New-Era-Propheten in Erklärungsnot
Von Claus Vogt
Die aktuelle Entwicklung des CRB-Index signalisiert das bevorstehende Ende des inflationären Zwischenspiels in den USA, das Anfang des Jahres 2000 deutlicher sichtbar wurde. Scheinbar im Widerspruch dazu wurde jetzt ein erheblich über den Erwartungen liegender Anstieg der amerikanischen Lohnstückkosten um 5,1 Prozent bekannt gegeben. Doch dies ist nicht dahingehend zu interpretieren, dass Inflationsgefahren damit zunehmen.
Denn: Steigende Lohnstückkosten wirken nur dann preistreibend, wenn es den Unternehmen gelingt, die höheren Kosten auf ihre Produkte und damit auf ihre Kunden abzuwälzen. Diese aus Unternehmenssicht verlockende Möglichkeit ist aber zur Zeit kaum durchsetzbar. In weiten Teilen der amerikanischen Ökonomie bestehen erhebliche Überkapazitäten, ein denkbar schlechtes Umfeld für Preiserhöhungen. Hinzu kommt die verschärfte internationale Wettbewerbssituation. Amerikanische Konsumenten und Produzenten können auf steigende Preise amerikanischer Produkte mit dem Kauf ausländischer Substitute reagieren. Der starke Dollar tut ein Zusätzliches, um Preiserhöhungen von US-Produkten im internationalen Wettbewerb zu erschweren.
Wenn das Überwälzen steigender Kosten auf die Produktpreise nicht möglich ist, haben die Unternehmen natürlich mit schrumpfenden Margen zu kämpfen. Kosteneinsparungsprogramme, Massenentlassungen und Restrukturierungen sind die klassischen Antworten in dieser Situation. Zahlreiche US-Unternehmen haben entsprechende Maßnahmen bereits eingeleitet oder zumindest angekündigt. Diese wiederum entfalten keine inflationären, sondern dämpfende volkswirtschaftliche Wirkungen. Folglich bleibe ich bei meiner Prognose nachlassender Inflationsgefahren und empfehle den Kauf erstklassiger Anleihen mit langen Laufzeiten.
Mit dem Anstieg der US-Arbeitslosenquote von 4,3 auf 4,5 Prozent lag eine weitere viel beachtete Wirtschaftsstatistik über den Konsensus-Erwartungen. Der Rückgang der Beschäftigung im April war der stärkste seit Anfang 1991, also dem Ende der letzten Rezession. Die jetzt bereits angekündigten Entlassungen legen einen weiteren Anstieg dieser Zahl nahe. Überraschend ist diese Zunahme der Arbeitslosigkeit in den USA nicht, die Geschwindigkeit dieses prinzipiell völlig normalen Prozesses aber sehr wohl. Das Studium dieser Statistik in vergangenen Wirtschaftszyklen deutet auf eine sich anbahnende Rezession in den USA hin. Die Ausgabenfreudigkeit der Konsumenten und die Arbeitslosenquote sind deutlich positiv korreliert. Wer arbeitslos wird oder befürchten muss, es zu werden, hält sich gewöhnlich mit Konsumausgaben zurück. Dieser einfache Zusammenhang, gekoppelt mit einer negativen Sparquote und der Rekordverschuldung amerikanischer Haushalte ergibt die Möglichkeit eines sich selbst verstärkenden Prozesses:
Steigende Arbeitslosigkeit -> höhere Sparquote -> geringere Konsumausgabe -> sinkende Unternehmensgewinne -> Personalabbau -> steigende Arbeitslosigkeit
Die Taten der Unternehmer sprechen für sich
Zwar hören und lesen wir seit geraumer Zeit von zahlreichen Vorständen amerikanischer Unternehmen, der Boden des Abschwungs sei erreicht oder werde demnächst erreicht sein - doch diese Beteuerungen sind wenig glaubhaft. Denn die Worte decken sich nicht mit den Taten. Sowohl Entlassungen als auch das Einstellen qualifizierten Personals kosten viel Zeit und Geld. Wie sind aber Massenentlassungen zu erklären, wenn doch die Unternehmer angeblich von dem unmittelbar bevorstehenden Ende eines Abschwungs überzeugt sind?
Misstrauisch und vorsichtig wie ich bin, messe ich den Taten mehr Glaubwürdigkeit bei als den Sonntagsreden.
