Wirtschaftswachstum.

Mokyr: Ja, aber selbst das Wirtschaftswachstum ist doch für unsere Lebensqualität heute nicht mehr so bedeutsam wie früher. Es ist immer gut, wenn die Wirtschaft wächst. Aber neben den nackten Einkommenszahlen, Produktivität und Output ist mindestens genauso wichtig, ob man jeden Tag zwei Stunden im Stau stecken bleibt, welche Fortbildungsmöglichkeiten es gibt, ob man saubere Luft atmet. In diesem Sinne sind wir schon eine post-industrielle Gesellschaft.

ZEIT: Und diese Dinge, glauben Sie, verändert die "New Economy"?

Mokyr: Ja. Ich vermute, dass uns die neueste Welle technischer Verbesserungen einen sehr wesentlichen Wandel bringt, der sich aber nicht in den Produktivitätszahlen niederschlägt. Das hängt zum Teil mit Messproblemen zusammen, ein sehr altes Problem: Viele Veränderungen in der Qualität von Produkten lassen sich kaum statistisch fassen. Zum anderen liegt es aber an unserer Wirtschaftsstruktur. Die Produktionskosten selber werden doch immer unwichtiger, die Musik spielt im immateriellen Sektor - in der Vermarktung, bei den Banken, bei den Millionen immer ausgefeilterer Dienstleistungsangebote. Doch diese Dinge haben sich statistisch noch nie besonders gut erfassen lassen. Wir stecken in großen Veränderungen - aber wir schauen auf die falschen Dinge.

ZEIT: Worauf schaut Professor Mokyr?

Mokyr: Den größten Effekt werden wir darin sehen, dass sich unsere Art zu arbeiten ändert. Die Institution der Fabrik, des zentralen Arbeitsorts mit festen Arbeitszeiten, ist nach der industriellen Revolution entstanden und hat das 20. Jahrhundert dominiert. Sie wird sich schrittweise auflösen. Wir gehen alle wieder nach Hause. Telecommuting ist der neue Trend, Arbeit findet überall und rund um die Uhr statt.

ZEIT: Also quasi eine Umkehrung der industriellen Revolution.

Mokyr: Ja, man kann das als eine Rückkehr zu den Cottage Industries der vorindustriellen Zeit sehen. Und wir bewegen uns auf ein neues Arbeitsmodell zu, bei dem immer mehr von uns ihre Arbeit komplett an einem Computermonitor erledigen - egal, ob Sie ein Schriftsteller sind oder ein Bankangestellter oder Maschinist in einer Fabrik, der die Roboter beaufsichtigt.

ZEIT: Warum dauert das eigentlich alles so lange? Was Sie erzählen, sagen Zukunftsforscher doch schon seit den 60er, 70er Jahren. So lange reden wir über Vernetzung, über das Ende der Fabrikarbeit, über die schrumpfende Bedeutung geografischer Distanzen ...

Mokyr: Ja natürlich: Die Dinge passieren einfach nicht so schnell, wie wir sie uns ausdenken können. Das größte Hindernis sind stets soziale Widerstände gegen die neue Art, zu arbeiten, oder gegen Computer und Telekommunikation an sich. Auch in der industriellen Revolution war der Widerstand bei den Leuten immens. Damals sträubten sie sich dagegen, ihre Arbeitsplätze im Kreis der Großfamilie daheim aufzugeben und in die Fabriken zu ziehen.

ZEIT: Aber irgendwann sind sie doch gegangen.

Mokyr: Ja, aber so etwas kann eine ganze Generation dauern. Im frühen 19. Jahrhundert hatten die frühen Fabrikbesitzer enorme Schwierigkeiten, erwachsene Männer für ihre Fabriken zu rekrutieren. So haben sie am Ende die Kinder angeheuert. Nicht weil die billiger waren - das waren sie zwar, aber dafür waren sie auch weniger produktiv. Vielleicht müssen wir abwarten, bis die heutige Generation der Computerkids in Lohn und Brot kommt. Und die Technologie muss selber noch ein bisschen nachziehen: Das Internet ist bisher nicht schnell genug für die neuen Formen der Arbeitsorganisation, Videokonferenzen sind nicht wirklich ausgereift, und so weiter.

ZEIT: Aber Sie sind sicher, dass es passieren wird.

