Die saftige Zinssenkung der EZB ist endlich da. Kommt jetzt die Sommerrally an den Aktienmärkten? EURO stellt drei Strategien für die vielleicht schönsten Börsenwochen des Jahres vor
Wim Duisenberg machte es vor: Griesgrämig und muffigtrat der 78-jährige Niederländer und Chef der Europäischen Zentralbank am vergangenen Donnerstag vor die Presse in Frankfurt. Dabei hatte er gute Nachrichten im Gepäck, zumindest für die deutsche Wirtschaft. Der Leitzins der EZB wird um einen halben Prozentpunkt auf 2,0 Prozent gesenkt, den niedrigsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg. Was machten die Börsianer? Genauso übellaunig wie Duisenberg schickten sie den DAX bis zum Abend ins Minus. Die Erklärung: Bereits in den Tagen zuvor hatten die Anleger kräftig auf die Zinssenkung spekuliert, seit Beginn der Handelswoche lag der DAX beständig über 3000 Punkten. „Der Zinsschritt war in den Kursen schon drin“, hieß es deshalb nur noch lapidar auf dem Frankfurter Parkett. Die Entscheidung selbst wurde dann für Gewinnmitnahmen genutzt.
Doch die Schwäche war nur von kurzer Dauer. Am Freitag setzte der DAX, angetrieben von guten Vorgaben aus den USA, wieder zum Anstieg an. Das Oracle-Angebot für PeopleSoft (siehe Seite 14) nährte zusätzlich Spekulationen auf eine Fusionswelle in der Software-Branche. Kommt es also doch zu einer Sommerrally? Die Experten sind sich uneins. Bei der Investmentbank Dresdner Kleinwort Wasserstein wird von einer „Übertreibung“ an den Aktienmärkten gesprochen. Andere sind deutlich optimistischer: „Ich erwarte den DAX bis Jahresende bei 3500 Punkten“, sagt Berndt Fernow, Stratege bei der Landesbank BadenWürttemberg.
Die Uneinigkeit ist verständlich. Denn bislang ist von einer wirtschaftlichen Erholung in Deutschland noch nichts zu spüren. Im europäischen Ausland sieht es nicht viel besser aus. „Die Wachstumsprognosen für dieses Jahr und für 2004 mussten abwärts revidiert werden“, machte Wim Duisenberg zerknirscht am Donnerstag klar.
Die EZB musste handeln und Wachstumsimpulse setzen. Und zumindest eine Branche kann den Anschub sofort nutzen: die Banken. Sie können sich jetzt zu günstigeren Konditionen Geld von der Zentralbank leihen. Die Kunden haben wenig davon: Ihre Guthabenzinsen sinken unmittelbar, auf der Kreditseite dagegen werden bessere Konditionen entweder verspätet, in geringerem Umfang oder auch gar nicht weiter gegeben. Mit anderen Worten: Die Zinssenkung hilft den Banken bei ihrer Sanierung.
Auch bei den Eigengeschäften haben die Finanzhäuser jetzt attraktivere Zinsmargen. Das Geld von der EZB gibt’s billiger, am Rentenmarkt winken aber noch 3,6 Prozent Rendite .„Wir haben die Finanzbranche auf unserer Empfehlungsliste“, sagt deshalb Aktienstratege Fernow. Ob und wie schnell die Zinssenkung der gesamten Wirtschaft auf die Beine hilft, ist allerdings noch offen. „Erste Auswirkungen wird es frühestens in einem halben Jahr geben“, meint Norbert Walter, Chef-Volkswirt der Deutschen Bank.
