Die Wichtelmännerpartei schnallt den Helm enger:
Schröder allein zu Haus
Von Günter Bannas
Egozentrisch hat Gerhard Schröder die SPD auf sich zugeschnitten, wie dies keiner seiner Vorgänger im Parteivorsitz getan oder auch nur gewollt hat. Aus der ehemals diskutierenden, auch zerstritten erscheinenden Partei ist in drei Jahren eine Organisation geworden, deren Apparat wie geschmiert funktioniert. Allein auf den Bundeskanzler ist er ausgerichtet, und einzig dessen Wiederwahl scheint er zum Ziel zu haben. Schröders Satz aus seinen Vorkanzlerzeiten, er wolle nur zu seinen Bedingungen die Partei in den Wahlkampf führen, wird in diesem Jahr erst richtig verwirklicht. Dazu gehört die Personalisierung der Wahlkampfstrategie und sogar - ehedem undenkbar für eine Programmpartei - die des Wahlprogramms. Aus dem Slogan des Jahres 1998 "Innovation und Gerechtigkeit" wurde ein "Wollt ihr Schröder oder Stoiber?".
Schröder allein trägt den Bundestagswahlkampf, und er allein trägt die Verantwortung. Die Partei hat eine dienende Funktion, die sie deshalb erträgt, weil ihr anderes nicht bleibt. Die Parteioberen und die Kabinettsmitglieder laufen mit, ohne als eigenständige politische Subjekte in Erscheinung zu treten. Sie gestalten nicht, sondern erfüllen bestenfalls zugewiesene Rollen. Sie tun es, weil sie nicht stören wollen. Das sollte nicht mit sozialdemokratischer Disziplin verwechselt werden. Ihre Folgsamkeit ist teils erzwungen worden, teils Resultat eigener Schwäche und nicht zuletzt der Hoffnung auf Ämter nach einem Wahlsieg geschuldet. Schröder hat den Wahlkampf der SPD nach amerikanischem Muster angelegt. Hat er Erfolg, ist es gut; verliert er, ist er weg.
Schröders Vorstellung von politischer Führung ist zugleich Ursache und Wirkung des personellen Zustands seiner Partei. Das politische Spitzenpersonal repräsentiert nicht mehr die unterschiedlichen Strömungen der deutschen Sozialdemokratie. Die Parteilinke ist marginalisiert, seit sie nicht mehr von den "Enkeln" - also von Schröders Altersgenossen - geführt wird. Einen wortgewaltigen Repräsentanten hat sie nicht mehr; Oskar Lafontaines Zeitungsartikel werden nicht als die eines Sozialdemokraten zur Kenntnis genommen. Der Gewerkschaftsflügel ist ohne Stimme, obwohl der Arbeitsminister Riester vor seiner Berufung in das Bundeskabinett Führungsmann der IG Metall gewesen war. Generalsekretär Müntefering und der Fraktionsvorsitzende Struck erfüllen im Sinne Schröders ihre Aufgaben. Doch sind sie nicht zu Politikern geworden, über die die SPD identifiziert wird. Die Arbeitsgemeinschaften der SPD (Jusos, Arbeitnehmer, Frauen) sind nur noch von innerparteilicher Bedeutung. Außenwirkung haben sie nicht. Schröders Partei ist mehr zu einer Kanzlerpartei geworden, als es die CDU unter Helmut Kohl je war. Dort verkörperten bis zuletzt Politiker wie Blüm, Kanther und Rita Süssmuth die unterschiedlichen Strömungen einer Volkspartei.
Insofern ist die Annahme falsch, wegen der Wahlniederlage der SPD in Sachsen-Anhalt habe Schröder einen Wechsel seiner Wahlkampfstrategie im Sinne einer Personalisierung und Zuspitzung auf die eigene Person vollzogen. Das war von Beginn der Planungen an der wesentliche Bestandteil des Wahlkampfkonzeptes. Es lag in der Konsequenz der - vom Parteivorsitzenden gewollten - Entwicklung. Schröder ist nach den Umfragen in der Bevölkerung beliebt, und er liegt vor Edmund Stoiber seit dessen Nominierung zum CDU/CSU-Kanzlerkandidaten. Schröders Partei aber schneidet in den Umfragen seit Monaten schlechter ab als die Union. Der Abstieg der Grünen - und damit die zur Gewißheit werdende Aussicht, die rot-grüne Bundesregierung werde keinen Bestand haben - hatte Schröder dazu bewogen, sich vom Koalitionspartner abzusetzen, ohne die Koalition vorzeitig zu beenden. Nicht seine Partei, sondern er als Person verkörpert die Linie der koalitionspolitischen Offenheit und der Nutzung von Optionen.
