Was genau ist die NATO?
Spätestens seit Russlands Angriff auf die Ukraine am 24. Februar sind die Rufe nach der NATO
unüberhörbar geworden. Aber welche Aufgabe genau hat dieser Nordatlantik-Pakt? Wie ist das
Bündnis entstanden und was hat es mit der sogenannten Beistandspflicht auf sich?
Von Marcus Pindur | 25.02.2022
Geschichte
Die NATO ist das erfolgreichste Verteidigungsbündnis, das es jemals in der Geschichte gegeben hat.
Gegründet wurde der Nordatlantik-Pakt 1949 von zwölf Staaten, um sich vor der Sowjetunion zu
schützen. Deutschland war nicht bei der Gründung dabei und wurde erst 1955 Mitglied – jedenfalls
die Bundesrepublik Deutschland, denn die Deutsche Demokratische Republik (DDR) wurde kurz
darauf Mitglied des sogenannten Warschauer Paktes, des von der Sowjetunion dominierten
osteuropäischen Bündnisses.
Nach dem Zerfall des Sowjetreiches und des Warschauer Paktes streben die meisten Länder
Ostmitteleuropas in die NATO. Auf dem Hintergrund ihrer Erfahrungen als Vasallenstaaten der
Sowjetunion suchten sie Sicherheit vor dem Nachfolgerstaat, der Russischen Föderation. 1999 traten
Polen, Tschechien und Ungarn der NATO bei, 2004 Bulgarien, Estland, Lettland Litauen, Rumänien,
Slowakei und Slowenien. Das System kollektiver Sicherheit, dass die NATO bot, war offensichtlich
aufgrund der historischen Erfahrungen mit der Sowjetunion und teilweise noch mit dem Zarenreich für
diese Staaten sehr attraktiv.
Die Mär vom Versprechen der Nicht-Ausweitung der NATO
Entgegen einer immer wieder auftauchenden Propagandalüge hat es übrigens im Rahmen der
Zwei-plus-Vier-Verhandlungen über die deutsche Einigung nie ein Versprechen der NATO an Russland
gegeben, sich nicht nach Osten auszudehnen. Es gibt hier und dort vereinzelte Äußerungen westlicher
Diplomaten in diese Richtung, aber eine solche Zusage stand nie auf einer Verhandlungsagenda oder
war gar Gegenstand einer Vereinbarung.
Michail Gorbatschow, letzter Regierungschef der Sowjetunion, hat diese Gerüchte um dieses angebliche
Versprechen des Westens eindeutig dementiert, ebenso wie westliche Diplomaten, die an den damaligen
Verhandlungen beteiligt waren, wie zum Beispiel der langjährige Leitungsbeamte im Auswärtigen Amt,
Wolfgang Ischinger.
Russland hatte die NATO-Osterweiterung sogar 1997 in der NATO-Russland-Akte offiziell anerkannt. Die von
Putin immer wiederholte Behauptung, es habe ein Nicht-Erweiterungsversprechen der NATO gegeben, ist
eine Propagandalüge.
Bündnis und Beistandsversprechen
Im Artikel 5 des NATO-Vertrages ist die Beistandspflicht festgehalten. Wenn ein Mitgliedsland angegriffen wird,
verpflichten sich die Verbündeten zur Verteidigung des jeweiligen Bündnispartners. Dieser Bündnisfall muss
vom NATO-Rat, das heißt von allen Partnerländern, beschlossen werden. Bisher war dies nur einmal der Fall,
nach den Anschlägen vom 11.September 2001.
Die NATO selbst hat zwar einen Apparat in Brüssel, aber kaum eigene Ressourcen (Ausnahme: Das Awacs-
Luftüberwachungssystem). Die Mitgliedsländer stellen für gemeinsame Manöver und Einsätze Truppen und
Material zur Verfügung. Es gibt außerdem gemeinsame Standards und Alarmpläne.
Was macht die NATO in Osteuropa?
2014 hatte Russland mit der Annexion der Krim und mit einem von Russland unterstützten Krieg in der
Ostukraine bewiesen, dass es willens und in der Lage war, bestehende Grenzen zu verletzen. Dieses
Verhalten untergrub die europäische Friedensordnung nach 1990. Die baltischen Staaten und Polen
fühlten sich davon enorm bedroht, zumal Russland entlang deren Grenzen Großmanöver mit 100.000
Soldaten abhielt und immer wieder mit Einsätzen seiner Luftwaffe mit Scheinangriffen und Flügen im
internationalen Luftraum mit abgeschaltetem Transponder provoziert.
Die Battle Groups im Baltikum: Abschreckung, aber keine Bedrohung
Die NATO entschloss sich deshalb, eine sogenannte Enhanced Forward Presence einzurichten. Vier
sogenannte Battle Groups sind in den baltischen Staaten sowie Polen und sollen die Alliierten
rückversichern und die konventionelle Abschreckung stärken. Insgesamt ist die Größe jedoch mit
ungefähr 5.000 Mann überschaubar. Die Botschaft an Russland sollte einerseits Abwehrbereitschaft sein,
andererseits klarmachen, dass es keinerlei Angriffskapazitäten auf Seiten der NATO gibt: Abschreckung,
aber keine Bedrohung.
