Die Börse ist zum Spielfeld von Spekulanten geworden
Absturz aus dem Paradies: Der Höhenflug der Hightech-Börsen ist zunächst einmal beendet. Leere Versprechen, frisierte Bilanzen, erste Pleiten: Die Finanzmärkte sind zum Spielfeld von Scharlatanen geworden, die Kleinanleger sind die Dummen.
Er war der erste Held des Internet-Zeitalters. Einer, der aus ärmlichen Verhältnissen kam, an den Universitäten von New Orleans und Utah Physik studierte, nicht viel mehr besaß als eine Idee - und es dennoch im Raketentempo zum Milliardär brachte.
Jim Clark, Erfinder des legendären Internet-Zugangs Netscape, hat für immer ausgesorgt. Als Mitgründer des Großcomputer-Herstellers Silicon Graphics kassierte er Anfang der neunziger Jahre die ersten Millionen. Zu wenig für seine schnell wachsenden Ansprüche: Privatjet, Hubschrauber und ein Eigenheim mit 3000 Quadratmeter Wohnfläche. Allein die Gemälde auf seinem Segelschiff "Hyperion" kosteten 30 Millionen Dollar.
Also gründete Clark die Firma Netscape. Er beglückte die Welt mit dem Internet-Browser, der jedermann schnellen Zugang zum World Wide Web verschaffte, das bis dahin nur von Wissenschaftlern und Firmen genutzt wurde.
Die neue Firma Netscape, die im August 1995 an der Nasdaq startete, wurde zunächst ein Börsenstar. Clark stieg zum Milliardär auf - und setzte sich ein neues Ziel. Er wollte nun Larry Ellison überrunden, den neun Milliarden Dollar schweren Chef des Software-Giganten Oracle: "Ich will nur mehr haben als Larry Ellison. Danach höre ich auf."
Clark versprach seinen neuen Geldgebern, einen Markt von vielen hundert Milliarden Dollar zu erobern: das amerikanische Gesundheitswesen. Healtheon hieß die Wunderfirma, die Patienten, Ärzte, Krankenhäuser und Versicherungen vernetzen sollte. Wieder wurde die Firma, die - wie Netscape - bei der Börseneinführung kaum mehr als ein Konzept aufwies, zunächst ein durchschlagender Erfolg.
Schön für Clark: Das Mathematik-Genie ist mit den Börsengängen von drei Firmen sehr reich geworden. Schlecht für die Anleger: Ihnen hinterließ der Visionär einen finanziellen Trümmerhaufen.
Der Aktienkurs von Silicon Graphics ist lange vor dem Börsencrash abgeschmiert; als Netscape ausgeblutet war, wurde es im Februar 1999 von dem Online-Dienst America Online (AOL) geschluckt, und der Kurs von Healtheon, die vor kurzem in WebMD umgetauft wurde, dümpelt zwischen acht und neun Dollar. Gut ein Jahr zuvor lag er bei 105 Dollar.
Die Jim Clarks sind überall. Dem Aufstieg der Gründer und Großinvestoren steht der finanzielle Abstieg von Millionen kleinen und mittleren Anlegern gegenüber. Die Bilanz der Internet-Ära fällt zehn Jahre nach dem Start von Börsenboom und Online-Euphorie ernüchternd aus: Ruhm und Reichtum für wenige, Enttäuschung und finanzieller Ruin für viele.
Vor allem die Späteinsteiger, also in der Mehrzahl Kleinanleger, stehen derzeit als Verlierer da. Im Zeitalter der heißen Tipps, der lauten Empfehlungen und eines oft größenwahnsinnig anmutenden Optimismus ist die Börse zum Paradies für Spieler und Trickbetrüger geworden. Gefälschte Erfolgsmeldungen, frisierte Bilanzen und die ersten Firmenpleiten sorgen für Empörung weltweit. Die Hightech-Revolution entlässt ihre Schwindler.
Galt in schönen Tagen, als die Börsenindizes scheinbar unaufhörlich nach oben kletterten, besinnungsloser Optimismus als Ausweis echter Börsianer-Mentalität, folgt nun das kollektive Erwachen. Viele stellen sich erstmals jene Fragen, die sie monatelang erfolgreich verdrängt haben:
Wie konnte es eigentlich sein, dass Mini-Firmen für sich die Weltmarktführerschaft reklamierten? Ist es wirklich normal, dass der Internet-Buchhändler Amazon zu jedem verkauften Bestseller rund 15 Mark zuzahlt? Warum floss so viel Geld an Firmen, die außer einer Idee nichts zu bieten hatten? Und wie konnte es sein, dass eine Firma wie das deutsche Medienunternehmen EM.TV mit 284 Mitarbeitern (Ende März) so viel wert sein sollte wie die Lufthansa mit 66 000 Beschäftigten?
Doch das Angebot der Träume fand regen Zuspruch, alle wollten mitträumen und mitkassieren. So gleicht der Neue Markt in Deutschland mittlerweile eher einem Wettbüro für Zocker, die den besonderen Kick suchen. Sie setzen auf Pferde, die noch nie ein Rennen gelaufen sind. Bestenfalls haben sie ein schönes Fell und einen guten Trainer, doch meist bleibt den Wettfreudigen nicht einmal die Zeit zu kontrollieren, ob ihr Gaul überhaupt vier Beine hat.
Die meisten Börsenneulinge machen Verluste und werden dennoch nicht selten höher bewertet als traditionelle Industriegiganten. Ein plausibler Business-Plan - die Ausnahme. Ein erfahrenes Management - oft Fehlanzeige. Die Auswirkung all dieser offensichtlichen Unzulänglichkeiten - keine.
