Aus der FTD vom 7.2.2003
www.ftd.de/frickeKolumne: Mit Bush ins alte Amerika
Von Thomas Fricke
Der US-Präsident fährt einen finanzpolitischen Crashkurs, der an fast
vergessene Krisenzeiten erinnert. Ein Festhalten daran könnte der
Weltwirtschaft nachhaltiger schaden als ein Krieg gegen Irak.
Das World Trade Center wird wieder aufgebaut, die
Nasa darf weiter Milliarden ausgeben. Kein Problem.
Der Militäretat steuert längst auf neue Rekorde zu,
während der Präsident Steuergeschenke wie
Handzettel verteilt - trotz dramatisch steigender
Defizite. Es sieht aus, als tanze Amerika auf dem
Vulkan, und zwar staatlich gestützt.
Was George W. Bush mit seinen Etatplänen für 2004
diese Woche vorläufig auf die Spitze trieb, scheint mit sachte dosierten
Staatseingriffen zur Konjunkturstützung in der Tat immer weniger gemein zu
haben - eher mit einem immer heilloser wirkenden Verschuldungskurs wie zu
ganz alten Zeiten. Damit steuert der US-Präsident mit texanischem Feingespür
auf ein Szenario zu, das nicht nur Amerika, sondern auch den Rest der
Weltwirtschaft auf Jahre teuer zu stehen käme. Die USA leben gefährlich über ihre
Verhältnisse.
Bush steuert derzeit mit Rekordtempo in überholt geglaubte Dimensionen der
Neuverschuldung, in denen die ohnehin nur bedingt positiven Wirkungen immer
weniger ausreichen, um die negativen Begleiteffekte zu kompensieren. Und das
hat nur wenig mit schlechter Konjunktur zu tun: Der politisch gesteuerte
Struktursaldo verschlechterte sich seit 2000 um enorme 400 Mrd. $ - das ist die
Wirtschaftsleistung der Niederlande in einem ganzen Jahr und entspricht vier
Prozent des US-Bruttoinlandsprodukts.
Ökonomie als Abenteuerspielplatz
Würden wenigstens Bushs Projektionen bis 2008 eintreten, ließe sich das
auffangen. Nur haben die Präsidialökonomen bisher nicht einmal die unmittelbar
anstehenden Kriegskosten berücksichtigen können. Dafür soll die US-Wirtschaft
wunschgemäß bis 2008 um durchschnittlich 3,3 Prozent wachsen.
Das wäre "nur ein halber Prozentpunkt weniger als in den Jahren der
Bubble-Economy in den 90er Jahren", sagt Morgan-Stanley-Chefökonom Stephen
Roach. Fiele das US-Wachstum nur einen halben Punkt niedriger aus, würden in
zehn Jahren kumuliert 1200 Mrd. $ in der Staatsrechnung fehlen. Ein längerer
Irak-Krieg könnte zudem je nach Schätzung zumindest 100 bis 200 Mrd. $ kosten.
Wenn nur eines dieser Risiken eintritt, wird die US-Defizitquote auf alte
Rekordwerte um fünf bis sechs Prozent des BIP schnellen - wie zuletzt 1992. Oder
zu Zeiten Ronald Reagans, als schon einmal ein US-Präsident behauptete, dass
Steuersenkungen sich ganz und gar selber finanzieren; tatsächlich blieben
Steuereinnahmen in dreistelliger Milliardenhöhe aus. Ende der 80er Jahre galten
die USA wegen der dramatisch gestiegenen Defizite in Staatshaushalt und
Außenhandel als krank. Und (West-)Deutschland als Vorbild.
Reichlich gewagt ist Bushs Versprechen, wonach ein Abbau der
Dividendensteuer erst die Aktienkurse und darüber die Investitionen der Firmen
stütze. Damit löst man nicht die Probleme einer Post-Bubble-Economy nach
exzessiven Jahren. Zweifelhaft ist auch, ob die übermäßig starke Senkung der
Spitzensteuersätze in den USA noch so viel mehr Arbeitsanreize schafft. In der ach
so neuen US-Welt ist nach Rechnung des Wirtschaftswissenschaftlers Tom
Piketty die Einkommenskonzentration auf die oberen Schichten schon jetzt wieder
so hoch wie - Ende des 19. Jahrhunderts.
Je weniger solche Experimente bewirken, desto eher werden sich die Kehrseiten
des Bush-Abenteuers niederschlagen. Ohne eine wirklich überzeugende
Alternative bieten zu können, hat der Haudrauf-Ökonom aus Texas jenen Mix aus
solider Finanzpolitik und eher expansiver Geldpolitik aufgegeben, der Amerikas
Wachstum in den 90er Jahren womöglich viel stärker getragen hat als der
Internet-Hype - auch wenn der Verdacht besteht, dass Fed-Chef Alan Greenspan
die Aktienblase mit niedrigen Zinsen zu lange genährt hat.
Schon jetzt kann die Fed kaum ernsthaft auf eine verlässliche Finanzpolitik wie zu
Clintons Zeiten bauen. Das macht auch ihren Kurs unberechenbarer. Der Staat
mit der weltgrößten Volkswirtschaft droht den Kapitalmarkt bald so stark zu
beanspruchen, dass dies den Mega-Trend zu sinkenden Zinsen kippen könnte.
Reagans abrupter Schuldenkurs trug Anfang der 80er Jahre zu den drastisch
steigenden Realzinsen bei (siehe Grafik).
Rezession als Familienschicksal
"Wenigstens gab es damals eine gesamtwirtschaftliche Sparquote in den USA
von neun Prozent", sagte Stephen Roach - derzeit sind es unter zwei Prozent,
weshalb die USA nun auf spektakuläre Art von ausländischem Kapital abhängen.
Das Minus in der Leistungsbilanz dürfte bald sechs Prozent des BIP erreichen.
Bushs Abenteuer kommt einer Zeitenwende gleich. Laut
HypoVereinsbank-Ökonom Martin Hüfner "würde das Wachstum in Europa im
dritten Jahr über dem der USA liegen, wenn die Konjunktur um fiskalpolitische
Effekte bereinigt würde" - also nur die Marktkräfte zählten. Je länger Bush die
Illusion vom ewigen Konsumboom staatlich subventioniert, desto heftiger wird
das Erwachen.
Der jüngste Fall des Dollar zum Euro ist ein erstes Warnsignal. Bald könnte ein
regelrechter Kurs-Absturz folgen, der Amerika Inflationsschübe und Europa eine
Exportkrise brächte. Irgendwann werden die US-Konsumenten zudem merken,
dass sie auf Pump leben. Und: "Anders als unter Clinton noch geplant werden die
USA ins nächste Jahrzehnt mit Defiziten starten, obwohl dann erst die
demografisch bedingten Lasten der Altersfinanzierung auf den Staat zukommen",
sagt Peter Meister, US-Experte bei der BHF-Bank.
Die Geschichte scheint sich auf tragikomische Weise zu wiederholen. In beiden
Rezessionen der vergangenen 20 Jahre regierte in den USA ein Präsident der
Familie Bush. Beide ließen die Defizite auf neue Rekorde steigen. Der Senior
musste am Ende die Steuern anheben. Das wird auch der Sohn tun müssen,
spätestens sein Nachfolger. Der Eifer, mit dem George W. Bush die USA derzeit
in die Vergangenheit steuert, lässt wenig Gutes erwarten.
© 2003 Financial Times Deutschland , © Illustration: FTD
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