Das vagabundierende Geld entdeckt Europa
Unglaublich, wie stark der deutsche Markt ist! Da brechen die Amis am Montag im späten Handel ein, die Asiaten folgen auf dem Fuße und hier reicht es wieder einmal nur für ein halbes Prozent Minus.
Aber was würden Sie denn machen, wenn Sie in den USA leben und Ihrem tiefen inneren Drang zum Spekulieren nachgeben müssten? Jeden Morgen sehen Sie sich an, was Europa gemacht hat (so wie wir auf Japan achten). Sie wissen, dass der Dollar fällt und der Euro steigt. Und dann sehen Sie noch, dass die Indizes in Europa relative Stärke aufbauen.
In so einem Fall MUSS ein halbwegs vernünftiger Spekulant einfach investieren. Denn was passiert, wenn die Amis ihre Abwärtslaune verlieren? In diesem Fall müsste doch der Dax explodieren. Wenn dann noch der Dollar weiter fällt (und davon gehen ja viele aus), kann man hier doppelt verdienen. Und wenn der Crash in den USA weiter geht, dann verliert man weniger mit einem Investment in Europa.
Deutlicher Unterschied
Doof nur, dass diese Anleger nicht in Europa eingestiegen sind, bevor der Dollar so eingebrochen ist. Dann hätte man jetzt schon dicke Währungsgewinne und eine massive Outperformance zu den USA:
Hier der Vergleich Dax (blau) und S&P500 (rot). Nachdem die Indizes eine Weile doch vergleichsweise synchron verlaufen sind, erkennt man aktuell einen erheblichen Unterschied.
Europa als Investitionsstandort oder nur als Schutzhafen?
Offensichtlich ist, dass viel Geld in die europäischen Börsen fließt. Ob es Petrodollar, Asiaten, oder US-Anleger sind, ist mir egal, ich nenne dieses Geld, welches renditehungrig den Globus nach geeigneten Investitionen absucht, das „vagabundierende Geld“.
Es ist höchst flexibel und immer bereit hier und da ein Päuschen zu machen, um ein paar Prozent mitzunehmen.
Die Frage ist nur, will das Geld nur einen kurzen Zwischenstopp in Europa einlegen, dient der Dax also nur als Schutzhafen, oder handelt es sich um längere Investitionen?
Der Einbruch in den USA, die Kreditmarktkrise, die Gefahr eines deutlich schwächeren US-Wirtschaftswachstums haben natürlich für große Unsicherheit gesorgt. Unsicherheit mag Geld überhaupt nicht. Was liegt also näher, als in eine starke Währung zu investieren?
Wie erinnern uns: Früher investierten die Anleger, sobald es irgendwo eine Krise gab in den sicheren Hafen: Dollar.
Es weist alles darauf hin, dass sich das nun geändert hat und der Euro (und der Euroraum) als sicherer Hafen entdeckt wird.
Flucht aus den heiß gelaufenen Märkten
Auf der anderen Seite sind China und einige Emerging Markets heiß gelaufen. Auch Rohstoffe werden unter einer möglichen Rezession in den USA leiden. Australien könnte also gefährlich sein, selbst die Carry-Trades leiden zurzeit. Indien hat sich durch neue Regulierungen als Anlagestandort etwas unattraktiver gemacht.
Welche Alternative hat also das vagabundierende Geld zum Euroraum? Zumal hier das Wirtschaftswachstum noch stabil ist, notwendige Reformen durchgesetzt wurden und eine EZB dafür sorgen will, dass die Inflation nicht zu sehr ausartet.
Nein, wenn man global denkt, dann ist der Euroraum im Moment eigentlich ein perfekter und sicherer Ort. Ich denke, es ist beides: Der sichere Hafen und auch ein längerfristiges Investment.
Und genau das ist der Grund, warum sich der ansonsten so ängstliche Dax zurzeit derart gut gegen die crashartigen Verluste in den USA halten kann. Sobald sich aber die US-Indizes fangen, kann es übrigens sein, dass sich das Geld, welches einen sicheren Hafen suchte, wieder verabschiedet, so dass der Dax kurzfristig etwas gebremst wird.
Und mal wieder hübsch antizyklisch gedacht
Sie wissen, an den Börsen verdient man immer da, wo die anderen NICHT sind. Würden Sie im Moment in den USA Geld anlegen? Nein, sicher nicht. Sie müssten einen weiteren Dollarverfall befürchten und die Kurse brechen schließlich dramatisch ein. Da sollte man auf keinen Fall investieren.... so die einhellige Meinung der Anleger.
Doch wie sagte ein Kollege: Hey, zu 1,47 gecrashte US-Bank Aktien! Die greif ich mir ab. Übersetzt: Jetzt, bei einem Euro von 1,47 Dollar in genau die Aktien zu investieren, bei denen horrende Verluste im Subprime-Markt, eine Rezession und eine Inflation bereits eingepreist wurden, ist vom Chance/Risikoverhältnis sehr interessant.
Wahrscheinlich wieder einmal etwas zu früh
Ich weiß nicht, ob es nicht doch noch etwas zu früh ist, da jetzt schon einzusteigen. Aber grundsätzlich ist die Aussicht verlockend. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir eine Gegenbewegung im Dollar, als auch in den stark gefallenen US-Bankaktien sehen, ist hoch. Wenn es zu einer solchen Gegenbewegung kommt, wären die Gewinne schnell und intensiv.
Aber wie immer, wenn man schnell viel Geld verdienen kann, ist auch das Risiko groß.
Eine neue Horrornachricht vom Bankensektor, und die US-Bankaktien werden einen weiteren Tiefschlag einstecken müssen. Solche Trades sind nur etwas für Hartgesottene, die auch mal ein Jahr oder länger eine Position durchhalten können. Aber die Chancen sind da, keine Frage.
In dieser Woche werden Inflationsdaten veröffentlicht. Sollten diese höher ausfallen, als allgemein erwartet, dann müsste der Markt eine Zinserhöhung einpreisen, bzw. sich von seiner Hoffnung auf weiter sinkende Zinsen so langsam verabschieden. Es kann also gut sein, dass wir das Hoch im Euro gesehen haben. Ich vermisse aber eine entsprechende Topbildung, so dass ich fürchte, dass es noch einmal zu einem weiteren Run auf die 1,50 Dollar Marke kommen wird. Doch mittelfristig werden wir tatsächlich einen wieder steigenden Dollar sehen. Die Gründe hatte ich hier in den letzten Tagen genannt.
Es wird sich wieder angleichen
Zudem muss man davon ausgehen, dass sich der S&P500 und der Dax bald wieder annähern. Das passiert eigentlich fast immer, die Frage ist leider: Wann? Dazu ein aktuelles Beispiel: Der Nasdaq100 war den Indizes und auch dem Dax davongelaufen. Doch diesen Vorsprung hat er soeben wieder eingebüßt:
Erinnern Sie sich übrigens, dass ich auch im Bezug zum Nasdaq100 entgegen meiner sonstigen Überzeugung gewagt hatte, zu behaupten: Dieses eine Mal liegt der Markt wirklich falsch! Die weitere Entwicklung hat mir jetzt Recht gegeben – q.e.d. (quod erat demonstrandum).
Viele Grüße
Jochen Steffens
Gruß DB