Das Ende der Advance Bank offenbart massive Fehlentscheidungen des Allianz-Konzerns. Doch der Versicherer macht dafür, wie so oft, die Dresdner Bank verantwortlich.
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"Allianz droht Dresdner", titelte die "Frankfurter Rundschau" kürzlich nach einer distinguierten Äußerung des mächtigen Mannes - und das "Handelsblatt" schrieb in großen Lettern: "Schulte-Noelle erhöht Druck auf Fahrholz".
Auch in der Dresdner Bank, seit fast zwei Jahren eine Tochter des Versicherungsriesen, kam die Botschaft an: "Das ist die öffentliche Ankündigung der Kreuzigung" - empörte sich ein hochrangiger Manager über die Aussagen seines obersten Chefs. Wer damit gemeint war, braucht er in der Bank niemandem zu erklären: Bernd Fahrholz, Chef des Instituts - und Vize-Chef der Allianz.
Dabei hatte Schulte-Noelle, in einem Interview mit der "Zeit", doch nur gesagt, dass jede Gesellschaft innerhalb seines Konzernreiches eine angemessene Rendite erwirtschaften müsse, dass die Dresdner Bank Zeit brauche, ihre Probleme zu lösen. Und sollte sie das nicht schaffen, dann stünden eben alle Optionen offen.
Lappalien, Missverständnisse, und wieso überhaupt diese Aufregung - tönte es tags darauf aus der Konzernzentrale. Und von Fahrholz, von dem sei doch gar nicht die Rede gewesen.
Der Coup war gelungen.
Wieder einmal hat die Allianz mit ihrer Banktochter Katz und Maus gespielt, wieder einmal hat sie das Institut erfolgreich als Buhmann ins Gespräch gebracht - und Fahrholz als den Sündenbock.
Egal, ob der Versicherungskonzern miserable Zahlen präsentiert, eine Gewinnwarnung verkündet oder eine strategische Fehlentscheidung revidiert - schuld ist scheinbar immer die Dresdner Bank.
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Tatsächlich aber verantwortet dieses Desaster die Allianz. Joachim Faber, einer der Vorstände des Versicherers, war es, der partout ein von ihm und seinem Vorstandskollegen Paul Achleitner entwickeltes Konzept umsetzen wollte.
Die beiden träumten seit drei Jahren von einer mobilen und an eine Direktbank angebundene Finanzberater-Truppe, die ihre jungen, dynamischen und betuchten Kunden mit dem Laptop heimsuchen sollte. Das Modell freilich war größtenteils abgekupfert - von MLP, dem einst viel bewunderten Senkrechtstarter der Finanzbranche.
"Das ist die Zukunft", schwelgten die beiden - und angesichts der rosigen Perspektiven war ihnen nichts zu teuer. Zunächst wollten sie für zwei Milliarden Euro den Direktbroker Consors übernehmen. Doch nachdem sich der Versicherungskonzern die Dresdner Bank einverleibt hatte, sollte deren Direktbank-Tochter, die Advance Bank, als Plattform für die "Financial Planners" dienen.
Schon während der Verhandlungen im so genannten Integrationsausschuss präsentierte Faber seinen neuen Kollegen eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey, die das Projekt in den höchsten Tönen lobte. Die Investitionen von 700 Millionen Euro, referierte er das Papier, seien bestens angelegt. Ab 2008 würde man mit den 1700 Beratern und der neuen Multikanalplattform Gewinne machen.
"Solche Anfangsverluste hält niemand durch", erwiderte Martin Blessing, damals noch Chef der Advance Bank. Und auch andere Banker warnten vor den hochtrabenden Plänen. Sie bezweifelten, dass die Berater die geplante Zahl neuer Kunden akquirieren könnten. Blessing und seine Kollegen plädierten für eine verhaltenere Investitionsstrategie. "Wenn das Ding fliegt", sagte er, "können wir das Tempo immer noch erhöhen."
Von derart kleinkarierten Bedenkenträgern ließ sich Faber nicht irre machen - er setzte die große, die ganz große Lösung durch: Hunderte Berater wurden eingestellt, Dutzende Servicecenter im Einheitsstil eingerichtet. Und das Konzept dilettantisch umgesetzt.
Selbst über ein Jahr nach dem Start konnten die Finanzberater für einen Kunden online kein Konto eröffnen, keine Order aufgeben. Dazu mussten sie ein Fax schicken - für eine Direktbank ist das Steinzeittechnologie.
Zudem blieben die erhofften Kundenscharen aus, viele der Niederlassungen wurden nie eröffnet - und alles in allem bis heute 300 Millionen Euro versenkt. Dagegen war der Jahresverlust der Advance Bank - rund 30 Millionen Euro, bevor die Allianz das Geld mit der Gießkanne verteilte - relativ bescheiden.
Jetzt ist der Traum vorbei - die Advance Bank wird samt der Financial Planner abgewickelt, und der Betriebsrat verhandelt über einen teuren Sozialplan.
