handelsblatt:
Anleger in Angst vor Abgeltungsteuer
Aktionärsschützer und Aktienexperten fürchten höhere Steuerlast für Wertpapierbesitzer
DONATA RIEDEL | BERLIN
AXEL SCHRINNER | DÜSSELDORF
Aktienexperten beobachten mit zunehmender Sorge die Pläne der Bundesregierung für eine Abgeltungsteuer auf private Kapitaleinkünfte. „Selten drohte deutschen Anlegern eine derart dramatische Steuererhöhung“, warnt Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz.
Die Spitzen von Union und SPD hatten zu Wochenbeginn beschlossen, mit der Unternehmensteuerreform zum 1. Januar 2008 eine Abgeltungsteuer auf Zinsen, Dividenden und Kursgewinne einzuführen. In einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe von Finanzpolitikern unter Leitung von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) und Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) wird erwogen, gleichzeitig das Halbeinkünfteverfahren abzuschaffen: Damit müssten Dividenden künftig komplett und nicht mehr nur zur Hälfte versteuert werden. Die neue Abgeltungsteuer würde auch auf Kursgewinne aus Aktienverkäufen erhoben.
Bislang sind Kursgewinne nur dann steuerpflichtig, wenn sie innerhalb der Spekulationsfrist von einem Jahr realisiert werden und die Freigrenze von 512 Euro im Jahr überschreiten. Für Aktien gilt innerhalb der Spekulationsfrist wie bei Dividenden das Halbeinkünfteverfahren. Die Gewinnthesaurierung in Kapitalgesellschaften wird also begünstigt, da ausgeschüttete Dividenden steuerpflichtig, Kursgewinne vielfach steuerfrei beim Aktionär sind.
Steinbrück will die Abgeltungsteuer 2008 mit 30 Prozent einführen und den Satz ein Jahr später auf 25 Prozent senken. Bei Zinseinkünften wäre dies für alle, deren Einkommensteuersatz über 30 bzw. 25 Prozent liegt, von Vorteil. Bei Dividenden wird es für Anleger teuer: Heute müssen sie maximal den halben Spitzensteuersatz plus Soli (22 Prozent) zahlen. „Alle Details sind noch völlig offen“, sagt allerdings der CDU-Finanzpolitiker Otto Bernhardt.
Grundsätzlich befürworten Finanzexperten der Kreditwirtschaft die Abgeltungsteuer: Bei einem niedrigen Satz, maximal 20 Prozent, so Steuerexperte Heinz Udo Schaap vom Bankenverband, läge sie in der Nähe des Eingangssteuersatzes von 15 Prozent. Sie könnte dann einfach von den Banken abgeführt werden; eine Veranlagung wäre überflüssig. Mit 25 Prozent oder gar 30 Prozent würde die Regierung diesen immensen Vorteil zum Bürokratieabbau aus der Hand geben.
Die privaten Veräußerungsgewinne stehen seit Jahren im Fokus sozialdemokratischer Finanzminister. Zuletzt scheiterte 2003 Hans Eichel am unionsdominierten Bundesrat mit seinem Versuch, mit einem Steuervergünstigungsabbaugesetz die Besteuerung privater Veräußerungsgewinne einzuführen: Er wollte eine Pauschalsteuer von 15 Prozent; das Halbeinkünfteverfahren sollte bleiben.
Für Finanzwissenschaftler und Verfassungsjuristen ist nahezu einhellig klar, dass Veräußerungsgewinne Einkommen sind und somit steuerpflichtig sein müssten. Der Einstieg in die Besteuerung birgt für den Gesetzgeber allerdings das Risiko, Turbulenzen an den Finanzmärkten auszulösen: Vor dem Stichtag dürften viele Anleger bis dahin steuerfreie Gewinne schnell realisieren wollen. Hinzu kommt, dass wahrscheinlich auch Investmentfonds in großem Stil verkauft würden. „Es kommt da sehr auf die Übergangsregeln an“, sagt Petra Kachel vom Deutschen Aktieninstitut.