Mokyr: Das ist ein einfaches ökonomisches Gesetz. Die Kosten, Menschen zu transportieren, sind über die Jahrzehnte ungefähr gleich geblieben - aber die Kosten, Informationen zu transportieren, schrumpfen. Und die Staus auf den Straßen werden auch immer länger.

ZEIT: Um beharrlich zu bleiben: Das alles klingt so, als sei diese Neuorganisation unserer Wirtschaft auch kostengünstiger. Dann würde die Produktivität also am Ende doch steigen - dank Computer, Internet und Kommunikationstechnik.

Mokyr: Ich habe ja schon gesagt, dass ich daran prinzipiell glaube - nur wann wird das passieren? Die erste Dampfmaschine lief im Jahr 1712, aber in der Wirtschaft spielte sie erst eine Rolle in den 1820ern. Die Eisenbahn brauchte ein Vierteljahrhundert, bis sie wirklich nutzbringend eingesetzt wurde. Der elektrische Strom brauchte 30 bis 40 Jahre. Mir fällt in der gesamten Geschichte der Menschheit keine Erfindung ein, die wirklich schnell die Gesamtwirtschaft revolutioniert hat.

Joel Mokyr lehrt Wirtschaftsgeschichte an der Northwestern University und gilt als führender Experte zum Thema industrielle Revolutionen. In seinem jüngsten Buch "Gifts of Athena" setzt er sich mit der "Informationsrevolution" der vergangenen Jahrzehnte auseinander



Gruß    
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Die wahre New Economy

 
16.05.02 06:06
Computer und Internet verbessern nicht die Produktivität. Aber das Leben!

Willkommen in der New Economy! Die Rezession und der Schock vom 11. September liegen nur wenige Monate zurück, aber die amerikanische Wirtschaft legt schon wieder Rekordzahlen vor. In den Vereinigten Staaten ist die Arbeitsproduktivität in den ersten drei Monaten dieses Jahres um 8,6 Prozent gestiegen. Das ist der größte Zugewinn seit 19 Jahren. Schon veranschlagen Ökonomen die langfristige Rate für das Produktivitätswachstum wieder auf 2,5 Prozent im Jahr. Das wären weniger als die 3,5 Prozent, die noch vor ein paar Jahren für möglich gehalten wurden - aber deutlich mehr als die 1,3 Prozent in der Zeit vor 1996.

Stimmt es also doch? Vor drei Jahren, auf dem Höhepunkt des Dotcom-Fiebers, hatte der US-Notenbankchef Alan Greenspan von "grundlegenden Veränderungen unserer wirtschaftlichen Landschaft" gesprochen und ein kräftiges Wachstum der Produktivität vorhergesagt. Also der Erträge, die eine Volkswirtschaft pro Arbeitsstunde abwirft - mit anderen Worten: der Wirtschaftskraft. Fans der New Economy von Harvard bis Stanford prophezeiten eine Revolution: Der allgemeine Einsatz der Computer- und Telekommunikationstechnik in den Unternehmen, das Business-Reengineering und die flexiblen Arbeitsmärkte würden die Produktivität in Amerika in ungeahnte Höhen treiben - womöglich nicht von heute auf morgen, aber dafür um so massiver. Bis die Dampflokomotive zur wirtschaftlichen Erfolgsstory wurde, verging schließlich auch ein Vierteljahrhundert.

Ist es jetzt so weit? "Die New Economy bleibt bei uns", jubelte vor ein paar Tagen das Wall Street Journal. "Trotz des Dotcom-Kollapses zeigt das Anziehen der Produktivität, dass sich die Investitionen (in Informationstechnologie) makroökonomisch gelohnt haben." Die Citibank unterbreitete ihrer Kundschaft erst zum vergangenen Wochenende "faszinierende Produktivitätsnachrichten" aus Amerika und folgerte daraus "rapide Verbesserungen der Gewinnlage". Soll heißen: Kauft amerikanische Aktien!

Halt, nicht so schnell!

