Interview mit R. Dornbusch/ Weltwirtschaft $$

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Interview mit R. Dornbusch/ Weltwirtschaft $$

 
14.01.01 19:27
W E L T W I R T S C H A F T



Das amerikanische Comeback

Die Wirtschaft der USA fängt sich wieder, Alan Greenspan handelt richtig, und Europa steht vor einer langen Phase inflationsarmen Wachstums. Der deutsch-amerikanische Ökonom Rudi Dornbusch erklärt, warum wir optimistisch sein sollten
DIE ZEIT: Alle Welt starrt auf die amerikanische Konjunktur. Schmiert sie ab?

RUDI DORNBUSCH: Die schlimmsten Nachrichten sind jetzt schon durch. In einigen Wochen werden wir darüber reden, wie tief die Delle war und wie schnell wir da wieder herausgekommen sind.

ZEIT: Das Wort Rezession macht die Runde - und Sie geben locker Entwarnung?

DORNBUSCH: Um die jetzige Situation einmal einzuordnen: Wir alle wollten, dass die amerikanische Wirtschaft abbremst. Jetzt haben wir die Bremsung. Eine solche Phase ist immer schwierig, weil die Risiken größer werden als gewünscht. Aber deswegen erleben wir noch keine Rezession.

ZEIT: Was heißt das in Zahlen?

DORNBUSCH: Bis Dezember erwarte ich wieder ein Wachstum von drei bis dreieinhalb Prozent. Geld- und fiskalpolitische Mittel sind vorhanden, um die Wirtschaft nach oben zu ziehen. Die Geldpolitik hat schon Flagge gezeigt. Das war wichtig.

ZEIT: Alan Greenspan, Chef der US-Notenbank, hat vergangene Woche mit Recht die Leitzinsen gesenkt?

DORNBUSCH: Oh, das war wunderbar. Er hat nicht gegen die Börse gekämpft, hat nicht gewartet, bis der Patient tot ist, und nicht eine Situation wie in Japan riskiert!

ZEIT: Und das Gegenargument, Greenspan lasse sich nur mehr von der Aussicht auf kurzfristige Effekte leiten?

DORNBUSCH: Es ist schon eine ernste Frage, ob er nicht länger hätte warten sollen. Aber es gibt wirklich keinen Grund, eine Rezession zuzulassen. Amerika hat nichts falsch gemacht. Erstens sollte die Wirtschaft um etwa 2,5 Prozent wachsen und bewegte sich unter diesem Pfad. Zweitens wollten die Verbraucher deutlich weniger ausgeben, und die Börsianer bekamen kalte Füße. An dem Punkt entscheidet sich, ob Sie ein Abbremsen abfedern und zurück zum Wachstum finden oder die Kontrolle verlieren. Greenspan musste handeln, als er noch Einfluss nehmen konnte.

ZEIT: Der neue Präsident und der alteingesessene Chef der Federal Reserve konkurrieren darum, wer die US-Wirtschaft wieder flottmacht. Greenspan setzt auf Zins-, Bush auf Steuersenkungen. Geht das gut?

DORNBUSCH: Da gab es immer eine gewisse Spannung. Tatsächlich liegen dahinter zwei Probleme. Zum einen die Frage, ob monetäre oder fiskalische Politik die Ökonomie flottmacht. Da geht die Präferenz in Richtung Notenbank und niedriger Zinsen ...

ZEIT: ... das ist Ihre Präferenz.

DORNBUSCH: So sieht das heute über die Parteigrenzen hinweg jeder, gerade im Hinblick auf die weitere Finanzierung der Neuen Wirtschaft. Zum anderen haben wir es mit der Agenda der Republikaner zu tun, die prinzipiell Steuern senken wollen. Dafür hat Bush geworben. Viele seiner Wähler wollen nun ihre Steuersenkung, und konjunkturell scheint auch die richtige Zeit zu sein. Aber die "Fed" hat gehandelt und klargemacht, dass sie künftig die Zinsen noch weiter herunterfahren will. Damit nimmt sie Bush großteils die Gelegenheit, von einem Notfall zu reden.

