Der größtmögliche Zynismus

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tom68:

Der größtmögliche Zynismus

 
08.03.03 13:13
Der größtmögliche Zynismus
- von Bernd Niquet -

Das Bild unserer Welt ist derzeit nicht unbedingt rosig. Doch oft schmerzen die Kinnhaken und Tiefschläge, die man im kleinen Kreis erhält, noch viel mehr als die Unbilden der Weltpolitik oder der Weltbörsen. Wenn man merkt, dass die Menschen, mit denen man täglich zusammenarbeitet, zwar pazifistisch reden, man jedoch völlig sicher ist, dass diese sich jederzeit als Lageraufseher verdingen lassen würden ...

Heute möchte ich nicht über Bush oder Saddam Hussein schreiben, sondern über das beinahe unglaubliche Spiel, das die deutschen Buchverlage mit den Aktien-Anlegern getrieben haben. Da gibt es zum Beispiel den Goldmann Verlag, der zum Random-House Imperium, sprich Bertelsmann gehört, und einen Autor wie Bernd W. Klöckner gepuscht hat. Herausgegeben wurden dabei so schöne Titel wie "Systematisch reich!", "Reich ohne Risiko" und selbst im katastrophalen Jahr 2002 noch "Mit Taschengeld zum Millionär - Das Lehrbuch zum Reichwerden".

An den selben Verlag habe ich mich unter anderen gerade mit einem Buchprojekt "Finanzielles Überleben in Krisenzeiten" gewandt - und möchte kurz aus dem Ablehnungsschreiben zitieren: Einmal sei Goldmann nicht der Verlag für diese Art Buch, schreibt man, und außerdem seien die Leser heute so "... skeptisch und eher geneigt, ein Buch zu kaufen, das erzählt, wie man ohne Geld überlebt, als das von Ihnen vorgeschlagene."

Hat man schon einmal einen größeren Zynismus erlebt als diesen? Da leistet man zuerst Beihilfe zur systematischen Vernichtung von dringend notwendigen Ersparnissen der breiten Massen – und faselt dann etwas vom Überleben ohne Geld. Können diese Menschen überhaupt ermessen, was in den Familien, deren Rücklagen für das Alter jetzt aufgezehrt sind, vorgeht? Das erinnert alles sehr an den Ausspruch der französischen Königsgattin in den Wirren der Revolution von 1789: "Wenn die Leute kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen."

Es ist einfach widerlich – und hat leider sogar Methode. Ich glaube, dies sehr gut beurteilen zu können, kann an dieser Stelle jedoch nicht Roß und Reiter nennen. Nur so viel: Nahezu alle warnenden Bücher und Bücher, die in Zeiten der Aktieneuphorie Alternativen aufgezeigt haben, sind von den Lektoraten der Verlage systematisch behindert worden. Und wenn dann doch einmal etwas durchgedrungen ist, dann waren es Lizenzen aus den USA. Denn wie heißt es doch so schön: Alles, was aus den USA kommt, ist verwerflich. Es sei denn, man kann es essen, trinken, in Büchern drucken, auf Platten pressen oder als Film ansehen.

Es ist natürlich klar, dass kommerzielle Verlage keine moralische Instanz sind. Dennoch denke ich, dass jeder vernünftige Mensch heute fragen muss: Wo bleibt die öffentliche Entschuldigung des Goldmann Verlages für Bernd W. Klöckner? Wo bleibt die öffentliche Entschuldigung des Campus Verlages für Bodo Schäfer? Und wo bleibt die öffentliche Entschuldigung des Econ Verlages für Markus Frick?

Leider haben wir es in den heimischen Buchverlagen mit einer völligen Inkompetenz in der Beurteilung wirtschaftlicher Sachfragen zu tun, was bedeutet, dass hier letztlich das Gleiche passiert wie in der Musik: Jeder, der sich dem Mainstream widersetzt, ist auf die Independent-Schiene verwiesen. Was jedoch zur Konsequenz hat, dass von der breiten Masse nur das wahrgenommen wird, was den großen Konzernen auch angenehm ist. In der Musik ist das ärgerlich, aber nicht schlimm. Denn selbst von Dieter Bohlens Musik wird niemand krank. In Hinsicht auf die Literatur von der Wirtschaft und der Börse kann es jedoch durchaus den finanziellen Tod bedeuten, sich dem Mainstream anzuvertrauen.

Als kritischer Autor bleibt man meistens dazu verdammt, den Kopf zu schütteln und sich zu trollen. Da kauft doch tatsächlich der Piper Verlag Ende letzten Jahres die Taschenbuchlizenz meines Buches "Keine Angst vorm nächsten Crash" aus dem Jahr 1998. Die müssen verrückt sein, denke ich sofort und irre mich sicherlich nicht. Warum hat man nicht vielmehr nach etwas Aktuellem angefragt? Ein klein wenig habe ich natürlich auch ein schlechtes Gewissen, obwohl dieses Buch durchaus kritisch ist, ich jedoch diesen Titel akzeptieren musste, um überhaupt einmal bei einem großen Verlag landen zu können.

Auf jeden Fall setze ich mich sofort hin, leiste in einem neuen Vorwort Abbitte, und schreibe einige Kapitel völlig neu. Und bringe damit sogar ein paar subversive Dinge unter, auf die ich durchaus stolz bin, und die kein Lektorat eines großen Verlages ansonsten geschluckt hätte. Und dennoch bleibt das große Kopfschütteln. Als Konsequenz werde ich höchstwahrscheinlich demnächst in einem kleinen Verlag eine eigene Wirtschaftsedition beginnen können. Ich werde darüber informieren und hoffe sehr, liebe Leser, Sie halten mir auch dabei weiterhin die Treue. Denn gerade an der Börse muss man zwar wissen, was die Mehrheit denkt, handeln muss man jedoch genau entgegengesetzt dazu.


Bernd Niquet, im März 2003
E-Mail: berndniquet@t-online.de
dishwasher:

ja ja, sind halt auch nur Menschen ;-) o. T.

 
08.03.03 13:33
volvic:

jaja und unser

 
08.03.03 13:57
lieber bernd niquet will nur unser bestes - wie schon immer. er will seine bücher ja gar nicht wegen des geldes willen verkaufen, nein! es geht nur darum uns allen die augen zu öffnen.

volvic
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