Da wirfst Du was durcheinander. Möllemann hat der jüdischen Gemeinde vorgeworfen, durch Leute wie Friedmann würde man den Antisemitismus in der Gesellschaft "selbst mitverschulden".
Der Vorwurf, der der Partei zu machen ist, ist dass sie die Sache sehr lange laufen ließen und Möllemann nicht klar zurück gepfiffen wurde.
Wenn Du mir jetzt erzählen will, dass die FDP eine Partei ist, die aneckt und die SPD und die CDU konturarme Parteien seien, die immer versuchen es allen Recht zu machen, dann muss ich doch aber eher lachen.
Die gelbe Gefahr
Inhaltlich entkernt, aber mit eimerweise Zuversicht. Dabei sein ist alles. Mit wem? Egal. Diese Partei treibt es mit jedem. Eine Warnung vor der FDP - von Tom Schimmeck
Burkhard, mein alter Klassenkamerad, ist Freidemokrat. Er hat Jura studiert, trägt eine fesche Brille, ein hellblaues Hemd und eine dezente Krawatte. Er ist 43 Jahre alt. Und wahnsinnig guter Laune.
Burkhard ist als Einziger aus unserer Klasse in die Politik gegangen. Das hatten wir nicht erwartet. In unserem Klassenkampf hing Burkhard eher zwischen den Fronten. Er war nicht so besonders festgelegt, aber im Zweifel eher für Brandt/Schmidt als für Barzel/Kohl.
Als Burkhard die Schule beendet hatte, trat er in die FDP ein. Warum? „Eher zufällig“, sagt er. Jedenfalls ist Burkhard jetzt FDP- Fraktionsvorsitzender in Hamburg. Er koaliert mit Schill und der CDU. Neulich hat er Schills Bundestags-Gebell „auf das Schärfste missbilligt“. Darauf ist Burkhard stolz.
„Ich gebe zu, dass mir Politik Spaß macht. Und da lass ich mir von den ganzen miestöpfigen Oppositionellen auch nicht die Laune verderben“, sagt Burkhard und lacht. Es läuft alles so prima. Er ist „sehr glücklich“. Gestern war Guido Westerwelle in Hamburg, und es war rappelvoll. Viele junge Leute waren da. „Nicht alles BWLer!“, sagt Burkhard, „auch Lehrerstudenten, ganz querbeet“. Was die anzieht? „Unser Aufschwung“, sagt er und redet von Eigenverantwortung, Leistungsbereitschaft, schimpft über die Staatsgläubigkeit, das Gießkannenprinzip und die soziale Hängematte. Er kann aus dem Stand Sätze bilden, die wir alle kennen. Man merkt, dass Burkhard, nicht mehr zufällig in der FDP ist. Und man merkt, dass er dieser Tage voll im Einsatz ist.
Er sagt, der Zulauf sei enorm, die Jungliberalen hätten sich in Hamburg glatt verdoppelt. Die Neulinge sagen: „Wer sich nicht einmischt, über den wird entschieden.“ Die klopfen auf den Tisch und fragen, warum eigentlich nur sechs, sieben oder acht Prozent? Warum nicht 20? Da staunt selbst Burkhard. Er hat ja die lange Apo-Zeit der Hamburger FDP durchlitten, den „gebeugten Gang“, wie er sagt: „Da war immer das Totenglöcklein an meiner Seite.“
Es soll jetzt alles nie mehr werden, wie es vorher mal war. Burkhards FDP knirscht vor Kraft. „Diesen Dammbruch“, sagt Burkhard, „hat auch Möllemann ausgelöst.“ Und dessen Parteistratege Fritz Goergen, der sich das „Projekt 18“ ausdachte: „Das Schöne ist, dass uns jetzt keiner mehr fragt, ob wir fünf Prozent schaffen, sondern ob wir die 18 erreichen.“ Burkhard lacht und feixt: „Das Problem wollten wir immer haben!“
Welche Pille hat die FDP genommen? Sie war doch früher immer in ihrer Nische geblieben, ein Häuflein von Groß- und Kleinbürgern, manchmal war sogar ein richtiger Kopf dabei. Ein Verein für Makler, Malermeister, Anwälte, Ärzte. Sie hat stets Klientelpolitik gemacht für jene, denen bei SPD und CDU zu viel Volk war – und die nicht so viel abdrücken wollten.