ZEIT: Die Fed bindet dem neuen Präsidenten die Hände, bevor der überhaupt im Amt ist?

DORNBUSCH: Vielleicht hat Bush das ja herausgefordert. Eine solche Situation haben auch Greenspan und Clinton erlebt. Clintons Wähler wollten öffentliche Investitionen. Dann redete er mit Greenspan, der ihm gesagt haben muss: Sie haben die Wahl zwischen niedrigen Zinsen und hohen Staatsausgaben. Die zusätzlichen Staatsinvestitionen gab es nicht, dafür aber Niedrigzinsen.

ZEIT: Ob Politiker, Investoren oder Anleger: Alle blicken gebannt auf Greenspan. Halten Sie es für gesund, dass der führende Notenbanker zu einem gottähnlichen Star wird?

DORNBUSCH: Sie müssen schauen, welche Optionen Sie haben. Fragen Sie mal die Amerikaner, ob sie lieber Alan Greenspan oder Wim Duisenberg hätten. Es ist wichtig, dass die Fed hart am Wind liegt und aktuell reagiert. Im Gegensatz zu Duisenbergs Europäischer Zentralbank legt sie sich nicht auf Obergrenzen für die Inflation fest. Greenspan will das so wenig wie sein Vorgänger.

ZEIT: Sind feste Zielgrößen nicht verlässlicher?

DORNBUSCH: Ich bin für Inflationsziele, weil wir nicht sicher sein können, immer einen Greenspan an der Spitze der Notenbank zu haben. Der versteht die reale Wirtschaft und die Risiken, die auftreten, wenn die Finanzmärkte nach unten gehen.

ZEIT: Vollkommen erfolgreich war Greenspan ja nicht. Kurz nach den Zinssenkungen brach die Neue Wirtschaft an der Börse ein.

DORNBUSCH: Dabei handelt es sich nur um einen kleinen Teil der Börse. Gut, dass Greenspan die Kurse insgesamt nicht oben halten konnte. Das hätte den falschen Eindruck vermittelt. Panikverkäufe sind zwar gefährlich, nicht aber Kurse, die langsam nachgeben. Meiner Meinung nach hätte Greenspan kein Problem damit, wenn die Kurse während des Jahres um 10 Prozent nachgeben würden - oder auch um 15 Prozent. Dann sinken die Zinsen weiter.

ZEIT: Ihr Optimismus ist beeindruckend. Immerhin verschulden sich die USA derzeit im Ausland jährlich um fast eine Billion Mark.

DORNBUSCH: Vor drei Monaten hieß es: Der Dollar fällt, dann kommt die Inflation, die Fed muss die Zinsen erhöhen, die Börse bricht zusammen. Und nun? Keine Inflation; der Dollar kann fallen. Das Argument ist keines. Europa muss sich vielmehr sorgen, dass die Amerikaner in Ruhe den Dollar fallen lassen und sich auf diese Weise Schub von außen holen. Vor einem Jahr, im Boom, hätte ein fallender Dollar eine Inflationsgefahr bedeutet. Jetzt nicht.

ZEIT: Wird der Dollar tatsächlich kollabieren?

DORNBUSCH: Ich glaube nicht. Europas Konjunktur bremst, Japans Wirtschaft ist tot. In diesem Umfeld kollabiert der Dollar nicht.

ZEIT: Und wenn die ausländischen Gläubiger und Investoren doch aufhören, ihr Geld den Amerikanern anzuvertrauen ...

DORNBUSCH: ... wo sollen sie denn hin damit, nach Japan? Oder steht Europa unmittelbar vor einem außerordentlichen Boom?

ZEIT: Japan kommt bei Ihnen extrem schlecht weg. Besteht dort wirklich keine Chance auf eine Wende?