Der DAX hievt sich dennoch schon mal Stück für Stück nach oben – trotz Konjunktursorgen, latenten Deflationsängsten und starkem Euro. „Der Markt ist erstaunlich robust“, so Fernow. Einer der Hauptgründe: Trotz oftmals stagnierender oder fallender Umsätze haben die meisten Unternehmen dank eisernem Sparwillen im ersten Quartal ordentliche Gewinne ausgewiesen. Eine Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters ergab: 17 von 30 DAX-Werten übertrafen die Schätzungen der Analysten. „Die Firmen haben ihre Hausaufgaben gemacht“, sagt Fernow. Er hat einen weiteren Grund für die DAX-Stärke ausgemacht: „Die Versicherer haben ihre Aktienbestände inzwischen auf das Mindestmaß reduziert und treten nicht mehr als Verkäufer auf.“ Von dieser Seite besteht also kein Druck mehr. Gründe für Aktienkäufe gibt es dagegen genug. Duisenberg selbst hat die Möglichkeit einer weiteren Zinssenkung angedeutet, an den Terminmärkten wird bereits auf eine Reduzierung auf 1,75 Prozent bis September spekuliert. Auch die Zustimmung der SPD zum Reformpaket des Kanzlers wurde an der Börse mit großer Erleichterung aufgenommen.
Und besonders wichtig: Die US-Börsen als Taktgeber laufen wie geschmiert. Der Dow steht erstmals seit zehn Monaten wieder über 9000 Punkten, die Nasdaq ist auf Zwölf-Monats-Hoch. Die jüngsten Wirtschaftsdaten lassen auf eine Erholung der US-Wirtschaft hoffen. Zudem wird auch dort auf eine weitere Zinssenkung bei der nächsten Sitzung der US-Notenbank Ende des Monats spekuliert. Dennoch: Trotz des derzeitigen Optimismus an den Börsen bleiben Risiken. „Wir werden nach der Baisse sicher nicht sofort in eine Hausse übergehen“, warnt Fernow. Mit Rückschlägen ist jederzeit zu rechnen. Und um einen nachhaltigen Aufschwung zu untermauern, „brauchen wir klare Konjunktursignale“. Davon jedoch ist bislang nichts zu sehen.
Die starke heimische Währung bleibt ein Risiko. Obwohl die Zinssenkung der EZB die europäische Einheitswährung gegenüber dem Dollar unattraktiver macht, legte der Euro an diesem Tag um 1,6 Prozent zu. Hintergrund: „Offenbar mussten Leerverkäufer, die auf einen fallenden Euro gesetzt hatten, sich schnell eindecken“, hieß es unter den Händlern in Frankfurt. Etliche Währungsexperten glauben, dass der Euro dauerhaft über 1,20 Dollar steigen könnte. Das wäre Gift für die deutsche Exportwirtschaft. Dennoch bietet der Markt aktuell durchaus gute Chancen, nicht allein im DAX. Anlegern bieten sich drei Strategien an – von charttechnisch interessanten DAX-Papieren über risikoarme Tech-Aktien bis hin zu aussichtsreichen Nebenwerten (siehe Kästen). Für Muffigkeit à la Duisenberg besteht also nicht der geringste Anlass.
Strategie1: Charttechnik
Als am vergangenen Montag um 11.42 Uhr der DAX die 200-Tage-Linie nach oben durchbrach, bekamen nicht nur die Charttechniker unter den Börsianern glänzende Augen. Kein Wunder: Die 200-Tage-Linie gehört zu den einfachsten und bekanntesten Instrumenten der Charttechnik. Sie stellt den gleitenden Durchschnitt aus den Schlusskursen der letzten 200 Handelstage einer Aktie oder eines Index dar. Die Faustregel: Wird die Linie nach oben durchbrochen, sollte man investieren. Fällt der Index oder die Aktie dagegen unter die Linie, wird dies als Verkaufssignal gesehen. Allerdings: Das Überwinden dieser Marke allein macht noch keine Sommer-Rally. „Die 200-Tage-Linie ist ein wichtiger Indikator unter vielen“, relativiert Klaus Deppermann, Charttechniker bei der BHF-Bank. Überbewerten sollte man das Kaufsignal deshalb besser nicht. Auch Charttechniker Stephen Schneider von der WGZ-Bank warnt vor einer allzu starken Bewertung des jüngsten Durchbruchs. „Ich setze mehr auf kurzfristige Indikatoren.“ Doch auch hier sieht es gut aus für die deutschen Blue Chips. „Ich erwarte den DAX bis zum Jahresende bei 4000 Punkten“, sagt Schneider.
