Aufräumen, ausgliedern, abstoßen - die wilden Expansionsjahre sind vorbei, die Telekom-Branche besinnt sich auf alte Stärken. Welche Konzerne werden die Krise überleben?
Über Jahre hinweg war die Telefongesellschaft Sonera ein Geheimtipp für Insider. Ein kleines, unbedeutendes Unternehmen aus Finnland - kaum einer nahm die putzige Firma zur Kenntnis.
Schlagartig, am 17. August 2000, wurde Sonera zum Star. Für über 3,6 Milliarden Euro erwarb der Winzling aus dem Norden Anteile an der deutschen UMTS-Lizenz. Der mobile Feldzug in Europa schien gesichert.
Aus der Traum. Im Juli dieses Jahres verabschiedete sich Sonera-Chef Harri Koponen von seinen hochfliegenden Plänen und schrieb die Lizenzen im Hauruck-Verfahren ab. Der deutsche Mobilfunkneuling Quam (Werbespruch: "I have a dream"), an dem der finnische Telefonkonzern mit 42,8 Prozent beteiligt ist, schloss seine Läden in den Nobellagen deutscher Großstädte - acht Monate nach dem Start.
Nicht nur Sonera, die gesamte Telekommunikationsindustrie bangt ums Überleben. In nur zwei Jahren hat die einstige Boombranche dreistellige Milliardenbeträge verbrannt und horrende Schulden angehäuft. Allein die fünf größten europäischen Telefongesellschaften weisen Verbindlichkeiten in Höhe von 190 Milliarden Euro auf.
Seit Anfang 2001 sind weltweit rund 30 Netzbetreiber in Konkurs gegangen - darunter Hoffnungsträger wie Carrier 1, Global Crossing und RSL Com. Insolvenzen und dreiste Bilanzfälschungen à la Worldcom haben das Vertrauen der Investoren in die vermeintlichen Wachstumswerte nachhaltig erschüttert.
Die Folgen der Pleiten sind katastrophal. Zahlreiche Lieferanten von Telefonausrüstung, wie Branchenführer Lucent Technologies und der schwedische Konzern Ericsson , müssen mangels Aufträgen zehntausende von Arbeitsplätzen abbauen. "Die Lage ist unglaublich düster", bekennt Ericsson-CEO Kurt Hellström.
Nach der Begeisterung nun die Ernüchterung. Ex-Monopolisten wie die Deutsche Telekom und France Télécom werden auf Jahre hinaus Milliardenverluste ausweisen, müssen sparen, sparen, sparen. British Telecom und AT&T sahen sich bereits gezwungen, wichtige Geschäftsbereiche zu verscherbeln, um ihre Kreditwürdigkeit zu erhalten.
Ohne Not hat sich die Branche durch teure Zukäufe, UMTS-Wahn und überzogene Wachstumsprognosen ins Abseits manövriert. Plötzlich ringen die Konzernlenker um Antworten auf zukunftsentscheidende Fragen:
Es gibt keine Tabus mehr - auch bei der Deutschen Telekom nicht. "Bei uns steht alles auf dem Prüfstand", verkündete Interims-Vorstandschef Helmut Sihler Ende August. Sein vorrangiges Ziel: "Das Unternehmen muss wieder handlungsfähig
werden."
In der Schuldenfalle
Ron Sommer hat ein schlimmes Erbe hinterlassen. Nur das traditionelle Festnetzgeschäft der Telekom (die Sparte T-Com) schreibt schwarze Zahlen. Alle anderen Geschäftsfelder (T-Mobile, T-Online, T-Systems) sind teure Kostgänger.
Allein der Kauf des US-Mobilfunkbetreibers Voicestream für 35 Milliarden Euro steigerte die Verbindlichkeiten des Unternehmens auf derzeit 64 Milliarden Euro. Mit dem US-Einstieg beraubte sich der T-Konzern jeder Chance, sein Portfolio aufzustocken. So konnten es sich die Deutschen im vergangenen Jahr nicht leisten, beim Nachbarn Telekom Austria einzusteigen.
Reihum stecken die Telekommunikationsmanager in der Schuldenfalle. Sie haben sich mit Mega-Akquisitionen verhoben.
Beispiel France Télécom: Der Erwerb der Mobilfunkgesellschaft Orange für 43 Milliarden Euro ließ die Schulden des Staatskonzerns auf einen Rekordstand von 63 Milliarden Euro anschwellen. Jetzt fehlen France-Télécom-Lenker Michel Bon die Mittel, um das UMTS-Netz seiner deutschen Beteiligung Mobilcom auszubauen.
Firmenkäufe um fast jeden Preis sind nur eine Ursache des Desasters. Verschärft werden die Probleme durch die Tatsache, dass die Telefonbetreiber den fantastischen Prognosen über die Zunahme des weltweiten Datenverkehrs vertrauten und wie besessen in weltweite Netze investierten.
Zwischen 1997 und 2000 verdreifachten sich die Infrastrukturausgaben von 23 europäischen und amerikanischen Konzernen von 68 auf 185 Milliarden Euro, errechnete die Unternehmensberatung Mercer Management Consulting.
Die Folge des Netzbooms: enorme Überkapazitäten und ein dramatischer Preisverfall. Klaus von den Hoff, Partner bei Mercer, schätzt, dass die Kapazitäten der Datenleitungen gegenwärtig nur noch zu einem Drittel ausgelastet sind.
Überschuldung und Überangebot - das hätte schon ausgereicht, die Branche ins Schlingern zu bringen. Die Herren der Telefone setzten noch eins drauf. Die Versteigerung von UMTS-Lizenzen in Deutschland und Großbritannien (Gesamterlös: 89,1 Milliarden Euro) belastet die europäischen Telefonnetzbetreiber auf Jahre hinaus. Den Lizenz- und Aufbaukosten für die UMTS-Netze stehen frühestens ab 2005 spürbare Einnahmen gegenüber.
Plötzlich sind aus den Zauberworten Globalisierung, E-Commerce und UMTS Begriffe geworden, die Angst einflößen. Die neuen Schlagwörter heißen: desinvestieren, konsolidieren und fokussieren.
Rauhe Zeiten für die Handy-Branche
Der Sparkurs trifft alle Bereiche der Telekommunikation, vom Festnetz bis zum Mobilfunk. Gleichwohl ist es die Handy-Branche, die sich auf besonders raue Zeiten einstellen muss. Mit jährlichen Wachstumsraten von bis zu 50 Prozent hatte sich die Funktelefonie in der vergangenen Dekade zum Turbo entwickelt.
Jetzt das unfreiwillige Bremsmanöver: Erstmals in der Geschichte der Mobilfunkindustrie sank 2001 die Anzahl der verkauften Handys. Sie lag mit knapp 400 Millionen Geräten um 3,2 Prozent unter dem Vorjahr.
Die europäischen Mobilfunkmärkte nähern sich der Sättigungsgrenze, die Durchdringungsrate liegt bei 60 bis 90 Prozent. Jürgen von Kuczkowski, Deutschland-Chef von Vodafone , rechnet für die nächsten Jahre nur noch mit einstelligen Wachstumsraten.
Selbst diese mageren Zuwächse gilt es mühsam zu erkämpfen. Wie schwierig es ist, neue (und teure) Multimedia-Handys unters Volk zu bringen, zeigt die Einführung des Datendienstes i-mode in Deutschland. Pionier E-Plus, der im Frühjahr den UMTS-Vorläuferdienst startete, zählte Ende August gerade einmal 100.000 i-mode-Kunden.
Dem aufdringlichen Werben der Mobilfunkbetreiber mit Akronymen wie WAP, GPRS und MMS stehen bescheidene Ergebnisse gegenüber. So nutzten im August nur 200.000 der rund 21,5 Millionen Vodafone-Kunden in Deutschland den Datendienst GPRS. Marktführer T-Mobile gibt erst gar keine aktuellen Zahlen für die neuen Datenservices bekannt.
Die mäßige Akzeptanz mobiler Internet-Dienste verheißt nichts Gutes für UMTS. Da ist es kein Wunder, dass die Mobilfunkbetreiber die Inbetriebnahme der neuen Netze weiter ins nächste Jahr verschieben.
