Herrn Bezos jüngste Vision (EuramS)
§26.11.2006 09:28:00
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Zwölf Jahre nach Gründung von Amazon hat Internet-Pionier Jeff Bezos wieder große Pläne. Der Onlinehändler soll zum Rechenzentrum des Web werden. Wall Street ist skeptisch
von Stephan Bauer
Jeff Bezos gibt wieder vollen Schub. Der Chef des Online-Versandhändlers Amazon durfte jüngst den ersten gelungenen Raketenstart von seinem privaten Testgelände feiern. Neider im Silicon Valley ätzen, der schrullige Multimilliardär und Weltraumfan bereite schon den nächsten Expansionsschub Amazons auf den Mars vor – auf dem heimischen Planeten fielen ja nicht allzu hohe Gewinne an. Die wichtigste Mission des Internetpioniers ist jedoch weit irdischer. Mit Vollgas treibt Bezos ein Projekt voran, dass den weltgrößten Onlinehändler zurück in die erste Riege der Internet-Trendsetter bringen soll. Der Countdown für das neueste große Ding des unermüdlichen Abenteurers fiel bereits am 24. August. Um zwei Uhr nachts startete Amazon das Unternehmen Elastic Compute Cloud – "dehnbare Rechnerwolke" lässt sich das Projekt ins Deutsche übersetzen. Es markiert den vorläufigen Höhepunkt einer Produktoffensive, die weit über das eigentliche Kerngeschäft des Internethändlers hinausgeht: Kurz gesagt, will Bezos Amazons Technik- und Logistikkompetenz im Web vermieten.
Hinter der Wolke verbirgt sich ein bis dato einmaliges Experiment: Jeder, der Interesse hat, kann seit Neuestem bei Amazon nicht nur Bücher und CDs, sondern auch Rechnerkapazitäten, Speicherplatz und andere Web-Dienste kaufen (siehe Kasten rechts). Billig bleibt Trumpf, gerade mal zehn Cent verlangt der Internethändler für eine Stunde Prozessorleistung. Bezos lockt Kunden mit dem Versprechen, die Rechenpower in Minutenschnelle von einem Prozessor auf beispielweise tausend hochfahren zu können.
Der Hausherr zielt mit seinen Web-Services zuallererst auf Internet-Start-ups. Aus eigener Erfahrung weiß der Amazon-Gründer, dass Webfirmen in ihrer Anfangsphase Server und Datenspeicher am dringendsten benötigen. Die Nachfrage ist entsprechend rege: Rund 200000 Kleinkunden nutzen die Technik-Ressourcen, die in den zwölf Jahren seit der Gründung vom Amazon mehr als zwei Milliarden Dollar verschlungen haben. Aber auch Großkonzerne wie Microsoft oder Xerox lockt die Flexibilität der Dienste. Beide Unternehmen bedienen sich etwa Bezos’ Speicherplatten, um in Zeiten besonders hoher Nachfrage Download-Kapazitäten zu decken.
Die Umsätze der Webdienste sind zwar noch verschwindend gering. Doch der Chef ist überzeugt, dass er hier an etwas ganz Großem dran ist: "Das ist eine Schlüsselsparte. In einigen Jahren werden wir hier sehr ernstzunehmendes Geschäft haben", verspricht Bezos. Technikbegeisterte sind voll des Lobes für das Know-how des Internetriesen. In der Tat scheint Bezos eine weitere Pionierleistung gelungen: Tausende Prozessoren und Platten müssen verwaltet werden, ohne den Betrieb des Online-Stores selbst zu beeinträchtigen. "Amazon gehört zur Weltspitze, wenn es darum geht, solch komplexe Systeme zu managen", sagt Amazon-Aufsichtsrat John Doerr, zugleich Partner der Private-Equity-Gesellschaft Kleiner Perkins Caufield & Byers. Auch Internetguru Tim O’Reilly, der Erfinder des Begriffs Web 2.0, sieht das Unternehmen wieder ganz vorn im Netz. "Amazon hat die klarste Vorstellung davon, was es heißt, ein Plattformanbieter zu sein." Die Plattform – der Begriff steht unter Technikfreaks für den nächsten Entwicklungsschritt der computerisierten Menschheit. Nach dem Großrechner und dem PC soll, so die Vision, das Netz mit seinen Abermillionen Nutzern die Basis für den technologischen Fortschritt sein.