Denn auf dem neu geborenen Cyber-Marktplatz werden Hoffnungen gehandelt statt Werte, Visionen statt Bilanzen. Entwicklungsstrategien, Verkaufsaussichten, Einnahmen? Weg mit diesen lähmenden Insignien der alten Wirtschaft.
Von den flotten, kleinen Hightech-Unternehmen und Biotech-Firmen erwartete man keinen Unternehmensgewinn. Das einzige nachprüfbare Bewertungskriterium ist der Umsatz, der sich möglichst von Quartal zu Quartal potenzieren soll. Da störte es kaum, dass dem Umsatzerfolg bei Amazon (seit 1997 ein Plus von 682 Prozent) ein ebenfalls beeindruckender Anstieg der Verluste folgte, plus 1716 Prozent seit Gründung der Firma.
In einer fatalen Mischung aus Hoffnung und Gier glaubten auch Millionen hier zu Lande an das Wunder vom Reichwerden ohne Arbeit. So wurde das Ersparte millionenfach in Klitschen von der Größe eines Klempnerladens gepumpt, in der Erwartung, ein Master of the Universe würde so entstehen.
Alle spielten mit: Die Banken empfahlen jene Aktien der New Economy zum Kauf, die mit besonders kühnen Versprechungen vor die Anleger traten. Die Analysten, die eigentlich unabhängig die Szene beobachten sollen, mutierten zu Marktschreiern der New Economy. Assistiert wurden und werden sie von Dutzenden selbst ernannter Börsengurus, die in Tippbriefen und TV-Shows ihre Empfehlungen lancieren. Und die Anleger folgen ihnen wie dem Rattenfänger von Hameln.
Die ersten Erfolge waren ja beachtlich, nirgendwo ließ sich mit so wenig Geld so viel dazuverdienen. Die Kleinstfirmen des Silicon Valley legten am Aktienmarkt Steigerungsraten hin, die bis dahin als undenkbar galten: AOL, der Online-Club für Internet-Einsteiger, schaffte in der Spitze einen Anstieg des Aktienwerts von über 78 000 Prozent; das Auktionshaus EBay, eine Art Flohmarkt im Netz, beeindruckte mit immer noch gut 1600 Prozent; Yahoo beglückte die Investoren der ersten Stunde mit einem Kursanstieg von über 8600 Prozent.
Der Wahnsinn wuchs langsam - und er ging einher mit realen Veränderungen, die das Leben und Arbeiten der Industrienationen für alle Zeit verändern werden. Mit dem Internet, im Kern also mit der Vernetzung von Datenbanken, Firmen und Privathaushalten via Kupfer- und Glasfaserkabel, ist das Rückgrat der Informationsgesellschaft entstanden. Kommunikation total, Daten- und damit Wissensaustausch lässt sich heute in Sekundenschnelle organisieren.
Nahezu alle Wirtschaftszweige werden von der Revolution berührt, und auch Otto Normalverbraucher profitiert: Der Computer wurde von der primitiven Rechenmaschine zum Kommunikationsinstrument und schließlich zur schnellsten Informationsquelle der Welt. Online-Banking, E-Mails, Internet-News - auch immer mehr Deutsche finden sich vor dem Bildschirm wieder.
Pro Woche kommen hier zu Lande rund 80 000 Internet-Anschlüsse hinzu, die Nutzungsdauer steigt rapide an, auf durchschnittlich rund vier Stunden pro Woche. Ein Ende des Booms ist nicht in Sicht.
Die Gleichzeitigkeit von Realität und Fiktion, beide vom Siegeszug des Internet getrieben, machte es für viele so schwer zu unterscheiden. Der rasante Wechsel von der Industrie- zur Informationsgesellschaft fand ja nicht an der Börse, sondern im Büro und zu Hause statt - spürbar, für jedermann greifbar.
Doch zugleich begannen die Visionen sich von der Realität zu lösen. Während das weltweite Sozialprodukt, also die Summe aus Dienstleistungen und Produkten, seit 1980 um 115 Prozent zulegte, verloren die Finanzjongleure jeden Bodenkontakt. Im gleichen Zeitraum stiegen die Indizes der Börsen um 1072 Prozent.
In immer neuen Wellen strahlte die Phantasie in die Köpfe von Millionen, nichts schien unmöglich: Das papierlose Büro, die menschenleere Fabrik, damit fing alles an. Dass die Papierindustrie boomt und qualifizierte Arbeitskräfte noch immer rar sind, nahm kaum einer zur Kenntnis.
Für Ernüchterung war einfach keine Zeit, es folgte stets der nächste Hightech-Traum, kühn, mutig, größenwahnsinnig. Der Glaube an die totale Digitalisierung: Video on Demand, das bis heute nicht richtig funktioniert. Der sprechende Computer, der das Labor noch immer nicht verlassen hat. Das Einkaufen via Internet, das über das Experimentierstadium kaum hinausreicht. Und jetzt der neue Glaube an den M-Commerce, das Einkaufen per Handy, auf das im Zuge der UMTS-Versteigerung dreistellige Milliardenwetten abgeschlossen wurden.
Wo die Phantasie allen Verstand durcheinander wirbelt, mischte sich schnell jene Spezies unters Volk, die scheffeln will, ohne zu schaffen. Wie stets in Umbruchsituationen, wenn Schnelligkeit zählt, wenn viel Geld ins Spiel gepumpt wird und die staatliche Kontrolle für ein paar historische Sekunden überfordert ist.
