Im FTD-Artikel unten wird angemerkt, dass Börsianer Krisen grundsätzlich überschätzen, während Ökonomen - zu Recht - einen kühlen Kopf behalten. Als Beleg wird die wirtschaftliche Entwicklung in USA nach den September-Attacken 2001 genannt, als "nur wenige Wochen nach den Anschlägen in New York die damalige Konjunkturkrise in den USA vorbei [war]; schon im November begann nach offizieller Rechnung stattdessen der Aufschwung." Als weitere Belege werden die Entwicklungen nach der Asienkrise 1997 und der LTCM-/Russlandkrise 1998 genannt.
Was dabei geflissentlich verschwiegen wird ist, dass in all diesen Fällen die Fed drastisch die Zinsen gesenkt hatte - nach den September-Attacken zwei Mal um 0,5 %, und die EZB zog in Solidarität mit. Der daraus resulierende "Aufschwung" in USA war, wie wir heute wissen, nichts andere als eine Blase: Jene Kredit- und Vermögenswertinflation (Housing-Blase), die den Grabstein legte zum heutigen Bankensterben. Organisch ist USA seit der Dot.com-Krise kaum gewachsen: Die industrielle Fertigung wurde zu erheblichen Teilen nach China verlagert, die verbliebene Industrie (Ford, GM usw.) produziert minderwertige Ware, die nicht einmal die Amis selber kaufen (die kaufen Toyota). Der "Aufschwung" selber kam allein durch die Aufblähung des Finanzsektors - den Größenwahn der großen US-Investmenthäuser (die es seit letzter Woche gar nicht mehr gibt...), die Private-Equity-Exzesse und die unsägliche, betrügerische Überflutung der Welt mit faulen CDO-Paketen. So ermöglichte das billige Geld der Fed ein letztes Halleluja in "Saus und Braus auf Pump", erzeugte aber zugleich die starken globalen Ungleichgewichte. Als diese überbordeten, stieg im Sommer 2007 schlagartig die Risikoaversion, weil klar wurde, dass dieses "Geschäftsmodell" - die USA als weltgrößter Schuldner, die Asiaten und Araber als weltgrößte Gläubiger - nicht nachhaltig sein konnte. Die Blase platze, die Hauspreise, Aktien und der Dollar fielen rapide. Das große Sterben der Banken begann.
Auch nach dem Austrocknen der Hyperliquidität im Sommer 2007 und dem daraus resultierenden Credit Crunch versuchte die Fed das scheinbar bewährte Patentzezept, die Märkte mit billigem Geld zu fluten. Sie senkte die Zinsen in atemberaubendem Tempo von 5,25 % auf aktuell 2 % - und im Herbst vermutlich auf 1,75 %. Doch dieses Patentrezept funktioniert nun nicht mehr. Denn das Pseudo-Wirtschaftswunder über die Hauspreis- und Vermögenswert-Aufblähung ist nun nicht mehr wiederholbar: Die Häuser waren 2007 bereits hoffnungslos überteuert (eine Folge des billigen Geldes ab 2001) und sind bis zum Anschlag beliehen, die Aktien standen nahe ATHs, und weitere Vermögenswerte zum Aufblähen gab es nicht - außer den Rohstoffen, deren Preise durch die negativen Realzinsen in ungeahnte Höhen stiegen. Die Explosion der Rohstoffpreise war freilich unerwünscht (und vermutlich unvorhergesehen), denn sie heizte die (reale) Inflation an und schickte den Dollar drastisch gen Süden (bis zum bisherigen Rekord von über 1,60 zum Euro). Die Tiefzinsen spülten dem US-Konsumenten dieses Mal kein billiges Geld mehr in die Taschen (wie zuvor über die Hypothekenbeleihung), sondern machten für ihn das Leben sogar teurer (Reallohn-Abbau). Außerdem verschlechterte sich die Handelsbilanz, und die globalen Ungleichgewichte wuchsen weiter. USA musste zur Rettung der Banken sogar wiederholt Sovereign Wealth Funds aus Fernost anpumpen - bis diese den Mut verloren, weil die Geldspritzen wirkungslos verpufften und den Niedergang des US-Bankensystems nicht stoppten.
USA greift daher nun zum letzten Joker, der noch bleibt. Eine Fortsetzung der Inflationierungspolitik durch massiven Griff in die Staatskasse (700 Milliarden-Bailout). Doch dabei hat Wall Street die Rechnung ohne Main Street gemacht. Main Street ist nicht gewillt, die Verluste der Wall-Street-Verzocker zu sozialisieren, wie die zahlreichen Protestkundgebungen zeigten. Der Kongress reagierte mit seinem "Nein" teils auf diesen Druck von der Straße.
Der FTD-Artikel erschien nicht zufällig nach einem Tag, als der DOW mal wieder 480 Punkte zulegte (= "die Krieese ist vorbei"). Der Stachel des 777-Punkte-Rutsches am Tag davor steckt aber noch in den Kleinhirnen der Klein- und Großanleger. Ich gehe davon aus, dass das Bailout-Paket am Freitag aus Angst vor dem sonst drohenden Banken-Meltdown doch noch durchgewunken wird, was die Börse gestern bereits vorwegzunehmen begann. Wenn sich dann in einigen Wochen zeigt, dass der Mega-Bailout nicht ausreicht (benötigt werden 2 Billionen) und das Sterben weiterer Banken in USA und anderswo nicht aufzuhalten vermag, wird sich der "Aufschwung durch Griff in die Staatskasse" abermals als Fehlgeburt entpuppen.
