Finanzpolitik der Berliner Regierung löst Irritationen in der EU aus
Die Partner wundern sich über Deutschland
Von RUTH BERSCHENS
Was ist bloß mit den Deutschen los? Die Frage stellen sich die Regierungen der EU-Partnerstaaten in diesen Tagen zum wiederholten Male, denn die Kette der Hiobsbotschaften aus der größten Volkswirtschaft Europas reißt nicht ab.
An die traurige Tatsache, dass die einst unangefochtene ökonomische Führungsmacht des Kontinents beim Wirtschaftswachstum auf den letzten Platz zurückgefallen ist, haben sich unsere Nachbarn ja leider schon gewöhnt. Der konjunkturelle Aufschwung hatte Ende der 90er-Jahre hier zu Lande später eingesetzt als in anderen EU-Staaten, der Abschwung kam dieses Jahr früher als anderswo, und jetzt trifft die weltweite Konjunkturschwäche unsere Wirtschaft auch noch heftiger als andere.
Mittlerweile befürchtet die EU-Kommission ebenso wie manches Wirtschaftsforschungsinstitut, dass die deutsche Wachstumsrate dieses Jahr unter die Ein-Prozent-Schwelle abrutscht. So tief ist keine andere europäische Volkswirtschaft gesunken.
In dieser unerfreulichen Lage sorgt die deutsche Finanzpolitik zusätzlich für Verwirrung. Die Nacht-und-Nebel-Steuererhöhung des Bundesfinanzministers überraschte nicht nur die deutsche Opposition, sondern auch die EU-Partner. Hans Eichel hatte seine europäischen Amtskollegen natürlich nicht vorab über diesen Schritt informiert – ungeachtet aller Bekenntnisse zu mehr wirtschaftspolitischer Zusammenarbeit in Europa.
Eichels Griff in die Taschen der Steuerzahler passt nun wirklich nicht zum allgemeinen finanzpolitischen Trend in der EU. Während andere EU-Staaten die Abgaben senken, um die schwache Konjunktur anzukurbeln, macht der deutsche Fiskus plötzlich wieder Kasse. Dies sorgt bei den EU-Partnern – gelinde gesagt – für Erstaunen. Das brachte Eichels französischer Kollege Laurent Fabius beim EU-Finanzministertreffen am Samstag mit aller gebotenen Höflichkeit zum Ausdruck. Die deutsche Steuererhöhung kommentierte Fabius mit einer demonstrativen Aufzählung der Steuersenkungen in seinem eigenen Land und deren hilfreicher Wachstumseffekte.
Der Gouverneur der Banque de France assistierte: Die Politik müsse alles tun, so Jean-Claude Trichet, um die Inflationsrate so weit wie möglich nach unten zu drücken. Nur wenn die Preise stabil blieben, räsonierte Trichet, würden die Menschen mehr konsumieren und der Konjunktur wieder auf die Sprünge helfen. Der Adressat dieser Bemerkungen blieb zwar ungenannt, sollte sich aber dennoch angesprochen fühlen. Die Verbrauchsteuererhöhungen in Deutschland sind jedenfalls nicht geeignet, das Inflationstempo in der EU zu verlangsamen.
Die EU-Kommission bemüht sich derweil, Eichels Überraschungscoup noch eine positive Seite abzugewinnen. Immerhin helfen die höheren Steuereinnahmen dem Bundesfinanzminister dabei, die staatliche Neuverschuldung dieses und nächstes Jahr einigermaßen unter Kontrolle zu halten.
Darüber dürfte EU-Wirtschaftskommissar Pedro Solbes durchaus erleichtert sein. Die gespannte Haushaltslage in Deutschland bereitet dem Kommissar nämlich zunehmend Kopfzerbrechen. Der für die Budgetkontrolle in Euro-Land zuständige Kommissar darf ein konjunkturbedingt höheres Haushaltsdefizit in Deutschland zwar tolerieren, aber nur in engen Grenzen. Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen werden dieses Jahr eine gesamtstaatliche Defizitquote von mindestens zwei Prozent, eventuell sogar mehr ausweisen. Dies geschieht ausgerechnet in dem Land, das immer gesunde Staatsfinanzen in der EU verlangt hat. Darüber wundern sich die EU-Partner – zu Recht.