Damit lehnt sich der Technische Analyst deutlich weiter aus dem Fenster als die meisten seiner fundamental argumentierenden Kollegen. Die sehen den DAX eher zwischen 3200 und 3400 Punkten. Doch welche einzelnen Aktien sind aus charttechnischer Sicht derzeit besonders interessant? Schneider, der eher spezielle, zum Teil hochkomplizierte Indikatoren wie MACD-Kurven für seine Analysen heranzieht, hat für EURO einige DAX-Werte heraus gepickt. Ganz oben auf der Watch-List steht die SAP-Aktie, einer der Gewinner der vergangenen Woche. Die Indikatoren zeigen laut Schneider folgendes Bild: Nach dem jümgsten Anstieg bis auf knapp 110 Euro könne der Wert zwar kurzfristig korrigieren. Danach stehe aber eine erneute dynamische Aufwärtsbewegung an.
Interessant ist für Schneider auch die HypoVereinsbank (siehe Seite 25). Sie zeige deutliche Erholungstendenzen und eine ausgeprägte relative Stärke gegen den Gesamtmarkt. „Die Indikatoren deuten auf einen intakten Aufwärtstrend hin.“ Schneiders Kursziel für die HVB liegt bei 20 Euro – das wären 25 Prozent Plus. Viel Potenzial hat aus charttechnischer Sicht auch das Allianz-Papier. „Hier könnte sich in den nächsten Tagen eine umgekehrte Kopf-Schulter-Formation ausprägen“, so Schneider. Steigt die Aktie über 72 Euro, bedeute dies ein Kaufsignal. Das Kursziel liege dann bei etwa 120 Euro.
Ideal für eine Depotbeimischung sind nach Ansicht des Technischen Analysten die Deutsche Börse und die Deutsche Post. Beide Aktien rangieren in Aufwärtstrends. Die Performance und die erwarteten Kursziele, knapp 50 Euro bei der Deutschen Börse und etwa 17 Euro bei der Deutschen Post, seien zwar nicht so ausgeprägt wie bei den anderen genannten Titeln, doch verlaufe der Trend stabil und weniger volatil.
Strategie 2 Auf Nummer Sicher gehen
Sang- und klanglos war es vorbei. Seit am Donnerstag der Neue Markt offiziell abgeschafft wurde, ist die einstige Wachstumsbörse nur noch Geschichte. Der Witz daran: Gerade jetzt tauchen viele ehemalige Neue-Markt-Werte aus der Versenkung auf und präsentieren sich als aussichtsreiche, wenn auch spekulative Turnaround-Werte. United Internet hat es vorgemacht. Seit der im neuen TecDAX beheimatete Web-Dienstleister im März starke Jahreszahlen für 2002 und die Rückkehr in die Gewinnzone meldete, verdoppelte sich der Kurs. United Internet zahlt seinen Aktionären Dividende und ist auf dem besten Weg, sich als substanzstarke Wachstumsfirma zu etablieren. Dennoch trauen viele Anleger den Ex-Neue-Markt-Werten noch nicht. Zu groß ist die Angst, dass die Bilanzen nicht ganz sauber oder das Geschäftsmodell nicht nachhaltig ist. Bestes Beispiel ist der Windkraftanlagenbauer Nordex, der lange Zeit als gut positioniertes Unternehmen in einem weltweiten Wachstumsmarkt galt. Pustekuchen. Die Firma ist in die Verlustzone gerutscht, die Aktie auf dem Weg zum Pennystock.
Welchen Unternehmen und Geschäftsmodellen ist also zu trauen? Das unabhängige Analysehaus SES Research aus Hamburg hat die Bilanzen aller 170 Werte aus dem Technologiebereich des Prime Standard untersucht und ein eigenes Rating erstellt. Ergebnis: Sechs Unternehmen aus dem TecDAX sind mit der besten Note bewertet (siehe Tabelle).