Ein zusätzliches Argument für unsere Skepsis liefern die Insideraktivitäten an den US-Börsen. Die angeblich so zuversichtlichen Manager zahlreicher Unternehmen, die Käufe und Verkäufe von Aktien "ihres" Unternehmens melden müssen, bleiben sehr deutlich auf der Verkäuferseite. In der Vergangenheit bewies diese sehr gut über ihr jeweiliges Unternehmen informierte Gruppe ein gutes mittel- bis langfristiges Gespür für die Entwicklung "ihrer" Firma. Dass diese Marktteilnehmer ihre massiven Verkäufe mit kaum verminderter Intensität betreiben, interpretieren wir auf längere Sicht als negativ.
Die Fragwürdigkeit des amerikanischen Produktivitätswunders
Eine weitere volkswirtschaftliche Zahl aus den USA möchte ich ins Blickfeld rücken, da sie von Alan Greenspan und anderen Verfechtern der "New Era"-These in den vergangenen Jahren als wichtige Stütze ihrer Argumentationskette ins Feld geführt wurde: die Produktivität. Für das erste Quartal 2001 wurde diese Zahl überraschenderweise mit minus 0,1 Prozent bekannt gegeben. Damit bestätigt sich die von einer Minderheit vertretene Sichtweise dieses von der US-Notenbank so übertrieben in den Vordergrund gestellten Phänomens. Während Alan Greenspan die deutlichen Produktivitätszuwächse der letzten Jahre als Beweis seiner "New Era"-These interpretierte, bewerteten vorsichtigere Stimmen diese Entwicklung als typisch zyklisches Phänomen. Auch in früheren Zyklen nahm die Produktivität in der Aufwärtsphase zu, so ging das Argument, in der Abwärtsphase hingegen wieder ab. Da der letzte Aufwärtszyklus alle Anzeichen einer "Bubble Economy" trug, war es diesem Argument folgend nicht erstaunlich, dass auch die Produktivitätsst eigerungen den Boom widerspiegelten.
Nachdem die Realität mittlerweile die bis vor kurzem weit verbreitete These widerlegt hat, die "New Economy" sei immun gegenüber einem wirtschaftlichen Abschwung, holt sie die "New Era"-Propheten nun auch in diesem wichtigen Punkt ein.
Am 15. Mai senkte die amerikanische Notenbank zum fünften Mal innerhalb weniger Monate die Zinsen. Die Geschwindigkeit sowie die Vehemenz dieser Zinssenkungsrunde ist als klarer Hinweis auf die extrem problematische Situation der amerikanischen Volkswirtschaft zu werten, die sich im Gefolge des Platzens der Spekulationsblase eingestellt hat. Entweder teilt die Fed unsere Meinung, es bestehe keine Inflations-, sondern im Gegenteil Deflationsgefahr, oder sie hat sich von einer Politik der Geldwertstabilität verabschiedet. Meiner Meinung nach lassen die exzessiven Zuwächse der Geldmengen keine andere Interpretation zu.
Softlanding nach Platzen der Spekulationsblase???
Angesichts dieser Entwicklung ist auch der Hauptverantwortliche dafür, der Präsident der amerikanischen Notenbank, Alan Greenspan, eine nähere Betrachtung wert. Bereits 1996 erkannte er die sich entwickelnde Spekulationsblase in den USA. Zumindest hielt er damals seine berühmte "irrational exuberance"-Rede, in der er vor spekulativen Exzessen warnte. Ich habe nach wie vor keine Antwort auf die Frage, warum er trotz seiner frühzeitigen Erkenntnis das weitere Aufblasen der Spekulationsblase auf wahrlich monströse Ausmaße ermöglicht hat, anstatt die Auswüchse in dieser relativ frühen Phase zu beenden.
Mittlerweile scheint er jedenfalls zu glauben, ihm könne das in der Finanzmarktgeschichte Beispiellose gelingen, nämlich ein Softlanding der Wirtschaft nach dem Platzen einer Spekulationsblase. Es ist erstaunlich, wie weit verbreitet und weitreichend der Glaube an die überlegenen Fähigkeiten der Greenspan-Fed ist. Ich war eigentlich der Überzeugung, mit dem Zusammenbruch der UDSSR sei der Glaube an die erfolgreiche zentrale Lenkung einer Volkswirtschaft weitgehend verschwunden.
Die Börse nimmt derzeit einen Aufschwung in den USA vorweg, der sich vermutlich nicht einstellen wird. Den gegenwärtigen Aufwärtstrend sehe ich als reine Liquiditätshausse, die wahrscheinlich in einigen Monaten an der harten ökonomischen Realität verzweifeln und einer neuerlichen Bearmarket-Phase Platz machen wird. Dies ändert aber nichts an meiner Prognose mittelfristig steigender Kurse.
