aus dem Spiegel vom April.2001
"Höchst alarmierend"
Nach der Verhaftung von fünf mutmaßlichen islamistischen Extremisten in Frankfurt am Main steht fest: Auch Deutschland ist vor blutigen Anschlägen nicht länger geschützt. Im Berliner Kanzleramt warnt man bereits vor der derzeit "größten Herausforderung" für die innere Sicherheit.
Die Verhältnisse, auf die die Staatsmacht am vergangenen Mittwochmorgen in der Frankfurter Spohrstraße stieß, waren höchst unübersichtlich. Der offizielle Mieter des Ein-Zimmer-Apartments, ein algerischer Asylbewerber, war nicht da. Die Behörden hatten den Automechaniker längst in seine Heimat abgeschoben. Die Miete, 650 Mark kalt, wird seitdem, von wem auch immer, jeden Monat bar bezahlt.
Stattdessen stießen die Ermittler der Bundesanwaltschaft, die im Windschatten eines Kommandos der Anti-Terroreinheit GSG 9 die Wohnung Nummer 204 stürmten, auf einen Mann, der gar nicht da sein sollte: Denn Samir K., 33, ist einer Asylunterkunft im Rheingau zugewiesen. Obwohl sein Antrag abgelehnt wurde, schützt ihn eine Duldung vor Abschiebung ins heimische Algerien.
Die muss er jetzt zunächst nicht mehr fürchten. K. sitzt in Untersuchungshaft, und dort wird er wohl auch noch eine Weile bleiben. Am Donnerstag erließ der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof Haftbefehl wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.
K. soll genauso wie vier nach dem Tipp eines ausländischen Geheimdienstes bereits im vergangenen Dezember verhaftete Muslime zur deutschen Filiale einer der gefährlichsten Terrorgruppen der Welt gehören. Sie stehen im dringenden Verdacht, fanatische Gotteskrieger zu sein, die auf das Kommando des in Afghanistan untergetauchten Multimillionärs Ussama Bin Laden hören. In ihren Schlupfwinkeln in Frankfurt fand die Polizei damals ein ganzes Waffenarsenal und Chemikalien zum Bombenbau.
Wie ein "Robin Hood der arabisch-muslimischen Welt", urteilt der Bundesnachrichtendienst (BND), werde der 44-jährige Bin Laden von seinen Anhängern verehrt. Bislang haben die brutalen Attentate, die seinen Kämpfern zugerechnet werden - darunter die Anschläge auf die US-Botschaften in Nairobi (253 Tote) und Daressalam (10 Tote) sowie auf den US-Zerstörer "Cole" im jemenitischen Aden (17 Tote) - Europa nicht erreicht. Aber die nach dem Ende der Roten Armee Fraktion lieb gewordene Sicherheit, Deutschland habe blutige Terroraktionen nicht mehr zu fürchten, ist dahin.
Die Regierung, bis hinauf zu Kanzler Gerhard Schröder, ist hoch nervös und achtet darauf, dass die bisweilen nur widerwillig kooperierenden Sicherheitsbehörden - vom Bundeskriminalamt bis zum BND - diesmal eng zusammenarbeiten. "Das ist unsere größte terroristische Herausforderung", mahnt Schröders Geheimdienstkoordinator Ernst Uhrlau.
Doch wie ernst die Bedrohung ist, die öffentlich bisher kaum wahrgenommen wird, macht Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) deutlich. "In letzter Minute" habe man einen "terroristischen Anschlag" in Straßburg verhindern können. Die aufgeflogenen Kämpfer stehen im Verdacht, sie hätten eine Bombe nahe des dortigen Münsters zünden wollen (SPIEGEL 9/2001). Ein in Deutschland vorbereitetes Massaker in Frankreich - das wäre auch politisch eine Katastrophe.
Nicht nur die Bundesregierung ist alarmiert. Mutmaßliche Terroristen der Bin-Laden-Truppe wurden mittlerweile in Großbritannien und in Italien entdeckt. In beiden Fällen lieferten deutsche Ermittler entscheidende Hinweise. Rom revanchierte sich - etwa mit abgehörten Telefonaten.
