Guten Morgen allerseits! Nachfolgend mein Versuch, die gestrige 18 Uhr Meldung möglichst objektiv und emotionslos einzuordnen. Freue mich über vernünftiges Feedback dazu.
1) Hatte die BaFin Anlass dazu bzw. war das gerechtfertigt?
M. E. ein ganz klares ja, sogar unabhängig davon ob jemand Strafanzeige gestellt hat oder nicht. Deshalb kam die gestrige Nachricht für mich nicht völlig überraschend Die Adhoc vom 12. März nachts führte zu einem Aktienanstieg von 28,1% bei der Eröffnung am 13. März; am Tag des KPMG Berichts fiel der Kurs um 26,1% (-32,1% wenn ich den 29. April noch mitnehme). Noch offensichtlicher kann es kaum sein, dass hier scheinbar die Marktteilnehmer die Adhocs von Wirecard und den finalen Bericht von KMPG völlig unterschiedlich gewertet haben. Wenn sich die BaFin solche Kursbewegungen (eines Dax-Unternehmens!) nicht anschaut, dann weiß ich es auch nicht mehr. Das bedeutet aber nicht gleich ein Fehlverhalten seitens Wirecard wenn die Märkte irrational reagieren.
2) Ist das jetzt eine „Standarduntersuchung“ wie hier gestern geschrieben wurde?
Meiner Meinung nach definitiv nicht. Dass die BaFin sich das ganze anschaut, wurde von denen ja schon Ende April / Anfang Mai bestätigt; wenn die also nach sechs Wochen eine Durchsuchung betreiben, dann werden die wahrscheinlich mehr haben als nur einen Anfangsverdacht bzw. die Anzeige eines Dritten.
3) Wie verstehe ich die Vorwürfe?
Mein Verständnis ist, dass Wirecard vorgeworfen wird, zu optimistisch den KPMG Ausgang avisiert zu haben. Als zweiten Vorwurf verstehe ich, dass die Verschiebungen zB auf Corona-bedingte Reisestopps geschoben wurden, dabei hat das auch an anderen Dingen gelegen wie zB die Analyse der Dez 2019 elastic engine Daten. Der dritte Punkt ist wohl die Aussage von MB, dass E&Y testieren werde und anschließend kommen die Verschiebungen durch E&Y und Fragezeichen diesbezüglich.
4) Was hat die BaFin da gestern gesucht?
Basierend auf 3) vermute ich mal, die wollten wissen, ab wann denn die Vorstände über die Ergebnisse und scharfen Formulierungen im KPMG Bescheid wussten. Das gleiche gilt für den Grund der Verschiebung des KPMG Berichts. Als konkretes Beispiel: sollte Wirecard am 12. März gewusst haben, dass da harsche Missstände in der Governance von KPMG aufgedeckt werden und dass sich wegen der elastic engine Auswertungen alles um mehrere Wochen verschiebt, dann darf/sollte ein Unternehmen nicht schreiben, dass schon drei Viertel geklärt sind und Corona den Bericht nach hinten schiebt. Das wäre für mich keine faire/transparente Kommunikation ggü den Aktionären.
5) Was können die Auswirkungen sein?
Für mich gibt es grundsätzlich drei Möglichkeiten: 1) Persönliche Strafen für die Beteiligten bei Abschluss des Verfahrens (in ein paar Jahren) wenn denn Fehlverhalten entdeckt wurde. Für den Aktienkurs ist das eigentlich ein non-event. 2) Sollte denn ein Fehlverhalten festgestellt werden, dann befürchte ich leider, dass dies viel Munition liefert für unzählige Klagen von Aktionären, die die Aktie zwischen dem 12. März und 28. April gekauft haben. 3) Was gestern passiert ist, gibt der Personaldiskussion um den aktuellen Vorstand weiterhin viel Stoff.
6) Was bedeutet das für MB?