So war es beim Eisenbahnbau im 19. Jahrhundert, als wenige Familien zu Tycoons aufstiegen. So war es beim deutschen Aufbau Ost, als Unternehmer wie Jürgen Schneider die Gunst der Stunde nutzten, um mit fremdem Geld ihren Größenwahn auszuleben.
Wundersame Geldvermehrer gab es schon immer, der Trick mit den Kettenbriefen etwa taucht in regelmäßigen Abständen wieder auf. Eine legendäre Gestalt war Erich Wirrwa, der Anfang der sechziger Jahre in Hamburg als "der Geldzauberer von Altona" Furore machte.
Der Geldzauberer erfüllte die Wünsche vieler tausend Bürger: Für Autos oder Kühlschränke, Waschmaschinen oder Möbel mussten Wirrwa-Fans ein Jahr lang 15 Prozent der Kaufsumme ansparen, die restlichen 85 Prozent legte der Magier drauf.
Am besten lief bei Wirrwa der VW Käfer, der damals 5200 Mark kostete. Wer jede Woche Wirrwa 15 Mark gab, konnte nach einem Jahr und einer Einzahlung von insgesamt 780 Mark den 5200-Mark-Wagen abholen. Jeden Freitag wurden - unter beträchtlichem Menschenauflauf - die Waren ausgegeben.
"Bei mir geht alles mit rechten Dingen zu", versicherte der dürre 1,60-Meter-Mann. "Eines Tages", träumte er, "werden 52 Millionen Bundesbürger meine Kunden sein. Dann werde ich den deutschen Automobilfabriken die Preise diktieren."
Die Geldzauberei war zu Ende, als 1964 die Wirtschaftsbehörde ihm das "Geschäft mit Spargewinn- und Kaufverträgen" untersagte. Nach langjährigen Ermittlungen stellte die Staatsanwaltschaft das Betrugsverfahren ein, der Magier arbeitete zuletzt als Parkwächter.
Auch in der Internet-Zeit haben Absahner, Halbkriminelle und Cleverles aller Art wieder Konjunktur. George Colony, Chef des Marktforschungsunternehmens Forrester Research, sieht heute überall "geistlose, seichte, wertlose" Firmen, deren einzige Anstrengung darin besteht, möglichst große Summen beim Anleger einzusammeln. "Flip and flee" - raff und renn - heißt die neue Beweglichkeit im Valley.
Habgier treibe die Computerfreaks und Start-up-Pioniere an, klagt Bill Joy, der Mitbegründer des Software-Konzerns Sun Microsystems: "Eine Million reicht nicht, zehn Millionen reichen nicht, hundert Millionen sind nicht genug."
Die Aussicht auf aberwitzige Gewinne und die mangelnde Kontrolle über den unübersichtlichen Markt lockt sie alle an: die Trickbetrüger, die mit falschen Meldungen Aktienkurse manipulieren. Die Firmenchefs, die mit kreativer Kraft ihre Bilanzen schönen. Die Banken, die nur den Börsengang und nicht das Wohl der Anleger im Auge haben; und jene Analysten, die in einer Mischung aus Ahnungslosigkeit und Dreistheit alle Firmen empfehlen, die auch nur entfernt mit dem Internet zu tun haben.
Die Profite sind derart lukrativ, dass sogar die Mafia ihr traditionelles Drogen- und Erpressungsgeschäft vernachlässigt hat und sich zunehmend auf Aktienbetrug konzentriert. Im März flog der größte Wertpapierschwindel in der Geschichte der USA auf. Die US-Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass skrupellose Mafiosi ahnungslose Investoren um 50 Millionen Dollar geprellt haben.
Eine, so die New Yorker Staatsanwaltschaft, offenbar von der Cosa Nostra dominierte Investmentbank kaufte große Partien "Penny stocks" - Billigaktien - unauffälliger Unternehmen und ließ sie von bestochenen Aktienbrokern anpreisen. Die Kurse stiegen, die Papiere konnten mit hohem Aufschlag wieder abgestoßen werden. Die Geprellten blieben auf wertlosen Aktien sitzen.
Der Kreislauf, der schließlich zum Niedergang der Hightech-Werte führte, beginnt bereits bei den Risikokapitalgebern. Je hysterischer der Markt nach Hightech- oder Biotech-Werten lechzt, desto härter die Konkurrenz der Finanzierer.
Da bleibt oft wenig Zeit für eine genaue Prüfung. Die Aussicht, mit einem hastigen Börsengang schnelle Gewinne zu machen, führte zu vorschnellen Börsengängen. 1995 waren die Neulinge auf dem Finanzmarkt durchschnittlich 8,1 Jahre alt, vergangenes Jahr nur noch 5,2 Jahre.
Auch Großinvestoren ließen sich von der Dynamik anstecken. Als die Manager der Internet-Firma OneMain vor dem Börsengang auf Werbetour gingen, staunten sie, wie wenig substanzielle Fragen sie den Geldprofis der Wall Street beantworten mussten. Kaum eines der 72 Einzelgespräche mit institutionellen Investoren dauerte länger als 20 Minuten.
Eine zwielichtige Rolle in der New Economy spielen vor allem die Analysten. Arthur Levitt, Chef der amerikanischen Börsenaufsicht SEC rät Investoren, "auch solch professionellen Rat mit Vorsicht zu genießen". Denn viele Analysten, so Levitt, arbeiten für die Firmen, die Geschäftsverbindungen mit den Unternehmen haben, die sie analysieren. Im Klartext: Sie beurteilen die Firmen, die ihr Arbeitgeber an die Börse bringt.