Wie die deutschen schlugen die italienischen Ermittler vergangenen Mittwoch Punkt sechs Uhr in und um Mailand zu und verhafteten fünf Tunesier. "Wir sind überzeugt, das Gehirn des islamistischen Terrorismus zerschlagen zu haben", tönte Innenminister Enzo Bianco.
So siegessicher ist in Deutschland niemand. Denn trotz der Fahndungserfolge gilt, dass über die Strukturen der Gotteskrieger fast nichts bekannt ist. Wie viele sind es? Von wem bekommen sie ihre Befehle? Was haben sie vor? Die Behörden haben darauf keine Antwort.
Besonders beunruhigend ist für die Sicherheitskräfte, dass die Islamisten offenbar unter den in Deutschland lebenden Muslimen potenzielle Attentäter und Unterstützer rekrutieren. "Das ist kein kurzfristiger Anreiseterrorismus", sagt Uhrlau.
Unter den jetzt Einsitzenden sind abgelehnte Asylbewerber, die untertauchten, um der Abschiebung zu entgehen. Nur einer von ihnen war den Staatsschützern schon einmal aufgefallen. In Frankreich hatte er bei dem algerisch-fundamentalistischen Propagandablatt "al-Ansar" mitgearbeitet. Zwar hatte die Polizei über die anderen schon so manches zusammengetragen - aber stets nur gewöhnliche Straftaten wie Einbruch und Drogenhandel.
Dass mit den beiden Schlägen vom Dezember und der vergangenen Woche erst ein kleiner Sieg errungen ist, weiß auch die Bundesregierung. "Wir haben noch längst nicht das volle Bild", so Schily.
Immerhin neun Tatverdächtige sind namentlich bekannt, aber erst fünf verhaftet. Wie weit verzweigt das Netz ist, beweist ein von den Italienern Ende Dezember abgehörtes Telefonat. Ein islamistischer Funktionär in Belgien wurde über den Fahndungserfolg informiert: "Ich setze dich davon in Kenntnis, dass die Hälfte der Gruppe in Deutschland festgenommen wurde." Die anderen sind trotz aller Fahndungsanstrengungen noch nicht gefasst.
Für Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) ist es "höchst alarmierend", dass die Islamisten potenzielle Attentäter auch unter den Asylbewerbern rekrutieren. Beckstein: "Die schicken uns ihre Leute, die hier dann unter Ausnutzung des Asylrechts bleiben können."
Dass die Fahnder womöglich erst am Anfang stehen, zeigte sich nach den insgesamt acht Durchsuchungen vorige Woche: Gegen zwei in Bayern und zwei in Hessen lebende Nordafrikaner leitete die Bundesanwaltschaft Verfahren wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ein.
Einer aus dem Quartett sitzt mittlerweile - aber aus einem anderen Grund. Bei seiner Vernehmung wurde er ganz nervös, als die Polizei begann, sich für sein dickes Schlüsselbund zu interessieren. Bei weiteren Ermittlungen stellte sich heraus, dass das Schlüsselbund eine Spur zu einem schweren Raub war, den der mutmaßliche Terroristen-Unterstützer offenbar begangen hatte. Das war nicht der einzige Zufallsfund: In der Flensburger Straße in Frankfurt, wo die Ermittler ebenfalls durchsuchten, trafen sie auf einen zur Abschiebung ausgeschriebenen Algerier.
Einige der jetzt Inhaftierten sollen in einem der mindestens vier Lager Bin Ladens in Afghanistan ihre Ausbildung zum Gotteskrieger erhalten haben. Jährlich werden dort nach Erkenntnissen westlicher Geheimdienste mehrere tausend Muslime für ihren Kampf gegen die Ungläubigen geschult. "In allen Konflikten, in denen sich muslimische und weltliche Parteien gegenüberstehen", urteilt der BND, tauchten sie als "Söldner" auf.
