Christian Henkel *
»Wer entlassen wird,
muss sofort gehen«
Wer reich werden will, geht auf den Neuen Markt. Diese Devise galt bis vor kurzem nicht nur für Aktienbesitzer, sondern auch für die Mitarbeiter der New Economy. Wie zum Beispiel beim Software-Haus Intershop (Jungle World, 3/01). Doch seitdem die Techno-Werte an der Börse in bodenlose Tiefen fallen, sind auch die Beschäftigten vor Entlassungen und Gehaltskürzungen nicht mehr sicher.
Christian Henkel * ist Mitarbeiter der Firma Intershop. Über den Crash am Neuen Markt und die neuen Arbeitsbedingungen in der New Economy befragte ihn Kirsten Schulz.
Was unterscheidet Ihren New Economy-Betrieb von einem traditionellen Unternehmen?
Ein auffälliger Unterschied ist, dass in unserem Unternehmen fast ausschließlich junge Leute beschäftigt sind. Das Durchschnittsalter liegt unter dreißig. Nur einige der Führungskräfte sind älter als vierzig. Wir duzen uns alle. Selbst der Geschäftsführer wird mit seinem Vornamen angesprochen.
Wie wirkt sich das auf die Arbeitsbedingungen aus?
Die Geschäftsführung erwartet, dass man so lange arbeitet, bis ein Projekt abgeschlossen ist. Häufig arbeiten wir bis Mitternacht, um einen Auftrag effizient und schnell abzuschließen. Und wenn es Probleme gibt, muss man selbstverständlich auch am Wochenende zur Verfügung stehen. Der Arbeitsbeginn ist locker geregelt. In der Old Economy fängt man häufig schon um sieben Uhr an. Hier kommen die Mitarbeiter meistens erst zwischen neun und zehn Uhr morgens.
Gibt es bezahlte Überstunden oder sonstige Gratifikationen?
Nein. Mehrarbeit wird nicht bezahlt. Als ein Kollege begann, seine Überstunden aufzuschreiben, um sie vielleicht einmal abzubummeln, wurde ihm schnell klar gemacht, dass er nicht mehr lange dabei ist. Es gibt auch kein Urlaubs- und Weihnachtsgeld.
Intershop galt lange Zeit als eines der lukrativsten Unternehmen am Neuen Markt. Erhalten die Mitarbeiter auch Aktienoptionen?
Schon während des Einstellungsgesprächs wird ein Optionsprogramm angeboten und gesagt, dass es sich lohnen würde, da einzusteigen. Damit sei enorm viel Geld zu verdienen, einige Kollegen seien auf diese Weise schon reich geworden. Vor dem Crash war dieses Angebot noch glaubhaft und die meisten Mitarbeiter gingen darauf ein. Im Grunde genommen hatte man auch gar keine andere Wahl.
Also Lohnverzicht zu Gunsten der Aktienoptionen?
Genauso ist es. Ein Teil des Gehalts wird in Optionen festgelegt und kann dann, so ist es vertraglich geregelt, in zwei oder drei Jahren an der Börse realisiert werden. Es sind etwa 20 Prozent des Einkommens, die in Form dieser Aktienoptionen zurückgehalten werden. Die Mitarbeiter identifizieren sich dann mit dem Unternehmen und hoffen, schnell reich zu werden.
Die New Economy wirbt gerne mit ihren flachen Hierarchien. Der Chef ist ein Kumpel, mit dem man jederzeit offen über alle Probleme reden kann.
Das ist zum Teil sogar erwünscht. Der Chef hat dann auch wirklich ein Ohr frei und ist da, wenn es ein Problem gibt - vorausgesetzt, die Lösung kostet nichts. Wenn es um Geld geht, zum Beispiel bei Lohnerhöhungen, hört das Verständnis allerdings auf.
In den Stellenanzeigen wird immer mit den flachen Hierarchien geworben. Aber das ist totaler Quatsch. Die Hierarchien haben sich so vertieft, dass man mittlerweile schon mit fünf Vorgesetzten sprechen muss, bis ein Problem in die Chefetage vordringt. Ein weiteres Problem ist, dass die Führungskräfte sehr jung sind. Sie haben keine Erfahrung in der Personalführung, und besonders wenn es kriselt, bemerkt man ihre Inkompetenz.
Wird auch über die Einkommen gesprochen?
Das ist eines der größten Geheimnisse. Keiner weiß, was der andere verdient. Das ist ein Tabu, denn es könnte dem Wir-Gefühl schaden. Mitarbeiter der Führungsebene verdienen das Vier- bis Fünffache eines normalen Mitarbeiters.
