Verkehrte Welt: Börse in Stimmung, Wirtschaft am..

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Verkehrte Welt: Börse in Stimmung, Wirtschaft am..

 
09.12.01 17:11
Verkehrte Welt: Börse in Stimmung, Wirtschaft am Boden

Nimmt die Börse wirklich die Zukunft vorweg oder ist sie einfach unlogisch?
Eigentlich hatte Heiko Thieme die Infineon-Aktie gerade auf seine Kaufliste genommen. Doch das Kursfeuerwerk der vergangenen Woche war selbst dem als unverbesserlicher Börsenoptimist bekannten Fondsmanager nicht mehr geheuer: "Ich habe erst mal die Gewinne mitgenommen."
Die Wirtschaft am Boden, überwiegend enttäuschende Unternehmensmeldungen, allenfalls durchwachsene Konjunkturdaten - und die Aktienkurse steigen unbeirrt. Wie passt das zusammen? "Es ist das bekannte Phänomen, das immer wieder für Verwunderung sorgt: Die Börse nimmt nun einmal die künftige Entwicklung vorweg", sagt Thieme. Im Übrigen, ergänzt Michael Hüther, Chefvolkswirt der DGZ-Deka-Bank, stelle der rasante Anstieg des Dax ja nur die Kompensation der Einbrüche nach dem 11. September dar: "Wir sind jetzt wieder da, wo wir Ende August schon waren."
Hinzu kommt die Sondersituation eines "Anlagenotstands": Mehr als 2300 Milliarden US-Dollar sind laut Thieme in lausig verzinsten Geldmarktfonds geparkt. "Selbst eine Umschichtung von nur 20 Prozent davon wäre Treibstoff für die Börse", meint der Fondsmanager.

Nach dem 40-Prozent-Anstieg im Dax seit dem Tiefpunkt am 21. September - Einzelaktien wie Infineon machten sogar weit über 100 Prozent - werde der Markt nun aber erst einmal verschnaufen. Diese Meinung vertritt auch Gottfried Heller, Freund und Partner des verstorbenen Altmeisters André Kostolany, von der Fiduka-Vermögensverwaltung. "Wir waren im September auf der Käuferseite, aber nach diesem rasanten Anstieg haben wir bei Werten wie Siemens mit Teilverkäufen schöne Gewinne realisiert", sagt er. Hoffnungen auf einen neuen Bullenmarkt erteilt Heller eine Abfuhr. Der Markt sei einfach zu teuer. "Wir hatten 1982 eine ganz ähnliche Situation", sagt der Experte, "auch damals zogen die Aktien auf dem Tiefpunkt der Konjunktur wieder an." Der Unterschied: Das Kurs/Gewinn-Verhältnis (KGV) habe damals mit zehn nur halb so hoch gelegen wie heute. "Deshalb erwarte ich mittelfristig nur mäßiges Aufwärtspotenzial", so Heller, "wirklich Geld verdienen lässt sich da nur mit Stock-Picking."
Die Gefahr eines fundamental nicht gerechtfertigten Kursaufschwungs zum Jahresende sieht auch Thieme. "Wenn eine Aktie wie Intel durch den Stimmungsumschwung bei den Halbleitern schon wieder ein KGV für 2003 von 50 hat, kann es von der Unternehmensseite her im Frühjahr nur Enttäuschungen geben", sagt Thieme. Was die Märkte allerdings für teuer halten, hänge praktisch ausschließlich an der Psychologie und der Markttechnik. "Im Moment stehen noch zu viele Investoren an der Seitenlinie und fürchten, dass das Spiel ohne sie abläuft."

Schönen guten Abend ,Herrschaften!

Meld' mich mal nach einer "kurzen" Ariva-Pause zurück!

Gruß Kostokmoney
9745400lopi:

Locker verrechnet!