Auch deutsche Touristen gehörten schon zu ihren Opfern. Manche der Geiselnehmer von Jolo sollen ihr Handwerk in afghanischen Camps gelernt haben. Und auch die ägyptischen Radikalen, die 1997 in Kairo und Luxor insgesamt 13 deutsche Urlauber töteten, unterhielten engste Verbindungen zur Bin-Laden-Bewegung.
Trotz aller Versuche, die Mitglieder der Frankfurter Gruppe zum Reden zu bringen, schweigen alle zu den Terrorismusvorwürfen. Zwei von ihnen würden prima ins Bilderbuch der Freischärler passen: rund gestutzte Bärte, stets gelassen und bei den Vernehmungen sogar ein bisschen mokant.
Freimütige Geständnisse liefern sie nur in Randbereichen: Ja, sicher habe man gefälschte Papiere verwendet - was angesichts ganzer Bündel beschlagnahmter Pässe auch ziemlich schwer zu leugnen ist.
Aeuroubi B., 25, ein abgelehnter Asylbewerber, der untergetaucht war, gestand ein, mit Drogen zu handeln. Schon bei den Durchsuchungen im Dezember waren auch acht Platten Haschisch gefunden worden. Die vielen Telefonnummern in einem Kalender erklärte B. mit solchen Geschäften.
Die Erfahrungen aus dem ordinären kriminellen Milieu nutzten die Bin-Laden-Anhänger geschickt. Mit Hilfe einer ganzen Serie gefälschter oder entwendeter Kreditkarten finanzierten sie die Anschlagsvorbereitungen. Bei Peek & Cloppenburg erstanden sie feine Anzüge. Seriös gekleidet, reisten sie in zwei Mietwagen durch die Republik. In Berlin, Hamburg, Stuttgart und sogar am Sitz der Bundesanwaltschaft, in Karlsruhe, tauchten sie auf.
Bei ihrer Deutschlandreise kauften sie in Apotheken spezielle Chemikalien, aus denen sich Sprengstoff mixen lässt. Allein 30 Kilogramm Kaliumpermanganat erstanden sie so. Stets gaben sie an, den Stoff für einen befreundeten Arzt beziehungsweise ein Krankenhaus in Afrika zu brauchen.
Eine der hierbei benutzten Kreditkarten führte auch auf die italienische Spur. Dort war das Plastikgeld gestohlen worden. Zahlreiche von den deutschen Ermittlern ausgewertete Telefonate belegten die engen Verbindungen zwischen der Frankfurter und der Mailänder Gruppe. Deren mutmaßlicher Chef betrieb eine illegale Arbeitsvermittlung.
Wie ernst den Kämpfern ihre Sache ist, beweist das im Dezember in Frankfurt sichergestellte Arsenal. Neben Maschinenpistolen, Gewehren mit Zielfernrohr und Handfeuerwaffen mit Schalldämpfern wurden in arabischer Schönschrift verfasste Anleitungen zum Bombenbau gefunden. Ein Gutachten hat mittlerweile ergeben, dass die beschriebenen Schrittfolgen zwar etwas umständlich sind, aber am Ende zur Bombe führen.
Weil auch Nägel und Schnellkochtöpfe gefunden wurden, liegt der Verdacht nahe, dass die Bomben jenen ähneln sollten, die Fundamentalisten 1995 in Frankreich zündeten: ein fest geschlossener Topf mit einem chemischen Selbstlaborat, durchsetzt mit Metallteilen, die schreckliche Wunden reißen.
Dafür, dass in Straßburg Menschen sterben sollten, spricht auch, dass die Algerier im nahen Baden-Baden vom ersten Weihnachtsfeiertag 2000 an für eine Woche zwei Apartments gemietet hatten. Per Videokamera zeichneten sie die Fahrtstrecke von Baden-Baden ins Elsass und zur belebten Place Kléber nahe des Münsters auf. Arabische Wegbeschreibungen und dezente Kampfmusik bildeten die Tonkulisse des Bandes.