Gezielte Abzocke? Ein kleiner Schmu? Oder ein Fehler im System der Finanzwelt? Dummer Zufall spiele zuweilen mit, versichert die Investmentbank Goldman Sachs, die in einen bösen Verdacht geraten ist.
Goldman Sachs hat Spezialfonds aufgelegt für seine besonders wohlhabenden Kunden und für seine besonders gut verdienenden Spitzenmanager.
Anfang 1997 fiel den Bankern eine kleine Software-Firma aus Grasbrunn bei München auf: die Ixos, die Programme lieferte, mit denen Unternehmen ihre gesamten Unterlagen - von der Taxiquittung bis zur E-Mail eines Kunden - elektronisch archivieren konnten. Goldman Sachs beteiligte sich mit 18,7 Prozent an der florierenden Firma.
Ziel war natürlich der Börsengang, den Goldman Sachs gemeinsam mit der Deutschen Bank arrangierte. Im Oktober 1998 wurde die Aktie zu - umgerechnet - knapp 87 Euro ausgegeben. Zu jener Zeit war die Stimmung am Neuen Markt flau, und so lag Anfang November der Ixos-Kurs erst bei 100 Euro.
Zunächst, Anfang November, empfahl Goldman Sachs die Aktie als "market outperformer", der Kurs kletterte auf über 180 Euro. Einen Monat später riet auch die Deutsche Bank zum Kauf. Der Kurs stieg auf über 200 Euro. Nun war Goldman Sachs wieder am Zuge. Der Kurs werde wohl auf 260 Euro weitersteigen, meinte die Investmentbank Anfang Februar und empfahl Ixos mit "Kursziel 270 Euro". Ixos legte auf über 250 Euro zu.
Die Investment-Abteilung freute sich über den schönen Wertzuwachs, die Research-Abteilung über die Ixos-Zahlen. Zwischen den beiden Bereichen sei "eine Chinese Wall", erläutert Peter Dietlmaier von Goldman Sachs, "die Analysten wissen gar nicht, was im Investmentbanking läuft".
Die Research-Abteilung lobte, und streng getrennt machte die Investment-Abteilung Kasse. Im Mai vergangenen Jahres stieß Goldman Sachs 7,6 Prozent an Ixos für über 50 Millionen Euro ab.
Der Kurs sackte leicht ab, aber Goldman Sachs empfahl Ixos immer wieder als "outperformer": Anfang Juni und Mitte Juni, im September, Oktober und November. Auch die Deutsche Bank empfahl in einem Jahr dreimal die Ixos-Aktie.
Das Getrommel der beiden Banken weckte die Analysten anderer Häuser. Denn wenn die Experten von zwei renommierten Banken sich derart für eine Aktie einsetzen, mögen andere Fachleute nicht gegenhalten. "Analysten lehnen sich nicht gern aus dem Fenster", weiß Gerhard Schleif, über die DGZ-Dekabank Chef-Aktienhändler der Sparkassen.
So geriet Ixos auf die Empfehlungslisten, vom Bankhaus Merck Finck & Co. bis zur Kreissparkasse Pinneberg. Nur der Kurs dümpelte beharrlich um 150 Euro.
Kurz vor Weihnachten splittete Ixos die Aktie im Verhältnis 1:5. Mit diesem Kunstgriff lässt sich der Kurs hochtreiben, weil die Aktie optisch billiger wird. Statt einer Aktie für 150 Euro gab es nunmehr fünf zum Kurs von 30 Euro. Der Kurs stieg planmäßig wieder an. Mitte Januar empfahlen Goldman Sachs und die Deutsche Bank gleichzeitig wieder einmal Ixos und nur eine Woche später noch einmal: Kursziel 65 Euro, prophezeite Goldman Sachs. Der Kurs kletterte, Mitte Februar schraubte die Deutsche Bank das Kursziel auf 90 hoch. Nun gab es kein Halten mehr: 95 Euro prophezeite Merrill Lynch, 118 das Bankhaus Julius Bär.
Nur realisierte Gewinne sind echte Gewinne. Also stießen die Ixos-Firmengründer Eberhard Färber und Hans Strack-Zimmermann insgesamt 600 000 Aktien ab, und auch für die Investmentbanker wurde es Zeit, wieder einmal Gewinne mitzunehmen. Am 10. März verkauften fünf Goldman-Sachs-Fonds für rund 55 Millionen Euro 600 000 Ixos-Aktien an andere Fonds - solche für Kleinanleger? Genau drei Wochen später gab Ixos eine Gewinnwarnung heraus, der Kurs stürzte steil ab. Am Freitag vergangener Woche kostete die Aktie 15,75 Euro, vor der Gewinnwarnung waren es 104.
Auch wer sich online besser beraten glaubt als von Banken, kann sich täuschen. In vielen Chatrooms der Internet-Services melden sich bezahlte Einflüsterer und treiben, wie im Fall des US-Mafiabetrugs, als unabhängige Berater oder schlichte Diskussionsteilnehmer getarnt, mit irreführender Information Aktien in die Höhe.
"Achten Sie auf ökonomische Grunddaten, schauen Sie sich den Geschäftsplan an, das Management und das Preis-Umsatz-Verhältnis. Dann sehen Sie, dass manche der heutigen Firmen tatsächlich 1000mal nichts wert sind", rät Arthur Levitt. Der Mann weiß, wovon er spricht. Er war 16 Jahre lang Investmentbanker an der Wall Street und 11 Jahre lang Börsenchef der American Stock Exchange.
