Hauptsache, es knallt
Von Kai Lange und Karsten Stumm
Zerschlagen, umbauen, übernehmen: Solche Pläne bringen Aktienkurse in Schwung. DaimlerChrysler, Volkswagen und Tui geraten zu Dax-Lieblingen, obwohl alle drei Krisenbewältigung mit ungewissem Ausgang betreiben. Das Übernahmefieber an der Börse kann ein Warnzeichen sein, dass der Markt sich nur noch selber füttert.
Aktionäre von BMW haben derzeit allen Grund, schmallippig zu werden. Der bayerische Autobauer liefert selten Negativschlagzeilen, ist grundsolide und auf stete Umsatzsteigerung bedacht. Doch der Aktienkurs des braven Strebers dümpelt seit Jahren dahin – im Gegensatz zur krisengeschüttelten Konkurrenz im Dax.
Die Anteilscheine der Wirtschaftssorgenkinder Volkswagen und DaimlerChrysler haben seit Jahresbeginn jeweils rund 30 Prozent zugelegt. Doch warum nur?
Volkswagen-Aktionäre spekulieren auf eine erfolgreiche Sanierung der Kernmarke und darauf, dass der kleine Sportwagenbauer Porsche den wankenden Goliath aus Wolfsburg möglicherweise bald vollständig übernimmt. Bei DaimlerChrysler steigt der Aktienkurs dank der Hoffnung, dass sich Daimler möglichst rasch vom US-Verlustbringer Chrysler trennt. Dabei scheint derzeit niemanden zu stören, dass Deutschlands ehemals glänzendster Autokonzern damit das Ende seines alten Traums vom Weltkonzern eingestehen muss.
Nach Jahren der Milliarden Euro teuren Expansion scheint nichts zu bleiben von den teuren Firmenkäufen wie beispielsweise AEG, Fokker, Dornier, der Beteiligung an Mitsubishi oder der Fusion mit Chrysler. Und so sind weder die aktuellen Kursverbesserungen bei DaimlerChrysler und auch Volkswagen keine Veränderungen aus Stärke.
Bei Europas größtem Autokonzern hatte Sanierer Wolfgang Bernhard gerade erst richtig mit der Arbeit begonnen, da wurde er vom machtbewussten Chefkontrolleur Ferdinand Piëch weggebissen. Unter der Devise, Volkswagen vor feindlichen Übernahmen zu schützen, könnte Piëch einen der größten Autobauer der Welt bald wieder zu einem Familienunternehmen machen, wobei er die Regeln guter Corporate Governance großzügig umkurvt.
Und der geschasste Sanierer Bernhard, so der zweite Teil der Kursfantasie, könnte im Bunde mit Finanzinvestor Cerberus Daimler von Chrysler befreien. Auch bei diesem möglichen Umbau geht es nicht um kraftvolles Wachstum, sondern zunächst um ein Ende der Krise.
"Der Markt wird derzeit von Storys getrieben", sagt Jürgen Pieper, Analyst beim Bankhaus Metzler. Kurzfristig orientierte Anleger hätten derzeit wenig Anlass, sich bei den Autoaktien im Dax ausgerechnet für BMW zu entscheiden. "Die Musik spielt jetzt bei DaimlerChrysler und Volkswagen, dort steckt für einige Investoren auch nach der Rally immer noch Fantasie", so Pieper. Unternehmen, die sich still und leise auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und keine spektakulären Umbrüche zu bieten haben, geraten da schnell aus dem Blickfeld.
Zu Recht?
Einmal Millionär und zurück
Börsenkenner plaudern immer wieder gern über dieses Phänomen. Und ernst zu nehmende Wirtschaftswissenschaftler haben längst versucht, es zu ergründen. Sie vermuten mittlerweile, dass nicht wenige Anleger stets die neuesten und dramatischsten Firmennachrichten schlicht falsch einschätzen und überbewerten.
So, wie vielleicht bei DaimlerChrysler die kurzfristige Trennung vom Verlustbringer Chrysler als gewaltige Gewinnchance gesehen wird, ohne aber die langfristig womöglich besseren Geschäftsaussichten als interkontinentales Unternehmen dagegen abzuwägen. Solche Überreaktionen verleiten Investoren unter Umständen dazu, ausgerechnet jene Aktien zu kaufen, die wegen heißer Neuigkeiten gerade ins Blickfeld geraten sind. Und mit ihren eigenen Orders treiben sie den Kurs der Titel dann zumindest kurzfristig in die Höhe. Solide Langweiler wie BMW-Titel werden dabei nicht selten überrundet.
Weitere Beispiele: Der Reisekonzern Tui hat seinen Aktionären aus blanker Not die Dividende gestrichen. Doch seit Tui sein Touristikgeschäft mit dem britischen Anbieter First Choice fusioniert hat und Anleger über eine mögliche Abspaltung der Schifffahrtssparte sowie einen Einstieg des Investors Günter Herz spekulieren, ist die Aktie ein Anlegerdarling; rund 30 Prozent Kursplus seit Januar. Dass die Gesellschaft vorerst kein Geld an ihre Besitzer mehr ausschüttet, scheint derzeit geflissentlich übersehen zu werden.
