Für die Börse ein Stück des goldenen Bodens
FRANKFURT, 15. Juni. Schlauer haben die vergangenen Tage den Anleger nicht gemacht: Gefangen und getrieben zwischen Konjunktursorgen und Ergebniswarnungen, beflügelt von Phantasien über die üppige Liquidität institutioneller Investoren, zeichnet sich derzeit am Aktienmarkt kein klarer Trend ab. Auch das erhoffte Signal, ein erfolgreicher Börsenstart der Fraport-Aktie, ist ausgeblieben: Bereits am Tag der Erstemission rutschte die Aktie unter den Emissionspreis von 35 Euro - angesichts der Tatsache, daß die Konsortialbanken den Kurs der von ihnen an die Börse gebrachten Werte am ersten Tag zumeist stützen, keine positive Nachricht.
Zumindest hat das Emissionskarussell, das zeitweise zum Stillstand gekommen war, wieder an Fahrt gewonnen. Und zumindest hier zeichnet sich ein neuer Trend ab: Weg vom mit Anglizismen und Fachwörtern gespickten Geschäft mit der Technologie hin zu bodenständigem, weil nachvollziehbaren Geschäft. Beispielhaft dafür die anstehenden Börsengänge der Friseurkette Essanelle und des Fischbrötchenverkäufers Nordsee: Wer versteht schon Aktien eines Unternehmens, das "integrierte Lösungen für die SD-Visualisierung von quantitativen Informationen in Echtzeit" entwickelt, Software für "Customer Relationship Management" vertreibt oder ein Hersteller "gepulster UV-Laser" ist? Und wer mag in Unternehmen investieren, die sich nach unaussprechlichen Indianerhäuptlingen benennen oder aber in ihrem Namenszug so viele Sonderzeichen aufweisen, daß jeder Versuch, den Namen auszusprechen, zu einem Knoten in der Zunge führt?
Das kann man doch auch einfacher haben: Ein Bäcker, ein Optiker, ein Modeunternehmen, ein Hersteller von Puppen - sie alle kann man an der Börse erwerben, und auch ihre Namen sind aussprechbares Programm: Kamps, Fielmann, Gerry Weber, Zapf - ein Unternehmen, ein Firmenname. In der Kursentwicklung müssen sich die Börsenhandwerker nicht verstecken: Gerry Weber hat sich seit Jahresbeginn von rund 6 Euro auf fast 10 Euro verbessert, Zapf liegt deutlich über seinem Emissionspreis, der Kurs der Fielmann-Aktie ist seit Anfang 1998 beständig von knapp 20 auf mehr als 40 Euro gewachsen - für Technologiewerte keine Selbstverständlichkeiten. Der goldene Boden scheint sprichwörtlich zu sein, offenbar auch an der Börse. Wenn dem wirklich so ist, dann dürfte einem weiteren Neuemissionsboom wenig im Weg stehen: Studien belegen, daß bereits vor drei Jahren rund 6000 Mittelständler börsenfähig waren - mit steigender Tendenz, und unter ihnen viele Maschinenbauer und Handwerker mit besagtem Boden.
Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht: Zum einen ist das größte Hindernis auf dem Weg an die Börse die Herr-im-Hause-Mentalität vieler mittelständischer Betriebe - der Chef will auch Chef bleiben. Wer jedoch in Kategorien wie Kapitalbedarf, Zukunftssicherung und Mitarbeitermotivation denkt, für den hat der Börsengang durchaus Charme. Damit dieser Charme aber auch nach außen strahlt, muß man den Investoren etwas bieten: Wachstum, zukunftsträchtige Produkte oder aber eine hervorragende Marktstellung.
Daß dies aber noch nicht den goldenen Börsenboden garantiert, zeigt das Beispiel des Bäckermeisters Kamps, der im vergangenen Jahr an der Börse noch gefeiert wurde: "Wir sind stärker gewachsen als mancher High-Tech-Wert", verkündete Kamps stolz - leider ist die Aktie dann auch stärker gefallen als mancher Technologie-Wert. "Wir werden der Kamps der Friseure", hat man bei Essanelle noch im vergangenen Jahr getönt - heute ist man dort etwas leiser geworden und hat die Preisspanne für die Aktien noch einmal nach unten korrigiert - zu Recht, wie einige Analysten meinen: Das Unternehmen sei teuer, das Ertragswachstum lasse zu wünschen übrig, und die angestrebten Wachstumsraten seien ambitioniert.
Doch trotz der nicht zu vermeidenden Rückschläge an der Börse, ein börsennotierter Handwerker kann ein gutes Investment sein: Brezel und Brötchen werden immer gekauft, Haare wachsen (hoffentlich) immer, und solange es Computerbildschirme gibt, wird es auch Brillenträger geben. Für institutionelle Investoren sind solche Werte oftmals wegen ihrer geringen Marktkapitalisierung nicht interessant, doch für den Privatmann könnten diese Werte wieder das werden, was Aktien eigentlich sein sollen: Anteilsscheine auf die Zukunft eines Unternehmens, und nicht Lotteriescheine. Und wohl dem, der seinem Klempner eines Tages Beine machen kann mit dem Hinweis, daß man Miteigentümer seines Unternehmens sei.
