Da nur wenige "suitcase nukes" kennen: Posting

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Da nur wenige "suitcase nukes" kennen: Posting

 
20.09.01 21:05
Mörderisches Arsenal

Die Gefahr besteht, dass Terroristen auch nukleare, biologische oder chemische Massenvernichtungswaffen einsetzen. Doch die Wahrscheinlichkeit ist gering

Von Thomas Häusler, Hans Schuh & Urs Willmann



Schwer zu glauben, aber realistisch: Die Zerstörung des World Trade Centers hat längst nicht das Höchstmaß an Verheerung erreicht, die ein terroristisches Attentat an diesem Ort hätte anrichten können. Schon vor acht Jahren, als einer der Türme Ziel eines (weitgehend fehlgeschlagenen) Anschlags war, hätten Attentäter mit einem anderen Sprengsatz eine beispiellose Katastrophe verursachen können. In The ultimate Terrorists beschreibt die Terrorismusforscherin Jessica Stern, was geschähe, wenn eine vergleichsweise kleine Atombombe mit einer Kilotonne Sprengkraft - ein Tausendstel der Sprengkraft strategischer Geschosse - in einem Wolkenkratzer gezündet würde.

Ziel des Anschlags ist in ihrem Buch das Empire State Building. Ein großer Teil des Gebäudes und alle 20 000 in ihm arbeitenden Menschen verdampfen blitzartig in einem gewaltigen Feuerball. Kein Schuttberg bleibt, sondern ein 40 Meter großer Krater. Die Druckwelle zerstört im Umkreis von 200 Metern alle Gebäude. Nicht verdampfte Teile des Empire State Building bilden einen Hagelsturm aus Beton-, Glas- und Stahlgeschossen, die kilometerweit fliegen. Die Infrastruktur im Untergrund kollabiert: U-Bahnen, Leitungen und Gasrohre, was zu ausgedehnten Bränden führt. Die Hitze tötet oder verstümmelt Menschen im Abstand von bis zu 400 Metern, ihre Kleidung geht in Flammen auf. Die Strahlung wirkt selbst in doppelt so großer Entfernung rasch tödlich.

Ein Rauchpilz steigt Tausende Meter hoch und trägt, je nach Wind, tödlichen Fall-out bis in eine Entfernung von 15 Kilometern. Wer damit in Berührung kommt, stirbt innerhalb von zwei Wochen. In noch größerer Distanz steigen später die Krebsraten. "Allein der Fall-out könnte bis zu 100 000 Menschen töten", schreibt Stern. Die gesamte Opferzahl könne leicht doppelt so hoch liegen.

Seit vielen Jahren analysieren Terrorismusexperten schreckliche Szenarien, wie sich der Einsatz von nuklearen, chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen an empfindlichen und symbolischen Knotenpunkten unserer Zivilisation auswirkt. Dabei stehen biologische und chemische Waffen den nuklearen in ihrem tödlichen Potenzial kaum nach - zumindest theoretisch. Hundert Kilogramm des Erregers von Milzbrand (Anthrax) könnten bei "optimaler" Verteilung drei Millionen Menschen töten. Der Irak hatte weit größere Mengen von dieser Biowaffe erzeugt.

In den vergangenen Jahrzehnten sind die Zahlen terroristischer Anschläge und von deren Opfern weltweit massiv gestiegen: Starben in den siebziger Jahren bei 8100 Attentaten etwa 4800 Menschen, waren in den achtziger Jahren bei 31 400 Anschlägen fast 71 000 Tote zu beklagen - mit weiterhin steigender Tendenz. Dabei wächst die religiös-radikale Motivation und überlagert zunehmend die politischen Beweggründe. Diese Verschiebung ins Irrationale verschärft die Situation: Statt gezielt Exponenten des politischen Gegners zu töten, werden in selbstmörderischen Aktionen größtmögliche Schäden angestrebt mit hoher symbolischer und psychologischer Wirkung, die jüngsten Anschläge zeigen es.

Dennoch gibt es bei all dem Grauen auch beruhigende Erkenntnisse der Terrorismusforschung, zumindest was den Einsatz von Massenvernichtungswaffen angeht. So dürfte die Vorstellung, ein kleines, gut ausgerüstetes Team könnte sich ohne weiteres eine Atombombe basteln, in das Reich der Legenden gehören. Zwar haben einige Staaten wie Israel oder Pakistan es geschafft, Atomwaffen herzustellen, doch Libyen oder dem Irak gelang dies trotz Milliardeninvestitionen und dem Einsatz Tausender Wissenschaftler nicht.