Die NATO Response Force: 50.000 Soldatinnen und Soldaten
Nach dem Überfall auf die Ukraine Anfang dieser Woche hat sich jedoch die sicherheitspolitische Welt
grundlegend geändert. Die NATO löste deshalb den Alarmplan für die NATO Response Force aus. Das ist
eine Truppe von 50.000 Soldatinnen und Soldaten, von denen Deutschland 13.700 stellt. Diese Soldaten
sollen im Alarmfall innerhalb kürzester Zeit zur Abwehr akuter Bedrohungen verlegt werden können.
Außerdem hat die NATO mehr als 100 Kampfjets in Alarmbereitschaft versetzt, um den Luftraum des
NATO-Gebiets zu überwachen.
Debatte um deutschen Verteidigungsbeitrag
Auf den NATO-Gipfeln in Prag (2002) und in Warschau (2014) legten sich die NATO-Länder offiziell auf die
Höhe der Verteidigungshaushalte fest, die bei zwei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsproduktes liegen
sollten. Deutschland hat dieses Ziel jedoch nie erreicht, obwohl der Verteidigungshaushalt in den letzten
Jahren deutlich gestiegen ist.
Zur Handlungsfähigkeit der Bundeswehr
Weil die Bundeswehr aber in den 20 Jahren zuvor stark geschrumpft wurde und keine nennenswerten
Investitionen mehr getätigt wurden, ist der Ausrüstungsstand derzeit desolat. Der ehemalige
Bundeswehrgeneral Egon Ramms beantwortete die Frage im „Heute Journal“, ob die Bundeswehr zur
Landesverteidigung in der Lage sei, schlicht und deutlich mit „Nein“.
Der oberste Heeressoldat, Heeresinspekteur Alfons Mais, machte seinem Herzen vor kurzem in einem
LinkedIn-Posting Luft: Er habe in seinem 41. Dienstjahr im Frieden nicht geglaubt, noch einen Krieg erleben
zu müssen, so schrieb Mais dort. Und die Bundeswehr, so der Heeresinspekteur weiter, stehe mehr oder
weniger blank da. Er meint damit die militärische Ausrüstung des Heeres. Die Optionen, die die Bundeswehr
der Politik zur Unterstützung der NATO-Verbündeten anbieten könnten, seien extrem begrenzt, so der Offizier.
Alle hätten es kommen sehen, aber man sei mit den Argumenten nicht durchgedrungen. Und, zum Schluss:
er sei „angefressen“.
Dass die Bundeswehr seit Jahrzehnten unterfinanziert ist, daran besteht in Expertenkreisen kein Zweifel.
Erst ab 2014 begann ein, wenn auch langsames Umdenken. Der Verteidigungshaushalt stieg von 32,4 Milliarden
Euro 2014 auf knapp über 50 Milliarden in diesem Jahr. Trotzdem bleiben große Löcher.
Hört man sich in der Bundeswehr und im Verteidigungsministerium um, so trifft man auf viel Verständnis für
die Frustration, die der Inspekteur des Heeres in seinem kurzen Ausbruch hat erkennen lassen. Viele
Bundeswehrangehörige teilen diesen Unmut. Der Berufsalltag offenbart sich allzu oft als Mangelverwaltung.
Der Angriffskrieg Putins in der Ukraine hat dies deutlich zutage treten lassen.
Bundeskanzler Scholz hatte dies auf der Münchener Sicherheitskonferenz vor wenigen Tagen offen eingestanden.
„Flugzeuge, die fliegen, Schiffe, die in See stechen können, Soldatinnen und Soldaten, die optimal ausgerüstet
sind für ihre gefährlichen Aufgaben. Das muss ein Land unserer Größe, das besondere Verantwortung in Europa
trägt, sich leisten können. Das schulden wir unseren Verbündeten in der NATO.“
Die Bundeswehr muss viele Probleme gleichzeitig bewältigen. Zunächst einmal muss endlich der normale
Ausrüstungsstand hergestellt werden. Dann muss die Umstellung auf die eigentliche Hauptaufgabe der
Streitkräfte bewältigt werden: Die Landes- und Bündnisverteidigung. Jahrelang standen Auslandseinsätze im
Vordergrund. Und dann müssen große Investitionen getätigt werden, etwa das gemeinsam mit Frankreich
avisierte Luftabwehrsystem FCAS.
Die Bedrohung durch einen völlig skrupel- und rücksichtlosen internationalen Gewalttäter ist offensichtlich.
Die Einsicht wächst, dass Sicherheit einen Preis hat und dass sich Deutschland nicht weiter hinter den
Verteidigungsanstrengungen seiner NATO-Alliierten verstecken kann.
www.deutschlandfunk.de/was-macht-die-nato-100.html
Unter dem Link sind weitere Themen vorhanden.
Geschichte der NATO
Bündnis und Beistandsversprechen
Was macht die NATO in Osteuropa?
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Macht euch selber schlau und fallt nicht auf Putins Propaganda rein. :)