„Dieses Ranking bedeutet nicht automatisch, dass die Werte besser performen als andere“, macht Klaus Linde von SES Research klar. „Aber das Risiko, dass Anleger mit diesen Titeln eine böse Überraschung erleben, ist deutlich geringer als bei schlecht bewerteten Firmen.“
Ein Blick in die Vergangenheit bestätigt dies. „Bei Unternehmen mit einem guten Rating kamen heftige Kurseinbrüche auf Grund von fundamentalen Problemen viel seltener vor als bei schlechter gestellten Unternehmen“, so Linde. Mit anderen Worten: Die sauberen Bilanzen sind in erster Linie eine Absicherung nach unten. Immerhin, mit dem Software-Haus IDS Scheer, dem Biotech-Unternehmen Qiagen und dem Internet-Wert Web.de finden sich drei der Saubermänner unter den zehn Top-Performern seit Jahresanfang. Aktuell am schlechtesten werden Medigene und Mobilcom mit einem C gewertet.
Außerhalb des TecDAX stehen der Computerzuberhör-Händler Bechtle sowie Funkwerk, Mobilfunk-Spezialist im Verkehrsbereich, am besten da. „Beide Unternehmen überzeugen durch ihre solide Bilanz sowie stabile operative Entwicklung“, sagt Linde. Die Folge: Zum fünften Mal in Folge erhielten beide Firmen ein A+.
Strategie 3 Kleine Werte anvisieren
Der DAX gibt in Deutschland zwar den Takt vor, doch die Musik spielt manchmal ganz woanders. So entwickelten sich die Aktien aus der zweiten und dritten Reihe im bisherigen Jahresverlauf wesentlich besser als die Standardwerte. Ein Trend, der weiter anhalten dürfte. Rolf Elgeti, Aktienstratege bei der Commerzbank: „Ich rate zu Nebenwerten.“
Klein aber fein, das gilt zum Beispiel für Fabasoft. Der österreichische Nischen.Player hat sich auf Software für die elektronische Datenverwaltung in Behörden spezialisiert. Stichwort E-Government, ein Markt, dem hohes Wachstumspotenzial bescheinigt wird.
Fabasoft steigerte im Geschäftsjahr 2002/03 den Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) um 153 Prozent auf 0,54 Millionen Euro. Beeindruckend ist vor allem die Gewinndynamik. So stieg das Ebitda im vierten Quartal auf 1,1 Millionen Euro, nach einem Verlust von 14000 Euro im Vorquartal. Hierbei ist ein Großauftrag der österreichischen Regierung noch gar nicht enthalten. Die liquiden Mittel erhöhten sich von 11,12 auf 13,79 Millionen. Dem steht eine Marktkapitalisierung von 20 Millionen Euro gegenüber. Auch Abit, Anbieter von Inkasso-Software, mit der Unternehmen ausstehende Summen effizient einfordern können, ist auf dem Weg zurück in die Gewinnzone. Nach zwei verlustreichen Jahren übertraf das Unternehmen im ersten Quartal die eigenen Erwartungen und erzielte einen kleinen Bruttogewinn von 120000 Euro. Für das laufende Quartal erwartet Abit „eine Fortsetzung des positiven Trends“, so ein Unternehmenssprecher gegenüber EURO. Substanziell steht der Turnaround-Kandidat ebenfalls wieder besser da. Innerhalb von drei Monaten stiegen die liquiden Mittel beachtlich – von 3,4 Millionen auf 4,9 Millionen Euro. Der Cash-Flow verbesserte sich im ersten Quartal binnen Jahresfrist von 491000 auf 846000 Euro.
Auf dem Weg nach oben ist auch Atoss. Die Münchner haben sich auf Software für einen effizienten Personaleinsatz spezialisiert. Firmenchef Andreas Obereder beziffert das Einsparpotenzial der Kunden bei Nutzung seiner Programme auf 16 bis 66 Euro pro Mitarbeiter und Monat.
