Was tun, wenn die Weihnachtswünsche der Lieben die Kapazitäten des Geldbeutels sprengen? Ganz einfach: Man nimmt einen Ratenkredit auf. Wo die Zinsen derzeit ohnehin so günstig sind. Doch so mancher, der durch 5,5 Prozent Effektivzins in die Bank gelockt wird, kommt mit einer doppelt so teuren Finanzierung wieder heraus. Denn die Zeiten gleicher Zinskonditionen für alle sind vorbei. Immer mehr Institute machen die Kreditkosten vom persönlichen Profil des jeweiligen Kunden abhängig. Dabei gilt die einfache Formel: gute Bonität, normaler Zins – schlechte Bonität, hoher Zins. Unterm Strich könnten also für viele die Kredite teurer werden.
Bei der Begründung des Bonitätsverfahrens verweisen die Geldverleiher gern auf die EU-Richtlinie Basel II.! Sie fordert, daß die Banken in den Mitgliedsstaaten das Risiko für jeden einzelnen Kredit ermitteln und ausreichend Eigenkapital hinterlegen müssen. Ziel: Bankenpleiten zu vermeiden, aber auch vergleichbare Konditionen für die Kunden zu schaffen. Firmen, die Kapital von der Bank wollen, müssen seither ein externes Rating beibringen, das den Grad ihrer Bonität belegt.
Nun gehen die Banken auch bei ihren Privatkunden immer häufiger auf die Suche nach der Kreditwürdigkeit. Schließlich stehen diese bei ihnen mächtig in der Kreide: Die Kreditvergabe an Privatpersonen in Deutschland betrug 2004 insgesamt 999 Milliarden Euro. Der größte Teil davon sind mit 765 Milliarden zwar Immobiliendarlehen, aber 32 Milliarden Euro entfallen auf Ratenkredite. Und mit bemerkenswerten 18,9 Milliarden Euro sind die Deutschen auf ihrem Girokonto im Minus.
Wegen der steigenden Gesamtverschuldung der privaten Haushalte rechnet die Branche mit einer relativen Zunahme des Ausfallrisikos. Tatsäc! hlich hat sich der Anteil der ausgefallenen Kredite von 2002 bis 2004 über alle Altersgruppen erhöht, wie die Schufa (siehe Kasten S. 62) jetzt bei der neuesten Auswertung ihrer Daten bekanntgab. "Die Ausfallquote ist aber nach wie vor niedrig und liegt meist deutlich unter 2,8 Prozent", erklärte Schufa-Chef Rainer Neumann dazu.
Trotzdem gehen immer mehr Geldhäuser dazu über, ihre Kunden durch sogenannte Scoring-Verfahren laufen zu lassen. Mit Basel II hat das neue Beurteilungsverfahren allerdings nicht viel mehr zu tun, als daß von einer solide geführten Bank ohnehin erwartet werden darf, daß sie die Risiken, die sie bei der Kreditvergabe eingeht, auch absichert.
Durch die Kreditvergabe nach dem neuen Raster erhoffen sich die Manager aber nicht nur eine einheitliche Steuerung des Kreditrisikos je nach finanzieller Lage des Instituts. Weil den klassischen Kredithäusern zunehmend Konkurrenz durch Ratenzahlungsmodelle, etwa von Kauf- oder Autohäusern, erwächst, die Aktionäre aber steigende Renditen erwarten, suchen sie auch nach Möglichkei! ten, ihre Gewinnmargen zu vergrößern. Mit Zinserhöhungen geht das einfach: Die standardisierte und automatisierte Kreditvergabe spart außerdem Beratungs- und Bearbeitungszeit – in den Filialen können Stellen gestrichen werden.
