Dax hielt sich auch 2002 nicht ans Drehbuch
Experten lagen mit ihren Prognosen so schief wie noch nie. Konjunkturentwicklung und Vertrauenskrise wurden zum Verhängnis
von Holger Zschäpitz
Berlin - Analysten haben nur noch bei Goethe-Fans einen Stein im Brett. Denn die sind schon einige Tage länger mit dem Unterschied zwischen „Dichtung und Wahrheit“ vertraut. Stets in der Vorweihnachtszeit lehnt sich die Analystenzunft mit Prognosen für das kommende Jahr weit aus dem Fenster, die schon wenig später von der Realität kassiert werden. So groß wie in diesem Jahr war die Kluft zwischen Soll und Ist an der Börse aber noch nie. Während vor zwölf Monaten die Mehrzahl der Experten tief in den Farbtopf griff und eine rosarote Zukunft für 2002 entwarf, fuhr der deutsche Aktienindex den größten Verlust seiner Geschichte ein. Durchschnittlich erwarteten die Strategen für Ende 2002 fast 5800 Punkte. Herausgekommen sind nicht einmal 3000 Zähler – eine Differenz von 50 Prozent.
Die Bankerzunft hat mit ihren katastrophalen Vorhersagen weiteres Ansehen verspielt. Dennoch dürfte sich das schlechte Gewissen in Grenzen halten. Schließlich ist die Branche in Sachen falsche Prognosen mittlerweile abgehärtet. In den vergangenen sieben Jahren wollte sich der Dax gleich sechs Mal nicht an das vorgeschriebene Drehbruch halten. „Das jetzt abgelaufene Jahr war extrem schwer vorherzusagen“, so Peter Dombeck, Stratege der Berenberg Bank. Er hatte Ende 2001 bereits einen neuen Bullenmarkt mit Kursen bis zu 7000 Zählern ausgerufen. Weder die Konjunktur noch die Unternehmensgewinne wollten den Vorstellungen Dombecks folgen. Zudem traf die Vertrauenskrise nach den Bilanzskandalen um Enron und Worldcom die Analystenzunft wie ein Blitz aus heiterem Himmel. „Ende 2001 gingen wir fest von einer V-förmigen Konjunkturerholung aus“, so Dombeck. Herausgekommen sei jetzt eher der Verlauf in Form eines L: „Die Wirtschaft ist nach dem Einbruch 2000/2001 nicht wieder auf die Beine gekommen, sondern dümpelt vor sich hin.“ Die Bilanzierungsskandale hätten die Risikoprämien für Aktien drastisch nach oben und die Kurse damit nach unten getrieben.
„2002 war ein Jahr der Extreme“, sagt Dombeck. Eine Einschätzung, die von der Statistik untermauert wird. Mit über 40 Prozent stürzte der Dax innerhalb eines Jahres so tief ab wie noch nie in seiner Geschichte. Selbst das Crashjahr 1987 brachte „nur“ ein Minus von 30,2 Prozent. Auch drei negative Jahre in Folge sind ein Novum. Nachdem der Dax bereits 2000 und 2001 mit Verlusten geschlossen hatte, legte die Statistik steigende Notierungen für 2002 nahe.
Da ist es kein Wunder, dass die Strategen auch mit ihren restlichen Prognosen furios scheiterten. Für den Neuen Markt lagen die Vorhersagen 74 Prozent zu hoch. Der übertriebene Konjunkturoptimismus führte zudem zu kapitalen Fehleinschätzungen des Rentenmarktes: Statt eines erwarteten Anstiegs auf fünf Prozent gingen die Renditen zehnjähriger Bundesanleihen auf 4,28 Prozent zurück. Wenig schmeichelhaft fällt auch die Bilanz beim Euro aus. So rechneten nur die wenigsten Profis damit, dass die europäische Gemeinschaftswährung die Parität zum Dollar durchbrechen könnte. Derzeit liegt der Euro mit 1,0259 Dollar deutlich über den durchschnittlich geschätzten 0,92 Dollar.