Die FDP war berechenbar promisk, ein Steigbügelhalter: Erst stand sie bei Adenauer, 1969 bei Brandt, 1982 flutsche sie rüber zu Kohl. Die Sozis waren ihr zu launisch geworden, und die eigenen Prozente fielen rapide, wie immer, wenn sie ein bisschen zu lange monogam gewesen war. Außerdem bot Kanzler Schmidt den Herren Lambsdorff und Co. nicht genug Deckung in der Flick-Affäre und verweigerte ein Amnestiegesetz. Kohl schenkte der FDP später sogar Leihstimmen, um sie am Leben zu halten. Kohl war ein Wirtstier.
Sie hat sich satt gefressen
1994 wäre, dem Gesetz der Serie folgend, wieder ein Wechsel fällig gewesen. Doch Scharping war nicht attraktiv, seine Quote zu mager. Also welkte die FDP weiter an Kohls Seite, bis sie 1998 nur noch vierte Kraft war, in elf von sechzehn deutschen Landtagen nicht mehr präsent. Darüber hat niemand geweint. Es war allen vollkommen gleichgültig, sogar den Zahnärzten.
Nun aber lärmt sie mit prallem Ego durchs Land. Sie will mindestens die alten Verhältnisse wieder haben. Weil sie für die Opposition nicht gebaut ist. Mit wem? Egal. Dabei sein ist alles. Mit Schröder? „Ja, natürlich“, sagt mein alter Klassenkamerad und Schill-Koalitionär Burkhard: „Wenn er die entsprechenden Prozente mitbringt.“
Die FDP hat viel Glück gehabt. Sie konnte sich zwei Jahre lang satt und rund fressen im Revier der scheintoten Union. Dazu kam der Zeitgeist, von Überdruss und Vergesslichkeit geprägt, bereit und begierig, die alte Tante im blaugelben Fummel als krasse Braut zu sehen. Es ist jener Blick, der wegschweift von der hässlichen großen Welt hin zum kleinen, mit Glanzlack überzogenen Glück. Verbreitet vor allem in jüngeren Jahrgängen, die sich endlich mal gut fühlen wollen, den Kick im Warenkosmos suchen und plötzlich ganz unironisch und einfach nur sauer werden, wenn ihnen Rentner auf der Rolltreppe den Weg versperren. Die Krankenversicherung ist zu teuer, wir sind doch eh gesund. Und wieso packt einem an der Supermarktkasse niemand die Tüten voll? Bei Blair geht das doch auch! Gehen Sie mal in London in den Supermarkt, da steht am Ende einer jeden Kasse ein Inder, der Ihnen die Lebensmittel in die Tüte tut! Der kriegt dann halt ein Trinkgeld, und Sie sollten mal sehen, wie gerne diese Leute das machen! Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht.
Hier setzt Guidos kleiner Genius ein. Er erkannte, dass auf dem Markt der jungen Flotten und melancholischen Mittdreißiger Lücken klafften, die mit Trallala und Hopsassa gefüllt werden könnten. Den Ahnungslosen fehlten noch jegliche Antikörper. Guido wollte ihr Pin-up-Boy werden. Guido wurde mobil.
Eigentlich hat Westerwelle keinen Humor. Aber Spaß muss jetzt sein. Taufrisch ist er auch nicht, er hat vielmehr die ganze lange Ochsentour hinter sich: 1980 trat er, wie mein Schulkamerad Burkhard, in die Partei ein und gründete die Jungliberalen – die „Julis“ – mit. Bis heute seine Leibgarde. Damals waren noch die Jungdemokraten – die „Judos“– am Drücker, ein verträumter, liebenswerter Haufen von Haschrebellen, die nichts scheußlicher fanden als Guido und seine Smarties.