FAZIT: Die von den in der FTD zitierten Ökonomen genannten Präzendenzfälle stehen für eine Vergangenheit, die so nicht mehr wiederholbar ist. Genau deshalb blieben die Zinssenkungen diesmal auch wirkungslos. Sie konnten weder das massive Bankensterben der letzten Wochen verhindern noch das potenzielle Abrutschen der USA in eine Wirtschaftskrise ähnlich der Großen Depression der 1930-er Jahre.
Tatsache ist zwar, dass die Börse ein "nervöses Hemd" ist und stets übertreibt. Sie ist allerdings auch vorwegnehmend und hat dabei mehr Phantasie als manche Elfenbeinturm-Ökonomen, die in ihren holzvertäfelten Arbeitszimmern über einem Café latte die Konjunkturzahlen der vergangenen zehn Jahre studieren.
FTD-Dossier:
Gelassenheit in der Krise
Ökonomen lässt Börsenpanik kalt
von André Kühnlenz und Charlotte Bartels (Berlin)
Großbanken trudeln in die Insolvenz, Börsen brechen ein. Während Anleger angesichts der Finanzkrise laufend Angstattacken erleiden, reagieren die Volkswirte immer wieder auffällig gelassen - so auch jetzt. Zu Recht?
Die Reaktion ist immer ähnlich. Wenn an den Finanzmärkten Unruhe ausbricht oder Schocks wie der 11. September die Börsen erschüttern, lautet der Kommentar von Volkswirten mit hoher Regelmäßigkeit: keine Panik. Das ist auch diesmal so. Trotz historischer Umbrüche in der Finanzwelt äußerten mehr als 70 Prozent der Ökonomen vergangene Woche die Überzeugung, dass dies nur "wenig" Auswirkungen auf die US-Konjunktur haben werde.
Das wirkt überraschend. Die Ökonomen sehen sich durch Erfahrungen dennoch bestätigt. "Panik war noch nie ein guter Ratgeber", sagt Andreas Scheuerle, Europachefökonom bei der Dekabank. Sicher verstärke jede Unruhe auf den Finanzmärkten die Konjunktursorgen. Nur habe sich bei früheren Krisen oft herausgestellt, dass die realen Folgen viel weniger spektakulär ausfielen als zunächst befürchtet. "Ökonomen sollten in Finanzkrisen vor allem die Ruhe behalten", so Thomas Mayer, Europachefvolkswirt bei der Deutschen Bank. Die Frage sei nur, ob diese Regel auch diesmal gelte.
Als Präzedenzfälle zitieren die Experten unter anderem die Terroranschläge vom September 2001. Damals kursierten rasch Ängste vor einer tiefen Rezession in den USA. "Nach dem 11. September haben die Märkte sehr stark reagiert und die Auswirkungen überschätzt", sagt Uwe Angenendt, Chefvolkswirt bei der BHF-Bank. So war nur wenige Wochen nach den Anschlägen in New York die damalige Konjunkturkrise in den USA vorbei; schon im November begann nach offizieller Rechnung stattdessen der Aufschwung.
Ähnliches geschah nach dem Aktiencrash im Herbst 1987, auf den einige Jahre starken Wachstums folgten. Auch nach der Asienkrise 1998 blieb die befürchtete Rezession in den Industrieländern aus.
"Wir reagieren auf solche Turbulenzen seitdem gelassener", sagte Scheuerle. "Das zieht bei uns keine Prognoseänderungen nach sich." Besonders die Forscher in den Instituten wollten zudem langfristige Prognosen verfassen, für die nicht jede Marktbewegung entscheidend sei, so BHF-Ökonom Angenendt.
Nach Einschätzung von Scheuerle geht von Finanzmarktkrisen hierzulande eher eine psychologische Wirkung aus. Angesichts der "unterentwickelten Aktienkultur" seien die Effekte auf das Vermögen der Bürger und die Konjunktur relativ gering, wenn die Börsen abstürzten. "Deutschland könnte eher indirekt betroffen sein, wenn sich die Lage in den wichtigsten Abnehmerländern verschärft."
Die Folgen sinkender Vermögenswerte für Verbraucher und Unternehmen dürften in den USA tendenziell stärker sein. Doch sei bislang auch für die US-Wirtschaft "noch keine so drastische Verschlechterung zu erkennen, wie sie viele Skeptiker befürchtet hatten", so Scheuerle. Und das, obwohl die aktuelle Finanzkrise bereits seit mehr als einem Jahr anhalte.
Angenendt nennt allerdings auch Fälle, wo Volkswirte die Folgen von Finanzkrisen erheblich unterschätzt haben. "Nach der Weltwirtschaftskrise 1929 fiel alles noch viel schlimmer aus, als es Ökonomen erwartet hatten. Auch das Platzen der Immobilienblase in Japan und die anschließende zehnjährige Rezession ist ein Beispiel für einen Schock, den die Experten anfangs nicht in voller Breite erkannt haben", so der BHF-Chefökonom.
"Wir erleben ein Unterwasserbeben, das jetzt das Festland der Realwirtschaft erreicht", räumte auch Thomas Mayer ein. Und große Schocks wie derzeit seien auch dazu da, alte Erklärungen der Ökonomen für die Entwicklung der Finanzmärkte zu überprüfen. "Was da geschieht, kann nicht allein mit rationalem Verhalten der Investoren oder effizienten Märkten erklärt werden." Das seien die herkömmlichen Erklärungsansätze gewesen.
Aus der FTD vom 01.10.2008
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Dieses Posting hab ich heute morgen in den USA-Bären-Thread gestellt. Mich interessieren aber auch die Meinungen von anderen Arivanern, die nicht zur geschlossenen "Stamm-Bärengruppe" gehören. Daher dieses Zweitposting.