Neben Frankfurt gilt den Ermittlern der Großraum München als möglicher zweiter Schwerpunkt der Islamisten in Deutschland. Vergangenen Mittwoch durchsuchten die Fahnder eine Wohnung in Freising. Dort war bereits im September 1998 der mutmaßliche Finanzchef der Bin-Laden-Organisation "al-Qaida", Mamduh Mahmud Salim, verhaftet worden (SPIEGEL 40/1998). Er wurde mittlerweile an die USA ausgeliefert. Genauso wie die 22 anderen, gegen die in New York bereits der Prozess wegen der Anschläge auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania eröffnet ist, soll auch Salim vor Gericht.
Der damals kaum beachtete Fall könnte jetzt wichtige Erkenntnisse für die laufenden Ermittlungen bringen. "Von Salim zu den jüngsten Verhaftungen in Frankfurt gibt es eine Spur", so Bayerns Innenminister Beckstein.
Die Jagd auf die Bombenbauer ist eröffnet. Roms Innenminister Bianco sorgt sich schon um die Sicherheit des für Ende Juli geplanten G-8-Gipfels in Genua. Sein Berliner Amtskollege Schily verspricht: "Angesichts der enormen Gefahren werden wir höchste Anstrengungen unternehmen, um die Strukturen dieser international verzweigten Gruppen aufzuklären."
Das muss wohl auch sein. Denn dass der Skrupelloseste bisher vermutlich noch nicht einmal enttarnt ist, legt ein am 3. März von den Italienern abgehörtes Telefonat nahe: "Der Gefährlichste ist nicht unter den Brüdern, die sie in Deutschland festgenommen haben", hörten die Ermittler bei einem Gespräch zwischen den in Italien lebenden Tunesiern mit. "Er wurde erbarmungslos abgerichtet. Glaubt mir, in Deutschland kennt ihn keiner, weil er immer auf Reisen ist. Er ist wie ein Knopf, man braucht ihn nur zu drücken für jegliche Aktion."
"Höchst alarmierend"
Nach der Verhaftung von fünf mutmaßlichen islamistischen Extremisten in Frankfurt am Main steht fest: Auch Deutschland ist vor blutigen Anschlägen nicht länger geschützt. Im Berliner Kanzleramt warnt man bereits vor der derzeit "größten Herausforderung" für die innere Sicherheit.
Die Verhältnisse, auf die die Staatsmacht am vergangenen Mittwochmorgen in der Frankfurter Spohrstraße stieß, waren höchst unübersichtlich. Der offizielle Mieter des Ein-Zimmer-Apartments, ein algerischer Asylbewerber, war nicht da. Die Behörden hatten den Automechaniker längst in seine Heimat abgeschoben. Die Miete, 650 Mark kalt, wird seitdem, von wem auch immer, jeden Monat bar bezahlt.
Stattdessen stießen die Ermittler der Bundesanwaltschaft, die im Windschatten eines Kommandos der Anti-Terroreinheit GSG 9 die Wohnung Nummer 204 stürmten, auf einen Mann, der gar nicht da sein sollte: Denn Samir K., 33, ist einer Asylunterkunft im Rheingau zugewiesen. Obwohl sein Antrag abgelehnt wurde, schützt ihn eine Duldung vor Abschiebung ins heimische Algerien.
Die muss er jetzt zunächst nicht mehr fürchten. K. sitzt in Untersuchungshaft, und dort wird er wohl auch noch eine Weile bleiben. Am Donnerstag erließ der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof Haftbefehl wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.
K. soll genauso wie vier nach dem Tipp eines ausländischen Geheimdienstes bereits im vergangenen Dezember verhaftete Muslime zur deutschen Filiale einer der gefährlichsten Terrorgruppen der Welt gehören. Sie stehen im dringenden Verdacht, fanatische Gotteskrieger zu sein, die auf das Kommando des in Afghanistan untergetauchten Multimillionärs Ussama Bin Laden hören. In ihren Schlupfwinkeln in Frankfurt fand die Polizei damals ein ganzes Waffenarsenal und Chemikalien zum Bombenbau.