Es mangelt sowohl an überzeugenden Geschäftsmodellen als auch an funktionierender Soft- und Hardware: Die Abrechnungssysteme sind instabil. Und bislang bietet noch kein Handy-Hersteller ein UMTS-Gerät zum Kauf an - die technischen Herausforderungen sind komplexer, als ursprünglich gedacht.
Vage Zukunftsaussichten, gebremstes Wachstum und flaues Börsenklima zwingen die Konzernchefs, sich nolens volens auf die alten Tugenden zu besinnen - den Wert ihrer Unternehmen zu mehren. Nur: Mit welchen Geschäften lässt sich auf Dauer Geld verdienen?
Der Druck der Finanzmärkte
"Die Telefonfirmen erzielen typischerweise mit 10 Prozent ihrer Produkte rund 90 Prozent ihres Umsatzes", sagt David Dean von der Unternehmensberatung Boston Consulting Group. "Die restlichen 90 Prozent der Produkte sind potenzielle Wertvernichter."
Wie etwa der 0700-Dienst der Deutschen Telekom: T-Kunden können sich lebenslang eine ortsunabhängige Telefonnummer sichern. Die Einheitsnummer reist bei jedem Umzug innerhalb Deutschlands mit. Eine hübsche Idee, doch das mit großem Softwareaufwand entwickelte Angebot findet am Markt kaum Beachtung.
Ebenfalls an ihren Interessen vorbei agierten die Mobilfunkbetreiber, als sie im Frühjahr 2000 die Prepaid-Offensive starteten. T-Mobile hatte als erster Anbieter die Idee, den Kunden eine Telefonkarte zu verkaufen und das zugehörige Handy fast zu verschenken. Die Konkurrenz musste nachziehen. Heute ärgert sich Vodafone-Deutschland-Chef von Kuczkowski: "Wir haben an jedes Gerät mindestens einen 200-Mark-Schein geklebt."
Das Ergebnis der Aktion: Explodierenden Teilnehmerzahlen standen hohe Kunden-Akquisitionskosten gegenüber. Zudem stellte sich heraus, dass Prepaid-Nutzer wenig telefonieren - mithin verursachten sie für die Betreiber im Schnitt mehr Aufwand als Erlös. Immerhin hat die Branche aus dem Desaster gelernt. Sie offeriert zwar noch Prepaid-Angebote, aber die massiven Handy-Subventionen sind abgeschafft.
Der Stopp unrentabler Angebote allein kann die Probleme der Telefongesellschaften indes nicht lösen. Zu hoch sind die Konzerne verschuldet, zu groß ist der Druck der Finanzmärkte, die Kosten nachhaltig zu senken. Da helfen nur noch tiefe Schnitte.
Radikal wie immer setzen angloamerikanische Unternehmen das Messer an. So hat sich die führende US-Telefongesellschaft AT&T von der Vision eines integrierten Telefonkonzerns verabschiedet. Das Konzept, Ortsgespräche und Mobilfunk, Kabelfernsehen und Internet gleichzeitig anzubieten, wurde verworfen. AT&T konzentriert sich wieder auf das klassische Festnetzgeschäft in den USA sowie auf die Bedienung multinational agierender Unternehmen.
Auch British Telecom (BT) musste sich von zahlreichen Geschäften trennen. Um die erdrückende Schuldenlast zu minimieren, stieß der Konzern sogar sein Mobilfunknetz ab. Mittlerweile ist von BT nicht viel mehr geblieben als ein nationaler Festnetzbetreiber. Zurück zu den Wurzeln der Steinzeittelefonie.
Den Traum vom Global Player, dem alle Telekom-Chefs in den wilden Neunzigern nachhingen, hat weltweit nur ein Konzern umgesetzt: der britische Mobilfunker Vodafone. Doch Mannesmann-Aufkäufer Chris Gent hat die schwierigste Aufgabe noch vor sich: Er muss aus der schieren Größe seines Mobile Empire handfeste Vorteile und Synergien herausholen.
Wer überlebt das Drama am Telekommunikationsmarkt? Haben spezialisierte Anbieter wie Vodafone bessere Chancen als integrierte Konzerne wie die Deutsche Telekom, die viele Teilmärkte bedienen?
Die Bedeutung des Festnetzgeschäfts
"Das Gerede von den Vorteilen integrierter Konzerne ist nur Marketinggewäsch", behauptet Vodafone-Manager Kuczkowski. Seine Erfahrung: Jahrelang hat sich Mannesmann Mobilfunk (D2) bemüht, auch Festnetzanschlüsse der Konzerntochter Arcor zu verkaufen. Vergeblich. "Die Kunden suchen sich wie bei Versicherungen bei jeder Offerte den besten Anbieter", sagt von Kuczkowski.
Was aber tun, wenn die große Nummer mit der Integration nicht läuft? Auf welche Geschäftsfelder sollen sich die Konzerne künftig konzentrieren?
Vielleicht auf das Naheliegende. Unbestritten ist die Bedeutung des Festnetzgeschäfts. Alle Ex-Monopolisten haben nach wie vor einen nahezu exklusiven Zugang zu den Ortsnetzen, der ihnen stete Einnahmen aus fixen Anschlussgebühren sichert. Mit neuen Angeboten wie dem Breitbandanschluss DSL können die Konzerne ihr Quasimonopol verteidigen.
Aber nicht auf dem heutigen Kostenniveau. Untersuchungen der Boston Consulting Group bei europäischen Telefonfirmen haben ergeben, dass die Kapitalproduktivität der vorhandenen Netz- und IT-Plattformen um mindestens ein Viertel erhöht werden kann. Das heißt: abspecken. Allein im Festnetz (T-Com) beschäftigt die Telekom fast 117.000 Mitarbeiter - nach internen Berechnungen 20.000 Menschen zu viel.
Im Handy-Geschäft findet der Kehraus bereits statt. Nach Einschätzung zahlreicher Experten rechnen sich Auslandsengagements im Mobilfunk nur ab einem Marktanteil von 20 bis 25 Prozent. Folglich haben sich mehrere US-Firmen von ihren europäischen Beteiligungen getrennt und konzentrieren sich wieder auf ihre Heimmärkte.
Nur Vodafone kann die Muskeln spielen lassen. In 13 westeuropäischen Ländern halten die Briten die Position des größten oder zweitgrößten Mobilfunkanbieters.
Ganz anders der selbst ernannte Global Player T-Mobile. In Deutschland steht die Telekom-Tochter zwar an der Spitze, und auch in Osteuropa hat sich der Konzern ein komfortables Polster an aussichtsreichen Mobilfunkbeteiligungen geschaffen. In Österreich hingegen sind die Deutschen nur zweitgrößter Anbieter, in Großbritannien besetzen sie den dritten Platz.
Besonders unbefriedigend ist die Situation in den USA. Mit der Tochter Voicestream rangieren die Deutschen auf Platz 6 (rund 6 Prozent Marktanteil). Selbst bei einem jährlichen Nettozuwachs von zwei Millionen Kunden kann Voicestream bis 2010 nur einen Marktanteil von 12 Prozent erreichen, kalkulieren die Analysten von WestLB Panmure.
Die Sanierer regieren
Sommer-Nachfolger Sihler, der höchstens bis Januar im Amt bleibt, kann die Weichen nicht umstellen. Erst der neue Chef wird entscheiden, was den gebeutelten T-Aktionären noch zuzumuten ist.
In nahezu allen Telefonfirmen haben jetzt die Sanierer das Sagen. Visionäre und Hasardeure wie Ron Sommer, Sir Peter Bonfield (BT) oder Paul Smits (KPN) mussten gehen, weil sie das Vertrauen der Geldgeber verspielt haben. Die Neuen auf den Chefsesseln müssen unbequeme Wahrheiten verkünden:
Eigentlich triviale Erkenntnisse. Nicht jedoch für die Telekommunikationsindustrie. Zwei, drei Jahre lang glaubten Sonnyboys wie Ron Sommer die Grundgesetze des Marktes aushebeln zu können.
