So schnell stirbt der Euro nicht
Die Iren sind wütend: Die Banken haben das Land an den Rand des Abgrunds gedrängt und nun stehen den Bürgern noch schlimmere Sparmaßnahmen bevor. Die weltweiten Investoren hingegen sind vorerst durch den Euro-Rettungsschirm geschützt. Aber stellen Sie sich einmal folgendes Szenario vor: In Irland wird beschlossen, dass sämtliche Anleihegläubiger sich an der Schuldenmisere beteiligen müssen (So geschehen bereits mit den Junior-Anleihegläubigern der Anglo Irish Bank, die am Freitag einem Verlust von 80 Prozent ihres Kapitals akzeptierten). Nehmen wir einmal an, der Abschlag auf sämtliche irische Bankanleihen beträgt 50 Prozent – deutsche Banken müssen die Hälfte ihrer irischen Außenstände abschreiben. Das stürzt das deutsche Bankensystem an den Rand des Abgrunds, so dass eine mittelgroße deutsche Bank sogleich um staatliche Unterstützung bittet. Hierüber entbrennt ein erbitterter Streit innerhalb der schwarz-gelben Regierungskoalition, die schließlich zerbricht. Bundeskanzlerin Angela Merkel muss zurücktreten, der Bundestag wird aufgelöst. Die erzürnten Bürger bringen ihre Wut über die Politik beim eilig einberufenen Urnengang zum Ausdruck. Die neue Regierung sieht keinen Sinn mehr darin, auch noch Portugal und Spanien unter die Arme zu greifen. Deutschland kündigt seine Mitgliedschaft in der europäischen Währungsgemeinschaft auf – der Euro ist tot. Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass dieses Untergangsszenario wahr wird?
Es ist nur allzu menschlich: Umso ausführlicher, farbiger und schlüssiger solche Wenn-dann-Szenarien klingen, desto eher glauben wir sie und überbewerten die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser Ereigniskombinationen. Denn offenbar kommt die detailreiche Beschreibung solcher Szenarien unserem Schubladen-Denken entgegen: Der Mensch denkt in Mustern und Szenarien – in Schubladen eben bzw. in Schemata, so der korrekte Fach-Terminus. Er verfügt über einen Vielzahl von Schemata in seinem Erfahrungsschatz, die er ständig mit seiner Umwelt abzugleichen sucht. Deswegen hält er permanent Ausschau nach Mustern und kausalen Zusammenhängen, selbst wenn gar keine vorhanden sind. Doch wenn auch nur das kleinste Stellschräubchen im aktuell favorisierten, scheinbar schlüssigen Szenario sich andersherum dreht als geplant, stürzt das mentale Kartenhaus urplötzlich in sich zusammen und das Gehirn muss nach einem neuen Muster suchen. Eben war man noch überzeugt, dass die Eurozone am Ende ist, und dann muss man doch feststellen, dass alles gar nicht so schlimm ist wie gedacht.
Seien sie vorsichtig, wenn Analysten und Journalisten detailreiche Horrorszenarien zeichnen wollen. Und seien Sie auf der Hut, wenn ein Berater ihnen in den blumigsten Farben ausführlich schildert, warum ausgerechnet dieser neue Investmentfonds Sie reich machen wird – ihr Gehirn könnte Ihnen einen Streich spielen.
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