Sie schwebt federleicht
Aber die Alten, sie waren sehr angetan. Die „Julis“ passten eh besser zum neuen Ernährer, zu Helmut Kohl. „Leistung muss sich wieder lohnen“? Ja, logisch. Sie wollten in Frieden mit den Eltern und den Verhältnissen leben, ihr Leben, wie man so sagt, selbst anpacken – kleinräumig und pragmatisch. Sie schirmten sich ab gegen verwirrende Gedanken und Erfahrungen. Sie interessierten sich für den Kurs ihrer „Ich AG“. Schade, dass sie den Begriff nicht erfunden haben. Und Guido? Gewann. Seine „Julis“ machten das Rennen. Er wurde ihr Vorsitzender, rückte in den Parteivorstand auf, protegiert von den Senioren. 1994 war Westerwelle Generalsekretär der FDP, 1996 rückte er in den Bundestag nach. Er stählte sich in Gremiensitzungen. Er lernte, ungezwungen zu wirken und dabei undurchdringlich zu bleiben. Bald schwebten Guido und die Seinen mit der Aura der Erfolgsmenschen federleicht über dem Boden. Das war manchmal hart, galt es doch, über eine schier endlose Serie politischer Niederlagen hinwegzulächeln.
Er weiß, wie man den Zweifel ausknipst. Er verkörpert die Kernkompetenz der FDP: die Überlebenskunst. Wenn die Partei mit Kohl stürzt, präsentiert Westerwelle sie hinterher hochstimmig als „putzmuntere Opposition“. Man muss immer auf den Füßen landen und sich dann alert abrollen lassen.
Guido, der Geduldige, hatte gut zwei Jahrzehnte in den Eingeweiden der FDP rumort, bis sein großes Jahr kam. Im Jahre 2001 wurde er für seinen langen Gang endlich belohnt, er erhielt die Prädikate Parteichef und „Krawattenmann des Jahres“. Trotzdem gilt er heute weithin als recht neues Gesicht.
Der sei „granatenmäßig gut“, meint Anja, 17, auf der Fan-Page der Mannheimer „Julis“. Gabi, 19, findet Guido „echt süß“. Der Witzmann Wigald Boning, der Haarschneider Walz, der Modeschneider Joop und Roberto Blanco haben sich in Bild als Guidos Groupies geoutet. Alex Jolig aus dem Big-Brother-Container, der nackt auf dem Motorrad durch Guidos Heimatstadt Bonn röhrte, bevor er Jenny Elvers ein Kind machte, schenkte Bild den schönsten Satz: „Die FDP ist geil und dynamisch.“
„Der Zeitgeist ist auf unserer Seite“, sagt Westerwelle. Ist er das? Sind nicht ein paar Pannen dazwischengekommen? Ist die New Economy nicht aufs Gesicht geknallt? Gibt es nicht längst wieder Sensibilität fürs große Ganze? Burkhard sieht sich noch auf der Siegerstraße: „Man kann sagen, dass wir die Joschkas jetzt so langsam rausschieben.“
Wie kann es weitergehen mit der FDP? Wenn man nach Belgien, Holland oder Dänemark guckt, sieht man womöglich klarer: Liberale Parteien, die mehr wollen, müssen aus ihrer Nische als Funktionspartei für gehobene Schichten ausbrechen und andere Gruppen erobern. Aufstrebende Neureiche etwa. Und eine Jugend, die die Standardrituale der Politik öde findet und zugleich Angst hat, es könnte nicht klappen mit ihrer Karriere. Oder entwurzelte Arbeiter, die sich vor der Verdrängung durch billigere Immigranten fürchten. Haider hat das lange vorexerziert, wilderte systematisch erst bei den Roten, dann bei den Schwarzen.
Nein, die FDP ist nicht die FPÖ, und dass Letztere gerade zu zerbrechen droht, sollte einen nicht übermäßig beruhigen. Haider machte der FDP den Mund wässrig: Die FDP ergatterte bei der letzten Wahl 6,2 Prozent, die FPÖ gut 27 Prozent.
Eine richtige Volkspartei? Da wird die FDP ganz rollig.
Die FDP werde „plebejischer, härter“, sagt der Politologe Franz Walter: „Sie verströmt keinen sanften, maßvollen Mittelstands-Liberalismus mehr, sondern mischt altes Establishment mit Event-Liberalismus, mit viel Schaumschlägerei und symbolischen Aktionen. Sie zielt auf junge Leute, gibt sich optimistisch, braun gebrannt und gut drauf. Sie steht nicht mehr für große Sozialmoral, sondern für Cash. So entsteht eine Koalition von Cash- orientierten Unterschichten und Cash-orientierten Besitzbürgern.“
Guido nun musste, um Parteichef zu werden, einen Pakt mit dem mächtigen Vize Möllemann eingehen, als Chef des mächtigen Landesverbandes Nordrhein-Westfalen ein Dirigent vieler Stimmen. Es scheint, als habe Westerwelle zugleich Hochachtung und Furcht vor diesem sagenhaften Menschen, der noch zehnmal dreister ist als er selbst. Jürgen W. Möllemann ist schrill, peinlich und vermutlich unverwundbar. Er ist tausendmal gestolpert, ist immer wieder aufgestanden und hat dann den Mund noch weiter aufgerissen. Wenn sein Fallschirm nicht aufgeht, nimmt er halt den Notschirm.
