Aus der FTD vom 21.10.2002 www.ftd.de/keese
Kolumne: Traum vom Auswandern
Von Christoph Keese
Selten zuvor hat eine neue Bundesregierung so schnell so viel politischen Kredit verspielt wie diese. Der rot-grüne Koalitionsvertrag kündigt eine Mischung aus Steuererhöhungen und Unwilligkeit zu echten Reformen an, die Deutschland in die schwerste Krise der Nachkriegszeit treiben wird.
Staatsquote und Wirtschaftswachstum
Immer mehr Firmen und Leistungsträger sprechen jetzt offen von Aus- und Abwanderung. Sie glauben nicht mehr, dass Deutschland seine Probleme anpacken und lösen wird. Selbst politisch ansonsten zurückhaltende Konzerne wie Allianz und Siemens denken laut darüber nach, ihre Konzernspitze ins Ausland zu verlagern. In zahlreichen anderen Firmen werden ähnliche Optionen geprüft. Viele Leistungsträger sind persönlich frustriert. Bei Kongressen sind Äußerungen wie folgende zu hören: "Wozu hier bleiben? Wir kämpfen nur gegen den Schwund und verwalten die Krise. Das macht keinen Spaß. Wir wollen Aufschwung und Wachstum. Wenn wir das hier nicht finden, schauen wir uns nach einer Chance im Ausland um."
Die meisten dieser Drohungen dürften folgenlos bleiben. Vor dem Schritt ins Ausland schreckt die Mehrheit zurück. Doch das ist nur ein schwacher Trost. Abwanderungsgelüste sind ein Alarmzeichen für jede Volkswirtschaft. Sie signalisieren sinkende Loyalität und steigende Frustration. Ans Investieren denkt kaum jemand mehr. Landauf, landab geht es derzeit vor allem darum, die enormen Zusatzbelastungen der rot-grünen Regierung wegzusparen. Planstellen werden gestrichen, Investitionen verschoben, Produktionsmengen gedrosselt und Lieferanten im Preis gedrückt. Die Wirtschaft plant ihr eigenes Schrumpfen - sinnloser kann man unternehmerische Energie gar nicht vergeuden.
Drastisch gesenkte Prognose
Gründe für den Pessimismus gibt es zuhauf. Das Herbstgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute wird seine Wachstumsprognose für 2003 drastisch auf 1,4 Prozent senken. Eines der sechs Institute glaubt nur an 0,9 Prozent. Es kann sogar noch schlimmer kommen: Die Chancen für das Abgleiten in eine Deflationsspirale stehen laut Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, bei 25 bis 30 Prozent - eine beträchtliche Gefahr.
Schon jetzt wirft die Wachstumskrise den Staatshaushalt durcheinander. Minister Eichel kann den Einbruch der Steuereinnahmen durch das ausbleibende Wachstum nicht länger leugnen. Er räumt ein, dass nach der Steuerschätzung im November die Budgets der meisten Bundesländer für 2003 verfassungswidrig sein werden, weil Neuschulden die Investitionen übersteigen. Sein eigener Etat kämpft mit dem Problem schon 2002.
Rot-Grün hat vier Jahre lang nicht verstanden, dass Wachstum im Zentrum der Politik stehen müsste. Um alles Mögliche haben sich die Protagonisten gekümmert: Atomausstieg, Dosenpfand, gleichgeschlechtliche Partnerschaft. Nur das wichtigste aller Ziele - Wachstum - ist ihnen kaum über die Lippen gekommen. Jetzt muss die Koalition erfahren, dass Wachstum nicht alles ist, ohne Wachstum aber alles nichts. Eichel, Schröder, Müller & Co. sind als Wirtschaftspolitiker desaströs gescheitert. Am meisten geschadet haben sie damit ihrer eigenen Klientel. Laut BDI-Prognose steigt die Arbeitslosigkeit in den nächsten Monaten auf 4,5 Millionen. Auch fünf Millionen scheinen nicht mehr undenkbar.
Was sind die Ursachen für dieses Scheitern? Es gibt ein Bündel von Gründen, von denen einer bislang zu wenig Beachtung fand: Das Kabinett ist für die Steuerung der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt zu schlecht qualifiziert. Das Topmanagement eines hoch entwickelten, komplexen Landes sollte mindestens zu einem Teil aus Volkswirten und Betriebswirten bestehen, wenigstens aber aus Menschen, die einen Abschnitt ihres Berufslebens in Firmen verbracht haben. In Frankreich, Kanada, Australien oder den USA ist das gute Tradition. Kabinette ohne Wirtschaftserfahrung wären dort undenkbar.
