Aktien kaufen und Schlaftabletten nehmen? „Ja. Mindestens zwei Röhrchen", scherzen Börsianer, denen nach jahrelanger Baisse nichts als Galgenhumor geblieben ist. Der Rat von Altmeister Kostolany hat ausgedient. „Die Anleger müssen flexibler sein, permanent ihre Positionierung überprüfen", sagt Kai Franke, Leiter Investment Research der BHF-Bank. „Timing ist die Devise statt 'buy and hold' wie in den 90ern." Globalisierung, Terror, Kriegsängste und Konjunkturschwäche fordern ihren Tribut: Die Schwankungsbreite der Märkte, abzulesen am Volatilitätsindikator V-Dax, hält sich seit Monaten auf einem Niveau, das weit über dem langfristigen Schnitt von etwa 25 liegt.
Werden die extremen Schwankungen an den Kapitalmärkten zum Dauerzustand? „Zu den Niveaus aus den 70ern werden wir jedenfalls kaum wieder zurückkehren", vermutet Wieland Staud, Technischer Analyst bei Staud Research. „Dafür hat sich die Zahl der Marktteilnehmer und damit die Zahl der unterschiedlichen Meinungen zu stark erhöht." Doch auch die Flut der mit dem Siegeszug des Internet praktisch für jedermann verfügbaren Informationen ist ein Grund für die gestiegene Volatilität. „Je mehr Infos auf den Anleger einstürzen, desto mehr Transaktionen und folglich höhere Schwankungen wird das auch nach sich ziehen", sagt Olaf Stotz, Geschäftsführer des Aachener Forschungsinstituts für Asset Management. Ein weiterer Faktor, so Stotz, sei die fortschreitende Konzentration vieler Konzerne auf ihr Kerngeschäft. „Das macht die Ergebnisse und damit auch die Kurse anfälliger gegenüber Schwankungen in der Industrie", sagt Stotz.
In die aktuellen Höhen treiben den auch „Angstbarometer" genannten V-Dax aber vor allem kurzfristige Ereignisse. „Die lahmende Weltkonjunktur, der Irak-Krieg, möglicher neuer Terror und die Strukturprobleme in Deutschland sind ein bisher einzigartiges Gemisch, das extreme Ängste schürt", sagt Stotz. Zumindest die Gefahr neuen Terrors dürfte als Damoklesschwert weiter über den Märkten schweben und somit dauerhaft für Unsicherheit sorgen.
Der Trend zu hoher Volatilität bleibt auch nicht ohne Einfluss auf die derivativen Finanzprodukte wie etwa Optionen, Optionsscheine oder Zertifikate. Die Analysten von Morgan Stanley etwa bescheinigen dem Derivatehandel zweistellige Zuwachsraten, während die Umsätze an den europäischen Aktienbörsen schrumpfen. Besonders einer Produktvariante spielt die hohe Schwankungsbreite der Märkte dabei in die Hände. „Hier an der Börse Stuttgart gibt es starke Zuwächse beim Handel mit Knock-out-Produkten, deren Beliebtheit unter anderem auf die gestiegene Volatilität zurückzuführen ist", sagt Rune Hoffmann, Derivate-Experte an der Optionsscheinbörse Euwax. Denn die Besonderheit der Knock-out-Produkte liegt darin, dass ihre Wertentwicklung unabhängig von Veränderungen der Volatilität ist. Normale Optionsscheine dagegen profitieren grundsätzlich von einer steigenden Volatilität, drohen aber an Performance einzubüßen, sobald die Märkte sich beruhigen und die Schwankungen zurückgehen. Weniger risikoreich als Puts und Calls sind Knock-out-Produkte allerdings nicht: Wird der Basispreis der zu Grunde liegenden Aktie auch nur einmal berührt, kann der Totalverlust des eingesetzten Kapitals drohen.
Und auch die Fondsbranche wittert die Chance, mit neuen Produkten an der Schwankungsfreude der Märkte mitzuverdienen. So legte die Deutsche-Bank-Tochter DWS Anfang Dezember den „Vola Strategy" auf. „Dieser Fonds soll auch Privatanlegern den Zugang zu einer besonderen Nutzung derivativer Instrumente ermöglichen, die beim Direktinvestment umfangreiches Wissen voraussetzen würde", sagt Fondsmanager Marc Böttinger. Die Komplexität des Fonds, der weitgehend Kurstrend-unabhängige Renditen erwirtschaften will, schreckt die Anleger offenbar nicht ab: Mit bisher 125 Millionen Euro habe das Fondsvolumen Böttingers Erwartungen übertroffen.
Wie verhalten sich nun Anleger in Marktphasen mit hohen Schwankungen am besten? Olaf Stotz, auch mit der Lehre vom Verhalten der Marktteilnehmer („Behavioral Finance") bestens vertraut, rät vom Trading ab. „Wer langfristig in erstklassige Aktien investieren will, der sollte das auch tun", so Stotz. Und zwar ohne Stopp-Kurse. „Die meisten Marktteilnehmer sind zu undiszipliniert, um danach wieder einen geeigneten Einstieg zu finden."
Stattdessen sollten sich Anleger bei ihren Engagements den „Cost-Averaging"-Effekt zu Nutze machen. Heißt: „Nicht alles auf einmal investieren, sondern gestaffelt in größeren Abständen." Das reduziere auch die „psychologischen Kosten", die etwa bei der nervenzehrenden Suche nach dem vermeintlich günstigsten Einstiegszeitpunkt entstünden.
Kurzfristig orientierte und dennoch konservative Investoren sollten bei einem hohen V-Dax mal einen Blick auf Discount-Zertifikate werfen. Dabei tätigt der Anleger im Grunde zwei Geschäfte auf einmal. Er erhält die von ihm ausgewählte Aktie mit einem Rabatt, der durch das zweite Wertpapiergeschäft entsteht. Bei diesem veräußert der Anleger eine Kaufoption (Call) auf dieselbe Aktie. Der Preis dieses Scheins hängt von der Höhe der Volatilität ab. Dabei gilt: Mit steigender Volatilität erhöht sich der Preis der Kauf-Option - und damit auch der Rabatt auf die Aktie. „Und die notiert dann in der Regel ja eh schon auf einem ermäßigten Niveau, da ein hoher V-Dax ja meist mit niedrigen Indexständen einhergeht", erklärt Olaf Stotz. Geht die Rechnung auf, profitiert der Investor also dreifach: Vom steigenden Basiswert, dem - analog zum V-Dax - fallenden Risikopuffer und durch den Zeitwertverfall der im Zertifikat veräußerten Kaufoption.
Wer dieser komplexen Konstruktion nicht so recht trauen mag, dem bleibt die Hoffnung, dass die Volatilität eines Tages doch wieder auf ein Normalmaß zurückfällt. Und dass dann an der Börse vielleicht auch wieder die alten Kostolany-Regeln gelten.