DORNBUSCH: Japan war bis vor kurzem mitten in einem Aufschwung. Jetzt ist das Wachstum weg. Getragen wurde es vor allem vom High-Tech-Boom. Aber der ist nun vorüber. Zudem belasten die Konjunkturprobleme in den USA die Japaner. Und die Frage ist, woher der nächste Aufschwung kommen soll. Von der Geldpolitik? Die Zinsen sind ja schon extrem niedrig. Von der Fiskalpolitik? Die Defizite sind schon riesig. Da ist nichts mehr im Werkzeugkasten, die Weltwirtschaft wird langsamer, und die Verbraucher in Japan haben kein Vertrauen. Vorbei die Erwartung, dass die Wirtschaft um zwei Prozent wächst. Die einzig übrige Idee ist, dass die Zentralbank den Yen nach unten bringen soll.

ZEIT: Was bedeutet das für den Westen?

DORNBUSCH: Dadurch schrumpfen die Exportmärkte für Europa. Und langfristig bedeutet es ein großes finanzielles Risiko. Wenn die Verbraucher in Japan aufgeben, bricht die japanische Börse ein, ohne dass die Zentralbank dort viel unternehmen kann. Der Verfall des Yen könnte 30 Prozent betragen, und dann ist ganz Asien wieder in der Bredouille, auch China. Da gibt es keine Kontrolle mehr - ein großes Risiko für Japan und für die Welt.

ZEIT: Ein anderes Risiko ist der Ölpreis.

DORNBUSCH: Öl wird in der zweiten Jahreshälfte in den USA billiger. Auch von daher ist Inflation kein Thema. Sie können daher getrost erwarten, dass Greenspan die Zinsen dieses Jahr um einen weiteren Prozentpunkt senken wird.

ZEIT: Angenommen, Ihr Optimismus ist begründet ...

DORNBUSCH: ... Moment, Moment. Vor drei Monaten galt als Optimismus, dass die Fed sofort erfolgreich handeln würde, wenn etwas schief läuft. Das ist schon geschehen!

ZEIT: Angenommen also, die Optimisten behalten weiter Recht. Wie sollten sich Notenbank und Politiker in Europa verhalten?

DORNBUSCH: Dort ist das Bild komplizierter. Tatsächlich gibt es Inflationsgefahren, gemessen am Ziel der Europäischen Zentralbank. Zum Jahreswechsel kommt die neue Währung, dann sollte der Euro hoch im Kurs stehen. Und die Konjunktur verlangsamt sich. Die Zentralbank sollte nicht versuchen, den Euro über den Kurs von einem Dollar zu heben. Dazu wird die US-Ökonomie zu stark sein. Sie sollte vielmehr Greenspan in einiger Entfernung folgen und die Zinsen senken.

ZEIT: Und was wird aus dem gerade wieder wachsenden Selbstbewusstsein der Europäer gegenüber Amerika?

DORNBUSCH: Die Europäer müssen verstehen, dass das Wachstum in Europa zurückgeht und eine Zinssenkung die richtige Antwort ist. Und ein Euro in den Neunzigern ist doch auch sehr schön.

ZEIT: Bei Ihnen klingt das, als müsse man in Amerika und Europa nur an ein paar Hebeln ziehen, und schon geht es in die gewünschte Richtung. Im Falle Amerikas ein Wachstum von drei bis dreieinhalb Prozent.

DORNBUSCH: Es gibt viele Unsicherheiten. Aber die Fed und die Finanzpolitik können das durchschnittliche Jahreswachstum schon mitbestimmen - und über das Verhältnis von Wachstum und Beschäftigung auch die Arbeitslosenrate. Man sollte die genauen Zahlen nicht zu ernst nehmen. Aber sagen zu können: Wir haben die Abschwächung, und anders als erwartet ist Inflation kein Problem; in einigen Monaten wird das Wachstum daher wieder zunehmen - das ist nicht zu viel verlangt.

ZEIT: Was müsste passieren, damit Amerikas Wirtschaft doch "hart landet", wie das heißt - doch in die Rezession fällt?

DORNBUSCH: Das geht in dieser Phase nicht mehr. Na ja, angenommen, eine ideologische Fed erklärt der Börse den Krieg, angenommen, die Regierung erweist sich als vollkommen inkompetent und lässt den Dollar krachen, sodass die Weltwirtschaft abschmiert, weil Asien keine Chance mehr hat - dann vielleicht. Aber realistisch: In allen Szenarien einer harten Landung war die Inflation schuld.