Möllemann und Westerwelle sind sich einig darin, dass ihre FDP nur als „Partei der Sieger“ Erfolg haben wird. Sie machen es wie damals die gelben Sonnenscheinchen von der New-Economy-Blase EM.TV: kaum Inhalte, aber eimerweise Zuversicht. Guido Westerwelle hat die inhaltliche Entkernung der einst programmschweren Partei zügig vorangetrieben. Jetzt ist sie die knallharte Steuersenkungstruppe. Ihre Kampfparole klingt wie der Name einer neuen Supermarktkette: „Mehr netto“.
Guido & Jürgen. Wie alle großen Duos in ihren jeweiligen Zeiten (Laurel & Hardy, Cindy & Bert, Simon & Garfunkel) schaffen sie Bilder und vervollkommnen sich selbst als Event. Ein Event ist ein Ereignis aus Plastik. Äquidistanz? Wichtiger ist Omnipräsenz. Rein in die Glotze. Rein in die Köpfe. Der eine kurvt im Wohnmobil – die 18 auf den Schuhsohlen – vom Beachvolleyball zum Cartbahnrennen. Der andere stürzt sich – die 18 auf der Brust – immerfort aus Flugzeugen auf Strandbesucher und Ausflügler. Beide drücken sich in den Markt wie ein neuer Schokoriegel: Durch Penetranz. Gerne würden sie sich klonen lassen, um überall gleichzeitig zu sein.
Mein alter Klassenkamerad Burkhard findet gut, was Möllemann macht. Neulich stand Burkhard auf Sylt am Strand und wartete auf den vom Himmel niedergehenden Vize. Stattdessen kam ein Gewitter. Die Natur meint es diesen Sommer nicht gut mit der FDP, schon die Flut war ein bisschen frech. Burkhard musste den wartenden Menschen, die hoch schauten, die Neuigkeit eröffnen, dass Möllemann „mutig, aber nicht lebensmüde sei“. Einige sollen „Schade!“ gerufen haben.
Sie stopft jede Lücke
Bei Möllemann trennt Burkhard zwischen dem Großstrategen und dem Geiferer, der sich mit dem Zentralrat der Juden anlegt. Dass sein Radau- „Projekt 18“ und das damit verknüpfte Prinzip des permanenten Tabubruchs danach verlangt, auch mal die antisemitische Sau rauszulassen, mag er nicht sehen. Nein, sagt Burkhard, er wolle „die Stimmen, die da wach geworden sind, gar nicht“. Er lacht jetzt nicht mehr. Ist aber gleich wieder pragmatisch: „Warum soll die FDP nicht um Leute werben, die bislang bei Herrn Schill, der DVU oder den Republikanern das Kreuz gemacht haben? Oder bei der PDS. Warum sollen sich diese Leute nicht auch mal zu den Liberalen verirren?“
„Die Konturen der FDP sind sehr unscharf geworden“ , klagte schon 1995 der deutsch-britische Soziologe Ralf Dahrendorf, einst Grandseigneur der FDP, „und ich weiß nicht, wohin sie am Ende marschieren wird“.
Inzwischen sehen wir klarer: Sie marschiert in jede Lücke, die sich auftut. Die Gier ist groß, die Moral klein. In Wiesbaden kämpfte Ruth Wagner wie eine Löwin für Roland Koch. Möllemann würde in Düsseldorf sofort zu Clement ins Bett springen. Er hofft in diesem September auf einen „Dreifachschlag“: Rot-Grün stürzt im Berlin – und „tags darauf in Düsseldorf und Schleswig-Holstein“.
Und mein alter Klassenkamerad Burkhard? Der wird erstmal in Hamburg weiter mit Schill koalieren. Bis sich was Besseres ergibt
Nicht ganz objektiv ;-), aber doch sehr interessant, wie ich finde.
Grüsse,
Tyler Durdan