Wall Street: Alles schon eingepreist?
Schlechte Nachrichten, steigende Kurse, so lautete das heutige Motto der Wall Street - jedenfalls auf den ersten Blick. Die Konjunkturdaten trugen jedenfalls wenig zur Osterfreude bei. Die wöchentlichen Arbeitslosenmeldungen stiegen auf 378.000 (Vorwoche: 356,000, erwartet wurde nur ein Anstieg auf 360.000). Der Philadelphia-Fed-Index, ein Barometer, das die Industrieentwicklung im nördlichen Ballungsgebiet misst, signalisierte einen weiteren Rückgang der Wirtschaftsaktivität. Allerdings war die Zahl (minus 17,4 Prozent) bereits besser als im Vormonat (minus 24) und einen Tick besser als die von Bloomberg ermittelte Erwartung der Volkswirte (minus 18). Wie der TV-Kanal CNBC berichtete, ging zuvor das Gerücht um, der Indikator sei auf minus 33 gefallen. Die im Rahmen der offiziellen Erwartungen ausgefallenen Frühindikatoren signalisieren ebenfalls einen Rückgang der aktuellen Konjunktur.
Sieht man aber das das ganze Bild im Zusammenhang wird die heutige Rallye verständlich. Das Konjunkturloch, in das die US-Wirtschaft inzwischen gerutscht ist, wurde bereits von dem Kursverfall der Wall Street seit Halloween (Ende November 2007) vorweggenommen. Und da die Börse immer etwas vorauseilt, verarbeitet sie möglicherweise jetzt schon den Beginn einer Konjunkturerholung. Vielleicht war der der Kollaps von Bear Stearns das reinigende Gewitter. „Die Finanzkrise ist bereits zu Ende“, verkündete heute bereits ein Brokerhaus.
Bernankes Geniestreich?
Die wirtschaftspolitischen Weichen für eine Konjunkturerholung sind jedenfalls längst gestellt. Die Zinssenkungen der Fed, die im September begannen, arbeiten sich sukzessive durch die Märkte hindurch. Möglicherweise gelang Fedchef Ben Bernanke am vergangenen Dienstag ein Geniestreich. Die Zinssenkung um nur 0,75 Prozentpunkte entsprach zwar nicht der in den Finanzkontrakten eingepreisten Erwartung von einer Senkung um mindestens einen Prozentpunkt. Der Schritt reichte aber aus, die Panik aus dem Markt zu nehmen, die angeschlagenen US-Banken zu stabilisieren und Hoffnungen auf eine rechtzeitige Stabilisierung der US-Konjunktur zu stärken. Zugleich stoppte der Schritt die Flucht aus dem Dollar und damit auch die inflations- und konjunkturgefährliche Rallye beim Öl und anderen Rohstoffen. Hinzu kommen weitere smarte Schritte der Notenbank. Die Fed leiht jetzt auch den angeschlagenen Investmentbanken Geld. Außerdem tauscht sie höchstliquide US-Staatspapiere gegen weniger liquide - und daher riskantere - Forderungen der Banken. All diese Maßnahmen helfen die Vertrauenskrise- die die Finanzmärkte zunehmend lähmte - deutlich abzuschwächen. Die Konsequenz: „Die Finanz-Titel kletterten aus ihrem Kursloch“, titelte heute das Wall Street Journal. Die abnehmende Angst hob wiederum die breiten Märkte.
Der Dow Jones Industrial Average gewann 2,16% auf 12.361 Punkte, der S&P 500 kletterte 2,39% auf 1.329 Punkte, der technologielastige Nasdaq Composite Index avancierte 2,18% auf 2.258 Punkte.
Trotz der Turbulenzen der vergangenen Tage gab es im Vergleich zur Vorwoche deutliche Gewinne: Der Dow gewann 3,43%, der S&P 3,21% und die Nasdaq 2,06%
Dow Jones Average: Die Wiederentdeckung der Banken
Unter den 30 Blue Chips des Dow gab es heute nur 5 Verlierer. Der hellste Stern am Firmament des Dow war heute die Citigroup, die 10,24% auf 22,50 Dollar gewann. Neben der allgemeinen Rallye bei den ausgebombten Bank-Titeln half wohl auch die Meldung, dass der Bankkonzern -um Kosten einzusparen - weitere 2.000 Jobs streicht. 4.200 Bankarbeitsplätze waren schon weggefallen. Die Wiederentdeckung der Banken beflügelte auch die Bank of America (plus 8,56% auf 41,86 Dollar) und JP Morgan Chase (plus 8,24% auf 45,97 Dollar). Auch die restlichen Finanz-Titel bewegten sich stramm nach Norden: American Express gewann 9,48% auf 45,98 Dollar. Der Kreditkartenriese profitierte auch noch von dem Rivalen Visa, der diese Woche furios an der Wall Street startete. Der Versicherungsgigant American International Group kletterte 6,71% auf 45,01 Dollar.