 
09.12.01 17:23

Krasse Pannen in Finanzabteilungen von Unternehmen am Neuen Markt schädigen den Ruf der Wachstumsbörse und das Depot der Anleger

"So was kann halt passieren." Lapidar wischte die EM.TV-Sprecherin Kritik beiseite, als der angeschlagene Medienkonzern am Montag seinen Quartalsbericht korrigieren musste. 62,5 Millionen Mark waren aus Versehen falsch verbucht worden.
"Am Neuen Markt wundert man sich über nichts mehr, und bei EM.TV schon zweimal nicht", kommentiert dagegen Markus Straub von der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre (SdK) den Fauxpas. "Offenbar hat das Unternehmen sein Rechnungswesen immer noch nicht im Griff." Denn anders als die Sprecherin glauben machen will, kommen derartige Fehler bei EM.TV nicht zum ersten Mal vor. Im Oktober 2000 musste Ex-Vorstandschef Thomas Haffa schon einmal Bilanzierungsfehler einräumen. Scheibchenweise wurde in den Wochen danach klar, dass das Unternehmen nicht einen Gewinn von 600 Millionen, sondern einen Verlust von 2,6 Milliarden Mark einfahren wird. Die teuer gekauften Beteiligungen waren falsch bilanziert worden. Der Aktienkurs brach daraufhin ein, und Finanzvorstand Florian Haffa trat zurück.
Doch EM.TV ist kein Einzelfall. Brainpool verwechselte bei Vorlage des jüngsten Quartalsberichts Euro und D-Mark. So wurde die Ergebnisprognose für 2001 nachträglich von minus zwölf Millionen Mark auf minus zwölf Millionen Euro korrigiert - das sind mal eben 100 Prozent Verlust mehr. Bei Mobilcom dagegen verbesserte sich innerhalb einer Stunde das Ergebnis auf wundersame Weise. In der korrigierten Ad-hoc-Mitteilung wurden plötzlich 699,5 Millionen statt 669,5 Millionen Euro Umsatz ausgewiesen. Das Ergebnis vor Steuern und Abschreibungen betrug nun minus 37,96 statt minus 43,54 Millionen Euro.

