Aus der FTD vom 21.3.2002
Taliban und al-Kaida bereiten Comeback vor
Die Gruppen der Taliban und der al-Kaida sind nach Überzeugung der US-Streitkräfte dabei, sich neu zu organisieren. Bis zu 1000 Mitglieder operieren von Pakistan aus.
"Ich kann Ihnen sagen, dass in diesem Moment Al-Kaida-Mitglieder in Paktia alles versuchen, um sich neu zu gruppieren und zu regenerieren", warnte Generalmajor Frank Hagenbeck am Mittwoch auf dem Luftwaffenstützpunkt Bagram. Er berief sich dabei auf Geheimdiensterkenntnisse.
Der General hatte in der Provinz Paktia die gerade abgeschlossene Operation Anaconda geleitet, die eine solche Reorganisation stoppen sollte. Dass dies nicht erfolgreich war, legt auch ein nächtlicher Angriff auf US-Truppen und ihre afghanischen Verbündeten in der Paktia benachbarten Provinz Khost nahe.
"Letzte Nacht griffen Terroristen mit Maschinengewehren, Granaten und Mörsern Koalitionstruppen in Khost an", sagte Major Bryan Hilferty, Sprecher der US-Truppen, am Mittwoch in Bagram. Ein US-Soldat und eine Reihe afghanischer Soldaten wurden verletzt. Die Angreifer sind laut US-Militär Mitglieder der Taliban und der al-Kaida gewesen. "Wir erwiderten das Feuer und reagieren auch in diesem Moment weiter."
Nach Angaben aus Taliban-Kreisen verstecken sich bis zu 1000 Mitglieder der Taliban und der al-Kaida in Pakistan und überqueren regelmäßig die Grenze. Sogar der gesuchte Al-Kaida-Anführer Osama Bin Laden soll sich in Ostafghanistan oder auf der pakistanischen Seite der Grenze aufhalten, berichtet die "Washington Times" unter Berufung auf US-Geheimdienste.
Vertreter der Taliban und al-Kaida in Pakistan erklärten sogar gegenüber der Nachrichtenagentur AP, sie planten ein Comeback. "Ich warte auf den großen Krieg", sagte Mullah Towha, der Sicherheitschef der ehemaligen Taliban-Regierung in der afghanischen Provinz Nangharhar, zu AP. "Amerika und Großbritannien werden eines Tages gehen, und dann werden wir einen Heiligen Krieg gegen die Afghanen führen, die mit ihnen gegen andere Muslime gekämpft haben."
Freie Grenzüberquerung
Laut Taliban-Mitgliedern halten sich Afghanistans ehemaliger Verteidigungsminister Mullah Obeidullah, Ex-Innenminister Abdul Razzak, der frühere Vizepremier Mullah Hasan Adhund und Amir Khan Muttaqi, Sprecher des Taliban-Führers Mullah Mohammed Omar, in Pakistan auf.
Auch Jalaluddin Haqqani soll sich hier befinden. Er verantwortet laut afghanischen Quellen den Versuch der Taliban und al-Kaida, sich in seiner ehemaligen Hochburg in Paktia neu zu formieren. Haqqani lebe in der pakistanischen Region Süd-Wasiristan nahe der afghanischen Grenze, sagt Haji Mohammed Ishaq, Polizeichef von Gardes, der Provinzhauptstadt von Paktia. Ehemalige Führungsfiguren des pakistanischen Geheimdienstes ISI stützten ihn.
Wiederaufbau des Finanzsystems
Auch eine Reihe von Al-Kaida-Führern sei im vergangenen Jahr nach Pakistan entkommen, heißt es im Umfeld der Organisation weiter. Zu ihnen gehört Abu Zubaydah, ein Palästinenser, der für die Reorganisation der al-Kaida zuständig sein soll. Er versuche derzeit, das Finanznetzwerk von al-Kaida wieder funktionsfähig zu machen.
Diese Information entspricht Berichten aus Washington. US-Regierungsvertreter hatten bereits gewarnt, die Terrororganisation habe in den vergangenen Wochen ihre Finanztransaktionen und Kommunikation wieder in Gang gebracht.
Die Gruppen von Pakistan aus wieder aufzubauen und auch Angriffe in Afghanistan zu organisieren, ist zumindest für Taliban-Angehörige nicht schwer. Die meisten von ihnen gehören zum Volk der Paschtunen. Sich unerkannt unter die örtliche ostpakistanische Bevölkerung zu mischen, ist deshalb kein Problem.
Ex-Taliban-Sicherheitschef Towha berichtet, er sei im November gemeinsam mit dem Gouverneur der Provinz Nangharhar, Mullah Abdul Kabir, einem Dolmetscher Bin Ladens, sowie dem ägyptisch-stämmigen Kanadier Ahmed Saeed al-Kadr, einem der zehn meistgesuchten Al-Kaida-Führer, in die Provinz Paktia getrampt. Die Bestechung pakistanischer Stammeskrieger habe ihnen dann den Weg über die Grenze frei gemacht. Kabir, einst der drittmächtigste Mann Afghanistans, reise regelmäßig über die Grenze hin und her, sagt Towha.
Die arabischen Al-Kaida-Flüchtlinge, die den Führungskern des Terrornetzwerks bilden, sind in Pakistan dagegen auf Schutz angewiesen, weil sie von jedem leicht als Fremde erkannt werden.
Pakistans Regierung streitet vehement ab, wissentlich Al-Kaida- oder Taliban-Mitglieder im Land zu beherbergen. Doch arbeiteten früher alle hochrangigen Taliban-Mitglieder eng mit dem pakistanischen Geheimdienst und Militär zusammen. Sie haben daher exzellente Verbindungen. Laut Towha werden sie noch immer auch finanziell von Mitgliedern und Ex-Mitgliedern des pakistanischen Geheimdienstes ISI unterstützt.
© 2002 Financial Times Deutschland