Seit März 2000 kennen die Kurse nur eine Richtung: nach unten. Doch der Blick in die Geschichte gibt eine vielleicht tröstende Erkenntnis: Alles schon mal dagewesen. Selbst Genies wie Isaac Newton blieben nicht verschont. Fast 60 Prozent hat der DAX seit dem Höchststand im März 2000 nachgegeben. Wer die derzeitige Krise verstehen will, sollte in die Vergangenheit schauen. Denn die Geschichte der Börsen ist eine Geschichte von Börsencrashs.
Der Tulpencrash
Seit 1593 importierten die Holländer aus Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, Tulpenzwiebeln nach Amsterdam. Sie wurden schnell beliebt, waren aber knapp, und so stieg der Preis.
Bis zur Tulpenmanie vergingen aber noch etliche Jahre bis 1634. Auf dem Höhepunkt kostete eine Zwiebel der Sorte Semper Augustus 10.000 Gulden - den Preis eines Hauses. Ein Brauereibesitzer soll sogar für drei Tulpenzwiebeln seine Brauerei eingetauscht haben.
1637 platzte die Blase, viele der Spekulanten blieben auf einem riesigen "Tulpenvermögen" sitzen und gingen Pleite.
Die Südsee-Blase
1711 gründeten Kaufleute in England die "Südsee-Gesellschaft" mit dem Versprechen, englische Waren gegen Gold und Silber in Lateinamerika zu handeln. Jahrelang dümpelte die Aktie an der Börse, Geschäfte machte das Unternehmen kaum.
Im Januar 1720 gelang es der Gesellschaft, dem Unterhaus die Übernahme der englischen Staatsschulden vorzuschlagen. Das Gesetz wurde im April verabschiedet. Kaufpanik griff um sich. Die Aktie stieg von 150 Punkten im Januar auf 1050 im Juli.
Anfang August wurde öffentlich bekannt, dass die Gründer zum Höhepunkt ihre Aktien verkauft hatten. Die Papiere fielen bis Jahresende wieder auf 150. Erst 1855 wurde die Firma aufgelöst, hatte aber bis dahin nie nennenswerte Geschäfte gemacht.
Berühmtestes Opfer dieses Crashs war übrigens der Physiker Isaac Newton, von dem der Ausspruch stammt: "Ich kann zwar die Bahn der Gestirne auf Zentimeter und Sekunden berechnen, aber nicht, wohin eine verrückte Menge einen Börsenkurs treibt."
Der Schwarze Freitag
Zunehmender Optimismus über die wirtschaftliche Lage ließen seit 1921 immer mehr Amerikaner zu Aktionären werden. Investmentgesellschaften schossen wie Pilze aus dem Boden, die Kurse kannten nur eine Richtung: nach oben. Das brachte viele dazu, sich Aktien auf Pump zu kaufen, denn die Zinsen waren im Vergleich zu den Kursgewinnen geradezu lächerlich.
Als der Statistiker Roger Ward Babson im September 1929 vor einem Crash warnte, machte er sich zunächst zum Gespött der Finanzwelt. Am Donnerstag, den 24. Oktober, bricht an der Wall Street jedoch plötzlich Panik aus, der Dow Jones fällt an einem Tag um damals unvorstellbare elf Prozent. Am "Schwarzen Freitag", den 25. Oktober, erklärt Präsident Hoover: "Die primäre Wirtschaft des Landes befindet sich in einer gesunden und florierenden Verfassung."
In den folgenden drei Jahren stürzt die Weltwirtschaft in eine Depression, der Dow Jones fällt um 85 Prozent und erreicht erst in den 50er-Jahren wieder das Niveau des Spätsommers 1929.
Die Ölkrise
Sonntagsfahrverbot, leere Autobahnen, und wenn man fahren durfte, dann nicht schneller als 100 Stundenkilometer. Das waren die sichtbarsten Auswirkungen der plötzlichen Ölknappheit, der ein Krieg im Nahen Osten vorausgegangen war.
Am 6. Oktober 1973, dem israelischen Feiertag Yom Kippur, griffen Ägypten und Syrien gemeinsam den verhassten Nachbarn an. Doch die Offensive scheiterte. Als Reaktion beschloss die OPEC, die Ölförderung einzuschränken.
Die westlichen Länder gerieten daraufhin in die schwerste Wirtschaftskrise seit den 30er-Jahren: Die Wirtschaft stagnierte, während die Inflation wegen des steigenden Ölpreises weiter kletterte.
