Lohnrunde 2002: Im Spannungsfeld zwischen Inflationsausgleich und Arbeitslosigkeit
Anfang Dezember gab der Vorstand der IG Metall seine Empfehlung für Lohnforderungen in Höhe von 5 bis 7 Prozent bekannt. Viele Beobachter zeigten sich überrascht, da sie wegen der zunehmenden konjunkturellen Ein-trübung und der steigenden Arbeitslosigkeit für 2002 mit der Fortsetzung eines moderaten tarifpolitischen Kur-ses gerechnet hatten. Mittlerweile haben sich die regionalen Bezirksvertreter mit 6,5 Prozent sogar auf eine Zahl im oberen Spektrum dieser Spanne verständigt. Das hohe Forderungsvolumen der IG Metall, die in diesem Jahr die Tarifrunde eröffnet, wird eine schnelle Einigung erschweren, auch weil es bei den Gewerkschaftsmit-gliedern die Erwartungen hochgeschraubt hat. Aktuell kommt noch erschwerend hinzu, dass die deutsche Infla-tionsrate am Jahresbeginn nicht zuletzt wegen der Euro-Umstellung kräftig steigen wird. Wenn die Verhandlun-gen im Februar laufen, klettern allerdings auch die Arbeitslosenzahlen voraussichtlich bis auf rund 4,3 Millio-nen. Die Tarifrunde 2002 findet also in einem Spannungsfeld von zunehmender Arbeitslosigkeit und zumindest vorübergehend höherer Inflation statt. Durch Letzteres nimmt das Risiko eines in konjunktureller Hinsicht be-denklich hohen Abschlusses zu.
Für den Beschluss der diesjährigen Forderung spielte die aktuelle Inflationsdiskussion noch keine Rolle, sondern eher die Entwicklung der Preise im Vorjahr. Der Tarifabschluss 2000, dessen Laufzeit zwei Jahre betrug, brachte für die betroffenen Arbeitnehmer im vergangenen Jahr mit einer Anhebung von 2,1 Prozent in realer Rechnung keinen Kaufkraftzuwachs. Denn die Inflationsrate stieg 2001 durch die zum Zeitpunkt des Abschlus-ses nicht absehbare Energie- und Nahrungsmittelpreisentwicklung auf 2,5 Prozent. Dadurch ergab sich sogar ein leichter Reallohnverlust. Neben der Summe aus erwartetem Produktivitäts- und Inflationsanstieg enthält die Forderung deswegen diesmal eine Umverteilungskomponente, die von der Gewerkschaft selbst auf mehr als 2 Prozent beziffert wird.
Angesichts von Konjunkturschwäche und zunehmender Arbeitslosigkeit verteidigen ranghohe Gewerkschafts-vertreter diese Forderungshöhe bislang, indem sie wieder mehr mit der notwendigen Stärkung der Binnennach-frage durch höhere Löhne argumentieren. Angesichts der Exportbeeinträchtigung durch die globale Konjunktur-schwäche müsse der binnenwirtschaftliche Wachstumsmotor in Gang gebracht werden, um die Konjunktur un-abhängiger von der außenwirtschaftlichen Entwicklung zu machen. Damit rückt die so genannte Kaufkrafttheo-rie der Löhne wieder ins Rampenlicht. Nach dieser Theorie führt eine Anhebung der Tariflöhne zu einer Steige-rung der volkswirtschaftlichen Lohnsumme. Die Einkommensverbesserung zieht steigende Konsumausgaben nach sich und dementsprechend eine stärkere Auslastung der vorhandenen Produktionskapazitäten. Die Unter-nehmen in der Konsumgüterindustrie erhöhen daraufhin ihre Beschäftigung, was sich erneut günstig auf Lohn-summe und Konsum auswirkt. Falls im Zeitablauf dann Engpässe in der Produktion entstehen, belebt sich auch die Investitionsnachfrage. Der Theorie entsprechend hat das dann auch in der Investitionsgüterindustrie Ein-stellungen zur Folge, die einen weiteren Anstieg von Lohnsumme und Konsumnachfrage auslösen.
