Trefferquote der Analysten erschreckend niedrig
Profis müssen Gewinnschätzungen am Neuen Markt binnen Jahresfrist um insgesamt 90 Prozent nach unten revidieren
Irreführende Gewinnschätzungen schockieren KleinanlegerMontage: DW
Von Holger Zschäpitz
Frankfurt/Main - Der Fondsmanager Gottfried Heller hat es kürzlich auf den Punkt gebracht: In der Hausse brauchen Anleger keine Analysten und in der Baisse sollte sie sich von ihnen fernhalten. Er scheint recht zu haben. Vor allem am Neuen Markt fällt die Bilanz katastrophal aus. Nicht nur mit ihren Empfehlungen lagen die Profis meilenweit daneben, auch die Gewinnprognosen entpuppten sich als Luftschlösser.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Einige der Branchenberater würden heute rot werden, wenn sie mit den Gewinnschätzungen, die sie im März 2000 abgegeben haben, konfrontiert würden. Die Realität hat die optimistischen Prognosen längst wieder einkassiert. Im Schnitt haben die Banker nämlich ihre Schätzungen um 90 Prozent nach unten revidiert. Ob EM.TV, Intershop oder Mobilcom - nahezu jede Gewinnwarnung ereilte die Profis wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Monat für Monat mussten die Experten zurückrudern und sukzessive ihre Gewinnreihen nach unten anpassen. Und kaum einem Profi gelang es rechtzeitig, die Krise eines Neuen-Markt-Unternehmens vorauszusehen. "Analysten laufen den Kursen hinterher", sagt Dieter Wermuth, Stratege der Tokai-Bank. "Am Neuen Markt sind die meisten Studien wertlos, wenn nicht gar irreführend."
Anleger, die auf das Urteil und die Analyse vertrauten, sind die großen Verlierer. Viele haben dabei gleich mehrfach verloren. Der Grund: Immer wenn die Kurse gefallen waren und Analysten auch mit dem Verweis auf die günstige Bewertung von Kaufkursen sprachen, kam die nächste Horrormeldung und zog den Boden unter den Kursen weg. Von attraktiver Bewertung konnte nie die Rede sein. Denn kaum waren die Kurse gefallen, revidierten die Analysten ihre Gewinnerwartungen nach unten.
Die Gewinnprognosen fielen sogar stärker als die Kurse. So wurde das zentrale Bewertungsmaß Kurs/Gewinn-Verhältnis (KGV), dass die Ergebnisschätzungen ins Verhältnis zum aktuellen Kurs setzt, immer höher statt niedriger. Das KGV beim Nemax-50 macht dies deutlich. Nach Berechnungen von I/B/E/S, die sämtliche Gewinnprognosen der 50 größten Neuer-Markt-Unternehmen aufaddieren, lagen die Gewinnschätzungen im März vergangenen Jahres für 2001 bei 105,3 Euro. Gemessen am damaligen Indexstand von knapp 9000 Zählern ergab sich ein KGV von 85. Heute - bei einem Indexstand von 2300 Punkten und Gewinnerwartungen von unter zehn - notieren die Unternehmen des Nemax-50 mit einem KGV von 280. Wenig schmeichelhaft fällt auch die Bilanz für die geschätzten Gewinne für 2002 aus. Diese wurden von 137 auf 38,5 Euro um 72 Prozent nach unten angepasst werden. "Das ist katastrophal. Ich zähle nicht mehr auf Analystenschätzungen", sagt Heller. "Analysten tendieren dazu, die Gewinne aus der Vergangenheit fortzuschreiben und das geht nach einem Technologieboom gründlich schief", erklärt er eine wichtige Ursache.
Analysten versuchen die Schuld auf die Unternehmen abzuschieben. "Wir haben früher die Prognose eines Unternehmens genommen, einen Schnaps obendrauf gelegt und lagen damit gut", beschreibt ein Branchenkenner. Inzwischen würden die Unternehmenslenker hätten aber immer dreister mit ihren eigenen Prognosen. "Nun nehmen immer einen Abschlag vor."
Doch auch diese Methode lässt einen wichtigen Aspekt außen vor. "Fast alle Analysten sind Erbsenzähler", so Wermuth. "Sie konzentrieren sich auf das Unternehmen und verlieren dabei das konjunkturelle Umfeld aus dem Auge."
Immerhin haben die Experten bei ihren Empfehlungen dazugelernt. Waren zum Hochpunkt des Neuen Marktes im März 2000 bei den Unternehmen des Leitindex Nemax-50 Verkaufsempfehlungen selten, steht auf 122 von 910 Analysen inzwischen "Verkaufen".