Nun ist es Sache der Nachrücker, mit den bitteren Folgen der Überheblichkeit fertig zu werden. Sie werden umso erfolgreicher sein, je konsequenter sie ihre Geschäfte neu sortieren - nicht nach Maßgabe versponnener Selbstverwirklichungsträume, die irgendwo im fernen Amerika spielen. Die Zeit ist vorbei.
Was heute zählt, sind die Heimmärkte, die nahezu alle großen Telefonkonzerne bislang halten konnten. Die müssen sie stärken. Hier gilt es, noch viel heiße Luft abzulassen.
Vodafone
Konzept: Konsequente Globalisierung - Vodafone konzentrierte sich vom Start weg auf das Mobilfunkgeschäft. 1986, zwei Jahre nach der Gründung, war das Unternehmen bereits Marktführer in England. Der damalige Firmenchef Gerald Whent erwarb frühzeitig Funklizenzen und Beteiligungen im Ausland.
Umsetzung: Chris Gent, der 1997 die Leitung des Konzerns übernahm, setzte die Globalisierungsstrategie konsequent fort. Mit der Übernahme des US-Betreibers Airtouch (1999) sowie der Mannesmann AG (2000) formte er den größten Mobilfunkbetreiber der Welt mit derzeit über 103 Millionen Kunden in 28 Ländern.
Erfolgsaussicht: Im letzten Geschäftsjahr (31. 3.) wies Vodafone auf Grund hoher Abschreibungen einen Rekordverlust (vor Steuern) von 21,2 Milliarden Euro aus. Wegen der im Vergleich zu anderen Telekommunikationskonzernen geringen Verschuldung (18 Milliarden Euro) und der großen Präsenz im Markt ist das Unternehmen jedoch gut aufgestellt.
Deutsche Telekom
Konzept: Halbherzige Strategie - Der frühere Telekom-Vorstandschef Ron Sommer wollte aus dem Ex-Monopolisten einen Global Player formen. Alle vier Geschäftsbereiche des Unternehmens, Festnetz (T-Com), Mobilfunk (T-Mobile), Internet (T-Online) und IT-Lösungen (T-Systems), sollten international Flagge zeigen.
Umsetzung: Die Deutsche Telekom verzettelte sich mit zahlreichen Minderheitsbeteiligungen. Nur im Mobilfunk gelang es dem Konzern, ein nennenswertes Auslandsgeschäft aufzubauen. Vor allem der überteuerte Kauf der US-Mobilfunkfirma Voicestream verhinderte ein stärkeres Engagement der Telekom in Westeuropa.
Erfolgsaussicht: Die Telekom ist mit 64 Milliarden Euro verschuldet. Interimschef Sihler durchforstet jetzt das Portfolio. Gut möglich, dass T-Mobile in den USA mit einem Konkurrenten fusioniert. Erwogen wird auch der Verkauf von Geschäftsbereichen. Nur wenn es gelingt, die Schulden rasch abzubauen, bleibt die Telekom ein bedeutender Spieler.
AT&T
Konzept: Gescheiterte Integration - Nach der Deregulierung des amerikanischen Marktes 1996 sollte AT&T vom führenden US-Festnetzbetreiber zum integrierten Multimediakonzern umgebaut werden. CEO Armstrong wollte im Ortsnetz und im Mobilfunk, im Kabel-TV und im Internet mitmischen sowie ein globales Netzgeschäft betreiben.
Umsetzung: Armstrong kaufte für rund 100 Milliarden Dollar dutzende von Firmen, insbesondere Kabelgesellschaften. Die Versuche, das Kabel zu einem alternativen Telefonnetz umzurüsten, scheiterten an zu hohen Kosten. Der Versuch, zusammen mit British Telecom das globale Großkundengeschäft auszuweiten, schlug ebenfalls fehl.
Erfolgsaussicht: Im Jahr 2000 hatte AT&T 56 Milliarden Dollar Schulden angehäuft. Um die Last der Verbindlichkeiten zu reduzieren, zerlegte Armstrong den Konzern. Das Mobilfunkgeschäft (AT&T Wireless) wurde an der Börse platziert, die Kabelfernsehsparte an Comcast verkauft. Experten stufen AT&T nun als Übernahmekandidaten ein.
Folgekrise: Die Lage der Telko-Ausrüster
Euphorie: Die Deregulierung der Telekom-Märkte zu Beginn der 90er Jahre sowie der Internet- und Mobilfunkboom verführte die Ausrüster zu massiven Investitionen in neue Technologien - Glasfaser, Router, UMTS. Alle Hersteller stockten ihre Fertigungskapazitäten auf und akquirierten Start-up-Firmen zu Mondpreisen.
Absturz: Zahlreiche Telefongesellschaften häuften während des Börsenbooms der Jahre 1999 und 2000 einen gigantischen Schuldenberg an. Der Markt ist überbesetzt, nun gehen dutzende von Firmen Pleite. Viele Lieferanten, die ihren Kunden einen Teil des Netzausbaus vorfinanzierten, geraten unter Druck. Der Weltmarkt für Netzausstattung schrumpfte 2001 um sechs Prozent.
Verlierer: Besonders schlimm trifft es die amerikanischen Anbieter Lucent Technologies und Nortel. Der einstige Weltmarktführer Lucent wird 2003 wohl nur noch 40.000 Mitarbeiter beschäftigen - 2000 waren es 126.000. Auch in Europa müssen die Netzausrüster - Marconi, Alcatel, Siemens, Ericsson - zehntausende von Menschen entlassen.
Ausreißer: Nur zwei Konzerne haben das Blutbad relativ unbeschadet überstanden: Handy-Weltmarktführer Nokia und der US-Konzern Cisco, der die technische Infrastruktur für das Internet liefert.
Aussichten: Alle Telefongesellschaften kürzen ihre Investitionen. 2002 ist mit einem Rückgang der Infrastrukturinvestitionen um zehn Prozent zu rechnen. Möglicherweise steht Konzernen wie Lucent, Nortel und Ericsson das Schlimmste noch bevor.
Was kommt nach UMTS? Yrjö Neuvo, Technikchef des finnischen Mobilfunkriesen Nokia, wagt im Gespräch mit manager magazin einen Blick in die Zukunft der mobilen Telefonie.
mm: Herr Neuvo, Sie und Ihre Kollegen arbeiten bereits an der übernächsten Generation von Mobiltelefonen. Warum diese Eile? Bislang sind noch nicht einmal die neuen UMTS-Handys auf dem Markt.
Neuvo: Wir werden mit der vierten Generation, wir sprechen von 4G, wieder einen Wandel erleben. Die Bandbreite der Funknetze wird wesentlich größer sein, sodass Sie sogar Kinofilme ohne Ruckeln auf dem Handy ansehen können. Vielleicht werden die 4G-Handys einen dreidimensionalen Bildschirm haben. Im Labor entwickeln wir schon solche Technologien.
mm: Videos auf dreidimensionalen Handy-Bildschirmen sind eine Spielerei - aber keine technische Revolution.
Neuvo: Das sehe ich anders. Im Übrigen sind die Displays ja nur eine von vielen Neuerungen. Am wichtigsten ist, dass es künftig im Internet immer komplexere Angebote geben wird. Wir wollen Handys entwickeln, die all diese anspruchsvollen Services nutzen können.
mm: Aus dem Telefon wird ein mobiler Hochleistungscomputer?
Neuvo: So könnte man sagen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie wollen eine Reise nach Finnland machen. Sie geben in Ihr Handy ein, wann Sie an welchem Ort sein möchten, wo Sie angeln wollen. Die Software vergleicht dann verschiedene Web-Angebote und nennt Ihnen die passenden Flugzeiten, die besten Hotels und die schönsten Fischgewässer. Wenn Sie mit den Vorschlägen einverstanden sind, übernimmt der virtuelle Agent auch die Buchung für Sie. Viele dieser Anwendungen wird es auch schon mit UMTS geben.
mm: Wann können wir die ersten 4G-Handys kaufen?