Eichel plante damals, für Aktien, die beim Stichtag steuerfrei gewesen wären, zehn Prozent des Kursgewinns zur Besteuerung heran zu ziehen. Fairer gegenüber den Anlegern wäre es, sagt Kachel, eine Stichtagsregel einzuführen: „Alles, was bei Einführung der Abgeltungsteuer steuerfrei wäre, würde es bleiben, Gewinne ab dann nicht mehr.“
Unter Daytradern, die heute ihre Spekulationsgewinne mit Verlusten verrechnen können, kursiert zudem die Angst, dass eine anonyme Abgeltungsteuer den Verlustabzug verhindern könnte. Kachel hält diese Sorge allerdings für unbegründet: Es gebe genügend Urteile, die dem entgegen stünden. Außerdem könnten Gewinne und Verluste aus Spekulationsgeschäften über Depot-Auszüge einfach nachgewiesen werden. Fraglich ist allerdings, wie die Depotbank, die die Steuer ja an den Fiskus überweisen soll, davon Kenntnis erlangen soll, wenn beispielsweise Ehepaare mehrere Depots unterhalten.
Wenn es der Bundesregierung nicht gelingt, die Abgeltungsteuer attraktiv zu gestalten, dürften viele Anleger einen Bogen um Deutschland machen – etwa mit einem Depot bei einer ausländischen Direktbank. Da Veräußerungsgewinne nicht unter die EU-Zinssteuerrichtlinie fallen, dürfte es dem deutschen Fiskus schwer fallen, solche Depots aufzuspüren.
Schon heute gilt unter vielen Daytradern ein Depot bei einer US-Bank als absolutes Muss. Wer diese Gewinne ehrlich in Deutschland versteuern will, stünde künftig vor der Frage: Gilt für diese Einkünfte der Abgeltungsteuersatz – oder müssen sie den vollen Steuersatz zahlen?
Anleger in Angst vor Abgeltungsteuer
Aktionärsschützer und Aktienexperten fürchten höhere Steuerlast für Wertpapierbesitzer
DONATA RIEDEL | BERLIN
AXEL SCHRINNER | DÜSSELDORF
Aktienexperten beobachten mit zunehmender Sorge die Pläne der Bundesregierung für eine Abgeltungsteuer auf private Kapitaleinkünfte. „Selten drohte deutschen Anlegern eine derart dramatische Steuererhöhung“, warnt Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz.
Die Spitzen von Union und SPD hatten zu Wochenbeginn beschlossen, mit der Unternehmensteuerreform zum 1. Januar 2008 eine Abgeltungsteuer auf Zinsen, Dividenden und Kursgewinne einzuführen. In einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe von Finanzpolitikern unter Leitung von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) und Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) wird erwogen, gleichzeitig das Halbeinkünfteverfahren abzuschaffen: Damit müssten Dividenden künftig komplett und nicht mehr nur zur Hälfte versteuert werden. Die neue Abgeltungsteuer würde auch auf Kursgewinne aus Aktienverkäufen erhoben.
Bislang sind Kursgewinne nur dann steuerpflichtig, wenn sie innerhalb der Spekulationsfrist von einem Jahr realisiert werden und die Freigrenze von 512 Euro im Jahr überschreiten. Für Aktien gilt innerhalb der Spekulationsfrist wie bei Dividenden das Halbeinkünfteverfahren. Die Gewinnthesaurierung in Kapitalgesellschaften wird also begünstigt, da ausgeschüttete Dividenden steuerpflichtig, Kursgewinne vielfach steuerfrei beim Aktionär sind.