Auch außerhalb des haussierenden Finanzsektors gab es satte Tagesgewinne. General Electric avancierte 5,34% auf 37,49 Dollar. Merrill Lynch hatte den Mischkonzern (Energiekraftwerke, Universal Film- und TV-Studios, Kreditkarten, Flugzeugtriebwerke, Plastik und vieles mehr) auf „Kaufen“ hochgestuft. „Wir glauben dass die breite Streuung die Aktie sehr defensiv macht. Daher sollte sie sich in nächster Zeit überdurchschnittlich entwickeln“, hieß. Wegen Größe und Streuung könne sich der Konzern günstig frisches Kapital beschaffen, um neue Investitions- und Übernahmegelegenheiten zu finanzieren. Außerdem erziele das Konglomerat mehr als die Hälfte seiner Einnahmen aus dem Ausland und sei daher nur begrenzt von den US-Problemen betroffen. Wal-Mart verbesserte sich um 4,82% auf 53,23 Dollar. Der Discount-Goliath gilt als Gewinner der Flaute, weil seiner aggressiven Preise die Sparfüchse anlocken.
Der Flop des Dow war Alcoa mit minus 2,64% auf 34,68 Dollar. Der Aluminiumriese litt unter den fallenden Metallpreisen im Zuge der Rohstoffkorrektur. 3M Company fiel 1,87% auf 77,98 Dollar. Merrill Lynch hatte den Mischkonzern von „Kaufen“ auf „Halten“ zurückgestuft. Die restlichen Verlierer (Du Pont, Hewlett Packard und Pfizer) hatten nur Bagatellschäden.
S&P 500: Eindeckung massiver Leerverkäufe
Auch der breiter gefasste S&P 500 wurde von den haussierenden Finanz-Titeln in die Höhe getrieben. Händler vermuten auch eine Eindeckung der massiven Leerverkäufe der vergangenen Wochen. Seit dem Tief vom Montag explodierte die Gruppe der ausgebombten Hypothekenbanken und ähnlicher Kreditinstitute um 53%. Der Hypothekenriese Fannie Mae sprang heute 11,69% auf 34,30 Dollar und der Rivale Freddie Mac gewann 8,96% auf 32,58 Dollar. Auslöser war nicht nur die Zinssenkung der Fed, sondern auch eine Lockerung der staatlichen Regulierung. Der US-Gesetzgeber gibt den staatlich gestützten Hypothekenriesen Fannie Mae und Freddie Mac mehr Freiheiten. Damit sind die beiden Giganten in der Lage, den Geschäftsbanken mehr Hypothekenkredite abzukaufen - was offenbar allen nützt. Das Boutique-Brokerhaus Keefe, Bruyette hob deswegen Freddie Mac auf „Outperform“ (vorher: „Market Perform“) und das Kursziel auf 46 Dollar (vorher: 22 Dollar !). Die Lockerung stabilisiere den angeschlagenen Hypothekenmarkt, hieß es zur Begründung. Der Rivale Fannie Mae wurde ebenfalls auf „Outperform“ (vorher: „Market Perform“) angehoben. Das neue Kursziel ist dort jetzt 48 Dollar (vorher: 32 Dollar). Im Schlepptau haussierten auch andere Banken: Washington Mutual sprang 19,02% auf 11,70 Dollar. Das im gleichnamigen Bundesstaat beheimatete Kreditinstitut ist stark in das Hypothekengeschäft verstrickt. National Citi Corp. kletterte 16,03% auf Dollar. Die Bank profitierte auch von Visa. Dessen furioser Start steigerte den Wert ihrer Aktienbeteiligung an dem Kreditkartenriesen und brachte ihr einen Buchgewinn von 530 Millionen Dollar. Die Investmentbanken - bis zum Montag noch im freien Fall - sprangen ebenfalls, an der Spitze Lehman Brothers (plus 15,20% auf 48,65 Dollar), Morgan Stanley (plus 14,32% auf 49,67 Dollar) und Merrill Lynch (plus 13,03% auf 46,85 Dollar). Die diese Woche präsentierten Quartalszahlen von Morgan Stanley, Goldman Sachs und Lehman Brothers trugen ebenfalls zur Beruhigung bei. Die Hoffnung auf ein absehbares Ende der Krise beflügelte auch die Eigenheimbauer. Pulte Homes gewann 11,90% auf 14,67 Dollar.
