Nächte mit Bosch

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vega2000:

Nächte mit Bosch

 
07.09.01 00:34
Nachts, wenn ich einsam bin, wenn mich die letzten Gesichter auf dem Fernsehschirm verlassen haben (und ich im Ariva Board sitze) und weisse Krokodile sich langsam aus dem Spülstein schieben, setzte ich mich gern ein wenig in die Küche und unterhalte mich mit dem Kühlschrank. Ich schätze diese Gespräche. Der gute alte Kerl, er heisst übrigens Bosch, hat immer etwas zu trinken da, und sein Verstand analysiert die Dinge auch zu dieser Stunde die Dinge eiskalt.
Ich starre dann auf die Fläche des Küchentisches und stelle viele Fragen: Warum muss ich in einem Omnibus eine Fahrjarte in einen klackenden Automaten schieben, im Schwimmbad ein Ticket im Maul eines grünen Kastens abstempeln lassen, vor dem Büro eine grüne Plastikscheibe in einen schwarzen Rachen stecken, dem Schrankenautomat in der Tiefgarage weisses Papier zu fressen geben, den öffentlichen Telefonapparat bunten Kunststoff schmecken lassen- warum ? Wohin senden die Geräte ihr Wissen über mein Vorbeikommen ? Was merken sie sich, was vergessen sie ? Wer will das alles wissen ? Wer fasst das alles zusammen ?In letzter Zeit beginnt Bosch, meine Melancholie gelegentlich zu teilen. Er sei, sagt er dann, nun auch nicht mehr der jüngste, das Tiefkühlfach tue es auch nicht mehr so recht, die Abtauautomatik schmerze, und dann immer das viele kalte Bier. Neulich hat er gebeten, ich möge, wenn es mit ihm soweit sei, für eine anständige Entsorgung seines FCKWhaltigen Kühlmittels sorgen.

Meinen fragn, meinen Klagen lauscht er immer noch summend. Nur manchmal macht er Einwände wie neulich, als ich im aus einem alten "Journal of American Medical Association" vorlas. Es ging um eine Studie über Verletzungen, die Menschen bei Unfällen mit Getränkeautomaten davongetragen hatten., ja von Todesfällen war die Rede. Immer wieder geschehe es, las ich, dass Cola-Automaten, vollbeladen mit gefüllten Dosen, sich nach vorne neigten und auf die Kunden stürzten. Drei Soldaten, Angaben der US-Armee zurfolge, auf diese Weise erdrückt worden. "Und warum?" brummte mein alter freund, dem die Untersuchung auf geheimnisvolle Weise schon zur Kenntnis gelangt war. " Weil sie die Geräte getreten und beschimpft haben. Weil sie ihnen die Getränke aus dem Leib schütteln wollten. Da kippten sie halt um. Sollen sie sich alles gefallen lassen ?"
Ich lief ins Wohnzimmer, um den ersten Band meines geliebten Lexikons zu holen. Ein Automat definierte ich, erregt das Buch schwenkend, sei eine Vorrichtung, die vorbestimmte Handlungen nach einem Auslöseimpuls selbstständig und zwangsläufig ablaufen lasse; nichts anderes sei ihm gegeben.
"Stimmt das denn?" fragte mein Gegenüber. Natürlich stimmte es nicht, brüllte ich, heiser vor Wut, aber man müsse mal wieder darauf zurückkommen. Wie oft habe ich so ein Ding schon mein mühsam zusammengepumptes Kleingeld ohne Gegenleistung gefressen ! Wie oft sei am Kaffeeautomaten der Pappbecher leergeblieben ! Und wenn es mal genug Kaffe gebe, garantiert seien dann die Pappbecher alle ! Die Cola-Automaten habe man ja nicht grundlos geschüttelt. Nie mache ein Automat, was ich wolle, nie !
"Siehst du" seifzte Bosch und schüttelte sich, dass die Flaschen klirrten, bevor sein Summen erstarb.
Die in Europa stationierten GI`s, so hieß es in diesem Artikel, würden durch eine Informationskampagne davor gewarnt, Automaten zu mißhandeln. Wer aber warnt die Automaten ? Wer sagt ihnen, dass sie nicht ohne Gegenleistung unser Münzen für sich behalten dürfen ? Wir sollen friewdlich sein und sie ? Ich musste an den Getränkeautomaten in der Fernsehserie "Kottan ermittelt", denken der mit seinen Menschen im Büro so zerstritten war, dass er einigen von ihnen grundsätzlich nichts mehr servierte. Also haben sie doch eine Seele ? Soviele Fragen in der Nacht. "Bosch, Bosch! Sag mir, ob das Licht in deinem Innern wirklich aus ist" flehte ich den Kühlschrank an.
Keine Antwort. Es war dunkel und die Krokodile glotzten. Morgen würde ich den Voice-Control-Wecker anschreien, und er würde zurückbrülen, ich sei ein Schinder und ein Säufer und solle ins Bad verschwinden. Den Kopf auf dem Arm schlief ich ein und träumte, dass einarmige Banditen mich ausraubten,

Gruss
V2000 (der kleine Schriftsteller)
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