Die befürchtete Verteuerung von Krediten gerade für einkommensschwächere Teile der Gesellschaft ruft nun Verbraucherschützer und Politiker auf den Plan. Professor Edda Müller, Vorsitzende der Verbraucherzentrale Bundesverband: "Verbraucher müssen die faire Chance haben, ihren Finanzierungsbedarf am Markt decken zu können." Und Rechtsanwalt Gerhart R. Baum, Ex-Bundesinnenminister (FDP), sieht mit den Scoring-Systemen "Transparenz und Waffengleichheit" zwischen Kunde und Bank gefährdet, es bestehe zunehmend eine "Info-Asymmetrie". Um ihre Bedenken mit den Kreditinstituten zu diskutieren, hat die Verbraucherzentrale deshalb kürzlich in Berlin Banker, Wissenschaftler und Politiker zu einer Tagung unter dem Motto "Verantwortungsvolle Kreditvergabe" gela! den.
Was ist Scoring eigentlich? Darunter verstehen Banken eine aut omatisierte Kreditwürdigkeitsprüfung ihrer Kunden nach Standarddaten. In die Tests fließen etwa die Güte des Wohnsitzes – nobler Vorort oder Straße mit Sozialwohnungen – die Häufigkeit der Wohnsitzwechsel, der Familienstand oder der Beruf ein. Gefragt ist auch die Dauer der Beschäftigung beim selben Arbeitgeber, die Erfahrungen der Bank bisher mit dem Antragssteller und – wie schon immer – die individuelle Einschätzung der Kreditfähigkeit durch die Schufa (wie ein solcher Fragebogen aussehen kann, siehe Seite 63). Ein einheitliches Scoring-Verfahren gibt es freilich nicht, jede Bank entwickelt ihr eigenes. Matthias Böcker, Chef der Sparkassen Rating und Risikosysteme, erklärte in Berlin das Vorgehen: "Wir haben rund 100 Faktoren, die trendfähig sind, herausgearbeitet. Nun überlegen wir, welche 20 Faktoren wir davon anwenden." Eine der Fragen ist das Schufa-Rating. Theophil Graband, Chef der Norisbank, die als Pionier in Sachen automatisierter Kredit gilt: "Wir verknüpfen seh! r viele Daten, in drei Sekunden hat der Kunde die Entscheidung." Von zusätzlichen Beurteilungen des Kunden durch einen Banker hält er gar nichts: "Das System mit dem Bauchgefühl zu verbinden, ist ein explosives Gemisch." Bei den Sparkassen wird es die vollautomatische Kreditentscheidung nicht geben, aber Böcker nennt Ziele des neuen Systems: "Wir versuchen vier Kundengruppen herauszubilden." Weil die Kommunalbanker gut 80 Prozent aller Sozialhilfeempfänger als Kunden hätten, müsse das jeweilige Risiko sich zwangsläufig im Preis niederschlagen. "Jeder Kreditnehmer trägt mit seinem individuellen Kreditzins dazu bei, sein individuelles Kreditrisiko abzudecken." Risikobehaftet sei nach der Statistik etwa ein geschiedener Kunde. Was das in der Praxis bedeutet, gibt Böcker unumwunden zu: "Ein höherer Preis für Geschiedene und Alte statt Festzins für alle." Und: "Weniger als die Hälfte der Kunden bekommt das beworbene Angebot." Wieviele Informationen in das Scoring einfließen und ! wie stark die einzelnen Merkmale gewichtet werden, darüber halten sich die Banken bedeckt. Die Befürchtung: Kunden könnten sich bei Kenntnis der Datenzusammensetzung ihre Kreditfähigkeit zurechtzimmern. Böcker: "Nicht, daß die sich dann rankuscheln." Der Kunde muß auf seiner Scoring-Card eine Mindestpunktzahl erreichen, um Kredit zu bekommen. Manche Banken halten sich streng an diese Bewertung, andere nehmen sie nur als Entscheidungshilfe.