Von Claus Vogt
Die aktuelle Entwicklung des CRB-Index signalisiert das bevorstehende Ende des inflationären Zwischenspiels in den USA, das Anfang des Jahres 2000 deutlicher sichtbar wurde. Scheinbar im Widerspruch dazu wurde jetzt ein erheblich über den Erwartungen liegender Anstieg der amerikanischen Lohnstückkosten um 5,1 Prozent bekannt gegeben. Doch dies ist nicht dahingehend zu interpretieren, dass Inflationsgefahren damit zunehmen.
Denn: Steigende Lohnstückkosten wirken nur dann preistreibend, wenn es den Unternehmen gelingt, die höheren Kosten auf ihre Produkte und damit auf ihre Kunden abzuwälzen. Diese aus Unternehmenssicht verlockende Möglichkeit ist aber zur Zeit kaum durchsetzbar. In weiten Teilen der amerikanischen Ökonomie bestehen erhebliche Überkapazitäten, ein denkbar schlechtes Umfeld für Preiserhöhungen. Hinzu kommt die verschärfte internationale Wettbewerbssituation. Amerikanische Konsumenten und Produzenten können auf steigende Preise amerikanischer Produkte mit dem Kauf ausländischer Substitute reagieren. Der starke Dollar tut ein Zusätzliches, um Preiserhöhungen von US-Produkten im internationalen Wettbewerb zu erschweren.
Wenn das Überwälzen steigender Kosten auf die Produktpreise nicht möglich ist, haben die Unternehmen natürlich mit schrumpfenden Margen zu kämpfen. Kosteneinsparungsprogramme, Massenentlassungen und Restrukturierungen sind die klassischen Antworten in dieser Situation. Zahlreiche US-Unternehmen haben entsprechende Maßnahmen bereits eingeleitet oder zumindest angekündigt. Diese wiederum entfalten keine inflationären, sondern dämpfende volkswirtschaftliche Wirkungen. Folglich bleibe ich bei meiner Prognose nachlassender Inflationsgefahren und empfehle den Kauf erstklassiger Anleihen mit langen Laufzeiten.
Mit dem Anstieg der US-Arbeitslosenquote von 4,3 auf 4,5 Prozent lag eine weitere viel beachtete Wirtschaftsstatistik über den Konsensus-Erwartungen. Der Rückgang der Beschäftigung im April war der stärkste seit Anfang 1991, also dem Ende der letzten Rezession. Die jetzt bereits angekündigten Entlassungen legen einen weiteren Anstieg dieser Zahl nahe. Überraschend ist diese Zunahme der Arbeitslosigkeit in den USA nicht, die Geschwindigkeit dieses prinzipiell völlig normalen Prozesses aber sehr wohl. Das Studium dieser Statistik in vergangenen Wirtschaftszyklen deutet auf eine sich anbahnende Rezession in den USA hin. Die Ausgabenfreudigkeit der Konsumenten und die Arbeitslosenquote sind deutlich positiv korreliert. Wer arbeitslos wird oder befürchten muss, es zu werden, hält sich gewöhnlich mit Konsumausgaben zurück. Dieser einfache Zusammenhang, gekoppelt mit einer negativen Sparquote und der Rekordverschuldung amerikanischer Haushalte ergibt die Möglichkeit eines sich selbst verstärkenden Prozesses:
Steigende Arbeitslosigkeit -> höhere Sparquote -> geringere Konsumausgabe -> sinkende Unternehmensgewinne -> Personalabbau -> steigende Arbeitslosigkeit
Die Taten der Unternehmer sprechen für sich
Zwar hören und lesen wir seit geraumer Zeit von zahlreichen Vorständen amerikanischer Unternehmen, der Boden des Abschwungs sei erreicht oder werde demnächst erreicht sein - doch diese Beteuerungen sind wenig glaubhaft. Denn die Worte decken sich nicht mit den Taten. Sowohl Entlassungen als auch das Einstellen qualifizierten Personals kosten viel Zeit und Geld. Wie sind aber Massenentlassungen zu erklären, wenn doch die Unternehmer angeblich von dem unmittelbar bevorstehenden Ende eines Abschwungs überzeugt sind?
Misstrauisch und vorsichtig wie ich bin, messe ich den Taten mehr Glaubwürdigkeit bei als den Sonntagsreden.