Neuvo: Frühestens im Jahr 2010. Wir stecken wirklich noch in einem frühen Forschungsstadium.
mm: Wie viele Leute bei Nokia tüfteln an der übernächsten Handy-Generation?
Neuvo: Das kann ich nicht beziffern, weil sich Projekte überlappen. Insgesamt beschäftigen wir in Forschung und Entwicklung 19.000 Mitarbeiter, rund ein Drittel der gesamten Belegschaft. Unser Kapital sind nicht nur die Fabriken, sondern vor allem das Wissen unserer Leute. Wir gaben 2001 die Rekordsumme von drei Milliarden Euro für die Forschung aus, 16 Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Immer die Ersten sein
mm: Uns wundert, dass Nokia so einen Aufwand mit der Entwicklung künftiger Mobiltelefone treibt. Warum kümmern Sie sich nicht vordringlich um die zahlreichen Fehler der jetzigen Handys?
Neuvo: Sie spielen darauf an, dass der heutige GSM-Standard in Verbindung mit GPRS nicht richtig funktioniert?
mm: Ja, genau. Versuchen Sie doch mal, ein Foto von einem Handy auf ein anderes zu übertragen. Überall wird für diesen neuen Service die Werbetrommel gerührt, aber in der Praxis kommen die Bilder oftmals nicht an.
Neuvo: Ich gebe zu, dass die Industrie zu hohe Erwartungen geschürt hat. Leider haben noch nicht alle Mobilfunkbetreiber den neuen Bildservice eingeführt, und es gibt auch Probleme zwischen den Geräten verschiedener Hersteller. Es wird noch eine Weile dauern, bis wir europaweit Fotos verschicken können.
mm: Dennoch erzählen uns die Handy-Verkäufer, wir sollen uns für 700 Euro ein neues Gerät anschaffen. Und morgen erzählen Sie, dass wir für UMTS wieder ein anderes Handy brauchen. Uns scheint, Ihre Branche zieht den Kunden das Geld aus der Tasche.
Neuvo: Sie müssen doch nicht jeder Innovation nachrennen. Überspringen Sie einfach jede zweite Generation.
mm: Gute Idee. Wir könnten vielleicht auf die Anschaffung eines UMTS-Handys verzichten. Es gibt ohnehin genug Experten, die sagen, UMTS bringe nur einen geringen Zusatznutzen gegenüber den jetzigen Modellen.
Neuvo: Ach, das ist doch nicht wahr. Die Sprachqualität bei UMTS ist hervorragend, viel besser als im Festnetz. Auch die Bildqualität ist brillant. Und Sie können verschiedene Angebote gleichzeitig nutzen - etwa ein Bild auf dem Handy anschauen und gleichzeitig telefonieren.
mm: Bislang gibt es - entgegen allen Ankündigungen der Industrie - noch keine UMTS-Handys. Warum verzögert sich die Einführung?
Neuvo: Mal eines vorweg: Nokia liefert die ersten UMTS-Telefone am 26. September aus. Das bedeutet aber nicht, dass es in diesem Herbst mit UMTS richtig losgeht. Ich erwarte, dass es etwa zwei Jahre dauern wird, bis der Standard eingeführt ist.
Handys mit PC-Leistung
mm: Die Netzbetreiber behaupten, Firmen wie Nokia könnten bislang keine Geräte liefern, die problemlos zwischen den gegenwärtigen GSM-Netzen und UMTS umschalten können.
Neuvo: Wir haben dieses Problem bei unseren Handys gelöst. Als der GSM-Standard eingeführt wurde, frotzelten die Leute: GSM steht für "Gott, schick uns Mobiltelefone." Heute sind wir in einer ähnlichen Situation. Wir haben zwar die ersten UMTS-Handys, aber wir müssen warten, bis mehr UMTS-Netze aufgebaut sind und bis die Provider die nötigen Dienste anbieten. Erst dann können wir die Geräte wirklich testen.
mm: Warum sind die Tests so aufwändig?
Neuvo: Sie müssen sich klar machen, dass UMTS-Handys die komplexesten elektronischen Geräte sind, die wir jemals für den Massenmarkt entwickelt haben. Die Handys verfügen über die Rechenleistung eines Personalcomputers und funktionieren in mehreren Funknetzen. Obendrein erwarten die Konsumenten eine Batterieleistung von mehreren Tagen und einen farbigen, hochauflösenden Bildschirm. All diese Anforderungen soll ein Minigerät erfüllen, das in jede Jackentasche passt.
mm: Was Sie sagen klingt ganz danach, als müssten wir uns auf Geräte einstellen, die häufiger mal ihren Dienst versagen.
Neuvo: Wenn wir Sprache und Daten über Funk verschicken, ist die Fehlerhäufigkeit in der Tat zehnmal höher als bei der Übertragung durch Kabel. Wir verfügen über eine Software, die falsch übermittelte Daten rekonstruiert und die erkennt, welche Fehler sie ignorieren kann. Wie gut diese Software ist, wissen wir aber erst, wenn wir die Handys unter realistischen Bedingungen testen können.
mm: Zahlreiche Firmen, darunter Philips und Bosch, haben vor diesen Anforderungen kapituliert und sind aus der Handy-Produktion ausgestiegen. Wie viele Hersteller können sich den Aufwand, immer neue Gerätegenerationen zu entwickeln, noch leisten?
Neuvo: Es gibt heute 40 bis 50 Handy-Produzenten. In der Forschung aktiv werden künftig höchstens zehn Firmen sein, denn die Entwicklung eines UMTS-Handys verschlingt einige tausend Mannjahre.
mm: Entwickelt sich der Weltmarktführer Nokia zum Microsoft der Handy-Branche?
Neuvo: Diese Gefahr besteht in einer wettbewerbsintensiven Industrie wie unserer nicht. Eines haben wir allerdings mit Microsoft gemein: Wir wollen immer die Ersten sein.
Der Technikerchef
Heimat: Yrjö Neuvo wurde 1943 in Finnland geboren.
Karriere: Der promovierte Ingenieur arbeitete bis 1992 in Wissenschaft und Lehre. Mit seinen Forschungsprojekten erwarb er sich internationales Renommee, in Finnland gilt er als Technikerlegende.
Position: 1993 wechselte Neuvo zu Nokia. Er ist jetzt als Vorstandsmitglied für die Techik zuständig.
Bescheidenheit: Neuvo besitzt ein Millionenvermögen, dennoch fährt er jeden Tag, selbst im kalten finnischen Winter, mit dem Fahrrad in die Nokia-Zentrale nahe Helsinki.
Leidenschaft: Er hat stets schwarze Ränder unter den Fingernägeln, weil er jede freie Minute für Arbeiten im weitläufigen Garten seines Sommerhauses nutzt. Bäume fällen und Holz hacken gehören zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Außerdem sammelt er Traktoren.
Familie: Neuvo ist verheiratet und hat eine Tochter und zwei Söhne.
Der Konzern
Holz und Gummi: 1865 gründete der Finne Fredrik Idestam eine Zellstofffabrik. Nach dem Ersten Weltkrieg begann Nokia mit der Produktion von Kabeln, Gummistiefeln und Reifen.
Bits und Bytes: In den 60er und 70er Jahren entwickelte Nokia Computer und Telefonanlagen. Unter Druck gerieten die Finnen Ende der 80er Jahre, als sie europaweit TV-Geräte-Hersteller aufkauften.
Ende und Neuanfang: Jorma Ollila schafft von 1992 an die Wende. Er formte Nokia zu einem Telekommunikationskonzern um, der heute weltgrößter Handy-Hersteller ist.
----> Die Zukunft beginnt heute: Mobile Dienste im Überblick
Über Jahre hinweg war die Telefongesellschaft Sonera ein Geheimtipp für Insider. Ein kleines, unbedeutendes Unternehmen aus Finnland - kaum einer nahm die putzige Firma zur Kenntnis.
Schlagartig, am 17. August 2000, wurde Sonera zum Star. Für über 3,6 Milliarden Euro erwarb der Winzling aus dem Norden Anteile an der deutschen UMTS-Lizenz. Der mobile Feldzug in Europa schien gesichert.