HANDELSBLATT, Dienstag, 25. September 2001
Die Partner wundern sich über Deutschland
Von RUTH BERSCHENS
Was ist bloß mit den Deutschen los? Die Frage stellen sich die Regierungen der EU-Partnerstaaten in diesen Tagen zum wiederholten Male, denn die Kette der Hiobsbotschaften aus der größten Volkswirtschaft Europas reißt nicht ab.
An die traurige Tatsache, dass die einst unangefochtene ökonomische Führungsmacht des Kontinents beim Wirtschaftswachstum auf den letzten Platz zurückgefallen ist, haben sich unsere Nachbarn ja leider schon gewöhnt. Der konjunkturelle Aufschwung hatte Ende der 90er-Jahre hier zu Lande später eingesetzt als in anderen EU-Staaten, der Abschwung kam dieses Jahr früher als anderswo, und jetzt trifft die weltweite Konjunkturschwäche unsere Wirtschaft auch noch heftiger als andere.
Mittlerweile befürchtet die EU-Kommission ebenso wie manches Wirtschaftsforschungsinstitut, dass die deutsche Wachstumsrate dieses Jahr unter die Ein-Prozent-Schwelle abrutscht. So tief ist keine andere europäische Volkswirtschaft gesunken.
In dieser unerfreulichen Lage sorgt die deutsche Finanzpolitik zusätzlich für Verwirrung. Die Nacht-und-Nebel-Steuererhöhung des Bundesfinanzministers überraschte nicht nur die deutsche Opposition, sondern auch die EU-Partner. Hans Eichel hatte seine europäischen Amtskollegen natürlich nicht vorab über diesen Schritt informiert – ungeachtet aller Bekenntnisse zu mehr wirtschaftspolitischer Zusammenarbeit in Europa.
Eichels Griff in die Taschen der Steuerzahler passt nun wirklich nicht zum allgemeinen finanzpolitischen Trend in der EU. Während andere EU-Staaten die Abgaben senken, um die schwache Konjunktur anzukurbeln, macht der deutsche Fiskus plötzlich wieder Kasse. Dies sorgt bei den EU-Partnern – gelinde gesagt – für Erstaunen. Das brachte Eichels französischer Kollege Laurent Fabius beim EU-Finanzministertreffen am Samstag mit aller gebotenen Höflichkeit zum Ausdruck. Die deutsche Steuererhöhung kommentierte Fabius mit einer demonstrativen Aufzählung der Steuersenkungen in seinem eigenen Land und deren hilfreicher Wachstumseffekte.
Der Gouverneur der Banque de France assistierte: Die Politik müsse alles tun, so Jean-Claude Trichet, um die Inflationsrate so weit wie möglich nach unten zu drücken. Nur wenn die Preise stabil blieben, räsonierte Trichet, würden die Menschen mehr konsumieren und der Konjunktur wieder auf die Sprünge helfen. Der Adressat dieser Bemerkungen blieb zwar ungenannt, sollte sich aber dennoch angesprochen fühlen. Die Verbrauchsteuererhöhungen in Deutschland sind jedenfalls nicht geeignet, das Inflationstempo in der EU zu verlangsamen.
Die EU-Kommission bemüht sich derweil, Eichels Überraschungscoup noch eine positive Seite abzugewinnen. Immerhin helfen die höheren Steuereinnahmen dem Bundesfinanzminister dabei, die staatliche Neuverschuldung dieses und nächstes Jahr einigermaßen unter Kontrolle zu halten.
Darüber dürfte EU-Wirtschaftskommissar Pedro Solbes durchaus erleichtert sein. Die gespannte Haushaltslage in Deutschland bereitet dem Kommissar nämlich zunehmend Kopfzerbrechen. Der für die Budgetkontrolle in Euro-Land zuständige Kommissar darf ein konjunkturbedingt höheres Haushaltsdefizit in Deutschland zwar tolerieren, aber nur in engen Grenzen. Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen werden dieses Jahr eine gesamtstaatliche Defizitquote von mindestens zwei Prozent, eventuell sogar mehr ausweisen. Dies geschieht ausgerechnet in dem Land, das immer gesunde Staatsfinanzen in der EU verlangt hat. Darüber wundern sich die EU-Partner – zu Recht.
HANDELSBLATT, Dienstag, 25. September 2001