Tatsächlich bilden die Bruttolöhne und -gehälter in Deutschland mit rund zwei Dritteln des Verfügbaren Ein-kommens den wesentlichen Einkommensbestandteil. Könnte also in diesem Jahr eine Belebung der schwachen Binnennachfrage gelingen, wenn die Lohnpolitik über den neutralen Verteilungsspielraum aus Produktivitäts- und Absatzpreisanstieg hinausgeht? Es spricht einiges dafür, dass es nicht so einfach ist, denn die Kaufkraft-theorie weist etliche Schönheitsfehler auf. So überschätzt sie die Wirkungen von Lohnerhöhungen auf die Nachfrage der privaten Haushalte. Denn zunächst schmälern Steuern und Sozialabgaben den Bruttoanstieg deutlich. Auch der Restbetrag wird nicht voll im Inland nachfragewirksam, weil Teile davon entweder gespart werden oder für importierte Waren und Urlaubsreisen ins Ausland fließen. Vor allem aber bleiben in der Theorie die Kostenwirkungen einer expansiven Lohnerhöhung unberücksichtigt. Neben dem Bruttobetrag der Lohnerhö-hung müssen hier noch die fälligen Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung aufgeschlagen werden. Führt dieser höhere Kostendruck jedoch zu einer Reduzierung der Beschäftigung, steigt die Lohnsumme insgesamt nicht. Damit zerbricht bereits das Anfangsglied der Argumentationskette. Aber selbst wenn man eine Nachfra-geerhöhung unterstellt, würde davon real vielleicht nur wenig übrig bleiben, wenn der Unternehmenssektor auf die höheren Kosten mit Preisanhebungen reagiert. Die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale könnte die Geldpolitik zu einer Anhebung der Leitzinsen veranlassen – mit wiederum entsprechend ungünstigen Wirkungen auf Investiti-ons- und Verschuldungsbereitschaft sowie letztendlich auf die Binnennachfrage.
Ein solches Szenario kommt aber wohl kaum zum Tragen, da es eine günstige konjunkturelle Entwicklung vor-aussetzt. Die IG Metall gibt an, in ihrer Forderung die erwartete Konjunkturerholung bereits einbezogen zu ha-ben. Der Aufschwung könnte aber infolge zu starker Lohnsteigerungen hinter den Prognosen zurückbleiben, zumal diese unter der Voraussetzung einer moderaten Lohnrunde abgegeben wurden So sah vor kurzem der Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, Otmar Issing, in einem Interview zu hohe Lohnabschlüsse vor al-lem als konjunkturelles Risiko. Unabhängig vom tatsächlichen Abschlussvolumen hat sich schon jetzt die Ge-fahr erhöht, dass die erhoffte Erholung des Geschäftsklimas wegen des sich anbahnenden Tarifkonflikts auf sich warten lässt. Denn eine schnelle Einigung ist angesichts der hohen Erwartungen der Arbeitnehmer mitt-lerweile kaum vorstellbar. Sogar von ersten möglichen Warnstreiks in der Metall- und Elektroindustrie kurz nach Ende der Friedenspflicht Ende März war zuletzt die Rede.