Ob damit die Prognosen realistischer geworden sind, bleibt zu bezweifeln: "Anleger sollten nicht blind auf Analysten vertrauen, sondern alles kritisch hinterfragen", sagt Wieland Staud von Staud Research. Eines ist für ihn klar: "Gewinnprognosen sind wie Schall und Rauch."
www.welt.de/daten/2001/02/17/0217fi223235.htx#wwwlinks
Profis müssen Gewinnschätzungen am Neuen Markt binnen Jahresfrist um insgesamt 90 Prozent nach unten revidieren
Irreführende Gewinnschätzungen schockieren KleinanlegerMontage: DW
Von Holger Zschäpitz
Frankfurt/Main - Der Fondsmanager Gottfried Heller hat es kürzlich auf den Punkt gebracht: In der Hausse brauchen Anleger keine Analysten und in der Baisse sollte sie sich von ihnen fernhalten. Er scheint recht zu haben. Vor allem am Neuen Markt fällt die Bilanz katastrophal aus. Nicht nur mit ihren Empfehlungen lagen die Profis meilenweit daneben, auch die Gewinnprognosen entpuppten sich als Luftschlösser.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Einige der Branchenberater würden heute rot werden, wenn sie mit den Gewinnschätzungen, die sie im März 2000 abgegeben haben, konfrontiert würden. Die Realität hat die optimistischen Prognosen längst wieder einkassiert. Im Schnitt haben die Banker nämlich ihre Schätzungen um 90 Prozent nach unten revidiert. Ob EM.TV, Intershop oder Mobilcom - nahezu jede Gewinnwarnung ereilte die Profis wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Monat für Monat mussten die Experten zurückrudern und sukzessive ihre Gewinnreihen nach unten anpassen. Und kaum einem Profi gelang es rechtzeitig, die Krise eines Neuen-Markt-Unternehmens vorauszusehen. "Analysten laufen den Kursen hinterher", sagt Dieter Wermuth, Stratege der Tokai-Bank. "Am Neuen Markt sind die meisten Studien wertlos, wenn nicht gar irreführend."
Anleger, die auf das Urteil und die Analyse vertrauten, sind die großen Verlierer. Viele haben dabei gleich mehrfach verloren. Der Grund: Immer wenn die Kurse gefallen waren und Analysten auch mit dem Verweis auf die günstige Bewertung von Kaufkursen sprachen, kam die nächste Horrormeldung und zog den Boden unter den Kursen weg. Von attraktiver Bewertung konnte nie die Rede sein. Denn kaum waren die Kurse gefallen, revidierten die Analysten ihre Gewinnerwartungen nach unten.
Die Gewinnprognosen fielen sogar stärker als die Kurse. So wurde das zentrale Bewertungsmaß Kurs/Gewinn-Verhältnis (KGV), dass die Ergebnisschätzungen ins Verhältnis zum aktuellen Kurs setzt, immer höher statt niedriger. Das KGV beim Nemax-50 macht dies deutlich. Nach Berechnungen von I/B/E/S, die sämtliche Gewinnprognosen der 50 größten Neuer-Markt-Unternehmen aufaddieren, lagen die Gewinnschätzungen im März vergangenen Jahres für 2001 bei 105,3 Euro. Gemessen am damaligen Indexstand von knapp 9000 Zählern ergab sich ein KGV von 85. Heute - bei einem Indexstand von 2300 Punkten und Gewinnerwartungen von unter zehn - notieren die Unternehmen des Nemax-50 mit einem KGV von 280. Wenig schmeichelhaft fällt auch die Bilanz für die geschätzten Gewinne für 2002 aus. Diese wurden von 137 auf 38,5 Euro um 72 Prozent nach unten angepasst werden. "Das ist katastrophal. Ich zähle nicht mehr auf Analystenschätzungen", sagt Heller. "Analysten tendieren dazu, die Gewinne aus der Vergangenheit fortzuschreiben und das geht nach einem Technologieboom gründlich schief", erklärt er eine wichtige Ursache.
Analysten versuchen die Schuld auf die Unternehmen abzuschieben. "Wir haben früher die Prognose eines Unternehmens genommen, einen Schnaps obendrauf gelegt und lagen damit gut", beschreibt ein Branchenkenner. Inzwischen würden die Unternehmenslenker hätten aber immer dreister mit ihren eigenen Prognosen. "Nun nehmen immer einen Abschlag vor."
Doch auch diese Methode lässt einen wichtigen Aspekt außen vor. "Fast alle Analysten sind Erbsenzähler", so Wermuth. "Sie konzentrieren sich auf das Unternehmen und verlieren dabei das konjunkturelle Umfeld aus dem Auge."
Immerhin haben die Experten bei ihren Empfehlungen dazugelernt. Waren zum Hochpunkt des Neuen Marktes im März 2000 bei den Unternehmen des Leitindex Nemax-50 Verkaufsempfehlungen selten, steht auf 122 von 910 Analysen inzwischen "Verkaufen".
Ob damit die Prognosen realistischer geworden sind, bleibt zu bezweifeln: "Anleger sollten nicht blind auf Analysten vertrauen, sondern alles kritisch hinterfragen", sagt Wieland Staud von Staud Research. Eines ist für ihn klar: "Gewinnprognosen sind wie Schall und Rauch."
www.welt.de/daten/2001/02/17/0217fi223235.htx#wwwlinks