Der neue parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, will beim Wahlprüfungsausschuss des Bundestages Beschwerde gegen das Stimmenergebnis in zwei Berliner PDS-Wahlkreisen einlegen. Auch den Gang zum Bundesverfassungsgericht schließt die Partei nicht aus.
Berlin - Ist es nur ein taktischer Zug, um in den laufenden Verhandlungen über die Besetzung der Bundestagsausschüsse stärker berücksichtigt zu werden? Die Unionsfraktion erwägt derzeit, das Ergebnis der Parlamentswahl vor dem Bundesverfassungsgericht anzufechten. "Eine Entscheidung darüber ist allerdings noch offen", versicherte eine Fraktionssprecherin am Donnerstag gegenüber SPIEGEL ONLINE.
Hintergrund ist eine Regelungslücke, die aus Sicht des neugewählten Parlamentarischen Geschäftsführers Volker Kauder seit geraumer Zeit im Wahlrecht besteht. In einem Brief an den Bundeswahlleiter vom 4. Oktober hatte Kauder auf ein Problem hingewiesen, dass durch den Einzug der PDS-Direktkandidatinnen Petra Pau und Gesine Lötzsch in den Bundestag entstanden sei.
Nach Ansicht des CDU-Politikers hätten die Stimmen von Wählern, die mit der Erststimme die PDS-Kandidaten, mit der Zweitstimme aber für andere Parteien votierten, nicht berücksichtigt werden dürfen - also wieder vom Zweitstimmenanteil abgezogen werden müssen. Denn, so Kauder, die beiden Direktmandate der PDS seien zwar vom amtlichen Endergebnis abgezogen worden - nicht aber die entsprechenden Zweitstimmen, die nicht für die PDS-Liste abgegeben wurden.
Die Folge von Kauders Vorschlag wäre für die Union wohl segensreich: Bei einer eventuellen Nachzählung könnten CDU und CSU bundesweit mehr Zweitstimmen als die SPD erhalten. Die Union wäre damit stärkste Fraktion - und dürfte sich nachträglich als Wahlsieger fühlen.
Doch nur theoretisch - denn mit den errungenen vier SPD-Überhangsmandaten wäre die rot-grüne Mehrheit auch im Falle einer Korrektur nicht gefährdet. Schon aber wurden innerhalb der Union neue Rechenmodelle ganz anderer Art aufgestellt: Wäre die Union als stärkste Fraktion dann nicht auch berechtigt, den Bundestagspräsidenten zu stellen, wie CDU-Bundesgeschäftsführer Willi Hausmann frohlockte. Üblicherweise ist das der Fall. Doch rechtliche Unklarheit herrscht darüber, ob die Fraktionsstärke sich in einem solchen Fall allein an dem Zweitstimmenergebnis oder an der durch zusätzlich errungene Überhangmandate bemißt.
Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Kauders Vorstoß hat einen realen Hintergrund. 1988 hatte das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung zur Berücksichtigung von Zweistimmen gefällt. Die Richter entschieden mit Verweis auf Paragraph 6 des Bundeswahlgesetzes: Wenn ein Direktkandidat per Erststimme erfolgreich gewählt wird, seine Partei aber keine Landesliste aufgestellt hat, dann sind die Zweistimmen in der Endabrechnung nicht zu berücksichtigen. Denn andernfalls, zitiert Kauder das Verfassungsgericht, hätten "solche Stimmen einen höheren Erfolgswert als die übrigen Stimmen". Der Grundsatz der Wahlgleichheit wäre damit verletzt.
Union und FDP schlossen Rechtslücke nicht
In derselben Entscheidung machte das Gericht auch auf eine Lücke im Wahlgesetz aufmerksam: Was wenn ein oder zwei Direktmandate von einer Partei errungen würden, die über Landeslisten verfügt, aber an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert? In der alten Bundesrepublik schien eine solche Konstellation undenkbar. Zwar empfahlen die Verfassungsrichter dem Gesetzgeber in ihrer Entscheidung, auch in einem solchen möglichen Fall einen Zweitstimmenabzug "zu erwägen".