Wie ein "Robin Hood der arabisch-muslimischen Welt", urteilt der Bundesnachrichtendienst (BND), werde der 44-jährige Bin Laden von seinen Anhängern verehrt. Bislang haben die brutalen Attentate, die seinen Kämpfern zugerechnet werden - darunter die Anschläge auf die US-Botschaften in Nairobi (253 Tote) und Daressalam (10 Tote) sowie auf den US-Zerstörer "Cole" im jemenitischen Aden (17 Tote) - Europa nicht erreicht. Aber die nach dem Ende der Roten Armee Fraktion lieb gewordene Sicherheit, Deutschland habe blutige Terroraktionen nicht mehr zu fürchten, ist dahin.
Die Regierung, bis hinauf zu Kanzler Gerhard Schröder, ist hoch nervös und achtet darauf, dass die bisweilen nur widerwillig kooperierenden Sicherheitsbehörden - vom Bundeskriminalamt bis zum BND - diesmal eng zusammenarbeiten. "Das ist unsere größte terroristische Herausforderung", mahnt Schröders Geheimdienstkoordinator Ernst Uhrlau.
Doch wie ernst die Bedrohung ist, die öffentlich bisher kaum wahrgenommen wird, macht Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) deutlich. "In letzter Minute" habe man einen "terroristischen Anschlag" in Straßburg verhindern können. Die aufgeflogenen Kämpfer stehen im Verdacht, sie hätten eine Bombe nahe des dortigen Münsters zünden wollen (SPIEGEL 9/2001). Ein in Deutschland vorbereitetes Massaker in Frankreich - das wäre auch politisch eine Katastrophe.
Nicht nur die Bundesregierung ist alarmiert. Mutmaßliche Terroristen der Bin-Laden-Truppe wurden mittlerweile in Großbritannien und in Italien entdeckt. In beiden Fällen lieferten deutsche Ermittler entscheidende Hinweise. Rom revanchierte sich - etwa mit abgehörten Telefonaten.
Wie die deutschen schlugen die italienischen Ermittler vergangenen Mittwoch Punkt sechs Uhr in und um Mailand zu und verhafteten fünf Tunesier. "Wir sind überzeugt, das Gehirn des islamistischen Terrorismus zerschlagen zu haben", tönte Innenminister Enzo Bianco.
So siegessicher ist in Deutschland niemand. Denn trotz der Fahndungserfolge gilt, dass über die Strukturen der Gotteskrieger fast nichts bekannt ist. Wie viele sind es? Von wem bekommen sie ihre Befehle? Was haben sie vor? Die Behörden haben darauf keine Antwort.
Besonders beunruhigend ist für die Sicherheitskräfte, dass die Islamisten offenbar unter den in Deutschland lebenden Muslimen potenzielle Attentäter und Unterstützer rekrutieren. "Das ist kein kurzfristiger Anreiseterrorismus", sagt Uhrlau.
Unter den jetzt Einsitzenden sind abgelehnte Asylbewerber, die untertauchten, um der Abschiebung zu entgehen. Nur einer von ihnen war den Staatsschützern schon einmal aufgefallen. In Frankreich hatte er bei dem algerisch-fundamentalistischen Propagandablatt "al-Ansar" mitgearbeitet. Zwar hatte die Polizei über die anderen schon so manches zusammengetragen - aber stets nur gewöhnliche Straftaten wie Einbruch und Drogenhandel.
Dass mit den beiden Schlägen vom Dezember und der vergangenen Woche erst ein kleiner Sieg errungen ist, weiß auch die Bundesregierung. "Wir haben noch längst nicht das volle Bild", so Schily.
