SZ - Kommentar zum Kabinett:

Beitrag: 1
Zugriffe: 157 / Heute: 1
MadChart:

SZ - Kommentar zum Kabinett:

 
17.10.02 12:16
Kommentar
 
Schröders All-Star-Team
 
Von Christoph Schwennicke

     

(SZ vom 17.10.2002) So alt waren Aufbruch und Erneuerung noch nie. Auf 792 Jahre bringt es das 14-köpfige Kabinett von Gerhard Schröder, mit dem er seine zweite Chance wahrnehmen möchte – als wollte sich der Kanzler mit seinen 58 Jahren jeden Mittwoch beim Blick ins Rund der Minister versichern, was für ein Jüngling er vergleichsweise noch ist.

Aber Alter ist nicht automatisch ein Makel, so wie Jugend allein noch keine Tugend ist. Erkennbar hat der Kanzler bei der Besetzung seiner Regierung auf das gesetzt, was man erprobte Kräfte zu nennen pflegt. Es ist, inklusive der alten Neuen wie Schily, Fischer und Trittin, eine Ansammlung von starken, mitunter schwierigen Persönlichkeiten, es ist ein rot-grünes All-Star-Team, das finale Aufgebot einer Generation, die in der SPD nun umso dringlicher aufpassen muss, den Generationswechsel vor lauter Machtlust nicht zu vergessen. Ein Team aus namhaften Solisten ist nicht zwingend eine gute Mannschaft.

Schröder hat nicht davor zurückgeschreckt, bei den Neuen eine Schar überaus selbstbewusster Persönlichkeiten um sich zu versammeln. Das spricht für seine Souveränität und sein Zutrauen in seine Machtposition. Er hat nicht den häufig zu beobachtenden Chef-Fehler gemacht, sich mit Schranzen zu umgeben. Wolfgang Clement, ein Manfred Stolpe, eine Renate Schmidt sind keine Duckmäuser. In Clement leistet sich Schröder sogar einen Minister, der mit einigem Amusement gelesen haben mag, dass er der neue Gegenspieler zu Hans Eichel sein soll. Der neue Superminister sieht sich durchaus in anderer Konkurrenz.

Erweisen muss sich jetzt, ob das Kabinett der starken Individualisten zu kollektiver Kraft findet. Viele kleine Cäsaren machen noch kein starkes Rom. Clement, als zuständiger Minister für Arbeit und Wirtschaft Schlüsselfigur für Erfolg oder Misserfolg der zweiten Legislaturperiode, muss erst noch alle so von seinen Macher-Qualitäten überzeugen, wie er es selbst schon ist. Renate Schmidt, zuständig für die Einlösung des Versprechens, die Familie zu fördern, wird nachweisen müssen, wie man ohne faktische Gestaltungskraft (in Form von Geld) diese Erwartung einlösen kann. Im Präsidium der SPD hat sie dies mitunter gezeigt, als sie mit festem Griff Finanzminister Hans Eichel auf die Matte zwang. Manfred Stolpe, faktischer Ost-Beauftragter und Infrastrukturminister in Personalunion, wird aufpassen müssen, dass er vor aller Ost-Fürsorge der Minister aller Autobahnen und Umgehungsstraßen in Deutschland bleibt.
Tief enttäuschend im Personaltableau ist ausgerechnet die Besetzung des zweiten Schlüsselressorts. Ulla Schmidt, vormalige Gesundheitsministerin und neue Super-Sozialministerin, hat nicht einmal den Rückhalt der eigenen Leute. Sie bangte mit Grund bis zuletzt. Nun darf sie weitermachen. Diese Gnade, die bloß aus Mangel aus Alternativen erwächst, ist die schlimmste Bürde, mit der man jemanden auf eine so schwere Strecke schicken kann.

Spiegel dieser personellen Enttäuschung ist der Koalitionsvertrag selbst. Arthur Schopenhauer schrieb seinem Verleger Brockhaus, als er diesem seine „Welt als Wille und Vorstellung “ anempfahl: Nur wer „ächte Gedanken hat, hat ächten Stil“, sei doch der Stil der „bloße Schattenriss des Gedankens“. So wie dieses Werk der Nukleus Schopenhauerscher Philosophie ist, so soll die an diesem Mittwoch unterzeichnete Vereinbarung der Wegweiser für die Neuauflage der Koalition sein: die politische Welt nach ihrem Willen und ihrer Vorstellung. Alles Handeln soll sich darauf zurückführen lassen und darin begründen.

Ein Manifest wollte man daher vorlegen: Kurz, prägnant, mit klaren Konturen und Schwerpunkten. Herausgekommen ist ein wortreiches Kompendium in Telefonbuch-Format, in dem Wichtiges und weniger Wichtiges hintereinander gehängt wurde. Dahinter steckt mehr als redaktionelles Versagen. Es fehlen die „ächten Gedanken“. Es ist das Resultat aus dem Ruder gelaufener Verhandlungen. Nach pompösem Auftakt mit dem Anspruch, einen politischen Gesellschaftsvertrag fürs nächste Jahrzehnt vorzulegen, verkam die Veranstaltung zu faktischen Haushaltsberatungen und Detailhuberei – als hinge die Zukunft des Landes am Kernkraftwerk Obrigheim oder der Besteuerung von Leitungswasser. Wie die Regierung künftig aber die Finanzierung des Gesundheitswesens und der Sozialsysteme sichern will, erfährt man auf 88 Seiten nicht.

So gesehen hat man aus den Fehlern von 1998 bis hierher nicht gelernt, ein Anflug von Déjà-vu stellt sich ein. Strategisch gesehen hat sich die Koalition nicht viel klüger aufgestellt als vor vier Jahren, als sie zu Beginn von Fehler zu Fehler stolperte und und bei den folgenden Landtagswahlen bestraft wurde.
Die Bewährungsproben stehen gleich wieder an, mit drei Landtagswahlen im Frühjahr 2003. Die wirtschaftliche Lage ist nicht so, dass die Regierung Hoffnungen auf sie setzen kann. Als Ausflucht wird sie nicht mehr dienen. Diesmal muss Rot-Grün den Nachweis der Handlungsfähigkeit liefern, schnell und überzeugend. Verlauf und Ergebnis der Koalitionsverhandlungen sind nicht dazu angetan, Vertrauen zu wecken. Daraus schon das Scheitern abzuleiten, ist trotzdem vorschnell.

(sueddeutsche.de)


     

   
Es gibt keine neuen Beiträge.


Börsen-Forum - Gesamtforum - Antwort einfügen - zum ersten Beitrag springen
--button_text--