Aus der Traum. Im Juli dieses Jahres verabschiedete sich Sonera-Chef Harri Koponen von seinen hochfliegenden Plänen und schrieb die Lizenzen im Hauruck-Verfahren ab. Der deutsche Mobilfunkneuling Quam (Werbespruch: "I have a dream"), an dem der finnische Telefonkonzern mit 42,8 Prozent beteiligt ist, schloss seine Läden in den Nobellagen deutscher Großstädte - acht Monate nach dem Start.
Nicht nur Sonera, die gesamte Telekommunikationsindustrie bangt ums Überleben. In nur zwei Jahren hat die einstige Boombranche dreistellige Milliardenbeträge verbrannt und horrende Schulden angehäuft. Allein die fünf größten europäischen Telefongesellschaften weisen Verbindlichkeiten in Höhe von 190 Milliarden Euro auf.
Seit Anfang 2001 sind weltweit rund 30 Netzbetreiber in Konkurs gegangen - darunter Hoffnungsträger wie Carrier 1, Global Crossing und RSL Com. Insolvenzen und dreiste Bilanzfälschungen à la Worldcom haben das Vertrauen der Investoren in die vermeintlichen Wachstumswerte nachhaltig erschüttert.
Die Folgen der Pleiten sind katastrophal. Zahlreiche Lieferanten von Telefonausrüstung, wie Branchenführer Lucent Technologies und der schwedische Konzern Ericsson , müssen mangels Aufträgen zehntausende von Arbeitsplätzen abbauen. "Die Lage ist unglaublich düster", bekennt Ericsson-CEO Kurt Hellström.
Nach der Begeisterung nun die Ernüchterung. Ex-Monopolisten wie die Deutsche Telekom und France Télécom werden auf Jahre hinaus Milliardenverluste ausweisen, müssen sparen, sparen, sparen. British Telecom und AT&T sahen sich bereits gezwungen, wichtige Geschäftsbereiche zu verscherbeln, um ihre Kreditwürdigkeit zu erhalten.
Ohne Not hat sich die Branche durch teure Zukäufe, UMTS-Wahn und überzogene Wachstumsprognosen ins Abseits manövriert. Plötzlich ringen die Konzernlenker um Antworten auf zukunftsentscheidende Fragen:
- Können die ehrgeizigen Globalisierungspläne weiter verfolgt werden?
- Wie lässt sich der dramatische Preisverfall im weltweiten Netzgeschäft auffangen?
- Werden sich die teuer ersteigerten UMTS-Lizenzen jemals rechnen?
- Was gehört zum unverzichtbaren Kerngeschäft eines Telefonkonzerns?
Es gibt keine Tabus mehr - auch bei der Deutschen Telekom nicht. "Bei uns steht alles auf dem Prüfstand", verkündete Interims-Vorstandschef Helmut Sihler Ende August. Sein vorrangiges Ziel: "Das Unternehmen muss wieder handlungsfähig
werden."
In der Schuldenfalle
Ron Sommer hat ein schlimmes Erbe hinterlassen. Nur das traditionelle Festnetzgeschäft der Telekom (die Sparte T-Com) schreibt schwarze Zahlen. Alle anderen Geschäftsfelder (T-Mobile, T-Online, T-Systems) sind teure Kostgänger.
Allein der Kauf des US-Mobilfunkbetreibers Voicestream für 35 Milliarden Euro steigerte die Verbindlichkeiten des Unternehmens auf derzeit 64 Milliarden Euro. Mit dem US-Einstieg beraubte sich der T-Konzern jeder Chance, sein Portfolio aufzustocken. So konnten es sich die Deutschen im vergangenen Jahr nicht leisten, beim Nachbarn Telekom Austria einzusteigen.
Reihum stecken die Telekommunikationsmanager in der Schuldenfalle. Sie haben sich mit Mega-Akquisitionen verhoben.
Beispiel France Télécom: Der Erwerb der Mobilfunkgesellschaft Orange für 43 Milliarden Euro ließ die Schulden des Staatskonzerns auf einen Rekordstand von 63 Milliarden Euro anschwellen. Jetzt fehlen France-Télécom-Lenker Michel Bon die Mittel, um das UMTS-Netz seiner deutschen Beteiligung Mobilcom auszubauen.
Firmenkäufe um fast jeden Preis sind nur eine Ursache des Desasters. Verschärft werden die Probleme durch die Tatsache, dass die Telefonbetreiber den fantastischen Prognosen über die Zunahme des weltweiten Datenverkehrs vertrauten und wie besessen in weltweite Netze investierten.
Zwischen 1997 und 2000 verdreifachten sich die Infrastrukturausgaben von 23 europäischen und amerikanischen Konzernen von 68 auf 185 Milliarden Euro, errechnete die Unternehmensberatung Mercer Management Consulting.
Die Folge des Netzbooms: enorme Überkapazitäten und ein dramatischer Preisverfall. Klaus von den Hoff, Partner bei Mercer, schätzt, dass die Kapazitäten der Datenleitungen gegenwärtig nur noch zu einem Drittel ausgelastet sind.
Überschuldung und Überangebot - das hätte schon ausgereicht, die Branche ins Schlingern zu bringen. Die Herren der Telefone setzten noch eins drauf. Die Versteigerung von UMTS-Lizenzen in Deutschland und Großbritannien (Gesamterlös: 89,1 Milliarden Euro) belastet die europäischen Telefonnetzbetreiber auf Jahre hinaus. Den Lizenz- und Aufbaukosten für die UMTS-Netze stehen frühestens ab 2005 spürbare Einnahmen gegenüber.
Plötzlich sind aus den Zauberworten Globalisierung, E-Commerce und UMTS Begriffe geworden, die Angst einflößen. Die neuen Schlagwörter heißen: desinvestieren, konsolidieren und fokussieren.
Rauhe Zeiten für die Handy-Branche
Der Sparkurs trifft alle Bereiche der Telekommunikation, vom Festnetz bis zum Mobilfunk. Gleichwohl ist es die Handy-Branche, die sich auf besonders raue Zeiten einstellen muss. Mit jährlichen Wachstumsraten von bis zu 50 Prozent hatte sich die Funktelefonie in der vergangenen Dekade zum Turbo entwickelt.
Jetzt das unfreiwillige Bremsmanöver: Erstmals in der Geschichte der Mobilfunkindustrie sank 2001 die Anzahl der verkauften Handys. Sie lag mit knapp 400 Millionen Geräten um 3,2 Prozent unter dem Vorjahr.
Die europäischen Mobilfunkmärkte nähern sich der Sättigungsgrenze, die Durchdringungsrate liegt bei 60 bis 90 Prozent. Jürgen von Kuczkowski, Deutschland-Chef von Vodafone , rechnet für die nächsten Jahre nur noch mit einstelligen Wachstumsraten.
Selbst diese mageren Zuwächse gilt es mühsam zu erkämpfen. Wie schwierig es ist, neue (und teure) Multimedia-Handys unters Volk zu bringen, zeigt die Einführung des Datendienstes i-mode in Deutschland. Pionier E-Plus, der im Frühjahr den UMTS-Vorläuferdienst startete, zählte Ende August gerade einmal 100.000 i-mode-Kunden.
Dem aufdringlichen Werben der Mobilfunkbetreiber mit Akronymen wie WAP, GPRS und MMS stehen bescheidene Ergebnisse gegenüber. So nutzten im August nur 200.000 der rund 21,5 Millionen Vodafone-Kunden in Deutschland den Datendienst GPRS. Marktführer T-Mobile gibt erst gar keine aktuellen Zahlen für die neuen Datenservices bekannt.
Die mäßige Akzeptanz mobiler Internet-Dienste verheißt nichts Gutes für UMTS. Da ist es kein Wunder, dass die Mobilfunkbetreiber die Inbetriebnahme der neuen Netze weiter ins nächste Jahr verschieben.
