McDonald's will mehr sein als die ewig gleiche Hackfleisch-Boulette, die zwischen zwei Brötchenhälften geklemmt wird. Der "Plan to Win" und wie er wirkt.
Die Idee stammt nicht von Ed Bridgman, die Idee stammt aus Schweden. „Die Kollegen in Schweden haben sie uns erzählt, wir setzen sie um“, sagt der hagere Ingenieur Bridgman, während eine gefrorene Bulette in den schmalen Spalt zwischen den beiden Fließbändern rutscht und mit dem Tempo einer Miniatur-Rolltreppe langsam einen halben Meter nach unten fährt.
„Alles wird frischer, geht schneller und braucht weniger Platz“, schwärmt Bridgman. Auf dem Weg nach unten wird die Bulette von beiden Seiten gebraten.
Die Fließbänder verlässt sie als fertiges Hamburger-Steak, um von flinken Händen auf eine Brötchenhälfte gehoben zu werden. Die wiederum kommt punktgenau aus dem Ofen. Dort war sie 17 Sekunden lang, keine Sekunde länger.
„Das Verfahren garantiert gleich bleibende Qualität“, sagt Bridgman, und sein Mitarbeiter hinter dem revolutionären Buletten-Grill lächelt dazu.
Doch vorerst bleibt der Buletten-Grill ein Experiment, und es gibt ihn nur in einer Werkshalle in einem feinen Vorort von Chicago. In einer Gegend, die aussieht, als hätte der liebe Gott persönlich den Rasen gemäht. So hübsch passt hier eins zum anderen.
Es ist die Welt von McDonald’s. Bridgman und seine Kollegen arbeiten für das „Innovation Center“ des Fastfood-Imperiums, die Brutstätte für neue Ideen.
McDonald’s arbeitet ein Trauma auf
Lange Zeit brüteten die Leute hier im Verborgenen aus, wie neue Produkte aussehen können und wie sich die altbekannten immer effizienter herstellen lassen. Nun öffnen sich die Türen: Erstmals dürfen Außenstehende einen Blick in den Think tank wagen. McDonald’s hat begonnen, sein Trauma aufzuarbeiten.
Die Geschichte von McDonald’s ist die eines Kolosses, der wuchs und wuchs, bis er sich irgendwann nicht mehr bewegen konnte. Und der sich noch dazu mit seiner Größe und Undurchschaubarkeit von seiner Umgebung entfernte, obwohl er sie doch für sich gewinnen wollte.
McDonald’s, das sind mehr als 30000 Restaurants in 119 Ländern, 1,6 Millionen Beschäftigte, täglich elf Millionen Kunden allein in Europa, Jahresumsätze von 17,1 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr.
Eine Zielscheibe nach Maß: Umweltschützer werfen dem Konzern vor, für seine Rindfleisch-Buletten halb Lateinamerika zu überweiden. Anderen gilt das Unternehmen als die Mutter aller Fettleibigkeit.
Globalisierungsbefremdete sehen die Expansion der goldenen M-Bögen als Indiz der globalen Gleichmacherei. Lange konnte diese Kritik dem Multi nichts anhaben. Es wuchs unverdrossen weiter.
Der Schock des Absatzeinbruches
Aber Ende 2002 musste er erstmals in seiner fast 50-jährigen Geschichte Federn lassen: 125,7 Millionen Dollar Quartalsverlust standen in den Büchern. Ein Schock.
„Damals verließen Kunden unsere Marke“, sagt McDonald’s-Chef Charlie Bell heute. „Wir wussten, wir müssen unsere Strategie ändern, um das System wieder profitabel wachsen zu lassen.“
Ein Strategiewechsel bei McDonald’s, das ist etwa so, als wollte man einen Riesentanker in einem engen Hafenbecken mal eben um 180 Grad wenden. Denn zwei Drittel der McDonald’s-Restaurants gehören nicht dem Unternehmen selbst, sondern lokalen Mittelständlern, Franchisenehmern.
Angekratzte Marke
Sie haben sich verpflichtet, nur McDonald’s-Produkte zuzubereiten und zahlen dafür eine Art Lizenzgebühr. Im Gegenzug profitieren sie vom globalen Marketing und vom Ansehen der Marke. Doch genau das galt quasi über Nacht als angekratzt.
Strategiewechsel bei McDonald’s, das heißt alle Franchisenehmer, Restaurant-Manager, Angestellten und Anleger davon zu überzeugen, warum sich nun der Auftritt von McDonald’s radikal ändert, warum plötzlich nicht mehr Hamburger und Big Mäc im Mittelpunkt stehen, sondern Salate und Vitamine, warum zweckmäßig eingerichtete Restaurants nicht mehr reichen, um Kunden anzulocken, sondern nun einen besonderen „Lebensstil“ ausdrücken sollen, warum die Bedienung wieder neue Uniformen braucht und ein weltweit einheitlicher Slogan die nationalen Werbekampagnen ablöst.
Für Larry Light ist die Antwort ganz einfach. „Vor zwei Jahren haben unsere Kunden gesagt: ,Ihr hört uns nicht mehr zu. Wir haben uns verändert, aber ihr seid gleich geblieben’.“ Light ist Marketingchef von McDonald’s und offensichtlich ziemlich zufrieden mit sich selbst.