Im Sog der Banken
Im Sog der Banken gewannen auch viele andere Papiere. Der Kreditkartenanbieter Visa, am Mittwoch furios gestartet, gewann heute 13,89% auf 64,35 Dollar. Nike avancierte 8,80% auf 67,27 Dollar. Der Sportbekleider hatte bereits gestern nach Börsenschluss, wegen des starken globalen Wachstums, mit seinen Quartalszahlen die Erwartungen geschlagen. Der Buchhändler Barnes & Noble stieg 8,11% auf 30,27 Dollar. Dort lag der heute gemeldete Quartalsgewinn über den Erwartungen. U.S. Steel kletterte 4,26% auf 114,54 Dollar. Goldman Sachs hatte den Stahlkocher heute von „Neutral“ auf „Kaufen“ und das Kursziel auf 150 Dollar befördert (vorher: 128 Dollar). Der Stahlpreis steige wegen der Verknappung der Weltmärkte stärker als erwartet, hieß es. Das internationale Wachstum gleiche die US-Schwäche aus. Carnival verbesserte sich um 8,75% auf 40,89 Dollar. Der Betreiber von Kreuzfahrtschiffen meldete heute zwar einen Gewinnrückgang um 17% - wegen der hohen Treibstoffkosten -, schlug aber die Erwartungen der Wall Street. Außerdem spendete ein Broker Trost. Carnival profitiere von der aktuellen Konjunkturschwäche, da Kreuzfahrten billiger sind als Urlaub auf dem Festland, hieß es dort. Die Vorstellung, dass man der Konjunkturschwäche quasi davon schwimmen kann, schickte auch den Aktienkurs der Royal Caribbean Cruises nach Norden. Der Rivale gewann sogar 10,67% auf 34,75 Dollar.
Allerdings konnten auch heute nicht alle Banken bei den Anlegern gewinnen. Cit Group stürzte 17,27% auf 9,63 Dollar. Zeitweise hatte der Finanz-Titel rund 40% verloren. Die Bank, die auf Verbraucherkredite spezialisiert ist, geriet in einen Finanzengpass und musste auf das Liquiditätsfenster der Fed zurückgreifen. Die Hypothekenbank Thornburg Mortage rutschte 24,67% auf 1,13 Dollar. Am Dienstag hatte das Papier noch bei 3 Dollar notiert. Die angeschlagene Bank muss sich - um zu Überleben - schnell frisches Geld besorgen. Public Service Enterprise Group Inc. sank 7,63% auf 41,17 Dollar. Der Strom- und Gasversorger gab einen Gewinnausblick ab, der unter den Erwartungen der Wall Street lag. Newmont Mining sank 5,64% auf 45,97 Dollar. Die Goldmine litt unter dem fallenden Goldpreis.
Nasdaq: Rückkehr der Risikobereitschaft.
Obwohl die Banken in der Nasdaq nur eine geringe Rolle spielen, profitierte die Börse von der Rückkehr der Risikobereitschaft. Der Philadelphia Semiconductor Sector Index, der 19 Halbleiter-Titel erfasst, avancierte 1,48% auf 339,89 Punkte. Intel gewann 3,13% auf 21,75 Dollar. Der Chipriese stockte seine Dividende um 10% auf 14 Cents je Aktie auf. SanDisk verlor dagegen 1,01% auf 20,55 Dollar. JP Morgan kappte den Technologie-Titel von „Übergewichten“ auf „Neutral“. Die Bank verwies auf die jüngsten Gewinnwarnungen von Intel, Toshiba und Sony Ericson. Die gedämpften Ausblicke dieser Konzerne signalisierten schwache Gewinnmargen bei NAND Flash Speichern, das könne das Geschäft von SanDisk beinträchtigen, heißt es. Jabil Cicuit rutschte 5,31% auf 11,58 Dollar. Dort werden kommenden Dienstag die aktuellen Quartalszahlen erwartet
Die bessere Stimmung half auch den zuletzt vernachlässigten Lieblingen des Vorjahres. Apple verbesserte sich 2,78% auf 133,27 Dollar. Die Kalifornier sind rezessionssicher - behauptete heute der Broker American Technology Research, vor allem wegen dem hochkochenden Verkauf der Mac-Rechner, einschließlich von Laptops (Notebooks). Der kanadische Rivale Research in Motion, Hersteller des BlackBerry, avancierte 3,78% auf Dollar
Internet: Fenster der Gelegenheit?
Mehr Mut zum Risiko zeigten die Investoren auch bei den Internet-Titeln. Yahoo gewann 2,18% auf 27,66 Dollar. Dort wird anhaltend auf ein verbesserte Übernahmeangebot von Microsoft spekuliert. Google verbesserte sich um 0,36% auf 433,55 Dollar. Dort bremsten die Broker. RBC Capital Markets kappte das Kursziel auf 530 Dollar (vorher: 675 Dollar) und Goldman Sachs korrigierte auf 600 Dollar (vorher: 700 Dollar). Baidu.com, der chinesische Marktführer bei den Suchmaschinen, setzte dagegen seinen Kursrutsch fort und verlor 5,59% auf 207,90 Dollar. Vielleicht belasten die Unruhen in Tibet?