Die Kritik an den Systemen fällt heftig aus. Professor Udo Reifner, Direktor des unabhängigen Instituts für Finanzdienstleistungen (iff): "Es ist mit Scoring nicht mehr zu sagen, was ein Kredit eigentlich kostet." Ähnlich klingt Manfred Westphal vom Bundesverband Verbraucherzentralen: "Die Kreditpreise der Banken sind durch Widersprüchlichkeit geprägt." Und: "Scoring ist keine reale Bonität, überall gibt es schwarze Schafe." Durch falsch eingetragene Daten könne es zu Fehlentscheidungen kommen. Der Einblick in die Grundlagen für sein Scoring bleibe dem Kreditnehmer aber verwehrt.
Und Marco Habschick, Leiter Private Finanzen bei Evers & Jung in Hamburg, kritisiert: "Im Geschäft mit Privatleuten gibt es im Vergleich zu Firmenkunden nur bankinterne Ratings. Das war nicht im Sinne von Basel II, wo es ausdrücklich um externe Ratings ging, um die Verhandlungsposition der Kunden zu stärken." Leider habe außer den Banken niemand in Deutschland begriffen, welch fundamentale Veränderung die Zulassung interner Ratings mit sich bringe. Die grundsätzliche Schwäche der Rating-Philosophie sei, daß sie die Statistik in einen fast religionsähnlichen Rang erhebe. Finanzexperte Habschick: "Geburtenrückgang und die abnehmende Zahl der Störche korrelieren auch – und die Kinder kommen trotzdem noch lange nicht vom Storch."
Für ein richtig eingesetztes Scoring spricht dennoch viel. Wer zahlt als Kunde mit hoher Bonität schon gern teure Kreditzinsen, nur weil die Bank auch viele einkommensschwache Kunden hat? Und trotz ausführlicher Regelungen zur Kreditvergabe ist die Bewertung eines Kunden! durch die Mitarbeiter der Bank nur selten gleich. Ihre Entscheidung u nterliegt in hohem Maß subjektiven Kriterien wie Sympathie, persönlicher Erfahrung oder ähnlichen Fällen aus der Vergangenheit. Wieviele mußten schon Machtspiele kleiner Bankangestellter ertragen, um einen Kredit zu bekommen?
Norisbank-Chef Graband sieht in der neuen Form der Bonitätsermittlung sogar einen überfälligen Kulturwechsel im Geldverleihgeschäft. Das "Kredit beantragen" also quasi Bittstellen, solle dem "Kredit kaufen" weichen. Graband: "Der Kunde will eine Leistung und bezahlt dafür." Das Scoring für Kredite ist wie alle Pauschalierungen natürlich nicht frei von Fehlern oder Unge rechtigkeiten. Etwa bei der Bewertung der Bonität nach Wohnort. Hat einer der privaten Datensammler wie Informa oder Creditreform als Info-Lieferant einer Bank eine Straße mal als schlechte Wohngegend eingestuft, in der noch dazu viele Bewohner ihre Schulden nicht zahlen, hilft es auch nicht, dort ein eigenes nobles Penthouse zu bewohnen: Der Kredit wird einfach teurer.
Günter Hörma! nn, Geschäftsführer der Verbraucherzentrale Hamburg, beklagt:
"Einkommensschwache Verbraucher zahlen für Ratenkredite bis zu 78 Prozent höhere Zinsen als besserverdienende Kunden." Als Beispiel nennt er die Citibank, die ihre Konditionen offen nach einem Drei-Klassen-System ausrichtet. Jemand mit einem Monatseinkommen über 2500 Euro zahle für 10000 Euro mit 36 Monaten Laufzeit effektive 6,96 Prozent Jahreszins. "Wer unter 1500 Euro verdient, zahlt bei der Citi dagegen 12,38 Prozent Zins." Die Hanseaten hatten einen Testkunden für einen Ratenkredit über 10000 Euro mit 72 Monaten Laufzeit losgeschickt. Negativ fielen den Verbraucherschützern vor allem Citibank, Haspa und Norisbank auf, weil sie bei mangelnder Bonität zum Kredit teure Zusatzprodukte wie Restschuld- oder Rentenversicherungen anboten. Besonders die Restschuldversicherung, die manche Banken bei Geringverdienern verlangen, wirkt als Hebel auf den Zins. Bei der Citibank wurde so aus dem ohnehin teuren Zins eine Effektivbelastung von rund 40 Prozent. "Das liegt deutlich im Wucherbe reich", klagt Hörmann. Sauer stößt den Verbraucherschützern auch die Behandlung von Senioren auf. So gibt die Finansbank für ihre Online-Kredite ein Höchstalter von 64 Jahren an. Auch bei vielen anderen Banken heißt es ab 60 Jahren: kein Kredit – oder nur mit kurzen Laufzeiten zu teuren Konditionen.
