Eine Ikone beginnt zu bröckeln - Kritik an Alan Greenspan wächst
WASHINGTON (dpa-AFX) - Wie ein Kaninchen auf die Schlange starrte die Finanzwelt am Mittwoch vor der neuen Zinssenkung wieder auf Alan Greenspan. Bei jeder Bewegung des US-Notenbankchefs zucken Fondsmanager, Aktionäre und Politiker zusammen. Viele würden ein Vermögen dafür geben, einige
Sekunden vor den anderen einen Blick in seine Gehirnwindungen zu werfen. Um den wichtigsten finanzpolitischen Steuermann der Welt ist ein Personenkult entstanden, der den schmächtigen Alten fast zur unberührbaren Ikone gemacht hat. Doch Greenspans Image als überparteilicher Fachmann hat in den
vergangenen Wochen Kratzer bekommen. Kritiker werfen ihm vor, sich zu eng an die konservative Regierung von George W. Bush zu schmiegen.
Mit zwei deutlichen Zinssenkungen im Januar und seinen wohlwollenden Äußerungen über Steuersenkungen ist der 74-Jährige dem Präsidenten entgegen gekommen. Bush möchte die Steuerzahler innerhalb der nächsten zehn Jahre um 1,6 Billionen US-Dollar (fast 3,4 Billionen DM) entlasten. Greenspan muss sich daher einen ungewöhnlichen Vorwurf gefallen lassen: Sein Schwenk sei eher politisch als finanzpolitisch motiviert. Denn bisher hatte der Notenbank-Chef den strikten Kurs von Ex-Präsident Bill Clinton zum
Schuldenabbau und zur Sanierung der Sozialversicherung mitgetragen.
Greenspans Prognose, die öffentlichen Schulden könnten bis 2010 abgebaut werden, halten einige liberale Politiker wegen der jüngsten wirtschaftlichen Abschwächung für zu optimistisch. Er habe das Tor für die Wiederkehr des fiskalischen Leichtsinns geöffnet, griff der demokratische Senator Paul Sarbanes den Notenbank-Chef an. Damit spielte er auf die drastischen Steuerkürzungen von Ex-Präsident Ronald Reagan an, in dessen Amtszeit von 1981 bis 1989 das Haushaltsdefizit der USA explodierte.
Kritik ist auch außerhalb der Parteipolitik zu hören. Experten weisen auf einen Widerspruch in Greenspans Rede vor dem US-Senat vergangene Woche hin: Steuersenkungen sollen nach Meinung der Republikaner die kränkelnde US-Wirtschaft wieder in Schwung bringen. Obwohl Greenspan dieser Logik nicht direkt folgt, hat er das Ziel unterstützt und dies mit den zu erwartenden "null Schulden" und Haushaltsüberschüssen gerechtfertigt. Doch wenn die Staatskasse überlaufen sollte, heißt das, dass es der Wirtschaft ohnehin gut
geht. Falls nicht, würden Steuersenkungen wieder ein Loch ins Budget reißen. Davor hatte Greenspan selbst gewarnt.
Enttäuschte Demokraten behaupten, Greenspan zeige nun wieder sein wahres Gesicht als Erzkonservativer. Schließlich hatte Reagan Greenspan 1987 auf den Posten des Zentralbank-Chefs gehoben. Die persönlichen Bindungen zur neuen Bush-Regierung sind eng. Der neue Finanzminister Paul O'Neill und
Bushs Wirtschaftsberater Larry Lindsey haben mit Greenspan jahrelang eng zusammen gearbeitet und sich zum Teil gegenseitig Jobs beschafft. Greenspan und der Aluminium-Manager O'Neill dienten gemeinsam in der Regierung von Präsident Richard Nixon (1968-74). Lindsey lernte Greenspans Philosophie eine Zeit lang selbst in der Zentralbank kennen.