Besser schnitt der E-Commerce ab. Amazon.com gewann 4,30% auf 73,19 Dollar. Goldman Sachs, die das Kursziel - in einem negativen Rundumschlag für den Internetsektor - von 83 Dollar auf 72 Dollar gekappt hatte, wurde ignoriert. Vielleicht auch weil sich Deutsche Bank und Citigroup diese Woche wesentlich positiver geäußert haben. Ebay zog um 4,11% auf 28,60 Dollar an. Dort hatte Goldman Sachs das Kursziel von 38 Dollar auf 33 Dollar gekürzt. Netflix verbesserte sich um 3,93% auf 36,24 Dollar. Die Online-Videothek erreichte heute ein Mehrjahreshoch (seit April 2004). Dazu trug - neben der allgemein etwas gehobeneren Stimmung - auch der Broker Cantor Fitzgerald der den Internet-Titel auf „Kaufen“ anhob (vorher: „Halten“) und sein Kursziel gleich auf 41 Dollar hochschraubte (vorher: 24 Dollar). Der Wettbewerbsdruck habe abgenommen hat, weil der Rivale Blockbuster weniger aggressiv vorgehe, hieß es. Das schaffe ein signifikantes „Fenster der Gelegenheit“. Außerdem wachse der Konkurrenzdruck durch Movie-Downloads langsamer als befürchtet.
Öl und Gold: Dollar-Rallye löst Korrektur aus
Der Preisanstieg beim Öl zeigt Wirkung: Die Energie-Nachfrage geht scharf zurück. In den USA ist der Verbrauch an Öl und dessen Derivaten in den vergangenen 4 Wochen um 3,2% gegenüber dem Vorjahr gefallen, meldete gestern die US-Behörde Energy Information Administration (EIA). Das wird jetzt allmählich zur Kenntnis genommen, wenn auch nur zögernd, beobachten die Händler. Zur Korrektur am Rohstoffmarkt trägt auch die plötzliche Rallye des Dollars bei. Der Greenback gewinnt wieder Boden zurück, weil die jüngste Zinssenkung der Fed geringer ausfiel als von den meisten erwartet wurde, heißt es. Der Crude-Kontrakt für Mai bröckelte heute 93 Cents auf 101,61 Dollar je Barrel. Zeitweise war der Energieträger unter die Marke 100-Dollar gefallen (bis auf 98,65 Dollar), die Erholung am Aktienmarkt hat den Kontrakt aber anscheinend wieder gerettet.
Gold: Größter Wochenverlust seit 18 Jahren
Heute war nicht der Tag der Goldanleger. Das Edelmetall setzte heute seinen Kurssturz der Vortage fort und erlitt laut Bloomberg seinen größten Wochenverlust seit 1990. „Das Gold kann sich bei der Fed und beim Dollar für den monströsen Ausverkauf bedanken“, sagte Matt Zeman, ein Metallhändler für LaSalle Futures Group Inc. in Chicago. Die Zinssenkung am Dienstag war geringer als erwartet und löste eine Dollar-Rallye aus. Beides schlecht für das Gold. Der April-Kontrakt für Gold verlor bis zum Schluss 25,30 Dollar auf 920,00 Dollar je Unze, das sind 8% weniger als vergangenen Freitag.
Ausblick:
Ostermontag:
15:00 Uhr Verkauf bestehender Eigenheime vom Februar
Quartalszahlen: 3Com (Netzwerkausrüster), Tiffany & Co. (Juwelier), Walgren (Drogeriekette)
Dienstag:
15:00 Uhr Verbrauchervertrauen vom März
Quartalszahlen: Jabil Circuit (Halbleiter)
Mittwoch:
13:30 Uhr Auftragseingänge dauerhafte Güter vom Februar, 15:00 Uhr Verkauf Eigenheime ebenfalls vom Februar, 15:30 Uhr Ölvorräte der Vorwoche
Quartalszahlen: Oracle (Software)
Donnerstag:
13:30 Uhr Arbeitslosenmeldungen der Vorwoche
Quartalszahlen: ConAgra Foods (Lebensmittel), Red Hat (Software: Linux), Tibco Software
Freitag:
13:30 Uhr Einkommen und Ausgaben der privaten Haushalte vom Februar, Verbraucherpreise ebenfalls vom Februar, 15:00 Uhr Verbrauchervertrauen der Universität Michigan vom März
Fröhliche Ostern
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