Es mangelt sowohl an überzeugenden Geschäftsmodellen als auch an funktionierender Soft- und Hardware: Die Abrechnungssysteme sind instabil. Und bislang bietet noch kein Handy-Hersteller ein UMTS-Gerät zum Kauf an - die technischen Herausforderungen sind komplexer, als ursprünglich gedacht.
Vage Zukunftsaussichten, gebremstes Wachstum und flaues Börsenklima zwingen die Konzernchefs, sich nolens volens auf die alten Tugenden zu besinnen - den Wert ihrer Unternehmen zu mehren. Nur: Mit welchen Geschäften lässt sich auf Dauer Geld verdienen?
Der Druck der Finanzmärkte
"Die Telefonfirmen erzielen typischerweise mit 10 Prozent ihrer Produkte rund 90 Prozent ihres Umsatzes", sagt David Dean von der Unternehmensberatung Boston Consulting Group. "Die restlichen 90 Prozent der Produkte sind potenzielle Wertvernichter."
Wie etwa der 0700-Dienst der Deutschen Telekom: T-Kunden können sich lebenslang eine ortsunabhängige Telefonnummer sichern. Die Einheitsnummer reist bei jedem Umzug innerhalb Deutschlands mit. Eine hübsche Idee, doch das mit großem Softwareaufwand entwickelte Angebot findet am Markt kaum Beachtung.
Ebenfalls an ihren Interessen vorbei agierten die Mobilfunkbetreiber, als sie im Frühjahr 2000 die Prepaid-Offensive starteten. T-Mobile hatte als erster Anbieter die Idee, den Kunden eine Telefonkarte zu verkaufen und das zugehörige Handy fast zu verschenken. Die Konkurrenz musste nachziehen. Heute ärgert sich Vodafone-Deutschland-Chef von Kuczkowski: "Wir haben an jedes Gerät mindestens einen 200-Mark-Schein geklebt."
Das Ergebnis der Aktion: Explodierenden Teilnehmerzahlen standen hohe Kunden-Akquisitionskosten gegenüber. Zudem stellte sich heraus, dass Prepaid-Nutzer wenig telefonieren - mithin verursachten sie für die Betreiber im Schnitt mehr Aufwand als Erlös. Immerhin hat die Branche aus dem Desaster gelernt. Sie offeriert zwar noch Prepaid-Angebote, aber die massiven Handy-Subventionen sind abgeschafft.
Der Stopp unrentabler Angebote allein kann die Probleme der Telefongesellschaften indes nicht lösen. Zu hoch sind die Konzerne verschuldet, zu groß ist der Druck der Finanzmärkte, die Kosten nachhaltig zu senken. Da helfen nur noch tiefe Schnitte.
Radikal wie immer setzen angloamerikanische Unternehmen das Messer an. So hat sich die führende US-Telefongesellschaft AT&T von der Vision eines integrierten Telefonkonzerns verabschiedet. Das Konzept, Ortsgespräche und Mobilfunk, Kabelfernsehen und Internet gleichzeitig anzubieten, wurde verworfen. AT&T konzentriert sich wieder auf das klassische Festnetzgeschäft in den USA sowie auf die Bedienung multinational agierender Unternehmen.
Auch British Telecom (BT) musste sich von zahlreichen Geschäften trennen. Um die erdrückende Schuldenlast zu minimieren, stieß der Konzern sogar sein Mobilfunknetz ab. Mittlerweile ist von BT nicht viel mehr geblieben als ein nationaler Festnetzbetreiber. Zurück zu den Wurzeln der Steinzeittelefonie.
Den Traum vom Global Player, dem alle Telekom-Chefs in den wilden Neunzigern nachhingen, hat weltweit nur ein Konzern umgesetzt: der britische Mobilfunker Vodafone. Doch Mannesmann-Aufkäufer Chris Gent hat die schwierigste Aufgabe noch vor sich: Er muss aus der schieren Größe seines Mobile Empire handfeste Vorteile und Synergien herausholen.
Wer überlebt das Drama am Telekommunikationsmarkt? Haben spezialisierte Anbieter wie Vodafone bessere Chancen als integrierte Konzerne wie die Deutsche Telekom, die viele Teilmärkte bedienen?
Die Bedeutung des Festnetzgeschäfts
"Das Gerede von den Vorteilen integrierter Konzerne ist nur Marketinggewäsch", behauptet Vodafone-Manager Kuczkowski. Seine Erfahrung: Jahrelang hat sich Mannesmann Mobilfunk (D2) bemüht, auch Festnetzanschlüsse der Konzerntochter Arcor zu verkaufen. Vergeblich. "Die Kunden suchen sich wie bei Versicherungen bei jeder Offerte den besten Anbieter", sagt von Kuczkowski.
Was aber tun, wenn die große Nummer mit der Integration nicht läuft? Auf welche Geschäftsfelder sollen sich die Konzerne künftig konzentrieren?
Vielleicht auf das Naheliegende. Unbestritten ist die Bedeutung des Festnetzgeschäfts. Alle Ex-Monopolisten haben nach wie vor einen nahezu exklusiven Zugang zu den Ortsnetzen, der ihnen stete Einnahmen aus fixen Anschlussgebühren sichert. Mit neuen Angeboten wie dem Breitbandanschluss DSL können die Konzerne ihr Quasimonopol verteidigen.
Aber nicht auf dem heutigen Kostenniveau. Untersuchungen der Boston Consulting Group bei europäischen Telefonfirmen haben ergeben, dass die Kapitalproduktivität der vorhandenen Netz- und IT-Plattformen um mindestens ein Viertel erhöht werden kann. Das heißt: abspecken. Allein im Festnetz (T-Com) beschäftigt die Telekom fast 117.000 Mitarbeiter - nach internen Berechnungen 20.000 Menschen zu viel.
Im Handy-Geschäft findet der Kehraus bereits statt. Nach Einschätzung zahlreicher Experten rechnen sich Auslandsengagements im Mobilfunk nur ab einem Marktanteil von 20 bis 25 Prozent. Folglich haben sich mehrere US-Firmen von ihren europäischen Beteiligungen getrennt und konzentrieren sich wieder auf ihre Heimmärkte.
Nur Vodafone kann die Muskeln spielen lassen. In 13 westeuropäischen Ländern halten die Briten die Position des größten oder zweitgrößten Mobilfunkanbieters.
Ganz anders der selbst ernannte Global Player T-Mobile. In Deutschland steht die Telekom-Tochter zwar an der Spitze, und auch in Osteuropa hat sich der Konzern ein komfortables Polster an aussichtsreichen Mobilfunkbeteiligungen geschaffen. In Österreich hingegen sind die Deutschen nur zweitgrößter Anbieter, in Großbritannien besetzen sie den dritten Platz.
Besonders unbefriedigend ist die Situation in den USA. Mit der Tochter Voicestream rangieren die Deutschen auf Platz 6 (rund 6 Prozent Marktanteil). Selbst bei einem jährlichen Nettozuwachs von zwei Millionen Kunden kann Voicestream bis 2010 nur einen Marktanteil von 12 Prozent erreichen, kalkulieren die Analysten von WestLB Panmure.
Die Sanierer regieren
Sommer-Nachfolger Sihler, der höchstens bis Januar im Amt bleibt, kann die Weichen nicht umstellen. Erst der neue Chef wird entscheiden, was den gebeutelten T-Aktionären noch zuzumuten ist.
In nahezu allen Telefonfirmen haben jetzt die Sanierer das Sagen. Visionäre und Hasardeure wie Ron Sommer, Sir Peter Bonfield (BT) oder Paul Smits (KPN) mussten gehen, weil sie das Vertrauen der Geldgeber verspielt haben. Die Neuen auf den Chefsesseln müssen unbequeme Wahrheiten verkünden:
- Globalisierung rechnet sich nur, wenn das Unternehmen auch im Ausland eine führende Marktposition aufbauen kann.
- Der Abbau der Verbindlichkeiten hat höchste Priorität, um das Kreditranking der Konzerne zu verbessern und die Zinslasten zu minimieren.
- Die laufenden Kosten, insbesondere im traditionellen Festnetzgeschäft, müssen schneller gesenkt werden als bisher geschehen.