Schwierige Frage, aber die Aussage neulich im MM, dass der Verbleib von MB auch daran hängt, dass es keine Probleme mit der BaFin gibt, sorgt jetzt natürlich für mehr Zündstoff. Interessant ist dabei für mich aber insbesondere ein Aspekt: korrigiert mich wenn ich falsch liege, aber der KPMG-Bericht wurde doch von Hr. Eichelmann geleitet und wenn jemand über Zwischenberichte informiert wurde, dann doch er und nicht der Vorstand. Zudem unterstelle ich mal, dass solche wichtigen Adhocs wie am 12. März und im April vorher dem AR-Vorsitzenden vorgelegt werden. D.h. wie kann Hr. Eichelmann für diese Kommunikation den CEO über die Klippe springen lassen, wenn er denn selber sämtliche relevanten Infos (wenn nicht sogar mehr) hatte und nicht reingegrätscht ist?
7) Was spricht für Wirecard?
Interessanterweise spricht eines der Lieblings-Magazine hier im Forum für Wirecard in meinen Augen: die Wirtschaftswoche. In dem letzten harschen Artikel steht: „sämtliche Vorstände, die Anwälte (…) um 1.30 Uhr, kommt die ersehnte E-Mail rein, mit dem Bericht des Wirtschaftsprüfers KPMG (…) Einige im Raum sollen blass geworden sein, als sie lasen, was die Prüfer schrieben.“ Keine Ahnung, wo die WiWo das herbekommen hat, aber wenn das stimmt, dass das Management erst in dieser Nacht um 1.30 Uhr die KPMG Details bekommen haben und daraufhin blass geworden sind, dann entkräftet das mMn die Vorwürfe der absichtlichen falschen Darstellung schon mal deutlich. Die Frage wäre dann aber, auf welcher Grundlage man die Adhocs im März und April veröffentlichen konnte.
Was auch für Wirecard spricht in meinen Augen: die Adhocs von damals waren streng genommen nicht falsch, es wurden höchstens Aspekte weggelassen. Ob das dann rechtlich zu belangen ist, dass die Verschiebung des KPMG-Berichts wegen der elastic engine oder wegen Corona erfolgte, das weiß ich nicht. Dass das eine suboptimale Kommunikation ggü den Aktionären ist, steht für mich außer Frage. Aber das ist eher ein Thema für die Hauptversammlung.
8) Was bedeutet das für den Kurs?
Wenn ich das wüsste, müsste ich hier nicht schreiben, sondern würde schreiben lassen. Dass es am Montag erst mal runter geht unter den Freitags-XETRA-Kurs versteht sich von selbst. Dazu könnte man argumentieren, dass eine erhöhte Wahrscheinlichkeit eines MB Abgangs eingepreist werden könnte – aber da scheiden sich ja ein wenig die Geister, in welche Richtung das gehen würde.
9) Sonstige Gedanken?
Ich habe natürlich keine Ahnung, wie das gestern passiert ist. Aber wenn da einige Mannschaftswagen in Aschheim mit Staatsanwaltschaft & Belegschaft vorgefahren sind, dann wundert es mich eher, warum das noch bis 18 Uhr nicht veröffentlicht wurde. Das hätten doch Dutzende/Hunderte der Belegschaft in Aschheim sehen müssen, das wird nie zu verschweigen sein. Dass es erst einen HB-Artikel gibt und erst dann das Unternehmen sich meldet, ist für mich wiederum keine besonders gute Kommunikation. Zum Schluss: hier kam in der letzten Wochen dutzendfach die Frage, warum hier noch LVs unterwegs sind und der Kurs nicht steigt. Et voilá! Das Unternehmen kommt einfach nicht zur Ruhe.
Anbei noch einige Links zu ähnlich gelagerten Fällen bei Interesse.
Durchsuchung Kengeter / Dt. Börse
www.handelsblatt.com/unternehmen/...-TwGMKksiXpka3CTQnqj2-ap2
VW Beispiel
www.tagesschau.de/wirtschaft/...lation-diess-poetsch-101.html
Daimler Prozess wegen Adhoc
www.manager-magazin.de/finanzen/artikel/a-466532.html
Schönes Wochenende!