Gibt es eine Mitarbeiterversammlung, auf der Probleme angesprochen werden?
Jeden Montag findet das so genannte All-Company-Meeting statt. Dort gibt es Saft und kleine Knabbereien und man erfährt einige Neuigkeiten. Aber meistens handelt es sich dabei nur um belanglose Dinge. Damit soll der Wocheneinstieg erleichtert werden.
Intershop ist in der Krise. Nach dem Kurssturz am Neuen Markt kam es zu Kündigungen. Wie wurde dies im Betrieb gehandhabt?
Die Geschäftsführung legte zunächst fest, welche Abteilung wie viele Mitarbeiter zu entlassen hatte. Dann mussten die Abteilungsleiter innerhalb einer Woche die zu kündigenden Mitarbeiter auswählen. Diese Personen wurden dann zum Vorstandsvorsitzenden gerufen. Ihnen wurde dort mitgeteilt, dass man sich wegen der schwierigen Situation trennen müsse. Sie erhielten die Anweisung: »Innerhalb einer Stunde packst du deine Sachen zusammen, nimmst deine Arbeitsgeräte, die du von Intershop gestellt bekommen hast und gibst sie an entsprechender Stelle ab.« Dann wurden Aufhebungsverträge unterschrieben. Diese Gespräche dauerten in der Regel nie länger als eine Stunde.
Wie haben die Betroffenen reagiert?
Sie waren vor den Kopf gestoßen. Sie waren völlig unvorbereitet und konnten mit dieser Situation nicht umgehen. Niemand kannte sich mit dem Arbeitsrecht aus und daher wurde alles hingenommen. Innerhalb einer Stunde mussten sie sich von allem trennen und hatten nicht einmal die Chance, sich von ihren Kollegen zu verabschieden oder eine Übergabe vorzunehmen. Jeder hat seinen Schlüssel abgegeben und ist gegangen. Keiner ist seitdem wieder bei Intershop gesehen worden.
Wer seinen Job verliert, muss auch auf die Aktienoptionen verzichten?
Die Optionen sind an den Arbeitsvertrag gebunden und verfallen beim Ausscheiden aus dem Unternehmen. Aber selbst wenn den Entlassenen noch die Möglichkeit eingeräumt worden ist, ihre Aktienoptionen umzusetzen, dann zum niedrigsten Kurs, den es je gegeben hat. Auf jeden Fall weit unter dem Kurs, zu dem sie diese Optionen erhalten haben. Ein absolutes Minusgeschäft.
Gab es nach den Entlassungen Überlegungen, einen Betriebsrat zu gründen?
Nein, im Gegenteil. Wieso brauchen wir auch einen Betriebsrat? Niemand will das hier haben. Anfang Januar hatte die IG Metall deswegen eine E-Mail an alle deutschen Intershop-Mitarbeiter gerichtet. Sie wurde nur mit Hohn und Gelächter aufgenommen.
Ist von der ursprünglichen Goldgräberstimmung noch etwas übrig geblieben?
Bei den langjähriger Mitarbeitern ist die Unzufriedenheit zu bemerken. Sie denken über einen Wechsel nach. Die neuen Mitarbeiter sind noch voller Hoffnung. Sie glauben weiterhin, dass sie durch die Aktienoptionen bald reich werden.
Analysten gehen davon aus, dass die Aktien von Intershop in diesem Jahr nicht mehr steigen. Wie wird die Motivation der Mitarbeiter aufrechterhalten?
Nachdem die Mitarbeiter entlassen waren, wurde ein großes Meeting einberufen, an dem auch der Vorstand teilnahm. Er hat die Kündigungen noch mal verteidigt und beteuert, dass nun alles noch besser wird und wir zu einem tollen Team gehören. Anschließend gab es für alle Pizza und alkoholfreies Bier. Den meisten Kollegen hat es sehr gut gefallen. Ich war beeindruckt, wie schnell die alten Mitarbeiter vergessen waren.
Aber viel Geld ist jetzt nicht mehr da. Darum beschränkt sich die Unternehmensleitung auf kostengünstige Maßnahmen und organisiert Betriebssport, zum Beispiel Fußball. Da können die Mitarbeiter nach Feierabend noch etwas zusammen erleben. Ein Vorstandsmitglied hat sogar seine Segelyacht zur Verfügung gestellt. Jetzt dürfen die Mitarbeiter auch mal das elitäre Gefühl genießen, auf der Yacht vom Chef mitzusegeln.
* Der Name wurde von der Redaktion geändert.