Dabei wollte die Allianz das Geschäft eigentlich schon im Herbst aufgeben. Doch plötzlich gab es einen Interessenten: Die niederländische ABN Amro - aufgeschreckt durch den Erfolg ihres Hauptkonkurrenten ING mit dessen deutscher Direktbanktochter Diba - wollte die Advance Bank kaufen. Also warteten die Allianz-Manager ab. Als die Übernahme scheiterte, verabschiedeten sie sich resigniert und ohne weitere ernsthafte Verkaufsbemühungen von ihrem einst hoch gelobten "dritten Standbein" (neben Bankfilialen und Vertretern) - und verpassten möglicherweise eine weitere Chance, die Verluste zu begrenzen.
Denn die Diba war an die Grenzen ihrer Kapazitäten gestoßen und verhandelte deshalb über den Kauf der Online-Bank Entrium - hätte sich aber auch für die Advance Bank samt ihrem "ausgezeichneten Computersystem interessiert", wie ein Diba-Manager versichert, "aber sie ist uns nicht angeboten worden". Selbst die Initiative ergreifen wollten die Banker jedoch nicht - "so etwas versaut immer den Preis".
Vor allem die Arbeitnehmer im Allianz-Aufsichtsrat sind über die Fehlinvestitionen bei der Finanzberater-Truppe erbost. Hinter den Kulissen, versichern Kenner des Konzerns, hagelte es Kritik. Nach außen aber wird der Eindruck erweckt, der Fehler liege bei der Dresdner Bank.
Klar: Weder das Geldhaus mit seiner 130-jährigen Tradition noch dessen Investmentbank sind ein "Juwel" - wie Rolf Breuer, damals noch Chef der Deutschen Bank, im Frühjahr 2000 behauptete.
Ganz im Gegenteil.
Auch die Dresdner Bank ist durch jahrelanges Missmanagement, ständige Strategiewechsel, schwache Vorstandssprecher und globale Expansionspläne heruntergewirtschaftet - und von der Bankenkrise zusätzlich in die Tiefe gerissen worden.
Und auch Fahrholz ist keineswegs eine Ikone der deutschen Finanzgeschichte - er hat viele der Fehlentscheidungen vergangener Jahre mit zu verantworten. Zum tragischen Helden taugt er wohl kaum.
Doch wo stünde die Allianz heute, wenn sie die Dresdner Bank nicht gekauft hätte?
Der Aktienkurs wäre kaum höher, argumentieren Experten, er läuft seit zwei Jahren praktisch parallel zu denen der meisten anderen Versicherungen - ganz egal, ob die Bankgeschäfte betreiben oder nicht.
Die Allianz kämpft, wie die gesamte Branche, mit Abwertungen auf riskante Beteiligungen, mit hohen Schadenssummen, beispielsweise bei der Flutkatastrophe und mit stagnierendem Geschäft auf allen Fronten. Und natürlich auch mit der Dresdner Bank, selbst wenn die besser ist, als das von der Allianz dargestellt wird.
So hat sich der Versicherungsriese die auch in schlechten Zeiten ertragreichen Teile längst selbst einverleibt. Die Gewinne, beispielsweise aus dem Fondsgeschäft, fließen ausschließlich der Versicherung zu. Auch die verbliebenen Beteiligungen sind zur Allianz gewandert. Und selbst die interne Verrechnung der Provisionen im Privatkundengeschäft wird immer wieder heftig diskutiert- auch sie geht, so argumentieren viele Manager, zu Lasten der Dresdner Banker. Die nackten Zahlen der Bank sind deshalb verzerrt.
Das alles ist legitim, schließlich gehört die Dresdner Bank der Allianz - sie kann mit ihr machen, was sie will. Dennoch haben sich Aufsichtsräte bereits bei der Allianz-Führung beschwert. Denn die Verantwortungskosmetik hat ihren Preis.
Je dünner die Kapitalausstattung des Instituts und je geringer die Erträge, desto schlechter fällt das Urteil der Rating-Agenturen aus. Von dem aber hängt viel ab. Wenn sie eine Bank "downgraden", wie die Banker eine Herabstufung nennen, muss das Institut am Kapitalmarkt höhere Zinsen zahlen - und das kostet mehr als hundert Millionen Euro pro Jahr.
Zudem werden die Kunden verunsichert. Nach den jüngsten Verkaufsüberlegungen von Schulte-Noelle merkten die Dresdner Banker sofort einen Rückgang im Geschäft mit ihren großen Unternehmenskunden - aber auch mit den lukrativen, vermögenden Privatkunden. Wer will sich schon in die Hände einer Bank begeben, die schon in ein, zwei Jahren verkauft werden könnte? Banking ist Vertrauenssache. Und dazu gehören Kontinuität und Berechenbarkeit.
Fahrholz selbst, so versichern Vertraute, hat das Spiel noch gar nicht durchschaut. Immer wieder übernahm er die Verantwortung für die schlechten Zahlen, bot Schulte-Noelle und dessen designiertem Nachfolger, Michael Diekmann, den Rücktritt an. "Ein Wort von Ihnen genügt", versicherte er, "und ich bin weg."
Doch davon wollen die Allianz-Manager bislang nichts wissen. Sie brauchen Fahrholz noch - um von den Unzulänglichkeiten des Münchner Konzerns abzulenken.
WOLFGANG REUTER