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Fast wöchentlich verrechnet sich die Finanzabteilung eines Unternehmens am Neuen Markt oder gibt falsche Zahlen bekannt. Besonders krass sind Fälle, bei denen Unternehmen gleich ihren ganzen Jahresabschluss nachträglich korrigieren müssen, wie beispielsweise Adva.
Die Ursachen für solche dramatischen Pannen liegen oft in der internen Organisation der Unternehmen. Wie haarsträubend die Zustände dort teilweise sind, wird leider oft erst klar, wenn es für viele Anleger zu spät ist. Als der Insolvenzverwalter von Gigabell die Unterlagen des ersten Pleiteunternehmens am Neuen Markt sichten wollte, fand er nur einige lose Blätter in den Schubladen. Keine Aktenordner und schon gar kein computergestütztes Rechnungswesen.
"Viele Unternehmen am Neuen Markt sind noch sehr jung und hatten bis zum Börsengang eine Größe, bei der die Vorstände ‚auf Sicht' leiten konnten", sagt Lutz Frey, Wirtschaftsprüfer bei Arthur Andersen. Meist reichten für die Unternehmenssteuerung auch noch einfache Instrumente wie Excel-Tabellen. "Sobald das Unternehmen jedoch komplexer wird, vielleicht Tochtergesellschaften dazukommen, funktioniert das nicht mehr."
Auch die internationalen Rechnungslegungsvorschriften stellen einige Unternehmen vor ungeahnte Probleme. Manche Aufträge, die nach Handelsgesetzbuch (HGB) bereits in die Bilanz einfließen, werden nach US-GAAP oder IAS erst zu einem späteren Zeitpunkt wirksam. "Solche Dinge muss nicht nur die Buchhaltung wissen, sondern auch der Vertrieb, der die Verträge aushandelt", mahnt Frey.
Oft müssen die Unternehmen daher nach dem Börsengang das Rechnungswesen umkrempeln, verlässliche Planungsinstrumente einführen und erst einmal ein funktionierendes Controlling aufbauen. Und dies alles in der ohnehin anstrengenden Zeit nach der Emission. "Da braucht man sich nicht zu wundern, dass es zu Katastrophen kommt", sagt Aktionärsschützer Straub.
Doch nicht nur die Organisation ist ein Problem vieler Neue-Markt-Unternehmen. Auch das Personal lässt oft zu wünschen übrig. So legte Stephan Hautkappe, ehemaliger Finanzvorstand bei Amatech, rund 14 Millionen Euro der beim Börsengang erlösten Mittel bei seinem ehemaligen Arbeitgeber, der DG Bank, als Festgeld bis 31. Dezember 2001 an. Kurz darauf kaufte Amatech dann mehrere Unternehmen und brauchte das Geld. Da es nun aber festlag, musste Amatech einen Kredit über zehn Millionen Dollar aufnehmen, zu einem Zinssatz von über sieben Prozent.
Bei Telegate dagegen plante der Vorstand monatelang einen kompletten Konzernumbau, um steuerliche Vorteile zu erreichen. Dafür wurde eigens eine außerordentliche Hauptversammlung einberufen. Eine Woche vor dem Termin wurde sie dann urplötzlich abgesagt. Es hatte sich herausgestellt, dass die steuerlichen Vorteile auch ohne die Umstrukturierung realisiert werden können.
Wie es bei vielen Neue-Markt-Unternehmen zugeht, zeigt auch das soeben erschienene Buch "Albtraum Neuer Markt". Der Autor Andreas Lindenberg war Mitbegründer der WWL Internet AG und beschreibt die Zeit vor und nach dem Börsengang des Internetdienstleisters. Lindenberg bezeichnet seine Darstellung als beispielhaft für viele andere Unternehmen an dem einstigen Wachstumssegment der Deutschen Börse.
So erzählt Lindenberg, wie es der Finanzvorstand von WWL fertig brachte, die Analysten von ABN Amro dreimal in Folge zu versetzen. Die zogen ihre Konsequenz: "strong sell" auf Grund der offensichtlich chaotischen Zustände im Unternehmen. Der Vorstandsvorsitzende Patrick Palombo überraschte dagegen im Februar 2001 mit der Aussage, er fühle sich nicht mehr an sein Versprechen gebunden, im Rahmen der Rettungsversuche für das angeschlagene Unternehmen auf die Hälfte seiner Prämie zu verzichten. Seine Begründung: Er wisse nicht, wie es um die Zukunft von WWL bestellt sei und müsse beizeiten an seine Familie denken!
Bei solchen Unternehmenslenkern fragt sich der geschädigte Anleger, wo eigentlich der Aufsichtsrat ist, der den Vorstand zu kontrollieren hat. Doch auch diese Institution versagt häufig. Denn die Vorstände sind oft gleichzeitig die größten Anteilseigner am Unternehmen. Damit haben sie bei der Besetzung des Aufsichtsrates ein entscheidendes Wörtchen mitzureden. Wozu das im Extremfall führen kann, hat die Ceotronics AG gezeigt. Ihr Vorstand schlug seiner Hauptversammlung allen Ernstes die Ehefrauen zweier Vorstandsmitglieder für den Aufsichtsrat vor. Ihre Eignung für den Posten unterstrichen sie jeweils mit der Berufsbezeichnung "Kauffrau". Man kann sich lebhaft vorstellen, wie die gesetzlich geforderte Kontrolle des Vorstands durch den Aufsichtsrat danach stattgefunden hätte - zwischen Küche und Schlafzimmer sozusagen. Nach einem Gegenantrag der SdK zogen die beiden Frauen immerhin ihre Kandidatur zurück.
Für Anleger ist es schwer, die internen Strukturen von Unternehmen am Neuen Markt zu durchschauen. Sie können aber beispielsweise durch Anfragen an die Investor-Relations-Abteilung testen, wie schnell und gut die Antworten auf Fragen ausfallen. SdK-Sprecher Straub fordert außerdem eine bessere Prüfung der Börsenreife bei Neuemissionen. So sollte vor dem Börsengang beispielsweise ein einjähriger Probelauf mit den internationalen Bilanzierungsregeln stattfinden. Und Wirtschaftsprüfer Frey fordert die Unternehmen auf, mehr in Personal und Strukturen im Rechnungswesen zu investieren: "Börsennotiert zu sein bedeutet auch, im Rechnungswesen börsenfähig zu sein."
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