Viele Grüße
aus dem Ruhrpott
»Wer entlassen wird,
muss sofort gehen«
Wer reich werden will, geht auf den Neuen Markt. Diese Devise galt bis vor kurzem nicht nur für Aktienbesitzer, sondern auch für die Mitarbeiter der New Economy. Wie zum Beispiel beim Software-Haus Intershop (Jungle World, 3/01). Doch seitdem die Techno-Werte an der Börse in bodenlose Tiefen fallen, sind auch die Beschäftigten vor Entlassungen und Gehaltskürzungen nicht mehr sicher.
Christian Henkel * ist Mitarbeiter der Firma Intershop. Über den Crash am Neuen Markt und die neuen Arbeitsbedingungen in der New Economy befragte ihn Kirsten Schulz.
Was unterscheidet Ihren New Economy-Betrieb von einem traditionellen Unternehmen?
Ein auffälliger Unterschied ist, dass in unserem Unternehmen fast ausschließlich junge Leute beschäftigt sind. Das Durchschnittsalter liegt unter dreißig. Nur einige der Führungskräfte sind älter als vierzig. Wir duzen uns alle. Selbst der Geschäftsführer wird mit seinem Vornamen angesprochen.
Wie wirkt sich das auf die Arbeitsbedingungen aus?
Die Geschäftsführung erwartet, dass man so lange arbeitet, bis ein Projekt abgeschlossen ist. Häufig arbeiten wir bis Mitternacht, um einen Auftrag effizient und schnell abzuschließen. Und wenn es Probleme gibt, muss man selbstverständlich auch am Wochenende zur Verfügung stehen. Der Arbeitsbeginn ist locker geregelt. In der Old Economy fängt man häufig schon um sieben Uhr an. Hier kommen die Mitarbeiter meistens erst zwischen neun und zehn Uhr morgens.
Gibt es bezahlte Überstunden oder sonstige Gratifikationen?
Nein. Mehrarbeit wird nicht bezahlt. Als ein Kollege begann, seine Überstunden aufzuschreiben, um sie vielleicht einmal abzubummeln, wurde ihm schnell klar gemacht, dass er nicht mehr lange dabei ist. Es gibt auch kein Urlaubs- und Weihnachtsgeld.
Intershop galt lange Zeit als eines der lukrativsten Unternehmen am Neuen Markt. Erhalten die Mitarbeiter auch Aktienoptionen?
Schon während des Einstellungsgesprächs wird ein Optionsprogramm angeboten und gesagt, dass es sich lohnen würde, da einzusteigen. Damit sei enorm viel Geld zu verdienen, einige Kollegen seien auf diese Weise schon reich geworden. Vor dem Crash war dieses Angebot noch glaubhaft und die meisten Mitarbeiter gingen darauf ein. Im Grunde genommen hatte man auch gar keine andere Wahl.
Also Lohnverzicht zu Gunsten der Aktienoptionen?
Genauso ist es. Ein Teil des Gehalts wird in Optionen festgelegt und kann dann, so ist es vertraglich geregelt, in zwei oder drei Jahren an der Börse realisiert werden. Es sind etwa 20 Prozent des Einkommens, die in Form dieser Aktienoptionen zurückgehalten werden. Die Mitarbeiter identifizieren sich dann mit dem Unternehmen und hoffen, schnell reich zu werden.
Die New Economy wirbt gerne mit ihren flachen Hierarchien. Der Chef ist ein Kumpel, mit dem man jederzeit offen über alle Probleme reden kann.
Das ist zum Teil sogar erwünscht. Der Chef hat dann auch wirklich ein Ohr frei und ist da, wenn es ein Problem gibt - vorausgesetzt, die Lösung kostet nichts. Wenn es um Geld geht, zum Beispiel bei Lohnerhöhungen, hört das Verständnis allerdings auf.
In den Stellenanzeigen wird immer mit den flachen Hierarchien geworben. Aber das ist totaler Quatsch. Die Hierarchien haben sich so vertieft, dass man mittlerweile schon mit fünf Vorgesetzten sprechen muss, bis ein Problem in die Chefetage vordringt. Ein weiteres Problem ist, dass die Führungskräfte sehr jung sind. Sie haben keine Erfahrung in der Personalführung, und besonders wenn es kriselt, bemerkt man ihre Inkompetenz.
Wird auch über die Einkommen gesprochen?
Das ist eines der größten Geheimnisse. Keiner weiß, was der andere verdient. Das ist ein Tabu, denn es könnte dem Wir-Gefühl schaden. Mitarbeiter der Führungsebene verdienen das Vier- bis Fünffache eines normalen Mitarbeiters.