Der Beginn dieser Lohnrunde weckt Erinnerungen an 1995. Vor sieben Jahren gelang es der IG Metall, mit ei-nem Abschluss von 5,1 Prozent 85 Prozent ihrer Forderung von 6 Prozent durchzusetzen. Der hohe Lohnab-schluss zählt als eine Ursache für die damals folgende konjunkturelle Abschwächung und die starke Erhöhung der Arbeitslosenzahlen. Obwohl die Ausgangsforderung diesmal sogar höher liegt, dürfte der tatsächliche Lohn-abschluss aber nicht so hoch ausfallen. Anfang 1995 folgten die Tarifverhandlungen nämlich auf ein in kon-junktureller Hinsicht günstiges Jahr, in dem die Arbeitslosenzahlen rückläufig waren. Im vergangenen Jahr hat sich das Wachstum dagegen kontinuierlich verlangsamt. Dadurch nahmen bereits im Verlauf die Arbeitslosen-zahlen wieder deutlich zu. Während die Tarifverhandlungen im Februar beginnen, steigt voraussichtlich die Ar-beitslosigkeit auf rund 4,3 Millionen. Angesichts dieses Niveaus könnten die Arbeitnehmervertreter für einen kompromisslosen Kurs in der Öffentlichkeit nur auf wenig Verständnis hoffen. Außerdem möchte die IG Metall in den Lohnverhandlungen auf jeden Fall durchsetzen, dass angesichts der bisherigen Diskrepanzen in der Be-zahlung von Arbeitern und Angestellten der Einstieg in einen einheitlichen Rahmentarifvertrag gelingt. Für die Erreichung dieses Ziels ist ein Entgegenkommen bei den Lohnprozenten denkbar.
In früheren Tarifrunden hat die IG Metall mit ihrer Forderung oft den Maßstab für die anderen Gewerkschaften gesetzt. Derzeit scheint sich aber in anderen Branchen eine gewisse Differenzierung abzuzeichnen. Die IG Bau hat beispielsweise aufgrund der schwierigen Lage der Bauwirtschaft von fehlenden Umverteilungsspielräumen gesprochen und ihre Forderung mit 4,5 Prozent deutlich unter die von den Metallern vorgegebene Latte ge-hängt. Auch die IGBCE (Bergbau, Chemie, Energie) fährt schon rein rhetorisch einen weniger aggressiven Kurs. Aber nicht nur zwischen den Branchen sind die Unterschiede groß, sondern auch innerhalb einer Branche zwi-schen den Unternehmen. So entwickeln sich viele Metall- und Elektrounternehmen im Norden der Republik im Durchschnitt wesentlich ungünstiger als im wirtschaftlich stärkeren Südwesten. Abzuwarten bleibt, ob des-wegen der Einstieg zu flexiblen Lohnabschlüssen gelingt, die neben einer Basiserhöhung für die Arbeitnehmer aller Unternehmen die Zahlung einer ertragsabhängigen Komponente enthalten. In den Bündnis-für-Arbeit-Gesprächen am 25. Januar wollen die Gewerkschaften zwar offiziell die Tarifrunde als Thema ausklammern. Aber es wäre durchaus möglich, dass über das Modell eines flexiblen Lohnabschlusses diskutiert wird, zumal es übrigens von IG-Metall-Präsident Zwickel selbst Ende 2001 ins Gespräch gebracht worden war.
Dennoch geht ein weiteres Risiko für einen zu expansiven Lohnkurs derzeit von der Entwicklung der deutschen Inflationsrate zu Beginn des neuen Jahres aus. Infolge von saisonalen Verteuerungen, Steuererhöhungen, Ben-zinpreisanhebungen und Preisanpassungen im Zuge der Euro-Bargeldeinführung könnte sich im Januar ein ziem-lich kräftiger Preisniveausprung ergeben haben. Dieser ist zwar nicht charakteristisch für den derzeitigen Infla-tionstrend, schon gar nicht bei den Absatzpreisen von im internationalen Wettbewerb stehenden Unternehmen. Die IG Metall wird aber deshalb möglicherweise in den Verhandlungen weniger mit der vergangenen Preisent-wicklung argumentieren, sondern könnte versuchen, die Verhältnismäßigkeit ihrer Forderung mit der aktuellen Inflationsrate zu untermauern. Das Abschlussvolumen ginge in diesem Fall vielleicht weit über 3 Prozent hin-aus. In Bezug auf Konjunktur und Beschäftigung wäre das kein gutes Omen. Für die Europäische Zentralbank könnte es außerdem ein Signal sein, in zinspolitischer Hinsicht noch vorsichtiger zu werden und vielleicht eine aus konjunkturellen Gründen noch wünschenswerte Reduzierung des Refinanzierungssatzes zu unterlassen. (Quelle: BHF-Bank)