Oder der MDax-Wert Puma, der ein Jahr lang um die Marke von 280 Euro dümpelte: 20 Prozent Kursplus seit dem Übernahmeangebot des französischen Luxusgüterkonzerns PPR, die Puma-Aktie notiert deutlich über dem von PPR gebotenen Preis. Die Aktie des Energieriesen Eon stieg nach dem Scheitern der Endesa-Übernahme deutlich, während Konkurrent RWE, der sich auf einen zermürbenden und erfolglosen Bieterkampf erst gar nicht eingelassen hat, schwächer notiert als zu Jahresbeginn.
Aktionismus, so scheint es, ist derzeit gefragt. Anleger wollen Stoff für Geschichten: Hauptsache, es knallt. Das Problem dabei ist nur, dass sich damit nur kurzfristig Geld verdienen lässt. Denn unglücklicherweise legt sich die Aufregung der Anleger oftmals bald wieder, und die Kurse der Aufregeraktien sinken entsprechend. Behalten die Markttheoretiker recht, sogar bis auf das Ausgangsniveau.
Börsenpraktiker warnen Investoren derzeit noch aus einem anderen Grund davor, den hochfliegenden Kursen der Sorgenfirmen auf Dauer zu trauen. "Die sich häufenden Übernahmeversuche sind ein Anzeichen dafür, dass sich der Konjunkturzyklus in seiner Spätphase befindet", sagt beispielsweise Ascan Iredi, Leiter Aktienhandel bei der Postbank. Die Wirtschaftsforschungsinstitute gehen hierzulande zwar noch bis ins Jahr 2009 hinein von einer guten Wirtschaftsentwicklung aus, doch in den USA verstärken sich die Anzeichen für eine Abkühlung der Konjunktur.
Übernahmefieber: Aufschwung in der Endphase
Verliert die Konjunktur aber womöglich doch unerwartet Schwung, ließen sich Umsatz und Gewinne nicht mehr so leicht aus eigener Kraft steigern: Viele Unternehmen würden dann versuchen, sich Umsatz und Marktanteile durch Übernahmen einzukaufen, oftmals mit gepumptem Geld.
"Das kann auch schiefgehen", betont Iredi: Risiken sind steigende Zinsen sowie eine abkühlende Nachfrage, die dafür sorgt, dass das übernommene Unternehmen die hoch gesteckten Erwartungen nicht erfüllen und zur zusätzlichen Belastung werden kann. Die Ehe von Daimler und Chrysler, die über Jahre viele Milliarden Euro Aktionärsvermögen vernichtet hat, ist für Fusionswillige sowie für Firmenjäger weltweit ein warnendes Beispiel.
Übernahme- und Expansionsgelüste sind dennoch der derzeit stärkste Impuls für den Dax. Die Kurssteigerungen von Unternehmen wie Volkswagen oder der MDax-Wert Puma sollen mit dem Geld anderer, meist ebenfalls börsennotierter Konzerne wie PPR oder Porsche bezahlt werden. Die Firmenjäger hoffen wiederum, dass sich ihre stolzen Investitionen irgendwann in der Zukunft rechnen werden. Der Markt füttert sich auf diese Weise selbst – denn das stärkste Wachstum der Konjunktur liegt bereits hinter uns.
"Frage des Timings"
"Übernahmen sind eine Sache des Timings", sagt Iredi. Zu Boomzeiten teuer zu kaufen, berge hohe Risiken und gefährde den langfristigen Erfolg. Sowohl die Aktien von DaimlerChrysler wie auch von Volkswagen haben inzwischen ein hohes Rückschlagpotenzial, ergänzt Pieper: Sollte Porsche sich mit weiteren Käufen von Volkswagen-Aktien Zeit lassen oder für Chrysler kein halbwegs akzeptables Angebot auf den Tisch kommen, sei die Börsenparty rasch vorbei.
Tui, DaimlerChrysler und Volkswagen sind die derzeit heißesten Aktien im Dax. Gleichzeitig sind es auch die Unternehmen mit den größten Baustellen. Dort jetzt noch mitzuspielen, sei eine Frage der persönlichen Risikotoleranz sowie des Anlagehorizonts, so Pieper – "kurzfristig ist da noch Schwung drin." Sicherheitsbewusste Anleger mit einem längeren Zeithorizont dürften nach seiner Einschätzung an einer Aktie wie BMW jedoch mehr Freude haben. "Die haben ihr Rover-Übernahmedebakel längst überstanden", sagt der Experte. Bei BMW bestehe nun die Hoffnung, dass das Unternehmen künftig mehr auf den Gewinn und weniger auf den Umsatz schaue.
Denn auch bei einem grundsoliden, gut aufgestellten Langweiler wie BMW wächst der Druck, für positive Überraschungen zu sorgen. Die Familie Quandt dürfte als Großaktionär von der Kursentwicklung nicht begeistert sein: Quandt-Tochter Susanne Klatten zeigte sich bereits im Fall Altana wenig zimperlich.
Als der Chemie- und Pharmakonzern die Hoffnungen auf das nächste Blockbuster-Medikament begraben musste, entschied sich die Mehrheitseignerin zu Aufspaltung und Verkauf der Pharmasparte an die dänische Nycomed. Forschung und Arbeitsplätze in Deutschland? Zweitrangig. Als Kurstreiber viel effektiver war die Aufspaltungsstory. Anleger haben die Vorlage gern aufgenommen. Hauptsache, es knallt.
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