Schumacher - und das Recht des Schnelleren
Antrieb: Nach erst elf von 17 Grand-Prix-Rennen ist er schon Weltmeister - und beweist damit: Die nächste Generation muss noch warten.
Magny-Cours - Ob man das noch erfolgshungrig nennen kann? Es ist wohl eher Fress-Sucht. Michael Schumacher kann einfach nicht genug bekommen. 140 Tage haben ihm gereicht, um den fünften WM-Titel und damit den Gleichstand mit Juan Manuel Fangio, dem Champ des letzten Jahrhunderts zu erzielen.
Schumi, der Jahrtausend-Weltmeister. Schneller gehts eben nicht. Den Vergleich mit dem Argentinier scheut er zwar ("seine Leistungen sind einfach zu beeindruckend"), doch dann hat es sich aber auch schon mit der Bescheidenheit.
Er hat sich mal als totaler Selbstzweifler geoutet, doch auf der Strecke kann der Mann einfach nicht genug bekommen. Bange machen gilt auch weiterhin nicht bei diesem Schumacher: 40 Rennen mit Ferrari sind von nun an noch vertraglich garantiert. Macht er in dem Tempo seiner letzten zwölf Grand-Prix-Jahre weiter, dann gewinnt er jedes dritte. Hochgerechnet wird er dann auch über 1000 WM-Punkte angesammelt haben. Guckt man sich die Zeit zwischen dem Rennen in Hockenheim im vergangenen Jahr und dem am kommenden Wochenende an, wird es unheimlich: Zehn dieser 16 Rennen hat er gewonnen, nur einmal war er (als Vierter in Monza) nicht auf dem Podium. Auf den Schumacher-Faktor ist eben Verlass, auch wenn der Mann nicht unfehlbar oder unverwundbar ist. Seine Ratio, robust wie die Kohlefaserhülle seines Autos, hilft ihm, mit vielem klarzukommen. Auch mit öffentlichen Anfeindungen wie zuletzt nach dem geschenkten Sieg in Österreich.
Fordern ist sein Alltag, herauszufordern bis zur Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst. Entsprechend ist die Erwartungshaltung an alle anderen. So schafft er sich permanent Extremsituationen und empfindet das Leben am Limit folglich als ganz normal. "Die Leidenschaft ist unverändert", sagt Ferrari-Stratege Ross Brawn. Damit ist Motivation kein Thema, sie ist einfach da. Zukunft ist für ihn immer die nächste Runde. "Ich freue mich über jeden Zweikampf, und wenn einer gut war, freue ich mich auf den nächsten." Als er bereits im Juni mit riesigem Punktevorsprung auf die Zielgerade der Weltmeisterschaft einbog, wäre es logisch gewesen, von nun an auf Nummer sicher zu fahren.
Er entschied sich für Angriff als die beste Titelverteidigung, das hat er schon beim letzten WM-Sieg im Vorjahr getan.
Wer ihn nur ein bisschen kennt, der weiß, dass sich die Frage nach dem Nachlassen nicht stellt. Schumacher sagt: "Ich fahre immer um zu gewinnen."
Der Ansatz, warum er das alles so und nicht anders tut, hat aber nicht nur mit der Droge Erfolg zu tun, sondern mit der generellen Endorphin-Ausschüttung. Kaum hatte er seine Unterschrift unter einen Riester-tauglichen Rentenvertrag mit Ferrari bis 2004 gesetzt, erstickte Michael Schumacher alle Diskussionen über seine weitere Motivation im Keim: "Rennfahren ist mein Leben. Ich lebe Rennfahren."
Durch die angeblich 43,5 Millionen Euro Gesamteinnahmen im Jahr wird sich sein hochgerechneter Verdienst am Ende des Kreisverkehrs irgendwann mal auf 1,2 Milliarden Euro belaufen.
Sollte es dem "Geldmeister" je nach Schwindelgefühlen sein, muss er einfach nur zehn Jahre zurückdenken. An jenes Augustwochenende in Spa-Franchorchamps, als er zum ersten Mal ein Formel-1-Rennen bestritt und mit seinem Manager Willi Weber in einer Jugendherberge nächtigte. Aber das ist lange her . . .
Die Einordnung der Formel-1-Saison 2002, die zum dritten Mal in Folge seine Saison ist, will sich der 33-Jährige für die Zeit im Schaukelstuhl aufheben. Die aktuelle Befriedigung holt er sich durch Rennen - wie jenes in Silverstone, wo durch die Wetterkapriolen bei allen anderen alles schief läuft, nur bei der Scuderia Ferrari, die längst auch eine "Schumeria" ist, haben sie das richtige Händchen.
Teamchef Jean Todt und Stratege Ross Brawn sind die Denker, der Deutsche ist ihr Lenker. "Ich bin keine Legende", sagt der Champion, "ich bin nur jemand, der das Glück hat, in etwas gut zu sein, das ihm Spaß macht."
Er hat dabei nichts an seiner Kantigkeit verloren, wenn er sich ungerecht oder unehrlich behandelt fühlt. Beides ist in der Formel 1 an der Tagesordnung. Trotzdem kommt er damit besser klar als beispielsweise der Kollege Heinz-Harald Frentzen.
Michael Schumacher verrennt sich nicht mehr so. Die Provokationen des ungestümen Juan-Pablo Montoya, der es bewusst auf das Duell mit dem Branchenführer anlegt, nimmt er hin und kontert sie regelmäßig. Ein deutliches Zeichen, dass die nächste Generation noch nicht an der Reihe ist. Schumacher mag sich an die eigene Sturm-und-Drang-Zeit erinnert haben, an die bitteren Crash-Szenarien mit Damon Hill oder Jacques Villeneuve, die ihm das Image des hässlichen Deutschen bescherten. Wenn es um die Weiterführung seines Erbes bei Ferrari geht, dann durfte bisher immer davon ausgegangen werden, dass Schumacher einen Junior wie etwa Felipe Massa ausbilden soll. Momentan deutet aber vieles eher auf eine gesetztere Nachfolge-Regelung hin - den drei Jahre jüngeren Rubens Barrichello oder seinen 27 Jahre alten Bruder Ralf. Die beiden Namen sind kein Zufall: Loyalität steht in den Schumacherschen Tugenden immer noch ganz oben.
Ein Michael Schumacher weicht freiwillig keinen Deut von seiner Ideallinie ab. Weicher im Umgang geworden zu sein, heißt nicht unbedingt nachgiebiger. Der ewige Perfektionist nimmt dabei das Recht des Schnelleren für sich in Anspruch, wie es schon der große Vorgänger Ayrton Senna getan hat. Mit der Verbissenheit seiner Gegner, unbedingt ihn (und damit den Mythos) schlagen zu wollen, gewinnt Michael Schumacher zunehmend an der Leichtigkeit des Seins. Jedenfalls wirkt es so, als ob sein Gas-Fuß vor allem ein Spaß-Fuß ist.
gruss julius