HANNO BECK
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.06.2001, Nr. 137 / Seite 25
FRANKFURT, 15. Juni. Schlauer haben die vergangenen Tage den Anleger nicht gemacht: Gefangen und getrieben zwischen Konjunktursorgen und Ergebniswarnungen, beflügelt von Phantasien über die üppige Liquidität institutioneller Investoren, zeichnet sich derzeit am Aktienmarkt kein klarer Trend ab. Auch das erhoffte Signal, ein erfolgreicher Börsenstart der Fraport-Aktie, ist ausgeblieben: Bereits am Tag der Erstemission rutschte die Aktie unter den Emissionspreis von 35 Euro - angesichts der Tatsache, daß die Konsortialbanken den Kurs der von ihnen an die Börse gebrachten Werte am ersten Tag zumeist stützen, keine positive Nachricht.
Zumindest hat das Emissionskarussell, das zeitweise zum Stillstand gekommen war, wieder an Fahrt gewonnen. Und zumindest hier zeichnet sich ein neuer Trend ab: Weg vom mit Anglizismen und Fachwörtern gespickten Geschäft mit der Technologie hin zu bodenständigem, weil nachvollziehbaren Geschäft. Beispielhaft dafür die anstehenden Börsengänge der Friseurkette Essanelle und des Fischbrötchenverkäufers Nordsee: Wer versteht schon Aktien eines Unternehmens, das "integrierte Lösungen für die SD-Visualisierung von quantitativen Informationen in Echtzeit" entwickelt, Software für "Customer Relationship Management" vertreibt oder ein Hersteller "gepulster UV-Laser" ist? Und wer mag in Unternehmen investieren, die sich nach unaussprechlichen Indianerhäuptlingen benennen oder aber in ihrem Namenszug so viele Sonderzeichen aufweisen, daß jeder Versuch, den Namen auszusprechen, zu einem Knoten in der Zunge führt?
Das kann man doch auch einfacher haben: Ein Bäcker, ein Optiker, ein Modeunternehmen, ein Hersteller von Puppen - sie alle kann man an der Börse erwerben, und auch ihre Namen sind aussprechbares Programm: Kamps, Fielmann, Gerry Weber, Zapf - ein Unternehmen, ein Firmenname. In der Kursentwicklung müssen sich die Börsenhandwerker nicht verstecken: Gerry Weber hat sich seit Jahresbeginn von rund 6 Euro auf fast 10 Euro verbessert, Zapf liegt deutlich über seinem Emissionspreis, der Kurs der Fielmann-Aktie ist seit Anfang 1998 beständig von knapp 20 auf mehr als 40 Euro gewachsen - für Technologiewerte keine Selbstverständlichkeiten. Der goldene Boden scheint sprichwörtlich zu sein, offenbar auch an der Börse. Wenn dem wirklich so ist, dann dürfte einem weiteren Neuemissionsboom wenig im Weg stehen: Studien belegen, daß bereits vor drei Jahren rund 6000 Mittelständler börsenfähig waren - mit steigender Tendenz, und unter ihnen viele Maschinenbauer und Handwerker mit besagtem Boden.
Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht: Zum einen ist das größte Hindernis auf dem Weg an die Börse die Herr-im-Hause-Mentalität vieler mittelständischer Betriebe - der Chef will auch Chef bleiben. Wer jedoch in Kategorien wie Kapitalbedarf, Zukunftssicherung und Mitarbeitermotivation denkt, für den hat der Börsengang durchaus Charme. Damit dieser Charme aber auch nach außen strahlt, muß man den Investoren etwas bieten: Wachstum, zukunftsträchtige Produkte oder aber eine hervorragende Marktstellung.
Daß dies aber noch nicht den goldenen Börsenboden garantiert, zeigt das Beispiel des Bäckermeisters Kamps, der im vergangenen Jahr an der Börse noch gefeiert wurde: "Wir sind stärker gewachsen als mancher High-Tech-Wert", verkündete Kamps stolz - leider ist die Aktie dann auch stärker gefallen als mancher Technologie-Wert. "Wir werden der Kamps der Friseure", hat man bei Essanelle noch im vergangenen Jahr getönt - heute ist man dort etwas leiser geworden und hat die Preisspanne für die Aktien noch einmal nach unten korrigiert - zu Recht, wie einige Analysten meinen: Das Unternehmen sei teuer, das Ertragswachstum lasse zu wünschen übrig, und die angestrebten Wachstumsraten seien ambitioniert.
Doch trotz der nicht zu vermeidenden Rückschläge an der Börse, ein börsennotierter Handwerker kann ein gutes Investment sein: Brezel und Brötchen werden immer gekauft, Haare wachsen (hoffentlich) immer, und solange es Computerbildschirme gibt, wird es auch Brillenträger geben. Für institutionelle Investoren sind solche Werte oftmals wegen ihrer geringen Marktkapitalisierung nicht interessant, doch für den Privatmann könnten diese Werte wieder das werden, was Aktien eigentlich sein sollen: Anteilsscheine auf die Zukunft eines Unternehmens, und nicht Lotteriescheine. Und wohl dem, der seinem Klempner eines Tages Beine machen kann mit dem Hinweis, daß man Miteigentümer seines Unternehmens sei.
HANNO BECK
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.06.2001, Nr. 137 / Seite 25