Daß es Verbrauchern dabei auch noch übel angerechnet werden kann, verschiedene Angebote einzuholen, zeigt ein Test des TV-Magazins "PlusMinus" von Ende August. Die Tester wollten eigentlich nur die Spannbreite der Zinsen herausfinden, wurden aber nach mehreren Kreditanfragen plötzlich als gänzlich kreditunwürdig abgelehnt. Die Ursache: Die Schufa registriert auch schon Anfragen nach Kredit bei Banken. Bei der Norisbank reichte das als entscheidendes "Momentum", den Geldhahn zuzudrehen. Auch bei anderen Banken mit automatisierten Scoring-Systemen würden preisbewußte Kunden so blockiert werden. Theophil Graband von der Norisbank verteidigt das System dennoch. Scoring bedeute ja nicht "Bei uns gibt’s Kredit erst ab Abitur". Und mit der Automatisierung beim Produkt Easykredit gebe seine Bank schließlich auch viel Macht über den Kunden ab.
Vorteilhaft sei auch der "Sicherheitsgurt-Kredit": "Wir gehen nicht gerichtlich gegen einen Kunden vor, wenn er unverschuldet nicht zahlen kann." Im Gegenzug muß allerdings auf das private Insolvenzverfahren verzichtet werden. Das sei doch eigentlich kundenfreundlich, sagt Banker Graband und verweist auf die USA, wo sogenannte Center-Organisationen notleidende Kredite übernehmen "und dann Horrorzinsen verlangen".
Der Siegeszug des Scorings ist ohnehin nicht mehr aufzuhalten. Mit den Bonitätssystemen arbeiten die HypoVereinsbank, die Bank für Gemeinwirtschaft, die Hanseatic Bank und zunehmend Raiffeisen- und Volksbanken (siehe auch Kasten rechts). Wobei die Citibank oder der sogenannte Tchibo-Kredit der Royal Bank of Scotland mit einem Pseudo-Scoring arbeiten, wie der Frankfurter Finanzexperte Max Herbst erklärt: "Da werden nur grobe Daten wie das Gehalt und die laufenden Kosten eingearbeitet." Auch Versandhäuser, die Ratenzahlung anbieten, etwa Neckermann, Otto, Quelle, Schöpflin und Schwab, scoren ihre Kunden. Peter Wacket, Geschäftsführer des Bankenfachverbands, mag sich der Diskussion um die Scoring-Praxis nicht anschließen. Er hält sie einfach für eine kostengünstige Hilfe bei der Kreditentscheidung. "Wenn es zu Zahlungsproblemen oder gar Überschuldung kommt, liegen die Ursachen dafür fast ausschließlich in den für Verbraucher und die Bank unvorhersehbaren Lebensereignissen wie Arbeitslosigkeit, Scheidung und Krankheit." Unvorhersehbar ist auch, was auf Kunden und Banken noch aus dem Verbraucherschutzreferat der EU-Kommission zukommt. Das arbeitet seit 2001 an einer Verbraucherkredit-Richtlinie. Mit den bisherigen Ergebnissen waren in Berlin weder Kreditgeber noch -nehmer zufrieden. www.wallstreet-online.de/ws/news/news/...allwin=1&m=99.33" style="max-width:560px" eight="1">wallston.ivwbox.de/cgi-b!%20in/ivw/NP/newsletter" style="max-width:560px" border=0>