"Die ganzen netten Kollegen, die ja nur durch uns motiviert werden, glotzen Jahr ums Jahr auf ihren Bildschirm - und sind demotiviert"
Wir haben ein Problem. Wir sind zu ehrlich. Und andere schlagen ihren Nutzen daraus. Fast die Hälfte aller Deutschen ist einer Umfrage zufolge am liebsten deshalb im Büro, weil es da einen Haufen freundlicher Kollegen gibt. Nur 16 Prozent - behauptet jedenfalls das Meinungsforschungsinstitut Polis - fühlen sich besonders zu mehr und besseren Leistungen motiviert, wenn sie mehr Geld bekommen.
Ein bisschen zu ambitioniert und ein bisschen zu gutmenschlich haben die Befragten sich in der Umfrage wichtig getan - und damit nicht nur ihren Personalchefs richtig viel Freude gemacht. Sondern auch unseren. Denn die reiben sich jetzt die Hände und sparen sich den Scheck. Weil sie ja schon für die ganzen netten Kollegen gesorgt haben, mit denen wir zusammenarbeiten dürfen. Die uns so motivieren. Und die auch nicht mehr Geld bekommen, weil sie ja uns haben.
Und dann sitzen die ganzen netten Kollegen, die ja nur durch uns so richtig motiviert werden, Jahr um Jahr im Büro und glotzen auf ihren Bildschirm. Und dann gehen sie in die Kantine und essen Eintopf und denken sich, dass alle anderen bei dem schönen Wetter zum Italiener um die Ecke gehen können. Und draußen sitzen. Nur sie nicht, weil sie ja schon so lange keine Gehaltserhöhung mehr hatten. Und jetzt, in den schwierigen Zeiten, auch keine bekommen.
Und dann kommen sie aus der Kantine zurück und haben Sodbrennen. Und sehen, wie sich die anderen die Rucolareste aus den Zähnen fischen. Und dann gehen sie in die Kaffeeküche und brühen sich einen Früchtetee auf. Und finden die Welt ungerecht. Den Chef auch. Und die Kollegen doof. Dann lassen sie eine Akte verschwinden. Oder ranzen einen Kunden am Telefon zusammen, weil sie nur für A bis K zuständig sind.
Dann merken sie , dass die anderen schuld sind. Und dass niemand sieht, was sie wirklich tun für den Laden. In der Teambesprechung am Abend stänkern sie wegen der orthopädisch korrekten Bürostühle herum, die schon seit Jahren versprochen worden sind und immer noch nicht da sind. Und sie können ja nicht schon um fünf gehen. Wegen der idiotischen Corporate Culture. Als ob jemals auch nur eine Überstunde bezahlen würde.
Und schwups - sind sie demotiviert. Weil die Kollegen eben doch alle Schweine sind. Bis auf die, die man gelegentlich in der Kaffeeküche trifft. Wenn sie sich einen Früchtetee brühen. Weil sie Magenbeschwerden haben. Und der Chef sich natürlich nur für die Espressomaschine interessiert, die die anderen gefordert haben. Aber noch nicht mal einen Wasserkocher gibt es.
Mit den Wasserkochen-für-den-Tee-Kollegen lässt sich was anfangen. Aber nur mit denen. Zum Beispiel einen Betriebsrat gründen. Oder eine Petition schreiben. Oder die Gewerbeaufsicht bestellen, weil die Kabel im Großraum immer noch nicht hinter den vorgeschriebenen Leisten verschwunden sind. Den Hals brechen könnte man sich da. Und dann müsste man zusätzlich zu den Magenbeschwerden auch noch eine Halskrause tragen. Wegen dem Laden.
Und das alles nur, weil wir uns in Umfragen wichtig tun. So verlieren wir beides anstatt beides zu bekommen: Kollegen, die gute Laune haben. Weil es mehr Geld gegeben hat.
Quelle:ftd