Der DAX (zurückgerechnet aus dem Index der Börsenzeitung) fiel von Januar 1972 bis September 1974 um 40 Prozent, um dann in eine langjährige Seitwärtsbewegung überzugehen.
Der Schwarze Montag
Am 19. Oktober 1987 stürzte der wichtigste Aktienindex der Welt, der Dow-Jones-Index innerhalb weniger Stunden um 508 Punkte oder 22,6 Prozent von 2247 auf 1739 Punkte ab. Dies war der bis dahin stärkste Einbruch in der Geschichte der Wall Street und stellte sogar den Schwarzen Freitag von 1929 in den Schatten.
Im Gegensatz zum damaligen Börsencrash konnte jedoch eine expansive Geldpolitik der US-Notenbank Fed eine wirtschaftliche Rezession verhindern. Ausgelöst wurde die Krise durch Sorgen über das amerikanische Haushaltsdefizit, wobei automatisch ausgeführte elektronische Verkauforder den Kurssturz dramatisch verstärkten.
Der Crash an der Wall Street führte auch in Deutschland zu dramatischen Szenen: Der DAX brach auf Basis zurückgerechneter Kurse von rund 1500 Punkten Anfang Oktober bis auf 945 Zähler (Stand am 10. November) ein. Der 19. Oktober 1987 ging als "Black Monday", also als "Schwarzer Montag", in die Geschichte ein.
Die Kuwait-Krise
Als Saddam Hussein am 17. Juli 1990 irakische Truppen in Richtung Kuweit schickte, störte das an der Börse kaum jemanden. Der Dow Jones erreicht mit knapp 3000 Punkten ein neues Jahreshoch, der DAX am Tag darauf mit 1966 Zählern sogar ein neues Allzeithoch.
Auch an den folgenden Tagen ist die Reaktion auf dem Parkett verhalten. Es kommt zu vereinzelten Gewinnmitnahmen, aber keinem Crash. Denn noch überwiegt die Hoffnung, dass sich der Konflikt zwischen dem ehemaligen US-Verbündeten Irak und dem jetzigen US-Verbündeten Kuweit diplomatisch lösen lässt.
Als Hussein jedoch am 2. August seinen Truppen befiehlt, die Grenze zu überschreiten, schießt der Ölpreis sofort in die Höhe, Dow und DAX fallen in den Keller.
Es folgen Monate des Krieges, in denen die USA und ihre Verbündeten in der Operation "Wüstensturm" ab dem 16. Januar 1991 irakische Truppen wieder auf das eigene Territorium zurückdrängen.
Bis hierhin hatte der DAX 30 Prozent verloren. Doch plötzlich war die Angst auf dem Parkett wie weggefegt. Bis zum Sommer 1991 machte das deutsche Börsenbarometer wieder 25 Prozent gut.
Die Asien-Krise
Die Börsenkrise in der zweiten Hälfte des Jahres 1997 begann als Währungskrise in den Tigerstaaten Südostasiens. Thailand, Malaysia, Singapur, Indonesien, Hongkong und Südkorea hatten ihre Währung fest an den Dollar gebunden.
Das war kein Problem, solange die Wirtschaft boomte. Aber seit Anfang 1997 gelangten die internationalen Banken und die Währungshändler immer stärker zu der Überzeugung, dass die asiatischen Währungen überbewertet seien.
Nun schlug die Stunde der Spekulanten. Sie setzten durch Termingeschäfte die Tigerwährungen unter Druck. Bald zeichnete sich ab, dass die Regierungen der betroffenen Länder die Dollarbindung nicht mehr lange aufrecht erhalten können.
Als erstes Land gab sich Anfang Juli 1997 Thailand geschlagen. Knapp zwei Wochen später folgte Malaysia und nach einem Monat Indonesien.
Der Fall der Wechselkurse führte zu einem massiven Kapitalabzug der internationalen Investoren und zog Banken und Unternehmen in Südostasien in eine tiefe Krise.
Auf Grund der regionalen Verflechtungen wurde Japan mit in die Misere gezogen, was schließlich auch zu Kursstürzen in Westeuropa und den USA führte. Im Höhepunkt der Krise im Oktober 1997 sackte der DAX innerhalb weniger Handelstage von 4326 auf 3645 Punkte ab.