Interessanterweise kamen die besten Prognosen für 2002 nicht von einem der führenden amerikanischen, deutschen oder schweizerischen Häuser. Vielmehr schnitt Dieter Wermuth, Stratege der japanischen UFJ-Bank am treffsichersten ab. Dabei sagte er als einer von zwei Strategen nicht nur ein weiteres negatives Dax-Jahr voraus. Auch den Renten- und Devisenanlegern gab er die richtige Richtung vor. „Wenn eines die Vergangenheit lehrt dann das: Eine Spekulationsblase wie in den 1990er-Jahren verdauen die Märkte nicht einfach in zwei Jahren.“
Experten lagen mit ihren Prognosen so schief wie noch nie. Konjunkturentwicklung und Vertrauenskrise wurden zum Verhängnis
von Holger Zschäpitz
Berlin - Analysten haben nur noch bei Goethe-Fans einen Stein im Brett. Denn die sind schon einige Tage länger mit dem Unterschied zwischen „Dichtung und Wahrheit“ vertraut. Stets in der Vorweihnachtszeit lehnt sich die Analystenzunft mit Prognosen für das kommende Jahr weit aus dem Fenster, die schon wenig später von der Realität kassiert werden. So groß wie in diesem Jahr war die Kluft zwischen Soll und Ist an der Börse aber noch nie. Während vor zwölf Monaten die Mehrzahl der Experten tief in den Farbtopf griff und eine rosarote Zukunft für 2002 entwarf, fuhr der deutsche Aktienindex den größten Verlust seiner Geschichte ein. Durchschnittlich erwarteten die Strategen für Ende 2002 fast 5800 Punkte. Herausgekommen sind nicht einmal 3000 Zähler – eine Differenz von 50 Prozent.
Die Bankerzunft hat mit ihren katastrophalen Vorhersagen weiteres Ansehen verspielt. Dennoch dürfte sich das schlechte Gewissen in Grenzen halten. Schließlich ist die Branche in Sachen falsche Prognosen mittlerweile abgehärtet. In den vergangenen sieben Jahren wollte sich der Dax gleich sechs Mal nicht an das vorgeschriebene Drehbruch halten. „Das jetzt abgelaufene Jahr war extrem schwer vorherzusagen“, so Peter Dombeck, Stratege der Berenberg Bank. Er hatte Ende 2001 bereits einen neuen Bullenmarkt mit Kursen bis zu 7000 Zählern ausgerufen. Weder die Konjunktur noch die Unternehmensgewinne wollten den Vorstellungen Dombecks folgen. Zudem traf die Vertrauenskrise nach den Bilanzskandalen um Enron und Worldcom die Analystenzunft wie ein Blitz aus heiterem Himmel. „Ende 2001 gingen wir fest von einer V-förmigen Konjunkturerholung aus“, so Dombeck. Herausgekommen sei jetzt eher der Verlauf in Form eines L: „Die Wirtschaft ist nach dem Einbruch 2000/2001 nicht wieder auf die Beine gekommen, sondern dümpelt vor sich hin.“ Die Bilanzierungsskandale hätten die Risikoprämien für Aktien drastisch nach oben und die Kurse damit nach unten getrieben.
„2002 war ein Jahr der Extreme“, sagt Dombeck. Eine Einschätzung, die von der Statistik untermauert wird. Mit über 40 Prozent stürzte der Dax innerhalb eines Jahres so tief ab wie noch nie in seiner Geschichte. Selbst das Crashjahr 1987 brachte „nur“ ein Minus von 30,2 Prozent. Auch drei negative Jahre in Folge sind ein Novum. Nachdem der Dax bereits 2000 und 2001 mit Verlusten geschlossen hatte, legte die Statistik steigende Notierungen für 2002 nahe.
Da ist es kein Wunder, dass die Strategen auch mit ihren restlichen Prognosen furios scheiterten. Für den Neuen Markt lagen die Vorhersagen 74 Prozent zu hoch. Der übertriebene Konjunkturoptimismus führte zudem zu kapitalen Fehleinschätzungen des Rentenmarktes: Statt eines erwarteten Anstiegs auf fünf Prozent gingen die Renditen zehnjähriger Bundesanleihen auf 4,28 Prozent zurück. Wenig schmeichelhaft fällt auch die Bilanz beim Euro aus. So rechneten nur die wenigsten Profis damit, dass die europäische Gemeinschaftswährung die Parität zum Dollar durchbrechen könnte. Derzeit liegt der Euro mit 1,0259 Dollar deutlich über den durchschnittlich geschätzten 0,92 Dollar.
Interessanterweise kamen die besten Prognosen für 2002 nicht von einem der führenden amerikanischen, deutschen oder schweizerischen Häuser. Vielmehr schnitt Dieter Wermuth, Stratege der japanischen UFJ-Bank am treffsichersten ab. Dabei sagte er als einer von zwei Strategen nicht nur ein weiteres negatives Dax-Jahr voraus. Auch den Renten- und Devisenanlegern gab er die richtige Richtung vor. „Wenn eines die Vergangenheit lehrt dann das: Eine Spekulationsblase wie in den 1990er-Jahren verdauen die Märkte nicht einfach in zwei Jahren.“