Deutschlands Wirtschaft nahe an Stagnation

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sir charles:

Deutschlands Wirtschaft nahe an Stagnation

 
21.10.02 09:33
Deutschlands Wirtschaft nahe an Stagnation

Die Wirtschaftsforscher senken ihre Prognose für heuer und 2003 drastisch.



BERLIN (ap/reuters/vwd). Die sechs deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Wachstumsprognosen für Deutschland für dieses und nächstes Jahr drastisch nach unten gesenkt. In ihrem Herbstgutachten, das am Dienstag veröffentlicht wird, sagen die Wissenschaftler für 2002 ein Wachstum von gerade noch 0,4 Prozent voraus. 2003 soll das Wachstum 1,4 Prozent ausmachen, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung rechnet sogar nur mit 0,9 Prozent.

Im Frühjahrsgutachten waren die Institute (RWI, IfW, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung DIW, Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Archiv HWWA, ifo Institut für Wirtschaftsforschung und Institut für Wirtschaftsforschung Halle IWH) für heuer von einem Wachstum des realen Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 0,9 Prozent und für 2003 von 2,4 Prozent ausgegangen.

Auch der Bundesverband der Deutsche Industrie korrigierte seine Prognosen. Präsident Michael Rogowski erwartet für 2002 lediglich 0,3 Prozent und für 2003 "mit Mühe" mehr als ein Prozent. Die Arbeitslosenzahl werde im Winter auf 4,5 Mill. wachsen, sagte Rogowski.

Die deutsche Bundesregierung rechnet offiziell noch immer mit einem BIP-Plus von 0,75 Prozent in diesem und 2,5 Prozent im kommenden Jahr.

Zusätzlich zu den Steuererhöhungen, die Wirtschaftskreisen zufolge zu einer Verlagerung von Konzernzentralen sowie einer Kapitalflucht führen könnte, will die rot-grüne Regierung als Sparmaßnahme auch die Leistungen für Arbeitslose kürzen. Die Arbeitgeberverbände begrüßten die Maßnahme, die im nächsten Jahr 1,3 Mrd. Euro bringen soll.


sir charles:

Fehlende Spitzentechnologie behindert deutsches Wa

 
21.10.02 09:33
Fehlende Spitzentechnologie behindert deutsches Wachstum

Mit "typisch deutscher" Industrie - wie Chemie, Autos und Maschinenbau - allein ist wirtschaftlich kein Staat zu machen. Defizite bei Ausbildung, Spitzentechnologie und Arbeitsmarktorganisation blieben zu lange unbeobachtet.


Deutschland produziert fast ein Viertel der EU-Wirtschaftsleistung, das Pro-Kopf-Einkommen liegt mit 23.800 Euro fünf Prozent über dem EU-Schnitt, deutsche Produkte genießen Weltruhm - doch der Wachstumsmotor ist erlahmt. Nach dem kurzen Boom nach der Wiedervereinigung hinkt das Wachstum deutlich dem EU-Durchschnitt hinterher.


Erklärungen gibt es einige: Deutschland war schon immer ein teures Land, die Löhne in der Industrie liegen um 20 Prozent höher als im europäischen Durchschnitt. Dies wird zwar durch höhere Produktivität und Qualität kompensiert, doch nicht in allen Branchen und nicht in den Neuen Bundesländern. Allerdings haben mäßige Lohnerhöhungen ab Mitte der 90er Jahre den Arbeitskostenschub nach der Wiedervereinigung weitgehend kompensiert.


Zweitens hat Deutschland die Last der Einigung zu tragen (während andere Länder wie Österreich, die damit verbundene Marktausweitung "frei Haus" geliefert bekamen). Durch die Wiederaufbaukosten ist auch die Steuerquote gestiegen, sie liegt aber mit 43 Prozent (nach der ersten Steuerreformetappe) immer noch im EU-Durchschnitt.

Weiters hatte für die deutsche Wirtschaftspolitik Stabilität auch auf Kosten von Wachstum Vorrang - vor allem in der Geldpolitik. Doch auch in der Fiskalpolitik begann Deutschland zur Mitte der 90er Jahre trotz der Sondersituation drastisch zu sparen (dabei ist ein Systemwechsel wie der in den Neuen Bundesländern eines der wenigen Ereignisse, die mittelfristig ein Defizit vertretbar machen: Hier ist die Rendite der staatlichen Ausgaben höher als der privaten). Aber in anderen Ländern sind trotz restriktiver Wirtschaftspolitik die Produktivität gestiegen und die Arbeitslosenrate gefallen.