Auf die Profis jedenfalls kann sich der Kleinanleger nur in Ausnahmefällen verlassen. Die wissen zwar viel, aber nutzen den Informationsvorsprung oftmals für eigene Zwecke.
Bezeichnend für den unfairen Informationsvorsprung ist die Tatsache, wie viele Insider vor dem großen Crash der Hightech-Werte im April ausgestiegen sind. Obwohl sich die Nasdaq im März noch auf Höchststand befand, stießen Risikokapitalisten, Gründer und andere Insider, also Teilnehmer an den firmeneigenen Family&Friends-Programmen, Aktien im Wert von 22 Milliarden Dollar ab - das Doppelte des bisherigen Monatsrekords und das Fünffache des gleichen Vorjahresmonats.
Solche Verkäufe sind in den USA immerhin meldepflichtig. So können die Kleinanleger sehen, wann das Vertrauen des eigenen Managements und der Geldgeber abnimmt. Allerdings muss der Verkaufsvorgang der Börsenaufsicht erst am Zehnten des nächsten Monats berichtet werden - die Insider haben also einen Vorsprung von bis zu sechs Wochen.
Selbst Lichtgestalten der New Economy entpuppen sich bei genauerem Hinsehen oft als Scharlatane. Jüngstes Beispiel: Firmengründer Michael Saylor von der Internet-Firma Microstrategy.
Seine Firma entwickelt intelligente Software, die, so seine Vision, das gesamte Leben der Menschen und Geschäfte elektronisch vernetzen und steuern soll. Wie ein Messias des Cyberspace reiste der 35-Jährige durch das Land, predigte vor Politikern und Wissenschaftlern und kündigte an, für hundert Millionen Dollar eine Internet-Universität zu gründen.
Am 10. März kletterte der Kurs seiner Firma auf den Höchststand von 313 Dollar - Microstrategy war damit 24,7 Milliarden Dollar wert.
Zehn Tage später folgte die Entzauberung des Magiers. Die Börsenaufsicht war einem Artikel des "Wall Street Journal" nachgegangen und stieß so auf Saylors Erfolgsrezept: Um Gewinnversprechen einzuhalten, datierte er Vertragsabschlüsse in andere Quartale und führte Verkäufe, die sich über viele Jahre erstrecken, sofort in vollem Wert als Einnahmen auf, statt sie über den Zeitraum zu verrechnen.
Als Saylor die Nachricht von der - durch die Börsenaufsicht erzwungenen - Neuberechnung seiner Finanzen veröffentlichte, verließen ihn seine Jünger. Microstrategy verlor an einem Tag elf Milliarden Dollar an Wert. Es täte ihm wirklich leid, sagte er später seinen Aktionären.
Der Fall ermunterte die US-Börsenaufseher, einen strengeren Blick in die Bücher der Internet-Firmen zu werfen. Und was sie sahen, entsetzte sie. In der neuen Wirtschaft, so lautet der jüngste Befund, werden traditionelle Bilanzierungsregeln gedehnt, bis sie den Chefs gefallen.
Aus Angst, bei den Anlegern und Analysten in Ungnade zu fallen, werden interne Papiere frisiert und Umsätze aufgeblasen. Etliche E-Commerce-Firmen wie Priceline, ein Online-Vertrieb für Hotelzimmer und Flugreisen, rechnen den vollen Preis etwa eines Fluges als Umsatz ab, obwohl - wie bei einer Reiseagentur - nur ein Bruchteil davon in den eigenen Kassen bleibt.
Auf diese Art meldete die Firma im dritten Quartal 1999 Umsätze von 152 Millionen Dollar. Unter der Rubrik "Produktkosten" werden dann Zimmer, Flugtickets und Mietwagen wieder abgezogen. Im fraglichen Quartal waren das 134 Millionen. Was im Klartext bedeutet, dass Priceline lediglich acht Millionen Dollar eigene Einnahmen hatte. Zieht man davon die Kosten ab, bleibt ein realer Verlust von 102 Millionen Dollar übrig.
Weit verbreitet ist ausgerechnet in der New Economy auch das Tauschgeschäft, früher ein Markenzeichen der DDR-Mangelwirtschaft. Die Betreiber von Web-Firmen platzieren gegenseitig ihre Werbebanner auf den Seiten der Konkurrenz, ohne dass dafür Geld fließt. In den Bilanzen jedoch wird die erhaltene Werbung als Einnahme verbucht. Bei Internet-Firmen, die alle ihren Markennamen bewerben, machen solche Schein-Einnahmen oft mehr als die Hälfte des Umsatzes aus.
Ähnlich wird auch mit Discounts und Rabatten umgegangen. Gebucht wird für die Bilanz in der Regel der volle Preis der Ware, um den Umsatz hochzutreiben. Die gewährten Rabatte werden in der Rubrik "Marketingausgaben" versteckt.
Die Wirtschaftsprüfungsfirma KPMG weigerte sich im Oktober 1999, die Betriebskosten ihres Kunden Varsitybooks derart zu schönen - und wurde von dem Schulbuchhändler prompt vom Auftrag entbunden. Die neuen Prüfer waren nicht so pingelig.
