1,9 Mio verloren ...... (viel Text)

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jopius:

1,9 Mio verloren ...... (viel Text)

 
12.10.00 07:14
ich hoffe, das die Bilanz bei uns allen zusammen besser ausfällt:
(aus WIWO)


1,9 Millionen Mark beim Daytrading verloren


Wie ein 42jähriger Ex-Manager und Doktor der Physik beim Daytrading an der Börse 1,9 Millionen Mark verspielte.

Es gibt Tage, an denen kann er es immer noch nicht fassen. Mit gefalteten Händen sitzt Peter B. im Korbsessel vor seinem Couchtisch und versucht sich zu erinnern. So wie einer, der am Morgen nach dem Rausch mit Kopfschmerzen erwacht. „Jeden Abend habe ich mit meinem Wertpapierhändler gesprochen und gesagt, morgen wird ein besserer Tag, morgen hole ich mir das Geld zurück.“

Morgen wurde nichts besser, alles nur noch schlimmer. Von November 1998 bis Dezember 1999 verspekulierte B. 1,9 Millionen Mark, seine kompletten Ersparnisse. Mit Termingeschäften versuchte er vorherzusagen, welche kleinsten Schritte in den nächsten Minuten die Börsenbarometer Dax in Deutschland und S&P 500 in den USA machen. Daytrading nennen das die Fachleute, also der Kauf und Wiederverkauf eines Wertpapiers noch am selben Tag.

B. drehte ein großes Rad. An manchen Tagen ging er mit seinen Orders die Verpflichtung ein, im theoretischen Extremfall 780 Millionen Mark zu zahlen. So weit kam es zwar nicht, der Einsatz ist trotzdem weg. Wie konnte das einem Mann passieren, der logisch denkt, der in Physik promoviert, als Manager für eine US-Tochter des Bertelsmann-Konzerns gearbeitet und als Geschäftsführer zwei Unternehmen geleitet hat?

Schnell und riskant. Im Herbst 1998 hatte B. die Nase voll von der Commerzbank-Filiale in Gütersloh. Seit zwei Jahren wickelte er dort seine Börsendeals ab. Erst Aktien, dann Optionen, zuletzt Futures. Am Anfang mit Erfolg: Aus ein paar hunderttausend Mark Erspartem und einem Zuschuss seiner Eltern machte der gebürtige Bocholter zwei Millionen Mark. „Je mehr ich von der Börse zu verstehen glaubte, desto mehr reizten mich die schnellen und riskanten Papiere“, sagt er. Da kam die Provinzfiliale der Commerzbank nicht mehr mit. „Bei den Futures geht es um Sekunden“, erzählt B., „und wenn ich den Bankberater brauchte, war der gerade auf Toilette oder Mittagessen.“

Über die Empfehlungen einer Terminmarkt-Postille kam B. zu einem Direktbroker namens Berrin Lord (BL). „Da fühlte ich mich gut aufgehoben, die versprachen mir persönliche Betreuung und Know-how.“ Im November 1998 übertrug er sein Vermögen zu BL. Die ersten Wochen liefen gut, der Berufsspekulant schien in den richtigen Händen. Ende 1998 bat ihn der Broker, erzählt B., alle Positionen „wegen der Umstellung auf Euro“ aufzulösen. Im Januar stieg er wieder ein, „aber viel aggressiver als vorher“ – mehr Einsatz, höheres Risiko.

Ein Fehler. Denn jetzt schätzte B. zum ersten Mal in seiner Zockerlaufbahn den Markt grundlegend falsch ein. Zum Start des Euro Anfang 1999 war die Frankfurter Börse zunächst nach oben gerauscht, doch als B. auf weiter steigende Kurse setzte, rutschte der Dax ab. Daraufhin spekulierte er auf eine anhaltende Talfahrt, doch die Börse nahm die zweite Kurve und drehte wieder nach oben. „Um die Verluste auszugleichen, fuhr ich mit noch mehr Risiko.“

Das Prinzip der Dax-Spekulation: Wer auf fallende Kurse setzt, kauft einen Put. Jeder Punkt, den der Index sinkt, bringt dann 50 Mark. Umgekehrt kostet jeder Punkt nach oben 50 Mark. Als B. in der Spitze 3000 Puts gehörten, bedeutete das: Wenn der Dax nur um 0,1 Prozent von 4910 auf 4915 Punkte stieg, verlor das Depot 50 Mark mal 3000 Puts mal 5 Punkte, also 750000 Mark. Trotz Gegengeschäften zur Absicherung schmolz das Guthaben so innerhalb weniger Tage dahin. In den Februar ging der Spekulant nur noch mit rund 80000 Mark.