Schröder hätte seinen Wahlkampf am liebsten unter dem Motto "Verhindert den rechten Stoiber" geführt. Es hätte ein Wahlkampf Mann gegen Mann werden sollen - mit einer klaren Rollenverteilung: Schröder, der Moderator, versus Stoiber, den Polarisierer. Manche Grüne bestärkten ihn darin und führten das gleiche Stück zwischen den kleinen Parteien auf. Außenminister Fischer pflegt den Brauch, seine Anhänger mit Scherzen über einen Außenminister Westerwelle auf die Palme zu bringen. Doch glauben in den beiden Koalitionsparteien nur noch die engsten Parteigänger des Bundeskanzlers und seines Stellvertreters an den Erfolg einer solchen Strategie. Stoiber wurde nicht zum Polarisierer, und Westerwelle ist bei einem hinreichend großen Teil des Publikums so beliebt, daß er gewählt wird.
Dem ganz auf die Person des Spitzenkandidaten zugeschnittenen Wahlkampfkonzept entspricht auch das Wahlprogramm der SPD. Schröder will Festlegungen vermeiden, weil er nicht weiß, was nach dem 22. September auf ihn zukommt. Das entspricht auch seinen eigenen Vorstellungen von Politik. Schröder ist nie ein Programmatiker gewesen. Politische Zielvorstellungen waren für ihn immer vor allem ein Mittel zum Zweck. Sein Umgang mit Forderungen nach Wiedereinführung der Vermögensteuer oder seine Auffassung über die Ökosteuer kennzeichnen das. Schröder begründet seine skeptisch-ablehnenden Positionen dazu nicht so sehr inhaltlich, sondern mit vermuteten Auswirkungen auf den Ausgang der Bundestagswahl. Ältere Gegner in der Partei machten ihm deshalb einst den Vorwurf, zwar wolle er die Macht, er wisse aber nicht, wozu er sie nutzen wolle. Derzeit schweigen sie. Doch wenn Schröders Linie keinen Erfolg zeitigt, werden sie sich nach dem Prinzip "Wehe den Besiegten!" verhalten. Auch darüber hat sich Schröder nie Illusionen gemacht. Bis dahin aber wird er einen Siegesoptimismus zeigen, der ebenfalls funktional ist: Mittel zum Zweck.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.04.2002, Nr. 95 / Seite 1
Schröder allein zu Haus
Von Günter Bannas
Egozentrisch hat Gerhard Schröder die SPD auf sich zugeschnitten, wie dies keiner seiner Vorgänger im Parteivorsitz getan oder auch nur gewollt hat. Aus der ehemals diskutierenden, auch zerstritten erscheinenden Partei ist in drei Jahren eine Organisation geworden, deren Apparat wie geschmiert funktioniert. Allein auf den Bundeskanzler ist er ausgerichtet, und einzig dessen Wiederwahl scheint er zum Ziel zu haben. Schröders Satz aus seinen Vorkanzlerzeiten, er wolle nur zu seinen Bedingungen die Partei in den Wahlkampf führen, wird in diesem Jahr erst richtig verwirklicht. Dazu gehört die Personalisierung der Wahlkampfstrategie und sogar - ehedem undenkbar für eine Programmpartei - die des Wahlprogramms. Aus dem Slogan des Jahres 1998 "Innovation und Gerechtigkeit" wurde ein "Wollt ihr Schröder oder Stoiber?".
Schröder allein trägt den Bundestagswahlkampf, und er allein trägt die Verantwortung. Die Partei hat eine dienende Funktion, die sie deshalb erträgt, weil ihr anderes nicht bleibt. Die Parteioberen und die Kabinettsmitglieder laufen mit, ohne als eigenständige politische Subjekte in Erscheinung zu treten. Sie gestalten nicht, sondern erfüllen bestenfalls zugewiesene Rollen. Sie tun es, weil sie nicht stören wollen. Das sollte nicht mit sozialdemokratischer Disziplin verwechselt werden. Ihre Folgsamkeit ist teils erzwungen worden, teils Resultat eigener Schwäche und nicht zuletzt der Hoffnung auf Ämter nach einem Wahlsieg geschuldet. Schröder hat den Wahlkampf der SPD nach amerikanischem Muster angelegt. Hat er Erfolg, ist es gut; verliert er, ist er weg.