Geraten die Firmen der New Economy unter massiven Druck, lassen sie sich allerdings mehr einfallen als schnöde Bilanztricks. Um Anleger zu gewinnen, verfiel der Chef der virtuellen Hausaufgabenhilfe Tutornet aus dem US-Staat Virginia, so der Vorwurf der SEC, auf ein todsicheres Rezept: falsche Erfolgsmeldungen.
Euburn Forde kündigte im Mai eine Zusammenarbeit mit AOL an, die potenziell 324 Millionen Dollar bringen sollte. Zu diesem Zeitpunkt hatte AOL längst jegliche Kooperation beendet. Auch eine in Aussicht gestellte lukrative Kooperation mit dem US-Städtebauministerium entsprach nicht der Realität: Tatsächlich bot Tutornet der Behörde unentgeltlich seine Dienste an.
Ähnlich geht es auch in Deutschland zu. "Europe's hottest market" nannte das "Wall Street Journal" den Neuen Markt, wo wie im Spielcasino riesige Gewinne und böse Verluste eingefahren werden.
Wer beim Börsenstart der EM.TV 10 000 Mark investierte, ist heute Millionär. Wer im Mai dieses Jahres für eine Million Mark EM.TV-Aktien kaufte, ist um 500 000 Mark ärmer (siehe Seite 132).
Die deutschen Banken spielen oft genug eine unrühmliche Rolle. So weigerte sich die BHF Bank, die Münchner Advanced Medien AG an die Börse zu bringen. Daraufhin wechselte die Medienfirma schnell die Bank und auch gleich den Wirtschaftsprüfer KPMG.
An die Börse kam die Advanced Medien im August 1999 mit Hilfe der Baader Wertpapierhandelsbank, die sich vor dem Börsenstart mit 44,4 Prozent an der Firma beteiligte. Die Studie, die der neue Wirtschaftsprüfer für den Börsengang verfasste, wies pflichtgemäß auf einen kleinen Schönheitsfehler hin: einen "erheblichen Liquiditätsengpass". Den durften die neuen Aktionäre beseitigen.
Angebot und Nachfrage bestimmen den Wert einer Aktie. Doch die Nachfrage lässt sich stimulieren - durch gezielte Käufe von Großinvestoren (siehe Seite 130), durch positive Meldungen, durch Gerüchte.
Kein Wunder also: Die PR-Maschine ist oft der effektivste Teil vieler Internet-Firmen, die kaum Umsatz, keinen Gewinn, aber viel Wirbel veranstalten. Fast jeder ist irgendwie Marktführer in irgendeiner Nische, bläst Kleinaufträge zu riesigen Erfolgen auf, verkündet ständig strategische Allianzen, Rahmenverträge und Kooperationen.
Die Anleger kommen da kaum noch mit, der Informationshunger hat die Auflage der Börsenzeitschriften hochschnellen lassen. Ungleich stärker ist der Einfluss des Fernsehens. Am populärsten ist die "3Sat-Börse", freitagabends um halb zehn mit durchschnittlich 500 000 Zuschauern. Vier Experten stellen dort ihr Musterdepot vor und empfehlen ihre Aktien.
Doch schon am Freitagnachmittag ab halb vier, so beobachteten Frankfurter Börsianer, werden die Aktien geordert, die sechs Stunden später empfohlen werden. "Es ist so offenkundig, was bei 3Sat abläuft", sagt Gerhard Schleif, Börsenchef der DGZ-Dekabank.
Gegen zehn Uhr abends treffen dann die Aufträge bei dem Makler Lange & Schwarz ein: Der Düsseldorfer Broker ist die führende Adresse für außerbörslichen Handel mit Privaten. Am Samstag darf bei der Direkt Anlage Bank geordert werden, wie die Bank in "FAZ"-Anzeigen den Fans der "3Sat-Börse" mitteilte. Am Montag setzt dann der Run von Kleinanlegern auf die Fernsehempfehlungen ein - und viele Profis machen Kasse.
Argwöhnisch beobachtet das Bundesamt für Wertpapierhandel die möglichen Insidergeschäfte bei 3Sat. Die Versuchung ist groß, dass der eine oder andere Experte sich mit den Aktien eingedeckt hat, die er am Freitagabend präsentiert und wenig später verkauft, wenn der Kurs nach seinen Empfehlungen hochgeschossen ist. "Scalping" nennen das die Broker.
Egbert Prior, ein ehemaliger Journalist des Wirtschaftsmagzins "Capital", ist mit Aktien und seinen Auftritten bei 3Sat reich geworden. Seine Anhänger feierten ihn als Börsenguru, mit Priors Tipps war viel Geld zu verdienen. Einige der Werte, die der Herausgeber der "Prior Börse" bei 3Sat empfahl, hatte er sich zuvor in sein privates Depot gelegt.
Ein Prozess wegen Insidergeschäften blieb ihm erspart. Es sei nicht nachzuweisen, befand das Landgericht Frankfurt, dass Prior die Aktien mit der Absicht gekauft habe, sie am Freitagabend zu empfehlen. Von diesem Freibrief will sich der Chef der Wertpapieraufsicht, Georg Wittich, nicht abschrecken lassen. "Ein anderer Fall kann bei einem anderen Gericht zu einem anderen Urteil führen", glaubt der Präsident der Aufsichtsbehörde, der endlich einmal einem Tipp-Geber illegale Insidergeschäfte nachweisen möchte.