ZEIT: Noch einmal: Die amerikanische Wirtschaft geht gegenüber dem Rest der Welt jedes Jahr ein Defizit von einer halben bis einer Billion Mark ein. Kann das noch ein halbes Jahrzehnt oder länger so weitergehen?

DORNBUSCH: Klar. Man kann dieses Defizit zwar nicht ewig aufrechterhalten, aber derzeit fehlt den internationalen Anlegern die große Alternative. Und wenn sie doch abwandern, sinkt der Dollar, die Steuersenkung wird geringer ausfallen, die Leistungsbilanz wird ausgeglichener - und der Rest der Welt wird ungehalten sein, weil das einfache Wachstum durch Exporte nach Amerika dahin ist.

ZEIT: Sie sagen, die USA blieben vorerst die Lokomotive der Weltwirtschaft. Können Sie sich vorstellen, dass Europa diese Rolle in naher Zukunft einnimmt?

DORNBUSCH: Anders als Japan, das wirklich gezogen wird, entwickelt sich Europa derzeit parallel zu Amerika. Ein Wettrennen, wenn Sie so wollen. Derzeit sehen die USA schlechter aus, im Fernsehen werden bange Fragen gestellt. Aber ich glaube, das ändert sich.

ZEIT: Bleibt Europa daher mehr Zeit für Reformen?

DORNBUSCH: Der Druck wird steigen. Das Wachstum geht dieses Jahr zurück, und die allgemeine Aussage, dass vieles in die richtige Richtung geht, wird nicht mehr reichen. Derzeit sagt alle Welt: Amerika wird bestraft für all seine Defizite. Bald wird man aber sehen, dass der niedrigere Dollar den Amerikanern bekommt und sie lächeln lässt.

ZEIT: Angenommen, Sie behalten wieder Recht. Wieso kann eine Volkswirtschaft entgegen allen Konjunkturweisheiten mehr als zehn Jahre wachsen, ohne in den Strudel der Inflation zu geraten?

DORNBUSCH: Früher war die Geldentwertung immer der fatale Faktor. Heute nicht mehr. Die Konkurrenz auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt ist heftig - sogar jetzt noch bei vollster Vollbeschäftigung. Weil das High-Tech-Geschäft zurückgeht, suchen auch gute Leute Jobs. Der intensive Wettbewerb auf den Weltmärkten verhindert zudem ein Hochschnellen der Güterpreise. Und die Unternehmen senken weiterhin ihre Kosten. Wenn sich jemand beklagt, er finde keine Sekretärin, dann wird ihm gesagt, er müsse eben ohne auskommen. Und die Produktivität wächst.

ZEIT: Harte Zeiten für Manager.

DORNBUSCH: Auf einer Tagung des amerikanischen Ökonomenverbandes vergangene Woche fragten alle, wie sie an eine gute Sekretärin kämen. Die Antwort ist: Gar nicht, lebe damit! Und das Personal im Hotel sprach nicht unbedingt englisch, sondern spanisch. So ist das eben. Sehen Sie, viele wollen die gute alte Zeit wieder, als eine große Zahl qualifizierter Arbeitskräfte um Jobs bettelte.

ZEIT: Irgendwann sind aber alle Sparpotenziale ausgeschöpft.

DORNBUSCH: Schon, nur sind wir noch lange nicht so weit. Die Entwicklung dürfte noch drei bis fünf Jahre anhalten. Es dauert, bis die Wirtschaft den intensivierten Wettbewerb und die neue Technologie ganz verarbeitet hat.

ZEIT: Durch den Einbruch am Neuen Markt haben die Deutschen den Eindruck, diese Chancen gingen an ihnen vorbei.

DORNBUSCH: Nein. Die kostensenkenden Mittel werden global eingesetzt. Vielleicht sind sie in Europa schwerer durchsetzbar. Aber sie kommen auch bei Siemens oder Daimler an.

ZEIT: Die Europäer dürfen auf eine lange Phase inflationsarmen Wachstums hoffen?

