Abschreibeposten Zukunft
Der Ankündigungsmarkt Mobil-Kommunikation landete hart am Boden der Realität
Bis vor kurzem überboten sich Netzbetreiber und Geräte-Hersteller noch gegenseitig mit Zukunfts-Versprechen. Jetzt müssen sie ihre Erklärungen stückchenweise zurücknehmen. Und das scheint erst der Anfang. Ist der Ankündigungsmarkt mobile Kommunikation am Ende?
Den Anfang machte Vodafone D2 damals noch in umgekehrter Namens-Reihenfolge: UMTS mit Videoübertragung werde es am Anfang nicht geben. Sorry, klappt nicht, beschied der marktführende Netzbetreiber dem verdutzten Vorweihnachtsgeschäft. Als nächstes ließ der neue Service-Provider und künftige UMTS-Netzbetreiber Quam das Weihnachtsgeschäft kurzerhand komplett ausfallen: Gar nicht so wichtig. Ebenso überraschend wie die hübschen "Ich habe einen Traum"-Spots in den TV-Werbeblöcken aufgetaucht waren, verschwanden sie wieder. Denn telefonieren mit Quam verwandelte sich in einen Alptraum. Grund: Mangelnde Kompatibilität zu den vorhandenen Netzen.
Kaum war das Weihnachtsgeschäft dann vorüber, hagelte es eine Zukunftswarnung nach der anderen: UMTS? Erst mal nicht. Zumindest nicht vor Ende 2003, erklärte T-Mobil Mitte Januar. Und auch die Mobilcom und die Schweizer Swisscom verlegten den UMTS-Start auf Anfang 2004. Ebenfalls ohne Video. Geräte kommen auch nicht. Nicht einmal zur CeBit. Da wird es kaum etwas zu sehen geben, prophezeien Insider. Und wenn, dann werden die Hersteller ihre Erlkönige und hohlen Designstudien in den Hinterzimmern herumreichen. Konspirativ für handverlesene Journalisten, die das Design der Zukunft anfassen dürfen. Der Grund: Sie haben nix anderes zum vorzeigen. Die Zukunft beginnt wieder einmal mit Verspätung.
Links blinken - rechts fahren
Nur Nokia wirbt wacker mit Handy-Funktionen, die es noch gar nicht gibt, gegen ernüchternde Realität und schlechte Stimmung: Da überträgt ein gutgelaunter Reggae-Musikus im TV-Spot sein neuestes Werk per Mobilnetz in die triste Arbeitskulisse seines Kumpels, dessen Handy-Display bei der Wiedergabe dynamisch zuckt. Tatsächlich aber hat es Nokia mit der Zukunft gar nicht so eilig: Als letzter Handy-Hersteller brachten die Finnen ein Gerät auf den Markt, das den schnellen Übertragungsstandard GPRS unterstützt. Das neue 5510 im schicken Design eines Brillenetuis und mit vielen keyboardartigen Tasten fürs schnelle SIMSEN versehen, ist einer der Hoffnungsträger im schwächelnden diesjährigen Handymarkt technologisch aber auf dem Stand von Anfang letzten Jahres. Links blinken - rechts fahren: Nur der Weltmarktführer kann sich das leisten.
Kleinlaut geben die Beteiligten jetzt zu, etliche Dinge nicht im Griff zu haben: Die Entwicklung der Geräte, der Ausbau der Netzte, die Akzeptanz der Nutzer, die Einstellung gegenüber der Sendetechnik. Und damit sie nun nicht ganz so dumm dastehen, schieben es die einen auf die anderen: "Die Geräte kommen nicht", erklärt T-Mobile Europa-Chef René Obermann vorwurfsvoll. "Die Netzte sind ja nicht fertig", kontern die Angeschuldigten, "außerdem fehlen die Dienste und Applikationen". Wer auch immer zum Schluß die Schuld in die Schuhe geschoben bekommt: Nun ist ersteinmal Schluß mit den Visionen der schönen neuen mobilen Traumwelt. Die Branche stößt an ihre Grenzen - und landet hart in der Realität. Der Wettbewerb um die knalligste Zukunftsfantasie scheint ersteinmal beendet.