"Wir haben ihn auf dieses hohe Podest gestellt und uns selbst zu Narren gemacht", sagte ein Mitarbeiter der Demokraten. "Dies ist kein objektives Orakel." Doch Partei-Kritik hat der Alte schon oft durchgestanden, mal
von der einen, mal von der anderen Seite. Darüber, wie auch über seinen Personenkult, hat der eher schüchterne Greenspan bisher nur geschmunzelt./DP/cs
--- Von Carsten Wieland, dpa ---
WASHINGTON (dpa-AFX) - Wie ein Kaninchen auf die Schlange starrte die Finanzwelt am Mittwoch vor der neuen Zinssenkung wieder auf Alan Greenspan. Bei jeder Bewegung des US-Notenbankchefs zucken Fondsmanager, Aktionäre und Politiker zusammen. Viele würden ein Vermögen dafür geben, einige
Sekunden vor den anderen einen Blick in seine Gehirnwindungen zu werfen. Um den wichtigsten finanzpolitischen Steuermann der Welt ist ein Personenkult entstanden, der den schmächtigen Alten fast zur unberührbaren Ikone gemacht hat. Doch Greenspans Image als überparteilicher Fachmann hat in den
vergangenen Wochen Kratzer bekommen. Kritiker werfen ihm vor, sich zu eng an die konservative Regierung von George W. Bush zu schmiegen.
Mit zwei deutlichen Zinssenkungen im Januar und seinen wohlwollenden Äußerungen über Steuersenkungen ist der 74-Jährige dem Präsidenten entgegen gekommen. Bush möchte die Steuerzahler innerhalb der nächsten zehn Jahre um 1,6 Billionen US-Dollar (fast 3,4 Billionen DM) entlasten. Greenspan muss sich daher einen ungewöhnlichen Vorwurf gefallen lassen: Sein Schwenk sei eher politisch als finanzpolitisch motiviert. Denn bisher hatte der Notenbank-Chef den strikten Kurs von Ex-Präsident Bill Clinton zum
Schuldenabbau und zur Sanierung der Sozialversicherung mitgetragen.
Greenspans Prognose, die öffentlichen Schulden könnten bis 2010 abgebaut werden, halten einige liberale Politiker wegen der jüngsten wirtschaftlichen Abschwächung für zu optimistisch. Er habe das Tor für die Wiederkehr des fiskalischen Leichtsinns geöffnet, griff der demokratische Senator Paul Sarbanes den Notenbank-Chef an. Damit spielte er auf die drastischen Steuerkürzungen von Ex-Präsident Ronald Reagan an, in dessen Amtszeit von 1981 bis 1989 das Haushaltsdefizit der USA explodierte.
Kritik ist auch außerhalb der Parteipolitik zu hören. Experten weisen auf einen Widerspruch in Greenspans Rede vor dem US-Senat vergangene Woche hin: Steuersenkungen sollen nach Meinung der Republikaner die kränkelnde US-Wirtschaft wieder in Schwung bringen. Obwohl Greenspan dieser Logik nicht direkt folgt, hat er das Ziel unterstützt und dies mit den zu erwartenden "null Schulden" und Haushaltsüberschüssen gerechtfertigt. Doch wenn die Staatskasse überlaufen sollte, heißt das, dass es der Wirtschaft ohnehin gut
geht. Falls nicht, würden Steuersenkungen wieder ein Loch ins Budget reißen. Davor hatte Greenspan selbst gewarnt.
Enttäuschte Demokraten behaupten, Greenspan zeige nun wieder sein wahres Gesicht als Erzkonservativer. Schließlich hatte Reagan Greenspan 1987 auf den Posten des Zentralbank-Chefs gehoben. Die persönlichen Bindungen zur neuen Bush-Regierung sind eng. Der neue Finanzminister Paul O'Neill und
Bushs Wirtschaftsberater Larry Lindsey haben mit Greenspan jahrelang eng zusammen gearbeitet und sich zum Teil gegenseitig Jobs beschafft. Greenspan und der Aluminium-Manager O'Neill dienten gemeinsam in der Regierung von Präsident Richard Nixon (1968-74). Lindsey lernte Greenspans Philosophie eine Zeit lang selbst in der Zentralbank kennen.
"Wir haben ihn auf dieses hohe Podest gestellt und uns selbst zu Narren gemacht", sagte ein Mitarbeiter der Demokraten. "Dies ist kein objektives Orakel." Doch Partei-Kritik hat der Alte schon oft durchgestanden, mal
von der einen, mal von der anderen Seite. Darüber, wie auch über seinen Personenkult, hat der eher schüchterne Greenspan bisher nur geschmunzelt./DP/cs
--- Von Carsten Wieland, dpa ---