DORNBUSCH: Ja. Europa hat noch eine wundervolle Menge Ineffizienz abzuarbeiten. Darin liegt der zusätzliche Prozentpunkt Wachstum und der ausbleibende Prozentpunkt Inflation, die man New Economy nennt. Die Menschen sehen auch ein, dass die Wirtschaft flexibler werden muss.

ZEIT: Und der Crash am Neuen Markt?

DORNBUSCH: Die High-Tech-Börse in Amerika ist auch gefallen. Und der Nasdaq könnte durchaus noch weiter sinken. Gegenwärtig hält der Realismus wieder Einzug. Aber deswegen geben die Menschen die New Economy nicht auf. Sie ist allemal interessanter als Tellerwaschen.

ZEIT: Das klingt, als hätten Kritiker des schnellen Kapitalismus keine Chance.

DORNBUSCH: Ihre beste Zeit geht schon wieder vorbei. Die US-Wirtschaft wird nicht einbrechen und ihnen damit Argumente liefern.


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Der Weltökonom

Rudi Dornbusch gehört zu den bekanntesten Wirtschaftswissenschaftlern auf dem Globus. Nicht nur, weil er überall auftaucht, wo es interessant wird - in Südamerika genauso wie in Asien. Nicht nur, weil seine Publikationsliste besondere Ausmaße hat und sich darauf auch ein viel genutztes Lehrbuch findet. Sondern vor allem, weil sich Dornbusch immer verständlich ausdrückt - in seinen Beiträgen für "Business Week" oder das "Wall Street Journal" genauso wie auf Podien. Seine Pointen haben schon so manchen Politiker verletzt.

Der 58-jährige Professor vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) wurde in Krefeld geboren. Als Student wechselte er nach einem Kurzversuch in Jura zur Ökonomie, die ihn nach Amerika brachte - heute spricht er in Wirtschaftsdingen lieber Englich als Deutsch. Er promovierte in Chicago an der Fakultät des Nobelpreisträgers Milton Friedman. Das liberale Denken der Chicago-School hat er beibehalten. Der europäische Sozialstaat findet bei ihm so wenig Gnade wie einst der Plan einer gemeinsamen europäischen Währung.

Mit Rudi Dornbusch sprach Uwe Jean Heuser


(c) DIE ZEIT   03/2001  
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Amerika erlebt sein Déjà-vu

Der künftige US-Präsident will sich als Retter der Wirtschaft feiern lassen

Von Matthias Wulff

New York - Lawrence Lindsey, 46, ist ein vorsichtiger, fast pessimistischer Zeitgenosse. Lange Zeit schon warnt der Wirtschaftsprofessor der Harvard University und frühere Gouverneur der US-Notenbank vor den Gefahren für die amerikanische Wirtschaft. Die Konsumenten würden mehr Geld ausgeben als sie zur Verfügung hätten. Die Wirtschaft wäre zu abhängig von ausländischem Kapital. Und die Börse, die sei völlig überbewertet. Vor ein paar Jahren schon hatte er alle seine Aktien verkauft, um "nachts besser schlafen zu können".
Die Nachtruhe war teuer erkauft. Er verpasste in den neunziger Jahren eine der schönsten Börsenpartys ihrer Geschichte. Doch im vergangenen Jahr, dem Titanic-Jahr der Börsianer, rettete er nicht nur seine Ersparnisse, sondern seine Warnung vor dem Abschwung trat - endlich - ein und beeindruckte den künftigen US-Präsidenten George W. Bush. Der machte den pummeligen Lindsey zu seinem künftigen "Chief Economic Adviser" im Weißen Haus.

Lindsey, der als junger Spund bereits den früheren Präsidenten Ronald Reagan beriet, ist der Architekt des 1,6 Billionen Dollar schweren Steuersenkungsprogramms, mit dem Bush in den kommenden Jahren die Wirtschaft ankurbeln will. Dadurch hätten die Bürger wieder mehr Geld in den Händen, um zu konsumieren und die Unternehmen mehr Kapital für Investitionen. Denn die US-Wirtschaft, so raunt eine kleine Anzahl von Ökonomen, befinde sich auf einem gefährlichen Sinkflug, eine harte Landung drohe, die Rezession stehe bevor.

