Ausgang der Bundestagswahl ist jetzt wieder völlig offen
Der Chef der Forschungsgruppe Wahlen sieht Rot-Grün wegen ökonomischer Daten in Schwierigkeiten.
Schröder und Stoiber liegen bei Wählern der Mitte gleichauf
WELT am SONNTAG: Hat die nun beendete Diskussion um den Kanzlerkandidaten der Union geschadet, oder hat das Medieninteresse ihr genutzt?
Dieter Roth: Geschadet hat es der Union sicherlich nicht. Die momentan hohe Medienaufmerksamkeit nützt ihr. Es sind die Stimmungsumschwünge, die letztlich Wahlen entscheiden und gerade die parteipolitisch weniger Gebundenen oder jene, die überhaupt keine Bindungen zu Parteien haben, lassen sich von solchen Medienereignissen beeindrucken.
WamS: Woher kommt die augenblickliche Stärke der Union? Ist es nur die Schwäche der Regierung Schröder?
Roth: Im Moment ganz einfach, weil die Personenfragen so im Vordergrund stehen. Aber objektiv sind die ökonomischen Daten für die Regierung derzeit natürlich schlecht, und die wirtschaftliche Stimmung ist schon sehr viel länger schlecht, und das wirkt sich jetzt aus, weil noch zusätzlich Schwierigkeiten dazukommen.
WamS: Probleme der Regierung, ein stark wirkender Kanzlerkandidat - ist die Bundestagswahl damit bereits entschieden?
Roth: Nein, es ist alles offen! Noch niemand hat gewonnen und es hat auch noch keine der beiden großen Parteien verloren.
WamS: Wie wirkt der Kandidat Stoiber auf die Mitte, die Wechselwähler, die Unentschiedenen?
Roth: Bei den Wählern der Mitte ist derzeit alles ganz offen, da sind Schröder und Stoiber gleichauf. Das ist ein überraschend positives Ergebnis für die Opposition.
WamS: Wenn Sie von Stoiber um einen Rat gefragt würden: Sollte er beim Kampf um die Wähler der Mitte das typisch konservative CSU-Profil oder eher einen gemäßigten Kurs einschlagen?
Roth: Stoiber ist bisher sehr dezent gewesen. Aber die Ansprache der Wähler in der politischen Mitte läuft nicht allein über konservative Grundeinstellungen, sondern ganz konkret über Probleme, von denen die Leute glauben, dass diese sie auch tatsächlich betreffen: Das sind Sicherheitsprobleme im weitesten Sinne. Dieses Land hat eine konservative Grundstruktur, und insofern muss Stoiber gar nicht spielen, sondern trifft den Nerv vieler Wähler - wenn er es adäquat transportiert.
WamS: Was werden die Themen des Wahlkampfes sein?
Roth: Innenpolitische Sicherheitsprobleme, Alterssicherung, Gesundheit, Wirtschaft und Arbeitsplätze.
WamS: Also ein Wirtschaftswahlkampf?
Roth: Natürlich wird die Union versuchen, einen Wirtschaftswahlkampf zu führen, weil sie auch darauf vertraut, dass sie da traditioneller Weise größere Kompetenzen zugeordnet bekommt - aber da darf sie sich nicht zu sicher sein. Denn derzeit ist fast die Hälfte der Wähler der Meinung, dass keine der Parteien eine wirkliche Wirtschaftskompetenz besitzt.
WamS: Hat die Union aus Ihrer heutigen Sicht im September eine Siegeschance?
Roth: Die Chancen haben sich auf jeden Fall deutlich verbessert. Aber im Moment ist wirklich alles offen und es wäre eine große Gefahr, wenn die Union ihr augenblickliches Stimmungshoch überbewerten und die Wahl schon als gewonnen ansehen würde.