Das Atomkraftwerk Leibstadt steht seit genau zwei Monaten still. Inzwischen ist klar, dass mehrere Faktoren die Havarie am Generator verursachten.
Seit August 2002 lieferte das Kernkraftwerk Leibstadt (KKL) 1165 Megawatt Leistung ans schweizerische Stromnetz. Das sind 15 Prozent mehr als in den ersten 14 Betriebsjahren: Seit 1998 war die Leistung der Anlage stufenweise erhöht worden. Als am Ostermontag, 28. März, ein Generatorschaden das Kraftwerk lahm legte - voraussichtlich bis Ende September -, wurde rasch die Vermutung laut, die Havarie sei eine Folge der Leistungserhöhung.
Aufgetreten war der Schaden an einer der beiden so genannten Pressplatten aus Eisenblech an den Stirnseiten des Stators, des nicht rotierenden Teils des Generators. Eine starke lokale Erhitzung führte zu einer Aufschmelzung, und es kam zu einem Erdschluss. Der Generator wurde Anfang der Achtzigerjahre von BBC Brown Boveri in Birr hergestellt. In Gesprächen mit dem «Tages-Anzeiger» bezeichneten am Bau des Generators beteiligte pensionierte BBC-Mitarbeiter einen Zusammenhang des Schadens mit der Leistungserhöhung als plausibel. «Diese Vermutung ist sicher nicht falsch», sagte ein Ingenieur.
Kraftwerkleiter Mario Schönenberger will dies so nicht bestätigen. In den nächsten Tagen erwartet er eine Ursachenanalyse von Alstom Schweiz, die von ABB das einstige BBC-Kraftwerksgeschäft übernommen hat. Klar sei aber schon jetzt, dass nicht ein einzelner Grund die Havarie verursacht habe. «Es ist ein komplexes Zusammenwirken von mehreren Gründen, die zu diesem Schaden geführt haben», sagt Schönenberger. Dezidiert erklärt er, der Generator sei innerhalb der Spezifikationen gefahren worden: «Wir haben den Generator so betrieben, wie uns der Hersteller zugesichert hat, dass wir ihn betreiben können.» Im Juni will die Kernkraftwerk Leibstadt AG an einer Medienkonferenz über die Analyse informieren.
Ursprünglicher Verdacht widerlegt
In Leibstadt will man sich erst bei dieser Gelegenheit zu den einzelnen Gründen äussern. Als mögliche Faktoren genannt werden unter anderem die Wasserstoff-Kühlung des Generators und der Betriebszustand über Ostern. Wohl gab der Generator seine volle Leistung ab, Leibstadt bezog aber gleichzeitig so genannte Blindleistung aus dem Netz. «Man weiss, dass eine solche Fahrweise den Generator stärker belastet», erklärt Kraftwerkchef Schönenberger.
Vom Tisch ist dagegen die ursprüngliche Vermutung von Fertigungsproblemen als Ursache für die Havarie. Die im Durchmesser rund 3 Meter grossen und 7 Tonnen schweren Pressplatten sind aus Tausenden von dünnen, mit Lack überzogenen Eisenblechen aufgebaut. Heute werden die einzelnen Bleche passgenau mit Laser geschnitten. Früher wurden sie vorgestanzt und auf einer Drehbank in einem Paket abgedreht. Dabei kam es immer zu Fehlerstellen, die nachgebessert werden mussten. Die Pressplatten seien aber «von BBC sauber gefertigt» worden, sagt Schönenberger.
Die Ersatzplatten werden im Moment in Polen und Schweden hergestellt; Alstom vergab die Arbeit nicht ans dafür auch ausgerüstete Werk in Mannheim. Dort hätte ein Arbeitskonflikt einen Strich durch den engen Terminplan machen können.