© boerse.de
Anfang Dezember gab der Vorstand der IG Metall seine Empfehlung für Lohnforderungen in Höhe von 5 bis 7 Prozent bekannt. Viele Beobachter zeigten sich überrascht, da sie wegen der zunehmenden konjunkturellen Ein-trübung und der steigenden Arbeitslosigkeit für 2002 mit der Fortsetzung eines moderaten tarifpolitischen Kur-ses gerechnet hatten. Mittlerweile haben sich die regionalen Bezirksvertreter mit 6,5 Prozent sogar auf eine Zahl im oberen Spektrum dieser Spanne verständigt. Das hohe Forderungsvolumen der IG Metall, die in diesem Jahr die Tarifrunde eröffnet, wird eine schnelle Einigung erschweren, auch weil es bei den Gewerkschaftsmit-gliedern die Erwartungen hochgeschraubt hat. Aktuell kommt noch erschwerend hinzu, dass die deutsche Infla-tionsrate am Jahresbeginn nicht zuletzt wegen der Euro-Umstellung kräftig steigen wird. Wenn die Verhandlun-gen im Februar laufen, klettern allerdings auch die Arbeitslosenzahlen voraussichtlich bis auf rund 4,3 Millio-nen. Die Tarifrunde 2002 findet also in einem Spannungsfeld von zunehmender Arbeitslosigkeit und zumindest vorübergehend höherer Inflation statt. Durch Letzteres nimmt das Risiko eines in konjunktureller Hinsicht be-denklich hohen Abschlusses zu.
Für den Beschluss der diesjährigen Forderung spielte die aktuelle Inflationsdiskussion noch keine Rolle, sondern eher die Entwicklung der Preise im Vorjahr. Der Tarifabschluss 2000, dessen Laufzeit zwei Jahre betrug, brachte für die betroffenen Arbeitnehmer im vergangenen Jahr mit einer Anhebung von 2,1 Prozent in realer Rechnung keinen Kaufkraftzuwachs. Denn die Inflationsrate stieg 2001 durch die zum Zeitpunkt des Abschlus-ses nicht absehbare Energie- und Nahrungsmittelpreisentwicklung auf 2,5 Prozent. Dadurch ergab sich sogar ein leichter Reallohnverlust. Neben der Summe aus erwartetem Produktivitäts- und Inflationsanstieg enthält die Forderung deswegen diesmal eine Umverteilungskomponente, die von der Gewerkschaft selbst auf mehr als 2 Prozent beziffert wird.
Angesichts von Konjunkturschwäche und zunehmender Arbeitslosigkeit verteidigen ranghohe Gewerkschafts-vertreter diese Forderungshöhe bislang, indem sie wieder mehr mit der notwendigen Stärkung der Binnennach-frage durch höhere Löhne argumentieren. Angesichts der Exportbeeinträchtigung durch die globale Konjunktur-schwäche müsse der binnenwirtschaftliche Wachstumsmotor in Gang gebracht werden, um die Konjunktur un-abhängiger von der außenwirtschaftlichen Entwicklung zu machen. Damit rückt die so genannte Kaufkrafttheo-rie der Löhne wieder ins Rampenlicht. Nach dieser Theorie führt eine Anhebung der Tariflöhne zu einer Steige-rung der volkswirtschaftlichen Lohnsumme. Die Einkommensverbesserung zieht steigende Konsumausgaben nach sich und dementsprechend eine stärkere Auslastung der vorhandenen Produktionskapazitäten. Die Unter-nehmen in der Konsumgüterindustrie erhöhen daraufhin ihre Beschäftigung, was sich erneut günstig auf Lohn-summe und Konsum auswirkt. Falls im Zeitablauf dann Engpässe in der Produktion entstehen, belebt sich auch die Investitionsnachfrage. Der Theorie entsprechend hat das dann auch in der Investitionsgüterindustrie Ein-stellungen zur Folge, die einen weiteren Anstieg von Lohnsumme und Konsumnachfrage auslösen.