Schon in den euphorischen neunziger Jahren gab es eine Klasse von Spielverderbern, die man geflissentlich überging und auf die man jetzt dafür um so mehr hören sollte: die Statistiker. Viele unter ihnen halten das amerikanische Produktivitätswachstum für notorisch überschätzt - vor allem im Vergleich zu Europa. Diesseits und jenseits des Atlantiks wird die Arbeitsproduktivität höchst unterschiedlich gemessen. In den gängigen amerikanischen Zahlen ist die Landwirtschaft nicht enthalten, die Amerikaner schreiben Ausgaben für Software über mehrere Jahre ab statt auf einmal, Verbesserungen in der Qualität von Produkten tauchen bei ihnen schneller in der Statistik auf, und kürzlich haben sie ihre Methode der Inflationsmessung geändert. Rechnet man diese statistischen Eigenarten heraus, verliert die US-Wirtschaft viel von ihrer scheinbaren Kraft. Die Produktivitätszahlen liegen dann in der Alten und Neuen Welt in etwa gleichauf.

Ist das große amerikanische Produktivitätswunder also ein großes Märchen? Nicht ganz. Denn eines ist jenseits aller unterschiedlichen Meßmethoden unbestritten: das plötzliche und schnelle Wachstum der amerikanischen Produktivität, ausgehend von einem niedrigen Niveau. Seit Mitte der neunziger Jahre wächst sie mit einer seit Jahrzehnten ungekannten Geschwindigkeit.

Nur hat dies nicht unbedingt mit Computern, E-Mails, Mobiltelefonen oder sonstigen Dingen zu tun, die gemeinhin mit dem Begriff New Economy assoziiert werden. Zwar bestreitet niemand, dass sich der massenhafte Absatz immer schnellerer und billigerer Computer positiv in der amerikanischen Produktivitätsstatistik niedergeschlagen hat - aber das trifft nur auf die Computerbranche zu. Wie der US-Ökonom Robert Gordon kategorisch erklärt, hat sich das Produktivitätswachstum in den 99 Prozent der amerikanischen Volkswirtschaft, die keine Computerhardware herstellt, auf die Dauer nicht außergewöhnlich beschleunigt.

Demnach haben wir es nicht mit neuen, sondern ziemlich alten ökonomischen Effekten zu tun: Der Wirtschaftsboom der neunziger Jahre hat dazu geführt, dass die Unternehmen ihre schon vorhandenen Kapazitäten stärker ausnutzten. Die Folge waren Sonderschichten und Überstunden, mehr Arbeitsdruck und bessere Arbeitsmoral. Also eine höhere Produktivität. Auf Hardware, Software, Bits und Bytes kam es dabei gar nicht an.

Diese Erklärung passt insbesondere auf das überraschende Produktivitätswachstum der vergangenen Monate, von dem in diesen Tagen so viel die Rede ist. Nach dem Schock vom 11. September hatten die amerikanischen Unternehmen sicherheitshalber die Produktion heruntergefahren, die Lagerbestände schrumpften auf ein Minimum. Anfang des Jahres haben sie nun ihre leeren Lagerhallen wieder auf das normale Maß gefüllt. Es kam zu einem Produktionsschub, wie er kurz nach einer wirtschaftlichen Flaute typisch ist. Die Unternehmen lassen ihre verbliebenen Angestellten mit aller Kraft arbeiten. Vor Neueinstellungen oder Investitionen aber schrecken sie noch immer zurück. Umso mehr schlägt sich die kurzfristige Produktionsausweitung in der Statistik nieder. Der einzelne Beschäftigte arbeitet mehr und härter. Die Produktivität wächst. Mit Computern aber hat das wieder nichts zu tun.

Was also bleibt von der New Economy? Ziemlich viel, nur findet es sich weniger in der volkswirtschaftlichen Statistik als an Stellen, an denen Wissenschaftler nicht so häufig suchen. Das Neue an der neuen Wirtschaft hat weniger mit Quantität (mehr Produktivität, mehr Wirtschaftswachstum) zu tun als mit Qualität: Menschen suchen nach einer neuen Balance zwischen Arbeit und Freizeit, sie können dank der neuen Technik von zu Hause aus arbeiten, sich selbstständig machen, können Bankgeschäfte oder Einkäufe rund um die Uhr erledigen. Solche Veränderungen haben gemeinsam, dass sie sich sehr schwer in ökonomische Statistiken fassen lassen - zumindest bis die Datensammler einen Weg gefunden haben, eine Veränderung der Lebensqualität als "Wachstum" zu messen. Trotzdem findet sie statt. Es ist mit der New Economy eben so, wie es der amerikanische Wirtschaftshistoriker Joel Mokyr ausdrückt: "Wir sind mittendrin, wir schauen nur auf die falschen Dinge."

zeit.de

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