Lindsey und Bush sind solche Molltöne nur recht. Schließlich wollen die beiden als Retter der US-Wirtschaft gefeiert werden. Wie bei dem Wechsel der Vorstandsvorsitzenden eines x-beliebigen Unternehmens versucht Bush die Erfolge des Vorgängers klein zu reden, um anschließend umso strahlender dazustehen.

Dumm nur, dass Notenbankchef Alan Greenspan bereits vorpreschte und die Zinsen vorvergangene Woche um einen halben Prozentpunkt senkte. Greenspan, in der Wertschätzung der US-Amerikaner und Ökonomen knapp hinter dem lieben Gott gelegen, will wieder einmal die US-Wirtschaft nach vorne bringen.

Lindsey schien das nicht zu gefallen. Prompt redete er die Wirkung einer Zinssenkung klein. Mickrige zwei Dollar im Monat würde dieser Schritt dem durchschnittlichen Kreditnehmer bringen, während seine Steuerreform eine Familie mit einem jährlichen Haushaltseinkommen von 40 000 Dollar um 1600 Dollar - 32 Dollar in der Woche - entlasten würde.
Der Vergleich ist bizarr. Schließlich erfährt jeder Erstsemester der Volkswirtschaftslehre, dass eine Senkung der Zinsen vor allem zukünftige Investitionen beflügeln und Unternehmen und Haushalte dazu bringen soll, mehr Geld zu borgen. Um eine Entlastung der derzeitigen Kreditnehmer geht es dabei nur am Rande. "Es wäre alarmierend, wenn der neue Chefökonom irgendetwas von dem glauben würde, was er sagt", meint Paul Krugman vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), "aber das war nur ein zynischer Versuch von jemandem, der es besser weiß, um mehr Unterstützung für seine Steuerpläne zu bekommen."

Störend für die republikanische Rhetorik ist auch, dass die Verfassung der USA Inc. so miserabel, wie Lindsay und Bush sie wollen, bei weitem nicht ist. Von der Rezession sind die USA Lichtjahre entfernt. Darunter wird allgemein ein negatives Wachstum in zwei aufeinander folgenden Quartalen verstanden. Für dieses Vierteljahr rechnet die Mehrzahl der Ökonomen mit einem Anstieg des Bruttoinlandproduktes von 0,5 bis 1,0 Prozent. Doch für das Gesamtjahr 2001 rechnen die Volkswirte der führenden US-Konzerne, zusammengefasst im Blue Chip Economic Indicators, mit einem Anstieg um 2,6 Prozent. "Das ist gerade ein schwaches Quartal, mehr nicht", sagt Rudi Dornbusch vom MIT gegenüber WELT am SONNTAG, "wenn das eine harte Landung ist, dann kann ich nur sagen: Bitte mehr davon."

In der Tat wäre es die erste Rezession in der Geschichte, von dem die Bürger kaum etwas mitbekommen. Insgesamt verharrt die Arbeitslosenquote bei vier Prozent, auch wenn einzelnen Bereichen wie im Einzelhandel Entlassungen bevorstehen, bleibt die USA das Land der Vollbeschäftigten.

Doch versprochen ist versprochen und Bush will, wie im Wahlkampf angekündigt, die Steuern senken statt die Überschüsse für den Schuldenabbau zu verwenden.

Für viele Amerikaner ein Déjà-vu. Bushs Berater Lindsey war schon 1981 ein glühender Verfechter des Steuersenkungsprogramm unter Ronald Reagan, der schließlich die Staatsverschuldung hoch trieb.

So liegt der Verdacht nahe, dass die Republikaner, für die Steuern ohnehin von Übel sind, für deren Senkung aus ideologischen Gründen eintreten: "Mr. Lindsey würde selbst dann für die Steuersenkung eintreten", so Krugman, "wenn die Wirtschaft weiterhin boomen würde."

Kein gutes Omen, meint Krugman: "Es sieht so aus, als ob die kommende Regierung es für völlig akzeptabel hält, Dinge zu sagen, die nachweislich unwahr sind, wenn es darum geht, ihre bevorzugte Politik zu verkaufen."

gruß
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