Schade, es nieselt. Macht nichts. Ich habe meinen großen Schirm mit und einen warmen Pullover an. Seit Tagen ist es unerwartet kühl. Jedoch muss ich mal wieder an die frische Luft, ins Grüne. Aber nicht allein.
Ich hatte Beate schon lange zu einem Spaziergang eingeladen. Immer wieder hielt uns etwas von diesem Vorhaben ab. Heute sah es gut aus. Meinen Anruf vorhin: Sie halte ihn erwartet! Interessant. Überhaupt ist Beate interessant. Eher ein unauffälliger Typ. Es ist angenehm, mit ihr zusammen zu sein. Es geht von ihr etwas Beruhigendes aus. Beate. Tja, wer hätte das geglaubt. Sie ist noch nicht lange in der Stadt. Einige Male traten wir uns zum Tee bei Freunden. Mir hatte sie von Anfang an gefallen. Ihre ganze Art und Erscheinung. Ich war stets bemüht, in ihrer Nähe zu sein, suchte irgendein Gespräch. Vermutlich aus Höflichkeit wich sie mir nie aus. Es war alles nur unverbindliche Zeug, was wir besprachen. Abends hatte ich sie dann ab und zu nach Hause gebracht. Ganz brav. Telefonnummerntausch. Dabei musste ich mich ziemlich zusammenreißen, um nicht aufdringlich zu werden. Und heute gehen wir gemeinsam spazieren.
Schade, es nieselt ...
Seltsamerweise macht mich dieses Wetter nicht griesgrämig. Klar, ich werde gleich Beate sehen. Ah, da ist sie. Ihr blondes Haar umspielt den Kragen ihrer hübschen Regenjacke. Während sie unter ihrem lustigen Pony hervorlächelt, gehe ich ziemlich aufgeregt auf sie zu.
"Nur mich nicht blamieren". Sie macht’s mir leicht.
"Das ist ja prima, dein Schirm ist größer als meiner. Da kann ich mich bei dir unterhaken", begrüßt sie mich. Olala, ob sie merkt, wie mir die Brust schwillt? Schwubs, steht sie bei mir unterm Schirm, hängt sich ein und lächelt mich an. "Sag‘ mir was Schönes." Junge, ich reiße mich zusammen. Nur jetzt bloß nicht mit der Tür ins Haus fallen.
Wir gehen einen Feldweg in Richtung Wäldchen und plaudern, dass ich mich freue, sie zu sehen und dass endlich unser lange geplanter Spaziergang Wirklichkeit wird. Leider spiele das Wetter nicht so recht mit. "Nun, ich liebe diese Luft an solchen Nieseltagen. Außerdem kann man so herrlich seinen Gedanken nachhängen. Eben herum philosophieren. Ich mag das", entgegnet sie. Ich ertappe mich dabei, wie ich sie darum beneide, dass sie so unbefangen ihre Ansichten äußert.
"Ich mag das alles auch. Allerdings würde ich nicht unbedingt freiwillig und allein im Nieselregen spazieren gehen."
"Ich auch nicht. Mir werden immer so schnell die Hände kalt. Nun, die Luft und diese Stimmung haben etwas für sich."
Wir gehen ziellos und unterhalten uns über Urlaubserlebnisse im Gebirge. Ich bin überrascht, dass dieses zierliche Mädchen strapaziöse Wanderungen mit Rucksack ins Hochgebirge unternimmt. Ich sage es ihr. Sie entgegnet: "Ich bin doch nicht aus Zucker." "Aber süß", denke ich im Stillen. Unser Gespräch streift unsere gemeinsamen Bekannten, wir sprechen über Kochrezepte und unsere Lieblingsessen. Zugegeben, diese frische Luft hat mich hungrig gemacht. Und es ist Zeit für einen Kaffee. Hinter dem Wäldchen führt ein Weg in eine gemütliche Dorfschänke. Das wird noch eine Stunde dauern. Der Nieselregen ist stärker geworden. Beate lässt sich vom Wetter nicht beeindrucken. Ich sehe, dass wahrscheinlich auch ihre Schuhe durchnässt sein müssten. Sie lächelt mir offen ins Gesicht und sieht zufrieden aus. Hinter einer Biegung wird der Weg von einer großen Pfütze unterbrochen. Jemand hat schon mit Steinen und Holzkloben einen Pfad gebaut. Sie löst sich von meinem Arm. Ich greife mach ihrer Hand.
Wie angenehm. Wie klein und doch so fest.
Ich führe sie über den Holperpfad. Manchmal ist es sehr wacklig, und sie stößt kurze Schreckrufe aus. Das letzte Stück müssen wir springen. Ich schließe den Schirm und hüpfe auf den Weg. Für Beate scheint der Abstand zu groß zu sein. Da das Wasser nicht tief zu sein scheint, stelle ich einen Fuß in die Pfütze, um näher bei ihr zu sein. Das kalte Wasser sickert durch die Schuhschnürung. Sie holt etwas Schwung. An meiner Hand erreicht sie das Ufer. Meine Bewegung ist zu schwungvoll. Auf dem glitschigen Untergrund komme ich ins Schlingern. Nur mit Mühe kann ich mein Gleichgewicht halten und greife nach ihrem Arm. Dabei kommen sich unsern Gesichter ganz nahe. Für einen Augenblick spüre ich ihren Atem an meiner Wange. Ich drehe meinen Kopf nach links, mein Mund berührt ihre Lippen. Auf einmal müssen wir beide lachen. Wir betrachten unsere Schuhe und schauen uns, plötzlich still geworden, in die Augen. Welche Tiefe. Dann lächelt mich Beate an und küsst mich auf die Wange. Unter dem Schirm setzen wir unseren Weg fort. Sie legt ihre Hand um meine. Meine Hand ist heißer. Ich nehme ihre kleine Hand und drücke sie zärtlich. Sie legt ihren Kopf an meine Schulter.
Schade, es nieselt ... aber es stört nicht.