- Die Einführung neuer Produkte und Dienste lohnt sich nur, wenn sie auf Sicht profitabel sind.
Eigentlich triviale Erkenntnisse. Nicht jedoch für die Telekommunikationsindustrie. Zwei, drei Jahre lang glaubten Sonnyboys wie Ron Sommer die Grundgesetze des Marktes aushebeln zu können.
Nun ist es Sache der Nachrücker, mit den bitteren Folgen der Überheblichkeit fertig zu werden. Sie werden umso erfolgreicher sein, je konsequenter sie ihre Geschäfte neu sortieren - nicht nach Maßgabe versponnener Selbstverwirklichungsträume, die irgendwo im fernen Amerika spielen. Die Zeit ist vorbei.
Was heute zählt, sind die Heimmärkte, die nahezu alle großen Telefonkonzerne bislang halten konnten. Die müssen sie stärken. Hier gilt es, noch viel heiße Luft abzulassen.
Perspektiven: Die großen Telekom-Imperien im Überblick
Vodafone
Konzept: Konsequente Globalisierung - Vodafone konzentrierte sich vom Start weg auf das Mobilfunkgeschäft. 1986, zwei Jahre nach der Gründung, war das Unternehmen bereits Marktführer in England. Der damalige Firmenchef Gerald Whent erwarb frühzeitig Funklizenzen und Beteiligungen im Ausland.
Umsetzung: Chris Gent, der 1997 die Leitung des Konzerns übernahm, setzte die Globalisierungsstrategie konsequent fort. Mit der Übernahme des US-Betreibers Airtouch (1999) sowie der Mannesmann AG (2000) formte er den größten Mobilfunkbetreiber der Welt mit derzeit über 103 Millionen Kunden in 28 Ländern.
Erfolgsaussicht: Im letzten Geschäftsjahr (31. 3.) wies Vodafone auf Grund hoher Abschreibungen einen Rekordverlust (vor Steuern) von 21,2 Milliarden Euro aus. Wegen der im Vergleich zu anderen Telekommunikationskonzernen geringen Verschuldung (18 Milliarden Euro) und der großen Präsenz im Markt ist das Unternehmen jedoch gut aufgestellt.
Deutsche Telekom
Konzept: Halbherzige Strategie - Der frühere Telekom-Vorstandschef Ron Sommer wollte aus dem Ex-Monopolisten einen Global Player formen. Alle vier Geschäftsbereiche des Unternehmens, Festnetz (T-Com), Mobilfunk (T-Mobile), Internet (T-Online) und IT-Lösungen (T-Systems), sollten international Flagge zeigen.
Umsetzung: Die Deutsche Telekom verzettelte sich mit zahlreichen Minderheitsbeteiligungen. Nur im Mobilfunk gelang es dem Konzern, ein nennenswertes Auslandsgeschäft aufzubauen. Vor allem der überteuerte Kauf der US-Mobilfunkfirma Voicestream verhinderte ein stärkeres Engagement der Telekom in Westeuropa.
Erfolgsaussicht: Die Telekom ist mit 64 Milliarden Euro verschuldet. Interimschef Sihler durchforstet jetzt das Portfolio. Gut möglich, dass T-Mobile in den USA mit einem Konkurrenten fusioniert. Erwogen wird auch der Verkauf von Geschäftsbereichen. Nur wenn es gelingt, die Schulden rasch abzubauen, bleibt die Telekom ein bedeutender Spieler.
AT&T
Konzept: Gescheiterte Integration - Nach der Deregulierung des amerikanischen Marktes 1996 sollte AT&T vom führenden US-Festnetzbetreiber zum integrierten Multimediakonzern umgebaut werden. CEO Armstrong wollte im Ortsnetz und im Mobilfunk, im Kabel-TV und im Internet mitmischen sowie ein globales Netzgeschäft betreiben.
Umsetzung: Armstrong kaufte für rund 100 Milliarden Dollar dutzende von Firmen, insbesondere Kabelgesellschaften. Die Versuche, das Kabel zu einem alternativen Telefonnetz umzurüsten, scheiterten an zu hohen Kosten. Der Versuch, zusammen mit British Telecom das globale Großkundengeschäft auszuweiten, schlug ebenfalls fehl.
Erfolgsaussicht: Im Jahr 2000 hatte AT&T 56 Milliarden Dollar Schulden angehäuft. Um die Last der Verbindlichkeiten zu reduzieren, zerlegte Armstrong den Konzern. Das Mobilfunkgeschäft (AT&T Wireless) wurde an der Börse platziert, die Kabelfernsehsparte an Comcast verkauft. Experten stufen AT&T nun als Übernahmekandidaten ein.
Folgekrise: Die Lage der Telko-Ausrüster
Euphorie: Die Deregulierung der Telekom-Märkte zu Beginn der 90er Jahre sowie der Internet- und Mobilfunkboom verführte die Ausrüster zu massiven Investitionen in neue Technologien - Glasfaser, Router, UMTS. Alle Hersteller stockten ihre Fertigungskapazitäten auf und akquirierten Start-up-Firmen zu Mondpreisen.
Absturz: Zahlreiche Telefongesellschaften häuften während des Börsenbooms der Jahre 1999 und 2000 einen gigantischen Schuldenberg an. Der Markt ist überbesetzt, nun gehen dutzende von Firmen Pleite. Viele Lieferanten, die ihren Kunden einen Teil des Netzausbaus vorfinanzierten, geraten unter Druck. Der Weltmarkt für Netzausstattung schrumpfte 2001 um sechs Prozent.
Verlierer: Besonders schlimm trifft es die amerikanischen Anbieter Lucent Technologies und Nortel. Der einstige Weltmarktführer Lucent wird 2003 wohl nur noch 40.000 Mitarbeiter beschäftigen - 2000 waren es 126.000. Auch in Europa müssen die Netzausrüster - Marconi, Alcatel, Siemens, Ericsson - zehntausende von Menschen entlassen.
Ausreißer: Nur zwei Konzerne haben das Blutbad relativ unbeschadet überstanden: Handy-Weltmarktführer Nokia und der US-Konzern Cisco, der die technische Infrastruktur für das Internet liefert.
Aussichten: Alle Telefongesellschaften kürzen ihre Investitionen. 2002 ist mit einem Rückgang der Infrastrukturinvestitionen um zehn Prozent zu rechnen. Möglicherweise steht Konzernen wie Lucent, Nortel und Ericsson das Schlimmste noch bevor.
Wie wir 2010 telefonieren
Was kommt nach UMTS? Yrjö Neuvo, Technikchef des finnischen Mobilfunkriesen Nokia, wagt im Gespräch mit manager magazin einen Blick in die Zukunft der mobilen Telefonie.
mm: Herr Neuvo, Sie und Ihre Kollegen arbeiten bereits an der übernächsten Generation von Mobiltelefonen. Warum diese Eile? Bislang sind noch nicht einmal die neuen UMTS-Handys auf dem Markt.
Neuvo: Wir werden mit der vierten Generation, wir sprechen von 4G, wieder einen Wandel erleben. Die Bandbreite der Funknetze wird wesentlich größer sein, sodass Sie sogar Kinofilme ohne Ruckeln auf dem Handy ansehen können. Vielleicht werden die 4G-Handys einen dreidimensionalen Bildschirm haben. Im Labor entwickeln wir schon solche Technologien.
mm: Videos auf dreidimensionalen Handy-Bildschirmen sind eine Spielerei - aber keine technische Revolution.
Neuvo: Das sehe ich anders. Im Übrigen sind die Displays ja nur eine von vielen Neuerungen. Am wichtigsten ist, dass es künftig im Internet immer komplexere Angebote geben wird. Wir wollen Handys entwickeln, die all diese anspruchsvollen Services nutzen können.
mm: Aus dem Telefon wird ein mobiler Hochleistungscomputer?