Aber auch beim Einsatz biologischer und chemischer Massenvernichtungswaffen lassen sich Horrorszenarien nicht ausschließen. Der Tod käme zunächst langsam und leise. Ein Beispiel: In Münchner und Hamburger Praxen kreuzen Patienten mit unauffälligen Symptomen auf. Fieber, Muskelschmerzen, Husten. Die Mediziner tippen auf Grippe und schicken die Kranken ins Bett. Nach wenigen Tagen steigt in allen Fällen das Fieber, die Haut wird blau, ein Patient nach dem anderen stirbt.

Nur langsam fügt sich das Bild zusammen, die Diagnose für die ersten Todesfälle trifft ein: Lungenmilzbrand. Eine äußerst seltene Krankheit. Verzweifelt suchen Epidemiologen die Ursache der Todeswelle. Schließlich drängt sich ein grauenvoller Verdacht auf: Ein Terrorangriff beim Bundesligaspiel Bayern München gegen den HSV. Ein Sportflugzeug kreiste kaum beachtet über dem Olympiastadion und verbreitete tödliche Fracht: getrocknete Bakteriensporen. Zwei Wochen danach sind 40 000 Stadionbesucher und 30 000 Bewohner aus der Umgebung tot. Massenpanik herrscht, die Spitäler sind überlastet.

Biobombe für eine Million

Lange hielten viele Biowaffenspezialisten ein solches Szenario für unwahrscheinlich. Die nötige Expertise, um die Mikroben in sprühbare Pulverform zu bringen, sei außer Reichweite von Terrorgruppen, hieß es. Nicht umsonst habe die Sowjetunion Milliarden Rubel und 60 000 Menschen für die Biowaffenentwicklung eingesetzt. "Die erstaunliche Logistik der Anschläge in New York und Washington zeigt nun, wie real eine solche Gefahr ist", warnt Donald Henderson vom Center for Civilian Biodefense Studies der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore. Seit 1995 durch missglückte Anthrax-Anschläge der japanischen Sekte Aum Shinrikyo Biowaffen auf dem Radarschirm der Sicherheitsdienste auftauchten, geben die USA dreistellige Millionenbeträge für die Abwehr aus. Unter dem Eindruck der jüngsten Anschläge wurden die Mittel aufgestockt.

Eine Reihe von Indizien deutet darauf hin, dass der Bau von Biowaffen für eine Terrororganisation vom Schlage eines Osama bin Laden vielleicht doch möglich ist. Fachkräfte sind nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion für Geld zu haben. Anthrax, neben Pockenviren der beliebteste waffenfähige Keim, lässt sich aus dem Boden isolieren und mit einigem Aufwand in großen Mengen züchten. Sprühbares Keimpulver könnte einfacher zu produzieren sein als gedacht. Die CIA hat heimlich eine Produktions- und Bombenattrappe gebaut. Eine Million Dollar und handelsübliche Teile hätten angeblich dafür gereicht. Die Bastler der Aum-Sekte waren jedoch gescheitert. Sie züchteten im Keller eines Hauses im Zentrum von Tokyo Anthraxsuppe und versprühten sie über ein Röhrensystem vom Dach aus. Niemand erkrankte. Allerdings fanden US-Forscher in der versprühten Flüssigkeit kürzlich zahlreiche lebende Keime. Offenbar blieb die Katastrophe nur deshalb aus, weil die gezüchteten Mikroben einem harmlosen Anthraxstamm angehörten. Russische Forscher hätten ihnen wesentlich gefährlichere Stämme liefern können: Sie hatten Anthraxkeime erzeugt, gegen die sogar ihr Impfstoff wirkungslos blieb.

Wie von Aum Shinrikyo vorgeführt, würden Terrorgruppen ihre Keime in Ballungszentren verbreiten. Stadien, Stadtzentren oder Lüftungssysteme von Konferenzzentren wären gefährdete Ziele. Da Lungenanthrax kaum ansteckend ist, beträfe ein Anschlag wenigstens nur jene, die direkten Kontakt mit den Mikroben hatten. Ansteckende Pockenviren hingegen könnten via Reiseverkehr eine globale Seuche verursachen. Zum Glück ist es ungleich schwieriger, an Pockenviren zu gelangen.

Was Biowaffen anrichten können, zeigte ein Unfall in einer sowjetischen Fabrik 1976 in Swerdlowsk (heute Jekaterinenburg). Arbeiter der Abfüllanlage für Anthraxpulver vergaßen, einen Luftfilter einzusetzen. Der Wind trieb die tödlichen Sporen durch die Stadt und ins Umland. Obwohl der Unfall in der Nacht passierte, starben mindestens 66 Menschen.