Tatsächlich bilden die Bruttolöhne und -gehälter in Deutschland mit rund zwei Dritteln des Verfügbaren Ein-kommens den wesentlichen Einkommensbestandteil. Könnte also in diesem Jahr eine Belebung der schwachen Binnennachfrage gelingen, wenn die Lohnpolitik über den neutralen Verteilungsspielraum aus Produktivitäts- und Absatzpreisanstieg hinausgeht? Es spricht einiges dafür, dass es nicht so einfach ist, denn die Kaufkraft-theorie weist etliche Schönheitsfehler auf. So überschätzt sie die Wirkungen von Lohnerhöhungen auf die Nachfrage der privaten Haushalte. Denn zunächst schmälern Steuern und Sozialabgaben den Bruttoanstieg deutlich. Auch der Restbetrag wird nicht voll im Inland nachfragewirksam, weil Teile davon entweder gespart werden oder für importierte Waren und Urlaubsreisen ins Ausland fließen. Vor allem aber bleiben in der Theorie die Kostenwirkungen einer expansiven Lohnerhöhung unberücksichtigt. Neben dem Bruttobetrag der Lohnerhö-hung müssen hier noch die fälligen Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung aufgeschlagen werden. Führt dieser höhere Kostendruck jedoch zu einer Reduzierung der Beschäftigung, steigt die Lohnsumme insgesamt nicht. Damit zerbricht bereits das Anfangsglied der Argumentationskette. Aber selbst wenn man eine Nachfra-geerhöhung unterstellt, würde davon real vielleicht nur wenig übrig bleiben, wenn der Unternehmenssektor auf die höheren Kosten mit Preisanhebungen reagiert. Die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale könnte die Geldpolitik zu einer Anhebung der Leitzinsen veranlassen – mit wiederum entsprechend ungünstigen Wirkungen auf Investiti-ons- und Verschuldungsbereitschaft sowie letztendlich auf die Binnennachfrage.
Ein solches Szenario kommt aber wohl kaum zum Tragen, da es eine günstige konjunkturelle Entwicklung vor-aussetzt. Die IG Metall gibt an, in ihrer Forderung die erwartete Konjunkturerholung bereits einbezogen zu ha-ben. Der Aufschwung könnte aber infolge zu starker Lohnsteigerungen hinter den Prognosen zurückbleiben, zumal diese unter der Voraussetzung einer moderaten Lohnrunde abgegeben wurden So sah vor kurzem der Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, Otmar Issing, in einem Interview zu hohe Lohnabschlüsse vor al-lem als konjunkturelles Risiko. Unabhängig vom tatsächlichen Abschlussvolumen hat sich schon jetzt die Ge-fahr erhöht, dass die erhoffte Erholung des Geschäftsklimas wegen des sich anbahnenden Tarifkonflikts auf sich warten lässt. Denn eine schnelle Einigung ist angesichts der hohen Erwartungen der Arbeitnehmer mitt-lerweile kaum vorstellbar. Sogar von ersten möglichen Warnstreiks in der Metall- und Elektroindustrie kurz nach Ende der Friedenspflicht Ende März war zuletzt die Rede.