Doch die damalige christlich-liberale Koalition setzte eine entsprechende Gesetzesänderung nicht um. Darauf wies auch der Bundeswahlleiter in einem Schreiben vom 7. Oktober an Kauder hin. Er sehe sich daher "außerstande", die Zweitstimmen der Wähler der erfolgreichen PDS-Kandidaten in den beiden Berliner Wahlkreisen "nicht zu berücksichtigen", heißt es in dem Brief des Bundeswahlleiters.
Bundeswahlausschuss lehnt Unionsbegehren ab
Und so geschah es dann auch. Am Mittwoch dieser Woche entschloss der Bundeswahlausschuss, dem Ansinnen des CDU-Spitzenpolitikers Kauder nicht zu folgen. Mit fünf Ja-Stimmen bei drei Enthaltungen wurde beschlossen, sich an den Wortlaut des bestehenden Bundeswahlgesetzes zu halten. Um sich keiner Vorwürfe seitens der Union auszusetzen, hatte der Bundeswahlleiter in dem Gremium anhand einer Modellrechnung referiert, welche Parteien von der Differenz zwischen Erst- und Zweistimmen der PDS in den beiden Berliner Wahlkreisen profitiert hätten. Die SPD hatte nach der Rechnung 16.304 Zweitstimmen von PDS-Wählern erhalten, die bereits mit ihrer Erststimme für die PDS-Kandidaten gewählt hatten. Dahinter folgten die Grünen mit 9468 und die FDP mit 2233 Stimmen.
Ob es tatsächlich jemals zu dem von der Union angeregten Stimmenabzug kommen wird, ist ungewiss. Denn in der Unions-Bundestagsfraktion will sich niemand darauf festlegen, ob der Gang nach Karlsruhe wirklich beschritten wird. Fest steht nur so viel: Der parlamentarische Geschäftsführer Kauder wird in den nächsten Tagen zunächst als "Bürger" Beschwerde beim Geschäftsordnungsausschuss des Bundestages einreichen. Der dürfte, so wird es auch in der Union angesichts der herrschenden Rechtslage eingeschätzt, Kauders Beschwerde zurückweisen. Erst dann will der Geschäftsführende CDU/CSU-Fraktionsvorstand endgültig entscheiden, ob Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingelegt wird.
Berlin - Ist es nur ein taktischer Zug, um in den laufenden Verhandlungen über die Besetzung der Bundestagsausschüsse stärker berücksichtigt zu werden? Die Unionsfraktion erwägt derzeit, das Ergebnis der Parlamentswahl vor dem Bundesverfassungsgericht anzufechten. "Eine Entscheidung darüber ist allerdings noch offen", versicherte eine Fraktionssprecherin am Donnerstag gegenüber SPIEGEL ONLINE.
Hintergrund ist eine Regelungslücke, die aus Sicht des neugewählten Parlamentarischen Geschäftsführers Volker Kauder seit geraumer Zeit im Wahlrecht besteht. In einem Brief an den Bundeswahlleiter vom 4. Oktober hatte Kauder auf ein Problem hingewiesen, dass durch den Einzug der PDS-Direktkandidatinnen Petra Pau und Gesine Lötzsch in den Bundestag entstanden sei.
Nach Ansicht des CDU-Politikers hätten die Stimmen von Wählern, die mit der Erststimme die PDS-Kandidaten, mit der Zweitstimme aber für andere Parteien votierten, nicht berücksichtigt werden dürfen - also wieder vom Zweitstimmenanteil abgezogen werden müssen. Denn, so Kauder, die beiden Direktmandate der PDS seien zwar vom amtlichen Endergebnis abgezogen worden - nicht aber die entsprechenden Zweitstimmen, die nicht für die PDS-Liste abgegeben wurden.
Die Folge von Kauders Vorschlag wäre für die Union wohl segensreich: Bei einer eventuellen Nachzählung könnten CDU und CSU bundesweit mehr Zweitstimmen als die SPD erhalten. Die Union wäre damit stärkste Fraktion - und dürfte sich nachträglich als Wahlsieger fühlen.
