In der Affenfalle
In Malaysia machte man vorzeiten die Beobachtung, daß bei gewissen Affen die Gier größer ist als der Selbsterhaltungstrieb, und man nutzte diese Erkenntnis bei der Konstruktion einer eigenartigen Falle. Sie bestand aus einem etwa fußballgroßen Korb, in dessen schmale Öffnung ein Affe mit ausgestreckter Hand gerade eben hineingreifen konnte. In die Falle wurden einige große Nüsse gelegt. Faßte der Affe nun in die Falle und ergriff eine Nuß, so war die Öffnung zu klein, um die Hand mit der Nuß darin wieder herauszuziehen. Solange der Affe den Köder nicht losließ, konnte er auch nicht weg. Und viele Affen hielten stur und gierig an der Nuß fest, bis der Jäger kam und sie in den Sack steckte.
Ein ähnliches Verhalten kann man bei vielen "Anlegern" oder "Marktteilnehmern" feststellen, die auch aus dem Schaden der bisherigen Kursabstürze nicht klug geworden sind und immer noch Aktien kaufen. "Es könnte ja sein, daß Alan Greenspan morgen die Zinsen senkt und daraufhin die Kurse wieder steigen", sagen sie sich, "das dann für mich herausspringende ,Schnäppchen` darf ich mir doch nicht entgehen lassen!"
Ein eloquenter Vertreter dieser Spezies war jüngst in einer Fernsehdiskussion zum Thema "Casino Börse" zu sehen: Bodo Schäfer, von Beruf "Money Coach" (d.h. einer, der anderen Tips gibt, wie man durch gewinnträchtige Geldanlagen schnell reich wird) stand in diesem Streitgespräch dem Volkswirt Prof. Wilhelm Hankel gegenüber, der ihm zu erklären versuchte, warum eine spekulative Blase entsteht, wenn die Aktienkurse stärker steigen als der tatsächliche Wertzuwachs der entsprechenden Wirtschaftsunternehmen. Aber Bodo Schäfer entgegnete einfach, er sei kein Volkswirt; der Wertzuwachs kümmere ihn gar nicht, ihn interessiere einzig und allein die Vermehrung des Geldes in der Tasche der einzelnen Anleger - jedenfalls derer, die seinen Anlageregeln folgten. Die Kunst, bei diesem Nullsummenspiel das Maximum in die eigene Tasche zu lenken, möchte Herr Schäfer übrigens zum Schulfach erhoben wissen.
Hier wird klar, daß die erwähnte Affenfalle nicht bloß eine Metapher für Zockerverhalten und Börsenwahn ist, sondern auch im weiteren Sinne eine Art geistiger Behinderung oder mentales Gefängnis veranschaulicht, das den Betroffenen daran hindert, überhaupt größere und tiefere Zusammenhänge zu begreifen. Wer bereits vor dem Verständnis wirtschaftlicher Wertschöpfung paßt, für den sind so komplexe Dinge wie z.B. das Gemeinwohl natürlich erst recht ein Buch mit sieben Siegeln. Bei allen Dingen, die man auf mehreren Ebenen verstehen kann, erfassen Affenfallen-Opfer bestenfalls die allerunterste. Denn ihr Gemüt ist im Klammergriff einer Obsession, die da heißt: "mein kurzfristiges Profitinteresse". Es ist eine zerstörerische Obsession wie die Eifersucht oder ein ewig nagender Groll, und ebenso wie diese schnürt sie das Herz ab und macht den Geist blind für alles Höhere, Schöne im Leben.
Kennzeichen des modernen Börsenwahns ist übrigens nicht der Egoismus an sich, sondern vielmehr dessen pathologische Verengung, sowohl zeitlich wie räumlich-personell betrachtet. Gottfried Wilhelm Leibniz schrieb einmal, es sei überhaupt nichts daran auszusetzen, wenn die Menschen ihr Eigeninteresse verfolgten, nur sollten sie sich bemühen, den Personenkreis und den Zeitraum, auf den sich dieses Eigeninteresse bezieht, möglichst weit auszudehnen - letztlich auf die ganze Menschheit und zeitlich auf mindestens ein ganzes Menschenalter, wenn nicht mehrere Generationen. Auch früher waren Menschen egoistisch, aber ihr Egoismus bezog sich auf die eigene Sippe, das eigene Unternehmen oder auch die eigene Nation. Heute im Zeitalter der "Singles" und "Daytrader" verengt sich das Eigeninteresse häufig auf das eigene Ego bzw. Bankkonto und zeitlich auf einen Tag oder sogar nur den Bruchteil eines Tages. Kein Wunder, daß Begriffe wie "Gemeinwohl" in diesem extrem reduzierten Gedankengerüst nicht die geringste Bedeutung haben können.
Ein weiteres Merkmal der Affenfallenmentalität ist ihr empiristisches Wunschdenken. Bodo Schäfer wurde in besagter Fernsehdiskussion mit seiner Prognose von durchschnittlich 14% Wachstum der relevanten Aktienindizes über die nächsten zehn Jahre konfrontiert. Zur Rechtfertigung dieser Wahnsinnsprognose sagte er, in den letzten 30 Jahren (d.h. seit 1971, als mit der Abkopplung des Dollar vom Gold der Börsenwahnsinn begann, G.L.) seien die Aktienkurse ebenfalls um 14% pro Jahr gestiegen. Prof. Hankels Entgegnung, was 30 Jahre in spekulative Höhen gestiegen sei, könne durchaus im 31. Jahr zum Teufel gehen, traf bei ihm auf blankes Unverständnis.
Im Grunde ist die Geschichte mit der Affenfalle unglaubwürdig. Können Affen so dumm sein? Und wenn erst Menschen so handeln, ist es offenbar krankhaft, destruktiv und selbstdestruktiv. In einer mentalen Falle sitzt auch der Betrüger, der sich mit eiserner Logik gezwungen fühlt, seinen Mitwisser umzubringen, um sich dadurch vielleicht zu retten, doch objektiv seine Lage dadurch noch verschlimmert: Vom Betrüger ist er nun zum Mörder geworden. Ähnlich zu beurteilen wäre ein Regime, das auf die Talfahrt der Aktienkurse mit der Öffnung der Inflationsschleusen und gleichzeitig mit der Anzettelung neuer Kriege reagiert. Niemand kommt mit so etwas durch. Wer es macht, der wird am Ende von der Nemesis der Weltgeschichte in den Sack gesteckt - das Problem ist nur, wir alle werden es mit ihm, wenn wir weiter auf diejenigen hören, die ihre Hand in der Affenfalle haben.