Der Beginn dieser Lohnrunde weckt Erinnerungen an 1995. Vor sieben Jahren gelang es der IG Metall, mit ei-nem Abschluss von 5,1 Prozent 85 Prozent ihrer Forderung von 6 Prozent durchzusetzen. Der hohe Lohnab-schluss zählt als eine Ursache für die damals folgende konjunkturelle Abschwächung und die starke Erhöhung der Arbeitslosenzahlen. Obwohl die Ausgangsforderung diesmal sogar höher liegt, dürfte der tatsächliche Lohn-abschluss aber nicht so hoch ausfallen. Anfang 1995 folgten die Tarifverhandlungen nämlich auf ein in kon-junktureller Hinsicht günstiges Jahr, in dem die Arbeitslosenzahlen rückläufig waren. Im vergangenen Jahr hat sich das Wachstum dagegen kontinuierlich verlangsamt. Dadurch nahmen bereits im Verlauf die Arbeitslosen-zahlen wieder deutlich zu. Während die Tarifverhandlungen im Februar beginnen, steigt voraussichtlich die Ar-beitslosigkeit auf rund 4,3 Millionen. Angesichts dieses Niveaus könnten die Arbeitnehmervertreter für einen kompromisslosen Kurs in der Öffentlichkeit nur auf wenig Verständnis hoffen. Außerdem möchte die IG Metall in den Lohnverhandlungen auf jeden Fall durchsetzen, dass angesichts der bisherigen Diskrepanzen in der Be-zahlung von Arbeitern und Angestellten der Einstieg in einen einheitlichen Rahmentarifvertrag gelingt. Für die Erreichung dieses Ziels ist ein Entgegenkommen bei den Lohnprozenten denkbar.
In früheren Tarifrunden hat die IG Metall mit ihrer Forderung oft den Maßstab für die anderen Gewerkschaften gesetzt. Derzeit scheint sich aber in anderen Branchen eine gewisse Differenzierung abzuzeichnen. Die IG Bau hat beispielsweise aufgrund der schwierigen Lage der Bauwirtschaft von fehlenden Umverteilungsspielräumen gesprochen und ihre Forderung mit 4,5 Prozent deutlich unter die von den Metallern vorgegebene Latte ge-hängt. Auch die IGBCE (Bergbau, Chemie, Energie) fährt schon rein rhetorisch einen weniger aggressiven Kurs. Aber nicht nur zwischen den Branchen sind die Unterschiede groß, sondern auch innerhalb einer Branche zwi-schen den Unternehmen. So entwickeln sich viele Metall- und Elektrounternehmen im Norden der Republik im Durchschnitt wesentlich ungünstiger als im wirtschaftlich stärkeren Südwesten. Abzuwarten bleibt, ob des-wegen der Einstieg zu flexiblen Lohnabschlüssen gelingt, die neben einer Basiserhöhung für die Arbeitnehmer aller Unternehmen die Zahlung einer ertragsabhängigen Komponente enthalten. In den Bündnis-für-Arbeit-Gesprächen am 25. Januar wollen die Gewerkschaften zwar offiziell die Tarifrunde als Thema ausklammern. Aber es wäre durchaus möglich, dass über das Modell eines flexiblen Lohnabschlusses diskutiert wird, zumal es übrigens von IG-Metall-Präsident Zwickel selbst Ende 2001 ins Gespräch gebracht worden war.
Dennoch geht ein weiteres Risiko für einen zu expansiven Lohnkurs derzeit von der Entwicklung der deutschen Inflationsrate zu Beginn des neuen Jahres aus. Infolge von saisonalen Verteuerungen, Steuererhöhungen, Ben-zinpreisanhebungen und Preisanpassungen im Zuge der Euro-Bargeldeinführung könnte sich im Januar ein ziem-lich kräftiger Preisniveausprung ergeben haben. Dieser ist zwar nicht charakteristisch für den derzeitigen Infla-tionstrend, schon gar nicht bei den Absatzpreisen von im internationalen Wettbewerb stehenden Unternehmen. Die IG Metall wird aber deshalb möglicherweise in den Verhandlungen weniger mit der vergangenen Preisent-wicklung argumentieren, sondern könnte versuchen, die Verhältnismäßigkeit ihrer Forderung mit der aktuellen Inflationsrate zu untermauern. Das Abschlussvolumen ginge in diesem Fall vielleicht weit über 3 Prozent hin-aus. In Bezug auf Konjunktur und Beschäftigung wäre das kein gutes Omen. Für die Europäische Zentralbank könnte es außerdem ein Signal sein, in zinspolitischer Hinsicht noch vorsichtiger zu werden und vielleicht eine aus konjunkturellen Gründen noch wünschenswerte Reduzierung des Refinanzierungssatzes zu unterlassen. (Quelle: BHF-Bank)
© boerse.de