Schröders Vorstellung von politischer Führung ist zugleich Ursache und Wirkung des personellen Zustands seiner Partei. Das politische Spitzenpersonal repräsentiert nicht mehr die unterschiedlichen Strömungen der deutschen Sozialdemokratie. Die Parteilinke ist marginalisiert, seit sie nicht mehr von den "Enkeln" - also von Schröders Altersgenossen - geführt wird. Einen wortgewaltigen Repräsentanten hat sie nicht mehr; Oskar Lafontaines Zeitungsartikel werden nicht als die eines Sozialdemokraten zur Kenntnis genommen. Der Gewerkschaftsflügel ist ohne Stimme, obwohl der Arbeitsminister Riester vor seiner Berufung in das Bundeskabinett Führungsmann der IG Metall gewesen war. Generalsekretär Müntefering und der Fraktionsvorsitzende Struck erfüllen im Sinne Schröders ihre Aufgaben. Doch sind sie nicht zu Politikern geworden, über die die SPD identifiziert wird. Die Arbeitsgemeinschaften der SPD (Jusos, Arbeitnehmer, Frauen) sind nur noch von innerparteilicher Bedeutung. Außenwirkung haben sie nicht. Schröders Partei ist mehr zu einer Kanzlerpartei geworden, als es die CDU unter Helmut Kohl je war. Dort verkörperten bis zuletzt Politiker wie Blüm, Kanther und Rita Süssmuth die unterschiedlichen Strömungen einer Volkspartei.
Insofern ist die Annahme falsch, wegen der Wahlniederlage der SPD in Sachsen-Anhalt habe Schröder einen Wechsel seiner Wahlkampfstrategie im Sinne einer Personalisierung und Zuspitzung auf die eigene Person vollzogen. Das war von Beginn der Planungen an der wesentliche Bestandteil des Wahlkampfkonzeptes. Es lag in der Konsequenz der - vom Parteivorsitzenden gewollten - Entwicklung. Schröder ist nach den Umfragen in der Bevölkerung beliebt, und er liegt vor Edmund Stoiber seit dessen Nominierung zum CDU/CSU-Kanzlerkandidaten. Schröders Partei aber schneidet in den Umfragen seit Monaten schlechter ab als die Union. Der Abstieg der Grünen - und damit die zur Gewißheit werdende Aussicht, die rot-grüne Bundesregierung werde keinen Bestand haben - hatte Schröder dazu bewogen, sich vom Koalitionspartner abzusetzen, ohne die Koalition vorzeitig zu beenden. Nicht seine Partei, sondern er als Person verkörpert die Linie der koalitionspolitischen Offenheit und der Nutzung von Optionen.
Schröder hätte seinen Wahlkampf am liebsten unter dem Motto "Verhindert den rechten Stoiber" geführt. Es hätte ein Wahlkampf Mann gegen Mann werden sollen - mit einer klaren Rollenverteilung: Schröder, der Moderator, versus Stoiber, den Polarisierer. Manche Grüne bestärkten ihn darin und führten das gleiche Stück zwischen den kleinen Parteien auf. Außenminister Fischer pflegt den Brauch, seine Anhänger mit Scherzen über einen Außenminister Westerwelle auf die Palme zu bringen. Doch glauben in den beiden Koalitionsparteien nur noch die engsten Parteigänger des Bundeskanzlers und seines Stellvertreters an den Erfolg einer solchen Strategie. Stoiber wurde nicht zum Polarisierer, und Westerwelle ist bei einem hinreichend großen Teil des Publikums so beliebt, daß er gewählt wird.
Dem ganz auf die Person des Spitzenkandidaten zugeschnittenen Wahlkampfkonzept entspricht auch das Wahlprogramm der SPD. Schröder will Festlegungen vermeiden, weil er nicht weiß, was nach dem 22. September auf ihn zukommt. Das entspricht auch seinen eigenen Vorstellungen von Politik. Schröder ist nie ein Programmatiker gewesen. Politische Zielvorstellungen waren für ihn immer vor allem ein Mittel zum Zweck. Sein Umgang mit Forderungen nach Wiedereinführung der Vermögensteuer oder seine Auffassung über die Ökosteuer kennzeichnen das. Schröder begründet seine skeptisch-ablehnenden Positionen dazu nicht so sehr inhaltlich, sondern mit vermuteten Auswirkungen auf den Ausgang der Bundestagswahl. Ältere Gegner in der Partei machten ihm deshalb einst den Vorwurf, zwar wolle er die Macht, er wisse aber nicht, wozu er sie nutzen wolle. Derzeit schweigen sie. Doch wenn Schröders Linie keinen Erfolg zeitigt, werden sie sich nach dem Prinzip "Wehe den Besiegten!" verhalten. Auch darüber hat sich Schröder nie Illusionen gemacht. Bis dahin aber wird er einen Siegesoptimismus zeigen, der ebenfalls funktional ist: Mittel zum Zweck.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.04.2002, Nr. 95 / Seite 1