Einer von Priors Nachfolgern bei dem Börsenspiel am Freitag war Bernd Förtsch aus dem fränkischen Kulmbach. Der 38-Jährige fiel auf, weil Aktien, die er empfahl, auch in den von ihm betreuten Investmentfonds vertreten waren - Artnet etwa oder Edel Music. Fürs Fernsehen nahm er Morphosys beim Kurs von 92 in sein Musterdepot, lobte die Firma, für die er in leutselig fränkischem Akzent einen Kurs von "dausend" Euro sah. Der Höchstkurs lag bei 430 Euro, vergangenen Freitag kostete Morphosys rund 180 Euro.
So mancher öffentliche Tipp Förtschs wirkte sich segensreich für ihn aus. "Das machen alle in der Branche", sagt er lapidar dem "Tagesspiegel".
Gemeinsam mit dem Sohn eines Tankstellenpächters hatte Förtsch in Kulmbach seinen Börsenbuchverlag gegründet, der vorwiegend Übersetzungen amerikanischer Fachliteratur herausbrachte. Aus dem Börsenbuchverlag - Förtschs Kompagnon schied bald aus - wurde die Börsenmedien AG, die als Hauptprodukt die Wochenzeitschrift "Der Aktionär" herausbringt.
Neben dem "Aktionär", dessen Auflage in vier Jahren von 10 000 auf derzeit 130 000 stieg, betreibt Förtsch mehrere Telefon-Hotlines, alle mit der 0190-Nummer. Als Fondsmanager betreut er insgesamt sieben Fonds. Rund 80 Angestellte stehen heute auf seiner Gehaltsliste.
Förtsch hat eine ganze Reihe von Firmen wie beispielsweise Artnet oder FortuneCity empfohlen, von denen andere Fondsmanager die Finger lassen. Der Börsengang von FortuneCity gehört zu den erstaunlichsten Leistungen der Deutschen Bank.
In seinem letzten Geschäftsbericht vor dem Börsengang wies das amerikanische Unternehmen einen Umsatz von 2,5 Millionen und einen Verlust von 7,5 Millionen Mark aus. Die Deutsche Bank taxierte den Wert der Firma auf 835 Millionen Mark.
Die Anleger rissen sich um die Aktie, die im März vergangenen Jahres zu 15 Euro emittiert wurde. FortuneCity betreibt werbefinanzierte Chatrooms im Internet - als eine von vielen Firmen, die alle mit den Plauderecken Geld verdienen wollen. Nach anhaltend katastrophalen Ergebnissen liegt der Kurs jetzt unter drei Euro.
FortuneCity war ein gutes Geschäft für die Banken. Am meisten kassierte die Deutsche Bank als Konsortialführerin, die sich über eine Tochterfirma vorab 230 000 Aktien zum Schnäppchenpreis sicherte. Die Altgesellschafter haben zur Börseneinführung einen Teil ihrer Aktien abgegeben, Großaktionär Jeremy Metcalve bekam über Nacht 35 Millionen Mark auf sein Konto.
Das Geld, das der Börsengang in die Firmenkasse gespült hat, reicht noch bis Jahresende, vielleicht auch ein paar Monate länger. So wird FortuneCity das angestrebte Ziel kaum schaffen: Der Umsatz, so hatte die Deutsche Bank prognostiziert, würde in drei Jahren um das 40fache steigen.
"Ohne Heißluftgebläse können Sie auch einen guten Wert an der Börse vergessen", meint Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Der Mann begrüßt das nicht - er beschreibt nur die triste Realität.
Ein großes Gebläse betreibt der Berliner Professor Sigram Schindler, Gründer und Großaktionär der Teles AG. Die Firma verkauft Internet-Dienste und Telekommunikationsausrüstungen und verbreitet viele Erfolgsmeldungen.
Bislang habe die Teles "die eigenen Ziele fast immer verfehlt", resümiert Rainer Raschdorf, Analyst bei der DG Bank. Schindler ist eben ein Großmeister in der Ankündigung ehrgeiziger Ziele und im Aufblasen von Petitessen.
Als Teles einen Kooperationsvertrag mit dem Satellitenbetreiber Eutelsat abschloss, gab sich der Professor euphorisch: Mit dieser Kooperation biete sein SkyDSL-Dienst "den absolut verlässlichen und extrem kostengünstigen europaweiten Betrieb".
Schnickschnack, befand der Teles-Chef einige Monate später und stieg aus dem Vertrag aus. Die Zusammenarbeit sei "letztendlich geschäftlich uninteressant".
Anfang vergangenen Jahres verkündete Schindler, die Teles würde ihren Gewinn 1999 verdoppeln. Statt der versprochenen 42 Millionen schaffte die Firma nur 10,1 Millionen Mark. Daraus machte der Professor, der kurz zuvor mit noch weniger Gewinn rechnete, eine Erfolgsstory unter der Überschrift "Jahresabschluss 1999 besser als erwartet".
Schindlers Getöse muss veröffentlicht werden. Es handelt sich in der Regel um Pflichtmitteilungen, so genannte Ad-hoc-Meldungen. Seit 1995 muss jede AG alle Informationen, die den Aktienkurs beeinflussen könnten, sofort über Nachrichtenagenturen verbreiten lassen.
Typische Ad-hoc-Meldungen sind Quartalsberichte, Übernahmen und deutliche Abweichungen von den Gewinnerwartungen. Viele Unternehmen benutzen die Adhoc-Meldungen mittlerweile als preiswerte Plattform für Reklame.
Unter verschärfter Beobachtung des Bundesaufsichtsamts wegen der Verbreitung von Informationsmüll steht der Suchmaschinenbetreiber Endemann!! Internet AG, mit zwei Ausrufezeichen. "Lärmstangen" nannte der Schriftsteller Gottfried Benn Ausrufezeichen, und Ingo Endemann macht oft Lärm.