Kabinett ohne Wirtschaftserfahrung
Nur die Deutschen glauben, dass soziale Durchlässigkeit bis in das Bundeskabinett reichen muss und prinzipiell jedermann alles on the job lernen kann - und sei es das Regieren einer Nation mit jährlicher Wirtschaftsleistung von über 2000 Mrd. Euro. Gerhard Schröders Kabinett wäre für die Leitung einer Justizvollzugsanstalt, einer Gesamtschule oder eines Landgerichts besser qualifiziert als für diese anspruchsvolle Aufgabe.
In Fraktions- und Regierungsspitze sitzen drei Schulabbrecher (Müntefering, Fischer, Renate Schmidt), zwei Sozial- und Geisteswissenschaftler (Trittin, Weiss), fünf Lehrer (Eichel, Wieczorek-Zeul, Ulla Schmidt, Bulmahn, Sager), eine Theologin (Göring-Eckardt) und acht Juristen (Schröder, Clement, Schily, Stolpe, Künast, Steinmeier, Struck, Zypries). Für sich genommen wäre die Ausbildung kein Problem, wenn die Minister wenigstens in Unternehmen gearbeitet und dort Erfahrungen gesammelt hätten. Doch Fehlanzeige. Im Kabinett arbeiten fast ausschließlich Menschen, die ihr ganzes Leben im öffentlichen Sektor verbracht haben. Nur Renate Schmidt hat einmal bei Quelle gearbeitet, und Wolfgang Clement war einige Jahre Journalist in privaten Verlagen. Am meisten Erfahrung hat noch Franz Müntefering, der mit 14 von der Schule abging und Industriekaufmann lernte.
Operative Verantwortung für ein Unternehmen hat noch kein Minister getragen. Deswegen versteht auch keiner wirklich, wie man Unternehmer zum Investieren motiviert, oder wie schockierend es wirkt, wenn die Sozialabgaben steigen. Sie kennen keinen existenziellen Finanz- und Wettbewerbsdruck. Sie wissen nicht, wie schwer es ist, Gewinne zu machen, und wie hart ein Manager arbeiten muss, um Firma und Mitarbeiter über die Runden zu bringen.
Beamte regieren das Land. Niemand kann den Unternehmern verübeln, wenn sie angesichts der schlechten Ergebnisse langsam den Mut und die Hoffnung verlieren und ans Auswandern denken.
© 2002 Financial Times Deutschland , © Illustration: FTD
Kolumne: Traum vom Auswandern
Von Christoph Keese
Selten zuvor hat eine neue Bundesregierung so schnell so viel politischen Kredit verspielt wie diese. Der rot-grüne Koalitionsvertrag kündigt eine Mischung aus Steuererhöhungen und Unwilligkeit zu echten Reformen an, die Deutschland in die schwerste Krise der Nachkriegszeit treiben wird.
Staatsquote und Wirtschaftswachstum
Immer mehr Firmen und Leistungsträger sprechen jetzt offen von Aus- und Abwanderung. Sie glauben nicht mehr, dass Deutschland seine Probleme anpacken und lösen wird. Selbst politisch ansonsten zurückhaltende Konzerne wie Allianz und Siemens denken laut darüber nach, ihre Konzernspitze ins Ausland zu verlagern. In zahlreichen anderen Firmen werden ähnliche Optionen geprüft. Viele Leistungsträger sind persönlich frustriert. Bei Kongressen sind Äußerungen wie folgende zu hören: "Wozu hier bleiben? Wir kämpfen nur gegen den Schwund und verwalten die Krise. Das macht keinen Spaß. Wir wollen Aufschwung und Wachstum. Wenn wir das hier nicht finden, schauen wir uns nach einer Chance im Ausland um."
Die meisten dieser Drohungen dürften folgenlos bleiben. Vor dem Schritt ins Ausland schreckt die Mehrheit zurück. Doch das ist nur ein schwacher Trost. Abwanderungsgelüste sind ein Alarmzeichen für jede Volkswirtschaft. Sie signalisieren sinkende Loyalität und steigende Frustration. Ans Investieren denkt kaum jemand mehr. Landauf, landab geht es derzeit vor allem darum, die enormen Zusatzbelastungen der rot-grünen Regierung wegzusparen. Planstellen werden gestrichen, Investitionen verschoben, Produktionsmengen gedrosselt und Lieferanten im Preis gedrückt. Die Wirtschaft plant ihr eigenes Schrumpfen - sinnloser kann man unternehmerische Energie gar nicht vergeuden.