Ausbildungs-Unterliga

Die zentrale Erklärung für das schleppende Wachstum liegt daher anderswo, und zwar in einem Defizit bei Spitzentechnologien und modernen Dienstleistungen - ein Mangel, der in den 90er Jahren an Bedeutung gewonnen hat und zu lange zuwenig Aufmerksamkeit erhielt -, und in der durch den Umbau Ostdeutschlands verstärkten Binnenorientierung, die von globalen Chancen abgelenkt hat.


Dem Zuviel an Stabilität steht also ein Mangel an Wachstumsimpulsen gegenüber - und das Wachstum einer entwickelten Wirtschaft hängt von Forschung, Ausbildung und Spitzentechnologien ab. Die deutsche Forschungsquote ist rückläufig, die Ausgaben für Ausbildung liegen unter dem europäischen Durchschnitt. In der Qualität der Ausbildung wird Deutschland im untersten Viertel von 32 Staaten gereiht (Pisa-Ranking der OECD). Die Hochschulen favorisieren traditionelle Studienrichtungen. Der Anteil der Informationstechnologie an der Industrie-Wertschöpfung liegt in Deutschland unter dem Durchschnitt. Auch die Begeisterung der Konsumenten für die neue Technologien hält sich in Grenzen.


Eine komplexe Doppelstrategie hätte im Westen die Spitzentechnologie forcieren, im Osten die Infrastruktur verbessern und die Technologienutzung verstärken müssen. Dies ist allerdings nicht leicht, wie die Analogie aus der Wirtschaft zeigt: Wenn Firmen Kostensenkung und Technologieführerschaft gleichzeitig versuchen, bleiben sie oft "in der Mitte stecken". Die Klage, daß die EU-Politik die "typisch deutschen" Industrien - Chemie, Fahrzeuge, Maschinenindustrie - zu wenig berücksichtigt, ist ein Beleg dafür.

Nach innen orientiert

Deutschland hat auch die Arbeitsmarktreformen später als andere Länder in Angriff genommen. Serviceorientierung und der "Welfare to Work"-Ansatz (Arbeitslosengeld wird von intensiven Bemühungen des Arbeitslosen abhängig gemacht) wurden erst jetzt in Auftrag gegeben (Hartzkommission). Doch der wirkliche Abbau der Arbeitslosigkeit erfolgt durch Betriebsgründungen und Wirtschaftsdynamik. Eine Umwidmung von Verteidigungsausgaben oder die Nutzung von Agrarmitteln für Ausbildung und Weiterbildung würde hier wachstumsfördernd wirken.

Das im Vergleich zu anderen Standorten geringe Wachstum von Direktinvestitionen belegt zudem Deutschlands Innenorientierung. Die dadurch ausgelöste Standortdebatte hat immerhin die Korrektur der Arbeitskosten und Steuersätze in der zweiten Dezenniumshälfte mitverursacht.

Insgesamt ist allerdings das Projekt der Wiedervereinigung nicht so erfolglos, wie man oft hört. Die Einkommen der ostdeutschen Bevölkerung sind - Subventionen und niedrigere Preise eingerechnet - bis auf zehn Prozent an das westdeutsche Niveau herangekommen. Wermutstropfen sind allerdings, daß die Produktivität im Osten nicht im selben Ausmaß wie im Westen gestiegen ist, die industrielle Basis auf ein Drittel geschrumpft ist und der Aufholprozeß in den vergangenen Jahren an Dynamik verloren hat.

Wichtig ist es nun, die Abwärtsspirale zu brechen: Niedriges Wachstum bringt niedrige Steuern, diese zwingt wieder zum Sparen. Da das Budgetdefizit nicht ausgeweitet werden kann, müssen weniger wichtige Staatsausgaben gekürzt und gleichzeitig Wachstumsausgaben erhöht werden. Das ist nicht einfach - aber etwa in Schweden und Finnland in einer Krisenzeit gelungen. Ein flexiblerer Arbeitsmarkt kann den Wirtschaftsmotor wieder ankurbeln, wenn flexibel vor allem Ausbildung, Umschulung und lebenslanges Lernen bedeutet. Die EU-Osterweiterung könnte dabei jener Turbo sein, der sowohl die Nachfrage als auch die Investitionsbereitschaft deutscher Unternehmer belebt.



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