Die Russland-Krise
Im August 1998 - also nur knapp ein Jahr nach der Asien-Krise - war Russland Auslöser einer Börsenbaisse. Die Ursachen ähnelten denen in Asien.
Russland hatte seit 1995 eine Reform zur Stabilisierung der Volkswirtschaft durchgeführt. Zentraler Punkt war dabei, Vertrauen in die russische Währung zu schaffen. Der Rubel wurde an den US-Dollar gebunden, wobei ein Korridor nur geringe Abwertungen erlaubte.
Die Reformen hatten zunächst Erfolg: Internationale Investoren strömten ins Land. Auf Grund dieser Kapitalzuflüsse kam es zu einer Investitionsblase: Der Index des russischen Aktienmarktes stieg 1996 um 142 Prozent.
Die Wende kam 1998. Das Haushaltsdefizit Russlands schnellte hoch und machte deutlich, dass das mächtige Reich seine wirtschaftlichen Problem nach dem Fall des Sozialismus nicht überwunden hatte. Am 17. August wurde der Rubel freigegeben, der daraufhin um mehr als 50 Prozent an Wert verlor.
Als Folge brach die russische Wirtschaft zusammen. Auch ein Hilfsprogramm des Internationalen Währungsfonds (IWF) konnte nicht mehr verhindern, dass der russische Staat in die Zahlungsunfähigkeit rutschte.
In Deutschland krachte der DAX aufgrund der beunruhigenden Situation im östlichen Riesenreich innerhalb von drei Wochen von 6184 Punkten (21. Juli 1998) auf 3861 Zähler (08. Oktober 1998) zusammen. Das entsprach einen Wertverlust von knapp 40 Prozent.
Die Dot.com-Bubble
Bis Anfang 2000 machten Internet-Aktien dank heißer Luft Höhenflüge.
Mitte bis Ende der 90er Jahre schaffte das Internet den Durchbruch als Massenmedium. Die Euphorie über die neuen Möglichkeiten der Kommunikation und Information war grenzenlos.
Täglich wurden neue Unternehmen gegründet, im Branchenjargon als "Dot.com" bezeichnet. Das nötige Kapital holten sich die findigen Jungunternehmer zumeist über die Aktienmärkte.
Und die Investoren waren nur allzu bereit, Geld in die junge Branche zu pumpen. Kritiklos wurden über die Börse auch die abwegigsten Geschäftsmodelle finanziert. Die Kurse florierten, was wiederum neue Gelder locker machte.
So verdoppelten sich 1997 die Kurse am Neuen Markt. Ein Jahr später konnten die Anleger ihr Geld sogar fast verdreifachen. Der Fall kam spät, dafür aber umso heftiger. Plötzlich wurde vielen Anlegern klar, dass kaum eines der Internet-Unternehmen überlebensfähig war.
In den Medien wurde der Ausdruck "Cash-Burn-Rate" populär: Wie lange dauert es noch bis zur Pleite? Die Börsen reagierten im März 2000 auf die veränderte Stimmungslage. Plötzlich sackten die Kurse weg - und das tun sie per Salami-Crash bis heute.
Der elfte September
Es ist Morgen in Manhattan, kurz nach acht Uhr. Ein strahlend blauer Spätsommertag beginnt. Plötzlich ist im Nordturm des World Trade Centers Feuer und Rauch zu beobachten.
Offenbar ist ein Flugzeug in das Hochhaus gerast. Ein Versehen? Ein Unfall? Spekulationen machen die Runde. Als dann kurze Zeit später vor den Live-Kameras der Nachrichtensender ein zweites Flugzeug in den Südturm fliegt, herrscht Gewissheit: Terror.
Ein bis dato recht unbekanntes Netzwerk namens Al Kaida unter der Führung eines gewissen Osama Bin Laden soll hinter den Anschlägen stecken, erklärt die US-Regierung nur wenige Tage später.
Der DAX, eh seit Wochen im freien Fall, unterschreitet die Marke von 4000 und in den folgenden Tagen sogar 3600 Punkten. Doch ab dem 21. September herrscht plötzlich Optimismus. Der Terror werde die Weltwirtschaft weit weniger treffen als erwartet, so die einhellige Meinung.
Bis März 2002 legt der DAX beeindruckende 50 Prozent zu. Inzwischen ist er wieder unter die September-Tiefstände gestürzt.