Ein zusätzliches Argument für unsere Skepsis liefern die Insideraktivitäten an den US-Börsen. Die angeblich so zuversichtlichen Manager zahlreicher Unternehmen, die Käufe und Verkäufe von Aktien "ihres" Unternehmens melden müssen, bleiben sehr deutlich auf der Verkäuferseite. In der Vergangenheit bewies diese sehr gut über ihr jeweiliges Unternehmen informierte Gruppe ein gutes mittel- bis langfristiges Gespür für die Entwicklung "ihrer" Firma. Dass diese Marktteilnehmer ihre massiven Verkäufe mit kaum verminderter Intensität betreiben, interpretieren wir auf längere Sicht als negativ.
Die Fragwürdigkeit des amerikanischen Produktivitätswunders
Eine weitere volkswirtschaftliche Zahl aus den USA möchte ich ins Blickfeld rücken, da sie von Alan Greenspan und anderen Verfechtern der "New Era"-These in den vergangenen Jahren als wichtige Stütze ihrer Argumentationskette ins Feld geführt wurde: die Produktivität. Für das erste Quartal 2001 wurde diese Zahl überraschenderweise mit minus 0,1 Prozent bekannt gegeben. Damit bestätigt sich die von einer Minderheit vertretene Sichtweise dieses von der US-Notenbank so übertrieben in den Vordergrund gestellten Phänomens. Während Alan Greenspan die deutlichen Produktivitätszuwächse der letzten Jahre als Beweis seiner "New Era"-These interpretierte, bewerteten vorsichtigere Stimmen diese Entwicklung als typisch zyklisches Phänomen. Auch in früheren Zyklen nahm die Produktivität in der Aufwärtsphase zu, so ging das Argument, in der Abwärtsphase hingegen wieder ab. Da der letzte Aufwärtszyklus alle Anzeichen einer "Bubble Economy" trug, war es diesem Argument folgend nicht erstaunlich, dass auch die Produktivitätsst eigerungen den Boom widerspiegelten.
Nachdem die Realität mittlerweile die bis vor kurzem weit verbreitete These widerlegt hat, die "New Economy" sei immun gegenüber einem wirtschaftlichen Abschwung, holt sie die "New Era"-Propheten nun auch in diesem wichtigen Punkt ein.
Am 15. Mai senkte die amerikanische Notenbank zum fünften Mal innerhalb weniger Monate die Zinsen. Die Geschwindigkeit sowie die Vehemenz dieser Zinssenkungsrunde ist als klarer Hinweis auf die extrem problematische Situation der amerikanischen Volkswirtschaft zu werten, die sich im Gefolge des Platzens der Spekulationsblase eingestellt hat. Entweder teilt die Fed unsere Meinung, es bestehe keine Inflations-, sondern im Gegenteil Deflationsgefahr, oder sie hat sich von einer Politik der Geldwertstabilität verabschiedet. Meiner Meinung nach lassen die exzessiven Zuwächse der Geldmengen keine andere Interpretation zu.
Softlanding nach Platzen der Spekulationsblase???
Angesichts dieser Entwicklung ist auch der Hauptverantwortliche dafür, der Präsident der amerikanischen Notenbank, Alan Greenspan, eine nähere Betrachtung wert. Bereits 1996 erkannte er die sich entwickelnde Spekulationsblase in den USA. Zumindest hielt er damals seine berühmte "irrational exuberance"-Rede, in der er vor spekulativen Exzessen warnte. Ich habe nach wie vor keine Antwort auf die Frage, warum er trotz seiner frühzeitigen Erkenntnis das weitere Aufblasen der Spekulationsblase auf wahrlich monströse Ausmaße ermöglicht hat, anstatt die Auswüchse in dieser relativ frühen Phase zu beenden.
Mittlerweile scheint er jedenfalls zu glauben, ihm könne das in der Finanzmarktgeschichte Beispiellose gelingen, nämlich ein Softlanding der Wirtschaft nach dem Platzen einer Spekulationsblase. Es ist erstaunlich, wie weit verbreitet und weitreichend der Glaube an die überlegenen Fähigkeiten der Greenspan-Fed ist. Ich war eigentlich der Überzeugung, mit dem Zusammenbruch der UDSSR sei der Glaube an die erfolgreiche zentrale Lenkung einer Volkswirtschaft weitgehend verschwunden.
Die Börse nimmt derzeit einen Aufschwung in den USA vorweg, der sich vermutlich nicht einstellen wird. Den gegenwärtigen Aufwärtstrend sehe ich als reine Liquiditätshausse, die wahrscheinlich in einigen Monaten an der harten ökonomischen Realität verzweifeln und einer neuerlichen Bearmarket-Phase Platz machen wird. Dies ändert aber nichts an meiner Prognose mittelfristig steigender Kurse.