Warum hat er nicht rechtzeitig die Notbremse gezogen? „Ich hatte vorher Riesenerfolge an der Börse und wollte da wieder anknüpfen.“ Und:„Ich wollte einfach nicht wahr haben, dass ich total schief liege.“ Sein Wertpapierhändler tröstete ihn immer wieder, bis Ende 1999 plötzlich fast alles weg war. Aus den letzten 80000 Mark waren 5000 Mark geworden. Das Aus. „Der Mann bei Berrin Lord sagte mir immer, hey, Du kriegst das schon wieder hin.“ Verständlich.

400000 Mark Gebühren. Denn der Börsenmakler verdiente glänzend an B.s Katastrophe. Von den 1,9 Millionen Mark nahm der Markt 1,5 Millionen – der Rest waren Gebühren. Rund 400000 Mark berechnete das an der Düsseldorfer Königsallee ansässige Unternehmen für seine Dienste. „Wenn ich an diese Gebühren denke, gerate ich in Rage“, sagt B. „Ich gebe ihnen nicht die Schuld für meine Fehlentscheidungen, aber die haben 400000 Mark von mir bekommen ohne echten Gegenwert.“ Sein Berater an der Kö habe stets nur die Aufträge nach London zur Bank, der ADM, weitergeleitet.

Eine teuer bezahlte Telefonhotline, findet der Spekulant. Zudem habe der Makler ihm Spesen für ADM berechnet, die nach seinen Recherchen an BL zurückflossen: „Zwischen 68 Prozent der Spesen für einen Dax-Future und 77 Prozent für einen US-Future vergütete die ADM dem Broker.“ Insgesamt 316000 Mark sind nach B.s Angaben von seiner Bank in London an die Kö zurückgewandert, als Dank für das Heranschaffen des äußerst regen Kunden. Solche so genannten Kickback-Zahlungen sind äußerst umstritten.

Das Debakel hat B.s Leben verändert. Seine innerstädtische Altbauwohnung in Nordrhein-Westfalen ist bescheiden. Nur wenige Hinweise verraten, dass hier ein Berufsbörsianer lebt: Auf dem Schreibtisch stehen zwei Bildschirme, einer zeichnet Kursverläufe nach. In der Bücherwand mischen sich unter Grass und Márquez die Titel „Millionen mit Optionen“ und „Terminmarkt 99“.

Den Weg zurück in ein geregeltes Berufsleben hat B. nicht gefunden. „Wer einmal an der Börse so viel Geld verdient hat, ist für den Arbeitsmarkt versaut.“ Auch wenn die Gewinne längst dahin sind, „halte ich die Terminbörse für die einzige Chance in meinem Leben, noch einmal Millionär zu werden“, sagt B.

Wie ein Hamster. Er hat seine Lehren gezogen. Die erste: „Nicht zu wild traden.“ Zu schnell, zu viel, auch ohne klare Einschätzung, wie es an den Märkten weitergehen könnte – das lässt er jetzt. „Früher war ich wie ein Hamster im Rad, heute weiß ich, dass Nichtstun an der Börse oft die beste Entscheidung ist.“ Die zweite Erkenntnis: „Niedrige Gebühren sind beim Daytrading entscheidend.“ Die meisten Zocker schaffen es zwar, mit plus minus null aus ihren Geschäften rauszukommen. „Doch die Kosten fressen sie dann auf und drücken sie in die Verluste.“ B. handelt jetzt online, zahlt rund 650 Mark im Monat für Programme und Computer-Informationen. Das spart nicht nur Geld, sondern auch Zeit, was zum dritten Fazit der Pleite führt: „Auch ein sich Direct Private Broker nennender Makler bedeutet nur Zeitverlust, wenn er mit dem Telefon arbeitet.“ Der Mausklick zum Markt hingegen funktioniert in den Bruchteilen einer Sekunde.

Dennoch zögert B. heute, wenn er die Hand am Drücker hat. „Inzwischen habe ich manchmal Angst vor dem Markt“, bekennt er. Angst vor der Macht, die in wenigen Sekunden den Einsatz wegradiert. Angst vor der Kurskurve, die so oft im falschen Augenblick eine Wende hinlegt und die Spekulanten auf dem falschen Fuß erwischt.

Er macht trotzdem weiter. „Ich bin von den Instrumenten der Termingeschäfte überzeugt“, sagt B. Allerdings kocht er auf Sparflamme. Was bleibt ihm auch: „Auf meinem Konto habe ich jetzt nur noch 60000 Mark, die ich einsetzen kann – davon 30000 Mark eigenes Kapital.“ Der 42jährige spekuliert mit Limit: „Wenn ich von den 60000 Mark die Hälfte verliere“, sagt er, „dann akzeptiere ich, dass es bei mir nicht mehr klappt. Dann höre ich auf.“

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KAI PETER RATH

11.10.2000 16.22 Uhr  
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