„Es gab Zweifler, die gesagt haben, diese Wende kriegt ihr nicht hin. Nicht in der Zeit, nicht bei eurem System.“ Heute, sagt Light, riefen Marketing-Fachleute der größten Marken der Welt an und fragten, wie McDonald’s das gemacht habe. „Wir haben“, sagt er, „dem Unternehmen einen neuen Geist gegeben.“
Geist aus drei Worten
Glaubt man Light, dann besteht der Geist aus drei Worten und entstammt einem unscheinbaren Gewerbebau im Münchner Vorort Unterhaching.
Dort stießen die Kreativen der Werbeagentur Heye & Partner auf der Suche nach einem neuen Slogan für den angeschlagenen Koloss im vergangenen Jahr auf die simple Formel „I’m lovin’ it“ – zu deutsch: „Ich liebe es“.
Ein gutes Jahr später lehnt Heye-Chef Jürgen Knauss hinter seinem quadratischen Glastisch zurück, legt lässig die Arme auf die Lehne und sagt: „Wir haben McDonald’s die Verpackung zum turn-around geliefert.“
So viel Lässigkeit kann sich der Mann leisten. Heye setzte sich nicht nur gegen die 14 größten McDonald’s-Werbeagenturen aus aller Welt durch. Die Werber überzeugten auch das System.
Im Unterschied zu herkömmlichen Großunternehmen mussten sie nicht bloß eine Marketingabteilung oder die Konzernspitze gewinnen. 119 Länderchefs und mit ihnen tausende Franchisenehmer mussten an den Slogan glauben. Es gelang.
„Forever young“ sollte die neue Botschaft heißen, so lautete die einzige Vorgabe für den Slogan. „Forever young“, ewig jung, das steht im Mittelpunkt des „plan to win“, des Siegesplanes, den der im April verstorbene Konzernchef Jim Cantalupo und die damalige Nummer Zwei Charlie Bell vor anderthalb Jahren ersannen.
Neuer Slogan
In Posterform hängt er mittlerweile überall dort, wo für McDonald’s Umsätze entstehen. „Mehr Kunden, mehr Besuch, mehr Marken-Loyalität, mehr Profit“, heißt es in dem Plan, der mit seinen vielen kleinen Text-Kästchen so aussieht wie ein großes Organigramm. Jener Plan, der den Riesentanker McDonald’s tatsächlich auf Kurs brachte, die Zahl der Kunden und deren Besuche und die Profite binnen einem Jahr wieder steigen ließ.
Und plötzlich wird klar, warum „I’m lovin’ it“ der neue Slogan des Unternehmens sein musste, warum Charlie Bell am kritischsten Punkt der Kampagne den Länderchefs zugeraunt haben soll: „Ich liebe es, und ihr liebt es besser auch.“
Denn nachdem die immergleichen Gerichte für die immergleiche Kundschaft das Unternehmen groß gemacht hatten, will sich das Unternehmen nun wegbewegen vom ungesunden Image der Hamburger-Bude.
Es ist, als nähme die Kette, der die Kunden über Jahrzehnte im Wesentlichen Burger und Pommes abkauften, erstmals den Gast als komplexes Individuum mit vielen verschiedenen Bedürfnissen wahr.
„Früher haben wir unseren Kunden gesagt, ,Sie haben sich eine Pause verdient’“, sagt Marketing-Chef Light. „Heute sagen die Kunden: ,Haltet euch da raus, das ist meine Sache.’“
Neuerdings können Kunden in den Niederlanden aus 44 Möglichkeiten ihr „Happy Meal“ zusammenstellen, füllen immer neue Gerichte die Leuchtreklame über den Theken, auch in Deutschland.
Angebot vergrößern
Und die Forscher im „Innovation Center“ arbeiten daran, die Vielfalt noch zu vergrößern. Gerade sind die ersten Sandwiches im Test – getoastetes Brot mit viel Gemüse und etwas Fleisch. Schon 2005 könnten sie nach Europa kommen.
Dann werden sie sich vermutlich zu den Kaffee-Raffinessen gesellen, die das Unternehmen als „McCafé“ vermehrt in europäische Filialen bringt. „Viele überraschende Produkte“, verspricht Europa-Chef Russ Smyth, werde der Alte Kontinent im kommenden Jahr kennen lernen.
Er sagt: „Der Sandwich hat eine große Zukunft in Europa“, und: „Brot ist bei euch so bedeutend.“Mehr Brot, anderes Brot für Europa – das ist typisch für den vielschichtigen Aufbau des scheinbar uniformen Unternehmens.
Denn die regionalen Ableger sollen die jeweilige Esskultur bedienen, aber in festen Grenzen. „Freedom within a framework“ heißt das im McDonald’s-Vokabular: Den Mc Arabia in Fladenbrot für die arabische Welt, den Teriyaki-Hamburger für Japan.
Gratwanderung zwischen Vielfalt und Einfachheit
Manche im Unternehmen macht so viel Variation schon skeptisch. „Es ist eine schwierige Gratwanderung zwischen Vielfalt und Einfachheit“, räumt Mike Roberts, Chef des Amerika-Geschäfts, vorsichtig ein.
Schließlich müssen all diese Gerichte in den Restaurants erst bereitet werden. Sie erfordern neue Zutaten, neue Maschinen, neue Fertigkeiten bei den Mitarbeitern.
Und alle Salate und Vitamine dürfen nicht darüber wegtäuschen, dass der Big Mäc, erfunden in den Sechzigern, das erfolgreichste Gericht von McDonald’s ist. Und der besteht im Kern immer noch aus dem Bewährten: der Rindfleisch-Bulette.
(SZ vom 25.9.04)