Hoffnungswert Musik-Download
23. August 2005 Nirgendwo sieht die Zukunft der Musikindustrie strahlender aus als in Londons Einkaufsmeile Regent Street. Hier liegt neuerdings der ultimative Treffpunkt für die Trendsetter der Musikbranche. Nach erfolgreichem Auftakt in Nordamerika und Japan hat der amerikanische Computer-Hersteller Apple jetzt auch in Europa sein erstes Großkaufhaus errichtet.
Das riesige zweistöckige Gebäude mit einer Verkaufsfläche von mehr als 2200 Quadratmetern setzt sich von den biederen, traditionellen Konsumtempeln wie Selfridge's oder Harrods wohltuend ab: Statt üppiger Dekorationen und knalliger Farben setzt der Londoner „Superstore” eher auf nüchternes, stilvolles Ambiente.
Vornehme Zurückhaltung
Hinter dem unscheinbaren Markenauftritt steckt bei Apple System. Der Branchenpionier aus Kalifornien, der einst in den neunziger Jahren die Computerwelt mit den pfiffigen Mac-Rechnern aufwirbelte, hat längst auch in der Musikindustrie mit seinem digitalen Abspielgerät I-Pod Kultstatus erworben - eine schrille oder gar protzige Selbstdarstellung in den Filialen verbietet sich vor diesem Hintergrund fast von selbst.
Vornehme Zurückhaltung heißt das Erfolgsrezept in der Regent Street. In hellen, schlicht gestalteten Vitrinen sind die diversen Varianten des Verkaufsschlagers von Apple zu besichtigen: Vom scheckkartenkleinen Mini-I-Pod bis zum zigarettenschachtelgroßen MP-3-Spieler in Normalgröße. Allein im vergangenen Geschäftsquartal setzte Apple weltweit 6,15 Millionen seiner Musikikone ab. Die Zahl der I-Pod-Besitzer beziffert der Hersteller inzwischen mit 21,7 Millionen - das entspricht einem Anteil von 60 Prozent am Weltmarkt.
Apple-Chef eröffnete eigenen Internetmusikladen
Nicht nur für den lange Zeit kriselnden Hersteller Apple, auch für die Musikindustrie hat der Erfolg des I-Pod die Wende zum Besseren gebracht. Es gibt wohl keine andere Branche, deren Geschäftsmodell durch das Internet so radikal in Frage gestellt wurde wie das der Plattenfirmen. Kostenlose Internettauschbörsen führten bei den Musikriesen zu einem beispiellosen Umsatzeinbruch. In Deutschland etwa schmolzen die Erlöse aus CD-Verkäufen in den vergangenen fünf Jahren um mehr als ein Drittel ein.
Lange kämpften die Plattenkonzerne vor allem vor Gericht gegen den Internettausch, den sie als Diebstahl brandmarkten. Die Chancen, die der kommerzielle Musikvertrieb ihnen bot, ignorierten sie dagegen jahrelang. Bis Steve Jobs kam. Weil es vor zwei Jahren noch immer keinen kundenfreundlichen Online-Musikvertrieb gab, eröffnete der Apple-Chef mit dem „I-Tunes Music Store” seinen eigenen Internetmusikladen, aus dessen Beständen die I-Pod-Fans ihre Musikspieler füttern konnten. Das wohl größte Kunststück: Jobs schaffte es bei den notorisch internetskeptischen Musikmanagern, die Online-Vertriebsrechte für deren Hits loszueisen.
Bislang nur ein Hoffnungswert
Bislang ist der von Apple angestoßene Online-Vertrieb für die Musikkonzerne allerdings nur ein Hoffnungswert. Auch der Computerhersteller verdient sein Geld nicht mit dem Musikverkauf, sondern mit den I-Pods. Das Onlinegeschäft ist noch immer viel zu klein, um die Umsatzverluste der vergangenen Jahre auch nur ansatzweise ausgleichen zu können.
Bei der britischen EMI, einem der vier führenden Musikkonzerne weltweit, machen die sogenannten Downloads zur Zeit nur rund 2 Prozent vom Konzernumsatz aus. Und viel größer ist der Anteil auch bei anderen großen Anbietern wie Universal Music und Sony-BMG nicht. Rasche Sprünge sind kaum zu erwarten. Länder wie Japan oder Südkorea, wo der digitale Musikvertrieb bereits heute weitaus populärer ist, sind die Ausnahme. Binnen fünf Jahren, so die Prognose von EMI-Chairman Eric Nicoli, werde sich der Anteil des Onlinegeschäfts weltweit auf zumindest 20 Prozent vergrößern. Damit zählt Nicoli bereits zu den Optimisten in der Branche.
10 Millionen Euro Umsatz
In Deutschland gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Onlinemusikläden. Verläßliche Marktzahlen fehlen bislang zwar, doch Marktführer ist hierzulande nicht Apple, sondern die Plattform Musicload des Internetzugangsanbieters T-Online. Als eine Stärke von Musicload gegenüber Apple gilt ein breiteres Angebot an Musik deutscher Künstler neben dem internationalen Star-Import. Auch der T-Online-Konkurrent AOL mischt im Downloadgeschäft vorne mit.
Etwa 10 Millionen Euro werden dieses Jahr nach Schätzungen von Branchenkennern in Deutschland mit Musikdownloads umgesetzt - praktisch nichts in Relation zum noch immer knapp 1,6 Milliarden Euro schweren Tonträgermarkt hierzulande. Verschwinden werden CD-Spieler und die Plattenläden in der Fußgängerzone also so schnell nicht.
Nie mehr Aufschwung im CD-Verkauf
Eine Alternative zum Online-Geschäft haben die Konzerne auf lange Sicht dennoch nicht. „Im CD-Verkauf wird es nie mehr einen signifikanten Aufschwung geben”, sagt der Branchenveteran Jörgen Larsen. Der Däne leitete bis vor kurzem das internationale Geschäft des Weltmarktführers Universal. Larsen sieht die Musikunternehmen in einer schwierigen Übergangsphase: „Wir müssen warten, bis der Onlinemarkt sich entwickelt.”
Der langsame Wandel des Musikgeschäfts zum Digitalvertrieb birgt noch immer Risiken für die Musikanbieter. Ein Hauptproblem ist der Preis: Apple startete mit einem Einheitspreis von 99 Cent je Lied, doch daß dies der Weisheit letzter Schluß ist, bezweifeln Musikmanager: Es ist schwer zu vermitteln, warum Uraltproduktionen so viel kosten sollen wie etwa die neue CD der britischen Popstars „Coldplay” .
Abgestufte Preismodelle
„Wir werden in Zukunft in der Online-Welt abgestufte Preismodelle erleben”, erwartet Thomas Hesse, der bei Sony-BMG das Digitalgeschäft leitet. Er hofft, im Musikgeschäft eine Verwertungskette ähnlich wie im Filmgeschäft durchzusetzen, wo neue Filme zeitlich gestaffelt zuerst im Kino, dann auf DVD und später erst im Fernsehen zu sehen sind.
Gut möglich, daß die Plattenkonzerne schon bald statt der Vorab-Single zum neuen Album den Vorab-Klingeltondownload fürs Handy ins Rennen schicken.
Bisher erschienen: dot.com ist wieder gefragt (13. August), Von der Wundertüte zur gläsernen Kiste (16. August), Virtuelle Autowelt (19. August).
Text: theu./ufe., F.A.Z., 23.08.2005, Nr. 195 / Seite 14
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