Schnittstellen zur Zukunft
Lange Zeit schlug das gut gemachte Versprechen jede Realität: Die dicke Lippe schien das beste Argument, um Verträge, Geräte sowie am allerwichtigsten Aktien zu verkaufen und deren Kurse auf Linie zu halten. Wie das funktionierte konnte man an jedem Handybalken der Mediamärkte live erleben: Da versicherten sich Käufer ausdrücklich, ob ihr Wunschgerät auch wirklich eine Infrarotschnittstelle habe dabei verfügt ein Viertel der fachkundigen wie bestimmten Käufer gar nicht über das Laptop, den Organizer oder einen anderen Träger der Gegenschnittstelle; will sagen, sie haben gar kein Gerät um die Infrarotschnittstelle nutzen zu können.
Als Symbol für die Zukunft war die Schnittstelle wichtig: Denn offenbar liegt ihre Funktion gar nicht darin, Daten zu übertragen oder Geräte kompatibel zu machen. Die Infrarotschnittstelle war wie viele anderen technischen Features eine Botschaft des Besitzers an sich selbst und an andere: Schau, wie zukunftskompatibel ich bin.
Dabei war die Infrarotschnittstelle nur ein Symbol aus dem Zeichenkasten des privaten Zukunfts-Status. WAP war ein weiteres. Doch eine beginnende Inflation der Zukunftssysmbole sorgte für eine immer schnellere Entwertung der Kommunikationskraft einzelner Zeichen, so dass neue her mussten, um das Prinzip am Leben zu erhalten und die Nachfrage abzusichern. Also her mit den kleinen Ankündigungen. Denn die kamen dem Markt gerade recht es ging ja nie um die tatsächliche Funktion. Doch der technische Offenbarungseid vor einigen Wochen entwertete das System insgesamt, das Prinzip komplett. Und nur so gelingt es Nokia mit dem besagten 5510 ein technisch alter Hut als Innovation zu verkaufen.
Schluss mit der Visionshuberei
Seit die Industrie die Hosen runterlassen musste, um zu gestehen, dass sie die Zukunft ersteinmal nicht gebacken bekommt, scheint nun Schluss mit der Visionshuberei. Denn auch die Branche sieht ein, dass man den Hype nicht reiten kann - zumindest nicht auf Dauer und nicht ohne Gefahr zu laufen, irgendwann einmal blöd dazustehen. Den Hype als Dauereinrichtung gibt es nicht.
Dabei stehen die nächsten Debakel schon ins Haus: Noch ist nicht bewiesen, ob EMS (Enhanced Message Service) und MMS (Multimedia Message Service), neue weiterentwickelte Formen der SMS, wie angekündigt funktionieren werden. Also wird die Branche noch lange Zeit mit SMS verbringen, ihre Umsätze mit Sprachkommunikation, Logos, Klingeltönen, Message-Service, Download-Spielen und vielleicht ein bißchen WAP machen.
Vielen Netzbetreibern sollte diese Situation eigentlich von ihrer Erfahrung mit WAP bekannt vorkommen. Denn das einstige mobile Internet steht heute für zuckelige Schneckendownloads, die anstatt Inhalte nur Schichten um Schichten nutzloser Links freigeben, welche sich insgesamt als ziemlich nutzlos erweisen. Von WAP spricht heute keiner mehr außer jene, die ihre versenkten millionenschweren Investionen beklagen.
Also wird die Industrie ersteinmal ihren Technikern lange ins Auge blicken, sie seit langer Zeit einmal wieder ernst nehmen und ihre Hausaufgaben machen. Und eine neue Zukunft erfinden! Und diese neue Zukunft wird sich, so gesehen, wesentlich "älter" präsentieren als die alte Zukunft: Sie ist im Prinzip visionsfrei. Denn wer noch viel ankündigt, macht sich verdächtig. Und nachdem die Branche in einer Art freiwilligen Selbstkontrolle dieses Visionsverbot über sich verhängt hat, greifen die Manager jetzt auf Marketing-Klassiker zurück: Für dieses Jahr ist ein verschärfter Preiswettbewerb angesagt. Und das versteht und honoriert offenbar auch der wirre Aktienmarkt. Kurz nach der Stunde der Wahrheit, als T-Mobile die peinliche UMTS-Verlegung bekannt gab, kletterte der Aktienkurs des Unternehmens um zwei Prozent.