Doch nur theoretisch - denn mit den errungenen vier SPD-Überhangsmandaten wäre die rot-grüne Mehrheit auch im Falle einer Korrektur nicht gefährdet. Schon aber wurden innerhalb der Union neue Rechenmodelle ganz anderer Art aufgestellt: Wäre die Union als stärkste Fraktion dann nicht auch berechtigt, den Bundestagspräsidenten zu stellen, wie CDU-Bundesgeschäftsführer Willi Hausmann frohlockte. Üblicherweise ist das der Fall. Doch rechtliche Unklarheit herrscht darüber, ob die Fraktionsstärke sich in einem solchen Fall allein an dem Zweitstimmenergebnis oder an der durch zusätzlich errungene Überhangmandate bemißt.
Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Kauders Vorstoß hat einen realen Hintergrund. 1988 hatte das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung zur Berücksichtigung von Zweistimmen gefällt. Die Richter entschieden mit Verweis auf Paragraph 6 des Bundeswahlgesetzes: Wenn ein Direktkandidat per Erststimme erfolgreich gewählt wird, seine Partei aber keine Landesliste aufgestellt hat, dann sind die Zweistimmen in der Endabrechnung nicht zu berücksichtigen. Denn andernfalls, zitiert Kauder das Verfassungsgericht, hätten "solche Stimmen einen höheren Erfolgswert als die übrigen Stimmen". Der Grundsatz der Wahlgleichheit wäre damit verletzt.
Union und FDP schlossen Rechtslücke nicht
In derselben Entscheidung machte das Gericht auch auf eine Lücke im Wahlgesetz aufmerksam: Was wenn ein oder zwei Direktmandate von einer Partei errungen würden, die über Landeslisten verfügt, aber an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert? In der alten Bundesrepublik schien eine solche Konstellation undenkbar. Zwar empfahlen die Verfassungsrichter dem Gesetzgeber in ihrer Entscheidung, auch in einem solchen möglichen Fall einen Zweitstimmenabzug "zu erwägen".
Doch die damalige christlich-liberale Koalition setzte eine entsprechende Gesetzesänderung nicht um. Darauf wies auch der Bundeswahlleiter in einem Schreiben vom 7. Oktober an Kauder hin. Er sehe sich daher "außerstande", die Zweitstimmen der Wähler der erfolgreichen PDS-Kandidaten in den beiden Berliner Wahlkreisen "nicht zu berücksichtigen", heißt es in dem Brief des Bundeswahlleiters.
Bundeswahlausschuss lehnt Unionsbegehren ab
Und so geschah es dann auch. Am Mittwoch dieser Woche entschloss der Bundeswahlausschuss, dem Ansinnen des CDU-Spitzenpolitikers Kauder nicht zu folgen. Mit fünf Ja-Stimmen bei drei Enthaltungen wurde beschlossen, sich an den Wortlaut des bestehenden Bundeswahlgesetzes zu halten. Um sich keiner Vorwürfe seitens der Union auszusetzen, hatte der Bundeswahlleiter in dem Gremium anhand einer Modellrechnung referiert, welche Parteien von der Differenz zwischen Erst- und Zweistimmen der PDS in den beiden Berliner Wahlkreisen profitiert hätten. Die SPD hatte nach der Rechnung 16.304 Zweitstimmen von PDS-Wählern erhalten, die bereits mit ihrer Erststimme für die PDS-Kandidaten gewählt hatten. Dahinter folgten die Grünen mit 9468 und die FDP mit 2233 Stimmen.
Ob es tatsächlich jemals zu dem von der Union angeregten Stimmenabzug kommen wird, ist ungewiss. Denn in der Unions-Bundestagsfraktion will sich niemand darauf festlegen, ob der Gang nach Karlsruhe wirklich beschritten wird. Fest steht nur so viel: Der parlamentarische Geschäftsführer Kauder wird in den nächsten Tagen zunächst als "Bürger" Beschwerde beim Geschäftsordnungsausschuss des Bundestages einreichen. Der dürfte, so wird es auch in der Union angesichts der herrschenden Rechtslage eingeschätzt, Kauders Beschwerde zurückweisen. Erst dann will der Geschäftsführende CDU/CSU-Fraktionsvorstand endgültig entscheiden, ob Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingelegt wird.