Steinbrück will die Abgeltungsteuer 2008 mit 30 Prozent einführen und den Satz ein Jahr später auf 25 Prozent senken. Bei Zinseinkünften wäre dies für alle, deren Einkommensteuersatz über 30 bzw. 25 Prozent liegt, von Vorteil. Bei Dividenden wird es für Anleger teuer: Heute müssen sie maximal den halben Spitzensteuersatz plus Soli (22 Prozent) zahlen. „Alle Details sind noch völlig offen“, sagt allerdings der CDU-Finanzpolitiker Otto Bernhardt.
Grundsätzlich befürworten Finanzexperten der Kreditwirtschaft die Abgeltungsteuer: Bei einem niedrigen Satz, maximal 20 Prozent, so Steuerexperte Heinz Udo Schaap vom Bankenverband, läge sie in der Nähe des Eingangssteuersatzes von 15 Prozent. Sie könnte dann einfach von den Banken abgeführt werden; eine Veranlagung wäre überflüssig. Mit 25 Prozent oder gar 30 Prozent würde die Regierung diesen immensen Vorteil zum Bürokratieabbau aus der Hand geben.
Die privaten Veräußerungsgewinne stehen seit Jahren im Fokus sozialdemokratischer Finanzminister. Zuletzt scheiterte 2003 Hans Eichel am unionsdominierten Bundesrat mit seinem Versuch, mit einem Steuervergünstigungsabbaugesetz die Besteuerung privater Veräußerungsgewinne einzuführen: Er wollte eine Pauschalsteuer von 15 Prozent; das Halbeinkünfteverfahren sollte bleiben.
Für Finanzwissenschaftler und Verfassungsjuristen ist nahezu einhellig klar, dass Veräußerungsgewinne Einkommen sind und somit steuerpflichtig sein müssten. Der Einstieg in die Besteuerung birgt für den Gesetzgeber allerdings das Risiko, Turbulenzen an den Finanzmärkten auszulösen: Vor dem Stichtag dürften viele Anleger bis dahin steuerfreie Gewinne schnell realisieren wollen. Hinzu kommt, dass wahrscheinlich auch Investmentfonds in großem Stil verkauft würden. „Es kommt da sehr auf die Übergangsregeln an“, sagt Petra Kachel vom Deutschen Aktieninstitut.
Eichel plante damals, für Aktien, die beim Stichtag steuerfrei gewesen wären, zehn Prozent des Kursgewinns zur Besteuerung heran zu ziehen. Fairer gegenüber den Anlegern wäre es, sagt Kachel, eine Stichtagsregel einzuführen: „Alles, was bei Einführung der Abgeltungsteuer steuerfrei wäre, würde es bleiben, Gewinne ab dann nicht mehr.“
Unter Daytradern, die heute ihre Spekulationsgewinne mit Verlusten verrechnen können, kursiert zudem die Angst, dass eine anonyme Abgeltungsteuer den Verlustabzug verhindern könnte. Kachel hält diese Sorge allerdings für unbegründet: Es gebe genügend Urteile, die dem entgegen stünden. Außerdem könnten Gewinne und Verluste aus Spekulationsgeschäften über Depot-Auszüge einfach nachgewiesen werden. Fraglich ist allerdings, wie die Depotbank, die die Steuer ja an den Fiskus überweisen soll, davon Kenntnis erlangen soll, wenn beispielsweise Ehepaare mehrere Depots unterhalten.
Wenn es der Bundesregierung nicht gelingt, die Abgeltungsteuer attraktiv zu gestalten, dürften viele Anleger einen Bogen um Deutschland machen – etwa mit einem Depot bei einer ausländischen Direktbank. Da Veräußerungsgewinne nicht unter die EU-Zinssteuerrichtlinie fallen, dürfte es dem deutschen Fiskus schwer fallen, solche Depots aufzuspüren.
Schon heute gilt unter vielen Daytradern ein Depot bei einer US-Bank als absolutes Muss. Wer diese Gewinne ehrlich in Deutschland versteuern will, stünde künftig vor der Frage: Gilt für diese Einkünfte der Abgeltungsteuersatz – oder müssen sie den vollen Steuersatz zahlen?