Einerseits warnen Experten zu Recht vor riesigen Arsenalen chemischer und biologischer Waffen, vor allem in der ehemaligen Sowjetunion. Andererseits zeigt die Geschichte der Aum-Sekte aber auch, dass die Gefahr nicht überschätzt werden sollte. Dem Sektenführer Shoko Asahara standen zeitweise fast 300 Wissenschaftler und mehr als eine Milliarde Dollar zur Verfügung. Seine Anhänger haben mehrfach versucht, von Fahrzeugen aus Anthrax und das ebenfalls hoch gefährliche Botulinusgift zu versprühen. Im März 1995 kamen in der Tokyoter U-Bahn drei zum Freisetzen von Botulinusgift präparierte Aktenkoffer zum Einsatz. Alle Anschläge mit Biowaffen scheiterten. Schließlich griffen die Sektierer deshalb zum chemischen Kampfstoff Sarin. Zwölf Menschen starben in der Tokyoter U-Bahn, mehr als tausend wurden verletzt.

Der Terrorismusforscher Jonathan B. Tucker vom kalifornischen Monterey Institute of International Studies analysiert im Buch Toxic Terror die Einsätze chemischer und biologischer Waffen seit 1945. Das Ergebnis ist erstaunlich: Solche Waffen wurden bei Anschlägen sehr selten verwendet; die Zahl der Opfer ist gering. Die Aum-Sektierer verursachten mit Sarin in der Tokyoter U-Bahn den größten Schaden. Dieses war von miserabler Qualität, die Verteilung mittels angestochener Plastiktüten dilettantisch. Tuckers Analyse zeigt, dass bevorzugt Sektierer mit paranoiden und apokalyptischen Vorstellungen zum Einsatz solcher Waffen neigen. Politisch motivierte Terroristen griffen nie zu diesen schwer kontrollierbaren Mitteln mit diffuser Wirkung. Sie bevorzugen Sprengstoffe mit besser planbaren Folgen. Auch bei den aktuellen Anschlägen war das Bemühen um Präzision auffällig.

Jumboattacke auf AKW

Diese Attacke hat eine neue Waffe in den Mittelpunkt gerückt, die ohne größeren logistischen Aufwand verheerend wirkt: das Verkehrsflugzeug. Damit lassen sich Ballungszentren und technische Anlagen attackieren. Ob Kernkraftwerke sicher sind, darüber streiten sich die Experten. Dem Aufprall eines Flugzeugs mit 900 Kilometer pro Stunde halte der Schutzmantel eines Reaktors stand, sagte Anton Treier von der schweizerischen Hauptabteilung für die Sicherheit von Kernanlagen (HSK) dem Zürcher Tages-Anzeiger. Skeptischer ist David Kyd, Sprecher der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien. "Wird eine voll getankte Boeing 747 auf einen Reaktor gesteuert, würde der Schutzmantel vermutlich zerstört - nicht unbedingt wegen des Aufpralls, sondern wegen der Hitze, die die Explosion entfacht."

Kein Beton- und Stahlmantel bestehender Atomkraftwerke würde dies überstehen. "Die bersten. Wir hätten keine Möglichkeit, eine Katastrophe abzuwehren." Während der Schweizer Experte Treier glaubt, ein AKW auch nach einem Aufprall sicher abstellen und kühlen zu können, rechnet Kyd damit, dass im Extremfall auch Kühl- und Notkühlsystem zerstört werden könnten. "Läuft der Reaktor dann auf vollen Touren, stoppen Sie die Kernreaktion nicht mehr." Eine Katastrophe wie in Tschernobyl lasse sich "nicht ausschließen".

Offenbar ist man sich der Gefahr auch in Deutschland bewusst. Fachleute bezweifeln, dass sogar neuere Meiler wie Neckarwestheim, Ohu oder Lingen den ungebremsten und gezielten Absturz eines voll getankten Jumbojets überstehen. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses hält IAEA-Sprecher Kyd allerdings für extrem gering. Nur der Volltreffer eines Passagierjets mit sehr großer Geschwindigkeit oder eines mit Bomben voll gepackten Militärflugzeugs sei richtig gefährlich. Der Attentäter müsste ein meisterhafter Pilot sein. Denn im Vergleich zu großen Zielscheiben wie den Türmen des WTC sind Reaktorgebäude klein. "Ich kann mir fast nicht vorstellen, dass man mit einem großen Passagierjet ins Schwarze trifft."



(c) DIE ZEIT   66/2001    
rorue:

jau, darki

 
20.09.01 21:16
wissen wir doch alle. Mach doch den Kleinen hier im Forum nicht soviel Angst.
Haben wir doch alles schon mitgemacht : RAF, Vietnam usw.

mfg rorue
DarkKnight:

Unbedingt lesenswert, v. a. Datum und letzter Satz

 
20.09.01 21:18
www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_98/39/04a.htm
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