Neuvo: So könnte man sagen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie wollen eine Reise nach Finnland machen. Sie geben in Ihr Handy ein, wann Sie an welchem Ort sein möchten, wo Sie angeln wollen. Die Software vergleicht dann verschiedene Web-Angebote und nennt Ihnen die passenden Flugzeiten, die besten Hotels und die schönsten Fischgewässer. Wenn Sie mit den Vorschlägen einverstanden sind, übernimmt der virtuelle Agent auch die Buchung für Sie. Viele dieser Anwendungen wird es auch schon mit UMTS geben.
mm: Wann können wir die ersten 4G-Handys kaufen?
Neuvo: Frühestens im Jahr 2010. Wir stecken wirklich noch in einem frühen Forschungsstadium.
mm: Wie viele Leute bei Nokia tüfteln an der übernächsten Handy-Generation?
Neuvo: Das kann ich nicht beziffern, weil sich Projekte überlappen. Insgesamt beschäftigen wir in Forschung und Entwicklung 19.000 Mitarbeiter, rund ein Drittel der gesamten Belegschaft. Unser Kapital sind nicht nur die Fabriken, sondern vor allem das Wissen unserer Leute. Wir gaben 2001 die Rekordsumme von drei Milliarden Euro für die Forschung aus, 16 Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Immer die Ersten sein
mm: Uns wundert, dass Nokia so einen Aufwand mit der Entwicklung künftiger Mobiltelefone treibt. Warum kümmern Sie sich nicht vordringlich um die zahlreichen Fehler der jetzigen Handys?
Neuvo: Sie spielen darauf an, dass der heutige GSM-Standard in Verbindung mit GPRS nicht richtig funktioniert?
mm: Ja, genau. Versuchen Sie doch mal, ein Foto von einem Handy auf ein anderes zu übertragen. Überall wird für diesen neuen Service die Werbetrommel gerührt, aber in der Praxis kommen die Bilder oftmals nicht an.
Neuvo: Ich gebe zu, dass die Industrie zu hohe Erwartungen geschürt hat. Leider haben noch nicht alle Mobilfunkbetreiber den neuen Bildservice eingeführt, und es gibt auch Probleme zwischen den Geräten verschiedener Hersteller. Es wird noch eine Weile dauern, bis wir europaweit Fotos verschicken können.
mm: Dennoch erzählen uns die Handy-Verkäufer, wir sollen uns für 700 Euro ein neues Gerät anschaffen. Und morgen erzählen Sie, dass wir für UMTS wieder ein anderes Handy brauchen. Uns scheint, Ihre Branche zieht den Kunden das Geld aus der Tasche.
Neuvo: Sie müssen doch nicht jeder Innovation nachrennen. Überspringen Sie einfach jede zweite Generation.
mm: Gute Idee. Wir könnten vielleicht auf die Anschaffung eines UMTS-Handys verzichten. Es gibt ohnehin genug Experten, die sagen, UMTS bringe nur einen geringen Zusatznutzen gegenüber den jetzigen Modellen.
Neuvo: Ach, das ist doch nicht wahr. Die Sprachqualität bei UMTS ist hervorragend, viel besser als im Festnetz. Auch die Bildqualität ist brillant. Und Sie können verschiedene Angebote gleichzeitig nutzen - etwa ein Bild auf dem Handy anschauen und gleichzeitig telefonieren.
mm: Bislang gibt es - entgegen allen Ankündigungen der Industrie - noch keine UMTS-Handys. Warum verzögert sich die Einführung?
Neuvo: Mal eines vorweg: Nokia liefert die ersten UMTS-Telefone am 26. September aus. Das bedeutet aber nicht, dass es in diesem Herbst mit UMTS richtig losgeht. Ich erwarte, dass es etwa zwei Jahre dauern wird, bis der Standard eingeführt ist.
Handys mit PC-Leistung
mm: Die Netzbetreiber behaupten, Firmen wie Nokia könnten bislang keine Geräte liefern, die problemlos zwischen den gegenwärtigen GSM-Netzen und UMTS umschalten können.
Neuvo: Wir haben dieses Problem bei unseren Handys gelöst. Als der GSM-Standard eingeführt wurde, frotzelten die Leute: GSM steht für "Gott, schick uns Mobiltelefone." Heute sind wir in einer ähnlichen Situation. Wir haben zwar die ersten UMTS-Handys, aber wir müssen warten, bis mehr UMTS-Netze aufgebaut sind und bis die Provider die nötigen Dienste anbieten. Erst dann können wir die Geräte wirklich testen.
mm: Warum sind die Tests so aufwändig?
Neuvo: Sie müssen sich klar machen, dass UMTS-Handys die komplexesten elektronischen Geräte sind, die wir jemals für den Massenmarkt entwickelt haben. Die Handys verfügen über die Rechenleistung eines Personalcomputers und funktionieren in mehreren Funknetzen. Obendrein erwarten die Konsumenten eine Batterieleistung von mehreren Tagen und einen farbigen, hochauflösenden Bildschirm. All diese Anforderungen soll ein Minigerät erfüllen, das in jede Jackentasche passt.
mm: Was Sie sagen klingt ganz danach, als müssten wir uns auf Geräte einstellen, die häufiger mal ihren Dienst versagen.
Neuvo: Wenn wir Sprache und Daten über Funk verschicken, ist die Fehlerhäufigkeit in der Tat zehnmal höher als bei der Übertragung durch Kabel. Wir verfügen über eine Software, die falsch übermittelte Daten rekonstruiert und die erkennt, welche Fehler sie ignorieren kann. Wie gut diese Software ist, wissen wir aber erst, wenn wir die Handys unter realistischen Bedingungen testen können.
mm: Zahlreiche Firmen, darunter Philips und Bosch, haben vor diesen Anforderungen kapituliert und sind aus der Handy-Produktion ausgestiegen. Wie viele Hersteller können sich den Aufwand, immer neue Gerätegenerationen zu entwickeln, noch leisten?
Neuvo: Es gibt heute 40 bis 50 Handy-Produzenten. In der Forschung aktiv werden künftig höchstens zehn Firmen sein, denn die Entwicklung eines UMTS-Handys verschlingt einige tausend Mannjahre.
mm: Entwickelt sich der Weltmarktführer Nokia zum Microsoft der Handy-Branche?
Neuvo: Diese Gefahr besteht in einer wettbewerbsintensiven Industrie wie unserer nicht. Eines haben wir allerdings mit Microsoft gemein: Wir wollen immer die Ersten sein.
Im Profil - der Technikchef und sein Konzern
Der Technikerchef
Heimat: Yrjö Neuvo wurde 1943 in Finnland geboren.
Karriere: Der promovierte Ingenieur arbeitete bis 1992 in Wissenschaft und Lehre. Mit seinen Forschungsprojekten erwarb er sich internationales Renommee, in Finnland gilt er als Technikerlegende.
Position: 1993 wechselte Neuvo zu Nokia. Er ist jetzt als Vorstandsmitglied für die Techik zuständig.
Bescheidenheit: Neuvo besitzt ein Millionenvermögen, dennoch fährt er jeden Tag, selbst im kalten finnischen Winter, mit dem Fahrrad in die Nokia-Zentrale nahe Helsinki.
Leidenschaft: Er hat stets schwarze Ränder unter den Fingernägeln, weil er jede freie Minute für Arbeiten im weitläufigen Garten seines Sommerhauses nutzt. Bäume fällen und Holz hacken gehören zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Außerdem sammelt er Traktoren.
Familie: Neuvo ist verheiratet und hat eine Tochter und zwei Söhne.
Der Konzern
Holz und Gummi: 1865 gründete der Finne Fredrik Idestam eine Zellstofffabrik. Nach dem Ersten Weltkrieg begann Nokia mit der Produktion von Kabeln, Gummistiefeln und Reifen.
Bits und Bytes: In den 60er und 70er Jahren entwickelte Nokia Computer und Telefonanlagen. Unter Druck gerieten die Finnen Ende der 80er Jahre, als sie europaweit TV-Geräte-Hersteller aufkauften.
Ende und Neuanfang: Jorma Ollila schafft von 1992 an die Wende. Er formte Nokia zu einem Telekommunikationskonzern um, der heute weltgrößter Handy-Hersteller ist.
----> Die Zukunft beginnt heute: Mobile Dienste im Überblick