Wenn es nach Bezos geht, wird Amazon fester Teil davon. Die Videoseite YouTube darf das Fernsehen, und Suchmaschine Google der Archivar des Wissens in der digitalen Welt sein. Hauptsache, Amazon ist nicht außen vor, sondern größtes Kaufhaus und gleichzeitig technologischer Versorger des Weltnetzes.
Die Vision ist hochtrabend und teuer dazu. Hundertschaften von Technikern und Programmierern hat Amazon in den vergangenen Monaten eingestellt. Die Hardware in den Rechenzentren wurde teilweise modernisiert. In den ersten drei Quartalen des laufenden Jahres stieg das Investitionsvolumen des Webgiganten so um die Hälfte gegenüber dem Vorjahr an. Fast eine halbe Milliarde Dollar gab Amazon aus.
Bezos’ Kaufrausch hat die Gewinnmargen des Kaufhauses inzwischen so weit gedrückt, dass selbst altmodische Händler wie Wal-Mart Amazon locker abhängen. Auf zwei Prozent schätzen Analysten die Nettomarge der Visionäre aus Seattle im laufenden Jahr. Der weltgrößte Supermarktbetreiber aus Brentonville schafft dreimal so viel.
Viele Börsianer betrachten Bezos’ Pläne deshalb mit Abneigung. "Ich würde gern erleben, dass diese Investments auch Gewinne abwerfen. In Wahrheit ist das Ganze wohl Geldverschwendung", schimpft Analyst Safa Rashtchy von Piper Jaffray. Skeptiker fürchten zudem, dass Amazon zu viel von seinem Know-how preisgeben könnte. Denn zum Schrecken vieler Investoren schließt Bezos auch direkte Konkurrenten nicht von seinen Angeboten aus. Andere Experten finden es klug, dass er Geld mit ungenutzten Kapazitäten verdienen will. "Die Server sind im Schnitt gerade mal zu 17 Prozent ausgelastet", sagt Bear-Stearns-Analyst Robert Peck. Die niedrige Quote hat einen einfachen Grund: Die Rechnerarmada muss groß genug sein für die enorme Nachfrage, die jedes Jahr vor Weihnachten aufläuft.
Die meisten Beobachter an der Wall Street vermuten freilich, dass die jüngste Vision des Web-Urgesteins nicht viel mehr ist als ein weiterer Versuch, endlich Schwung in ein im Grunde ziemlich lahmes Geschäft zu bringen. Seit Jahren erweitert Amazon permanent das Sortiment. Der Internetladen verkauft inzwischen außer Büchern und DVDs auch Elektronik und Autoteile, bietet neuerdings Video-Downloads an. Doch selbst 2004, in seinem besten Jahr, erwirtschaftete der Konzern eine allenfalls respektable Gewinnmarge von acht Prozent. Das allerdings ist kein Vergleich zu echten Web-Raketen wie Google, das zuletzt 27 Dollar Gewinn aus 100 Dollar Umsatz holte.
Verläuft die jüngste Mission im Sand, so bleibt Bezos ja noch die Freude am privaten Weltraumbahnhof im texanischen Van Horn. Blue Origin, so der Name der Allfirma, schoss die erste Testrakete bis in eine Höhe von 3000 Metern. Der erste kommerzielle Raumflug ist für das Jahr 2010 geplant. Vielleicht ist an den Gerüchten um Amazons Mars-Expansion ja doch was dran.
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-red
Gruss Ice
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Börsengewinne sind Schmerzengeld. Erst kommen die Schmerzen, dann das Geld...(A.K.)