Immerhin neun Tatverdächtige sind namentlich bekannt, aber erst fünf verhaftet. Wie weit verzweigt das Netz ist, beweist ein von den Italienern Ende Dezember abgehörtes Telefonat. Ein islamistischer Funktionär in Belgien wurde über den Fahndungserfolg informiert: "Ich setze dich davon in Kenntnis, dass die Hälfte der Gruppe in Deutschland festgenommen wurde." Die anderen sind trotz aller Fahndungsanstrengungen noch nicht gefasst.
Für Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) ist es "höchst alarmierend", dass die Islamisten potenzielle Attentäter auch unter den Asylbewerbern rekrutieren. Beckstein: "Die schicken uns ihre Leute, die hier dann unter Ausnutzung des Asylrechts bleiben können."
Dass die Fahnder womöglich erst am Anfang stehen, zeigte sich nach den insgesamt acht Durchsuchungen vorige Woche: Gegen zwei in Bayern und zwei in Hessen lebende Nordafrikaner leitete die Bundesanwaltschaft Verfahren wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ein.
Einer aus dem Quartett sitzt mittlerweile - aber aus einem anderen Grund. Bei seiner Vernehmung wurde er ganz nervös, als die Polizei begann, sich für sein dickes Schlüsselbund zu interessieren. Bei weiteren Ermittlungen stellte sich heraus, dass das Schlüsselbund eine Spur zu einem schweren Raub war, den der mutmaßliche Terroristen-Unterstützer offenbar begangen hatte. Das war nicht der einzige Zufallsfund: In der Flensburger Straße in Frankfurt, wo die Ermittler ebenfalls durchsuchten, trafen sie auf einen zur Abschiebung ausgeschriebenen Algerier.
Einige der jetzt Inhaftierten sollen in einem der mindestens vier Lager Bin Ladens in Afghanistan ihre Ausbildung zum Gotteskrieger erhalten haben. Jährlich werden dort nach Erkenntnissen westlicher Geheimdienste mehrere tausend Muslime für ihren Kampf gegen die Ungläubigen geschult. "In allen Konflikten, in denen sich muslimische und weltliche Parteien gegenüberstehen", urteilt der BND, tauchten sie als "Söldner" auf.
Auch deutsche Touristen gehörten schon zu ihren Opfern. Manche der Geiselnehmer von Jolo sollen ihr Handwerk in afghanischen Camps gelernt haben. Und auch die ägyptischen Radikalen, die 1997 in Kairo und Luxor insgesamt 13 deutsche Urlauber töteten, unterhielten engste Verbindungen zur Bin-Laden-Bewegung.
Trotz aller Versuche, die Mitglieder der Frankfurter Gruppe zum Reden zu bringen, schweigen alle zu den Terrorismusvorwürfen. Zwei von ihnen würden prima ins Bilderbuch der Freischärler passen: rund gestutzte Bärte, stets gelassen und bei den Vernehmungen sogar ein bisschen mokant.
Freimütige Geständnisse liefern sie nur in Randbereichen: Ja, sicher habe man gefälschte Papiere verwendet - was angesichts ganzer Bündel beschlagnahmter Pässe auch ziemlich schwer zu leugnen ist.
Aeuroubi B., 25, ein abgelehnter Asylbewerber, der untergetaucht war, gestand ein, mit Drogen zu handeln. Schon bei den Durchsuchungen im Dezember waren auch acht Platten Haschisch gefunden worden. Die vielen Telefonnummern in einem Kalender erklärte B. mit solchen Geschäften.
Die Erfahrungen aus dem ordinären kriminellen Milieu nutzten die Bin-Laden-Anhänger geschickt. Mit Hilfe einer ganzen Serie gefälschter oder entwendeter Kreditkarten finanzierten sie die Anschlagsvorbereitungen. Bei Peek & Cloppenburg erstanden sie feine Anzüge. Seriös gekleidet, reisten sie in zwei Mietwagen durch die Republik. In Berlin, Hamburg, Stuttgart und sogar am Sitz der Bundesanwaltschaft, in Karlsruhe, tauchten sie auf.