Gibt es eine Mitarbeiterversammlung, auf der Probleme angesprochen werden?
Jeden Montag findet das so genannte All-Company-Meeting statt. Dort gibt es Saft und kleine Knabbereien und man erfährt einige Neuigkeiten. Aber meistens handelt es sich dabei nur um belanglose Dinge. Damit soll der Wocheneinstieg erleichtert werden.
Intershop ist in der Krise. Nach dem Kurssturz am Neuen Markt kam es zu Kündigungen. Wie wurde dies im Betrieb gehandhabt?
Die Geschäftsführung legte zunächst fest, welche Abteilung wie viele Mitarbeiter zu entlassen hatte. Dann mussten die Abteilungsleiter innerhalb einer Woche die zu kündigenden Mitarbeiter auswählen. Diese Personen wurden dann zum Vorstandsvorsitzenden gerufen. Ihnen wurde dort mitgeteilt, dass man sich wegen der schwierigen Situation trennen müsse. Sie erhielten die Anweisung: »Innerhalb einer Stunde packst du deine Sachen zusammen, nimmst deine Arbeitsgeräte, die du von Intershop gestellt bekommen hast und gibst sie an entsprechender Stelle ab.« Dann wurden Aufhebungsverträge unterschrieben. Diese Gespräche dauerten in der Regel nie länger als eine Stunde.
Wie haben die Betroffenen reagiert?
Sie waren vor den Kopf gestoßen. Sie waren völlig unvorbereitet und konnten mit dieser Situation nicht umgehen. Niemand kannte sich mit dem Arbeitsrecht aus und daher wurde alles hingenommen. Innerhalb einer Stunde mussten sie sich von allem trennen und hatten nicht einmal die Chance, sich von ihren Kollegen zu verabschieden oder eine Übergabe vorzunehmen. Jeder hat seinen Schlüssel abgegeben und ist gegangen. Keiner ist seitdem wieder bei Intershop gesehen worden.
Wer seinen Job verliert, muss auch auf die Aktienoptionen verzichten?
Die Optionen sind an den Arbeitsvertrag gebunden und verfallen beim Ausscheiden aus dem Unternehmen. Aber selbst wenn den Entlassenen noch die Möglichkeit eingeräumt worden ist, ihre Aktienoptionen umzusetzen, dann zum niedrigsten Kurs, den es je gegeben hat. Auf jeden Fall weit unter dem Kurs, zu dem sie diese Optionen erhalten haben. Ein absolutes Minusgeschäft.
Gab es nach den Entlassungen Überlegungen, einen Betriebsrat zu gründen?
Nein, im Gegenteil. Wieso brauchen wir auch einen Betriebsrat? Niemand will das hier haben. Anfang Januar hatte die IG Metall deswegen eine E-Mail an alle deutschen Intershop-Mitarbeiter gerichtet. Sie wurde nur mit Hohn und Gelächter aufgenommen.
Ist von der ursprünglichen Goldgräberstimmung noch etwas übrig geblieben?
Bei den langjähriger Mitarbeitern ist die Unzufriedenheit zu bemerken. Sie denken über einen Wechsel nach. Die neuen Mitarbeiter sind noch voller Hoffnung. Sie glauben weiterhin, dass sie durch die Aktienoptionen bald reich werden.
Analysten gehen davon aus, dass die Aktien von Intershop in diesem Jahr nicht mehr steigen. Wie wird die Motivation der Mitarbeiter aufrechterhalten?
Nachdem die Mitarbeiter entlassen waren, wurde ein großes Meeting einberufen, an dem auch der Vorstand teilnahm. Er hat die Kündigungen noch mal verteidigt und beteuert, dass nun alles noch besser wird und wir zu einem tollen Team gehören. Anschließend gab es für alle Pizza und alkoholfreies Bier. Den meisten Kollegen hat es sehr gut gefallen. Ich war beeindruckt, wie schnell die alten Mitarbeiter vergessen waren.
Aber viel Geld ist jetzt nicht mehr da. Darum beschränkt sich die Unternehmensleitung auf kostengünstige Maßnahmen und organisiert Betriebssport, zum Beispiel Fußball. Da können die Mitarbeiter nach Feierabend noch etwas zusammen erleben. Ein Vorstandsmitglied hat sogar seine Segelyacht zur Verfügung gestellt. Jetzt dürfen die Mitarbeiter auch mal das elitäre Gefühl genießen, auf der Yacht vom Chef mitzusegeln.
* Der Name wurde von der Redaktion geändert.
Viele Grüße
aus dem Ruhrpott