Drastisch gesenkte Prognose
Gründe für den Pessimismus gibt es zuhauf. Das Herbstgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute wird seine Wachstumsprognose für 2003 drastisch auf 1,4 Prozent senken. Eines der sechs Institute glaubt nur an 0,9 Prozent. Es kann sogar noch schlimmer kommen: Die Chancen für das Abgleiten in eine Deflationsspirale stehen laut Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, bei 25 bis 30 Prozent - eine beträchtliche Gefahr.
Schon jetzt wirft die Wachstumskrise den Staatshaushalt durcheinander. Minister Eichel kann den Einbruch der Steuereinnahmen durch das ausbleibende Wachstum nicht länger leugnen. Er räumt ein, dass nach der Steuerschätzung im November die Budgets der meisten Bundesländer für 2003 verfassungswidrig sein werden, weil Neuschulden die Investitionen übersteigen. Sein eigener Etat kämpft mit dem Problem schon 2002.
Rot-Grün hat vier Jahre lang nicht verstanden, dass Wachstum im Zentrum der Politik stehen müsste. Um alles Mögliche haben sich die Protagonisten gekümmert: Atomausstieg, Dosenpfand, gleichgeschlechtliche Partnerschaft. Nur das wichtigste aller Ziele - Wachstum - ist ihnen kaum über die Lippen gekommen. Jetzt muss die Koalition erfahren, dass Wachstum nicht alles ist, ohne Wachstum aber alles nichts. Eichel, Schröder, Müller & Co. sind als Wirtschaftspolitiker desaströs gescheitert. Am meisten geschadet haben sie damit ihrer eigenen Klientel. Laut BDI-Prognose steigt die Arbeitslosigkeit in den nächsten Monaten auf 4,5 Millionen. Auch fünf Millionen scheinen nicht mehr undenkbar.
Was sind die Ursachen für dieses Scheitern? Es gibt ein Bündel von Gründen, von denen einer bislang zu wenig Beachtung fand: Das Kabinett ist für die Steuerung der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt zu schlecht qualifiziert. Das Topmanagement eines hoch entwickelten, komplexen Landes sollte mindestens zu einem Teil aus Volkswirten und Betriebswirten bestehen, wenigstens aber aus Menschen, die einen Abschnitt ihres Berufslebens in Firmen verbracht haben. In Frankreich, Kanada, Australien oder den USA ist das gute Tradition. Kabinette ohne Wirtschaftserfahrung wären dort undenkbar.
Kabinett ohne Wirtschaftserfahrung
Nur die Deutschen glauben, dass soziale Durchlässigkeit bis in das Bundeskabinett reichen muss und prinzipiell jedermann alles on the job lernen kann - und sei es das Regieren einer Nation mit jährlicher Wirtschaftsleistung von über 2000 Mrd. Euro. Gerhard Schröders Kabinett wäre für die Leitung einer Justizvollzugsanstalt, einer Gesamtschule oder eines Landgerichts besser qualifiziert als für diese anspruchsvolle Aufgabe.
In Fraktions- und Regierungsspitze sitzen drei Schulabbrecher (Müntefering, Fischer, Renate Schmidt), zwei Sozial- und Geisteswissenschaftler (Trittin, Weiss), fünf Lehrer (Eichel, Wieczorek-Zeul, Ulla Schmidt, Bulmahn, Sager), eine Theologin (Göring-Eckardt) und acht Juristen (Schröder, Clement, Schily, Stolpe, Künast, Steinmeier, Struck, Zypries). Für sich genommen wäre die Ausbildung kein Problem, wenn die Minister wenigstens in Unternehmen gearbeitet und dort Erfahrungen gesammelt hätten. Doch Fehlanzeige. Im Kabinett arbeiten fast ausschließlich Menschen, die ihr ganzes Leben im öffentlichen Sektor verbracht haben. Nur Renate Schmidt hat einmal bei Quelle gearbeitet, und Wolfgang Clement war einige Jahre Journalist in privaten Verlagen. Am meisten Erfahrung hat noch Franz Müntefering, der mit 14 von der Schule abging und Industriekaufmann lernte.
Operative Verantwortung für ein Unternehmen hat noch kein Minister getragen. Deswegen versteht auch keiner wirklich, wie man Unternehmer zum Investieren motiviert, oder wie schockierend es wirkt, wenn die Sozialabgaben steigen. Sie kennen keinen existenziellen Finanz- und Wettbewerbsdruck. Sie wissen nicht, wie schwer es ist, Gewinne zu machen, und wie hart ein Manager arbeiten muss, um Firma und Mitarbeiter über die Runden zu bringen.
Beamte regieren das Land. Niemand kann den Unternehmern verübeln, wenn sie angesichts der schlechten Ergebnisse langsam den Mut und die Hoffnung verlieren und ans Auswandern denken.
© 2002 Financial Times Deutschland , © Illustration: FTD