Endemann betreibt, unter anderem, www.bellissima.de, eine Suchmaschine für Frauen. Das ist so sinnvoll wie ein Computer für Frauen, aber mit diesem Stuss kam Endemann wieder einmal in die Medien: Zeitschriften von "Brigitte" bis "Bild am Sonntag" stellten Endemanns Suchmaschine ("Qualität ist weiblich") vor.
Um seine Suchmaschine Abacho in die Zeitung zu bringen, kaufte Endemann drei kleine Lämmer. Ehefrau Heike und Finanzvorstand Patrick Hund fuhren mit den Tieren zu einem nahe gelegenen Kinderbauernhof und lieferten die Schafe dort medienwirksam als gute Tat ab. Abacho sei erfolgreich, begründete Ingo Endemann die Aktion, "an diesem Erfolg wollten wir auch andere teilhaben lassen".
Der gelernte Werber bietet viele Suchhilfen an. Das Computerfachblatt "C't" hat bei drei Suchmaschinen aus dem Haus Endemann festgestellt, "dass sie auf dieselbe Anfrage identische Ergebnisse liefern". Aladin, Intersearch und Bellissima, die Suchmaschine für Frauen, sind offenbar identische Produkte, die dem Anleger Vielfalt vortäuschen.
Geholfen hat die Marktschreierei wenig. Großsprecherische Ankündigungen über die demnächst sprudelnden Gewinne helfen, wenn überhaupt, dem Kurs nur noch ein bisschen. Und wer zu oft den Mund zu voll genommen hat, riskiert ein chronisches Kurstief.
Von der Trickserei bis zu Täuschung und Betrug ist es manchmal nur ein kleiner Schritt. Die Grenze womöglich überschritten haben Gerhard Harlos und Alexander Häfele, die beiden Gründer der Augsburger Infomatec.
Der Infomatec-Kurs war deutlich abgebröckelt, als das Unternehmen im Mai vergangenen Jahres mit einem "großartigen Erfolg" prahlte, der angeblichen Lieferung von 100 000 so genannten Surfstations, die den Internet-Zugang über das Fernsehgerät ermöglichen. Auftragswert: 55 Millionen Mark.
Gleich nach dieser Meldung sprang der Kurs in die Höhe, und der Vorstandsvorsitzende Harlos flunkerte bald noch dreister: Zwei weitere Firmen hätten für mindestens 105 Millionen Mark Internet-Boxen bestellt. Das Bankhaus Delbrück sah den Infomatec-Kurs bis auf 320 steigen.
Die Infomatec-Aktie kostet jetzt knapp vier Euro, denn die Großaufträge stellten sich als Bluff heraus - Harlos und Häfele stehen unter dem Verdacht des Kursbetrugs und Insiderhandels. Am Donnerstag vergangener Woche durchsuchten mehr als 50 Kriminalbeamte, Staatsanwälte und Mitarbeiter des Frankfurter Bundesamts für Wertpapierhandel Büros sowie die Wohnungen von Harlos und Häfele. In der Bank der beiden beschlagnahmten die Staatsanwälte private Depot-Unterlagen, um festzustellen, ob die Infomatec-Chefs nach hochgepuschten Kursen Aktien verkauft hatten.
Mit einem Kurssturz abgestraft wurde auch Stefan Domeyer, der Chef der Hildesheimer Metabox, die ähnliche Geräte wie Infomatec liefert. Domeyer hatte Aufträge für gut zwei Milliarden Mark angekündigt, der Kurs schoss steil nach oben.
Der Umsatz wie der Gewinn werde in diesem Jahr Rekordhöhen erreichen, versicherte Domeyer Mitte September. Nur zehn Tage später meldete er ganz andere Zahlen: statt 198 Millionen Mark Umsatz nur noch 70 Millionen, und der angepeilte Gewinn von 14 Millionen Mark verwandelte sich nun in einen Verlust von 15 Millionen.
Der Kurs, der nach Domeyers vollmundigen Ankündigungen bis auf 45 Euro geklettert war, lag am Freitag vergangener Woche bei 8 Euro.
"Planzahlen sind so absurd geworden, die Leute sind dagegen fast immun", sagt Irving Einhorn, ein ehemaliger Manager der amerikanischen Börsenaufsicht. Auch die Deutschen lassen sich nicht mehr so leicht hinters Licht führen. Der Endemann-Kurs, einst fast 22 Euro, ist unter 6 Euro gesunken, der Teles-Kurs, vor 14 Monaten noch bei 42, liegt bei 10.
"Wir müssen eine Marktbereinigung bekommen", forderte Wolfgang Gerke, Mitglied der Börsensachverständigenkommission. Der Crash vom März habe keine reinigende Wirkung gehabt, sagt auch Sparkassen-Experte Gerhard Schleif: "Wir brauchen einen ganzen Zyklus abwärts. Dann wird sich die Spreu vom Weizen trennen."
Viele Anleger werden in den nächsten Monaten weitere Lektionen lernen - über schwankende Märkte, unzuverlässige Prognosen und Banken, denen sie besser nicht vertraut hätten. Das genaue Hinschauen, beim Autokauf längst gang und gäbe, muss sich am Aktienmarkt erst noch durchsetzen.
Schleif glaubt, nur durch Negativerfahrungen stellten sich Lernerfolge beim Publikum ein: "Erst wenn der Markt richtig in die Grütze geht, bekommen wir eine Aktienkultur