Bei ihrer Deutschlandreise kauften sie in Apotheken spezielle Chemikalien, aus denen sich Sprengstoff mixen lässt. Allein 30 Kilogramm Kaliumpermanganat erstanden sie so. Stets gaben sie an, den Stoff für einen befreundeten Arzt beziehungsweise ein Krankenhaus in Afrika zu brauchen.
Eine der hierbei benutzten Kreditkarten führte auch auf die italienische Spur. Dort war das Plastikgeld gestohlen worden. Zahlreiche von den deutschen Ermittlern ausgewertete Telefonate belegten die engen Verbindungen zwischen der Frankfurter und der Mailänder Gruppe. Deren mutmaßlicher Chef betrieb eine illegale Arbeitsvermittlung.
Wie ernst den Kämpfern ihre Sache ist, beweist das im Dezember in Frankfurt sichergestellte Arsenal. Neben Maschinenpistolen, Gewehren mit Zielfernrohr und Handfeuerwaffen mit Schalldämpfern wurden in arabischer Schönschrift verfasste Anleitungen zum Bombenbau gefunden. Ein Gutachten hat mittlerweile ergeben, dass die beschriebenen Schrittfolgen zwar etwas umständlich sind, aber am Ende zur Bombe führen.
Weil auch Nägel und Schnellkochtöpfe gefunden wurden, liegt der Verdacht nahe, dass die Bomben jenen ähneln sollten, die Fundamentalisten 1995 in Frankreich zündeten: ein fest geschlossener Topf mit einem chemischen Selbstlaborat, durchsetzt mit Metallteilen, die schreckliche Wunden reißen.
Dafür, dass in Straßburg Menschen sterben sollten, spricht auch, dass die Algerier im nahen Baden-Baden vom ersten Weihnachtsfeiertag 2000 an für eine Woche zwei Apartments gemietet hatten. Per Videokamera zeichneten sie die Fahrtstrecke von Baden-Baden ins Elsass und zur belebten Place Kléber nahe des Münsters auf. Arabische Wegbeschreibungen und dezente Kampfmusik bildeten die Tonkulisse des Bandes.
Neben Frankfurt gilt den Ermittlern der Großraum München als möglicher zweiter Schwerpunkt der Islamisten in Deutschland. Vergangenen Mittwoch durchsuchten die Fahnder eine Wohnung in Freising. Dort war bereits im September 1998 der mutmaßliche Finanzchef der Bin-Laden-Organisation "al-Qaida", Mamduh Mahmud Salim, verhaftet worden (SPIEGEL 40/1998). Er wurde mittlerweile an die USA ausgeliefert. Genauso wie die 22 anderen, gegen die in New York bereits der Prozess wegen der Anschläge auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania eröffnet ist, soll auch Salim vor Gericht.
Der damals kaum beachtete Fall könnte jetzt wichtige Erkenntnisse für die laufenden Ermittlungen bringen. "Von Salim zu den jüngsten Verhaftungen in Frankfurt gibt es eine Spur", so Bayerns Innenminister Beckstein.
Die Jagd auf die Bombenbauer ist eröffnet. Roms Innenminister Bianco sorgt sich schon um die Sicherheit des für Ende Juli geplanten G-8-Gipfels in Genua. Sein Berliner Amtskollege Schily verspricht: "Angesichts der enormen Gefahren werden wir höchste Anstrengungen unternehmen, um die Strukturen dieser international verzweigten Gruppen aufzuklären."
Das muss wohl auch sein. Denn dass der Skrupelloseste bisher vermutlich noch nicht einmal enttarnt ist, legt ein am 3. März von den Italienern abgehörtes Telefonat nahe: "Der Gefährlichste ist nicht unter den Brüdern, die sie in Deutschland festgenommen haben", hörten die Ermittler bei einem Gespräch zwischen den in Italien lebenden Tunesiern mit. "Er wurde erbarmungslos abgerichtet. Glaubt mir, in Deutschland kennt ihn keiner, weil er immer auf Reisen ist. Er ist wie ein Knopf, man braucht ihn nur zu drücken für jegliche Aktion."