Vergangene Woche zogen die Münchner einen Großauftrag des Einzelhandel-Discounters Aldi Süd an Land. Beobachter schätzen, dass das Volumen deutlich über 400000 Euro liegt. Mit über 35 Millionen Euro in der Kasse steht Atoss substanziell bestens da. Im ersten Quartal lag der Gewinn bei vier Euro-Cent je Aktie.
von Joachim Spiering / Euro am Sonntag
Wim Duisenberg machte es vor: Griesgrämig und muffigtrat der 78-jährige Niederländer und Chef der Europäischen Zentralbank am vergangenen Donnerstag vor die Presse in Frankfurt. Dabei hatte er gute Nachrichten im Gepäck, zumindest für die deutsche Wirtschaft. Der Leitzins der EZB wird um einen halben Prozentpunkt auf 2,0 Prozent gesenkt, den niedrigsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg. Was machten die Börsianer? Genauso übellaunig wie Duisenberg schickten sie den DAX bis zum Abend ins Minus. Die Erklärung: Bereits in den Tagen zuvor hatten die Anleger kräftig auf die Zinssenkung spekuliert, seit Beginn der Handelswoche lag der DAX beständig über 3000 Punkten. „Der Zinsschritt war in den Kursen schon drin“, hieß es deshalb nur noch lapidar auf dem Frankfurter Parkett. Die Entscheidung selbst wurde dann für Gewinnmitnahmen genutzt.
Doch die Schwäche war nur von kurzer Dauer. Am Freitag setzte der DAX, angetrieben von guten Vorgaben aus den USA, wieder zum Anstieg an. Das Oracle-Angebot für PeopleSoft (siehe Seite 14) nährte zusätzlich Spekulationen auf eine Fusionswelle in der Software-Branche. Kommt es also doch zu einer Sommerrally? Die Experten sind sich uneins. Bei der Investmentbank Dresdner Kleinwort Wasserstein wird von einer „Übertreibung“ an den Aktienmärkten gesprochen. Andere sind deutlich optimistischer: „Ich erwarte den DAX bis Jahresende bei 3500 Punkten“, sagt Berndt Fernow, Stratege bei der Landesbank BadenWürttemberg.
Die Uneinigkeit ist verständlich. Denn bislang ist von einer wirtschaftlichen Erholung in Deutschland noch nichts zu spüren. Im europäischen Ausland sieht es nicht viel besser aus. „Die Wachstumsprognosen für dieses Jahr und für 2004 mussten abwärts revidiert werden“, machte Wim Duisenberg zerknirscht am Donnerstag klar.
Die EZB musste handeln und Wachstumsimpulse setzen. Und zumindest eine Branche kann den Anschub sofort nutzen: die Banken. Sie können sich jetzt zu günstigeren Konditionen Geld von der Zentralbank leihen. Die Kunden haben wenig davon: Ihre Guthabenzinsen sinken unmittelbar, auf der Kreditseite dagegen werden bessere Konditionen entweder verspätet, in geringerem Umfang oder auch gar nicht weiter gegeben. Mit anderen Worten: Die Zinssenkung hilft den Banken bei ihrer Sanierung.
Auch bei den Eigengeschäften haben die Finanzhäuser jetzt attraktivere Zinsmargen. Das Geld von der EZB gibt’s billiger, am Rentenmarkt winken aber noch 3,6 Prozent Rendite .„Wir haben die Finanzbranche auf unserer Empfehlungsliste“, sagt deshalb Aktienstratege Fernow. Ob und wie schnell die Zinssenkung der gesamten Wirtschaft auf die Beine hilft, ist allerdings noch offen. „Erste Auswirkungen wird es frühestens in einem halben Jahr geben“, meint Norbert Walter, Chef-Volkswirt der Deutschen Bank.
Der DAX hievt sich dennoch schon mal Stück für Stück nach oben – trotz Konjunktursorgen, latenten Deflationsängsten und starkem Euro. „Der Markt ist erstaunlich robust“, so Fernow. Einer der Hauptgründe: Trotz oftmals stagnierender oder fallender Umsätze haben die meisten Unternehmen dank eisernem Sparwillen im ersten Quartal ordentliche Gewinne ausgewiesen. Eine Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters ergab: 17 von 30 DAX-Werten übertrafen die Schätzungen der Analysten. „Die Firmen haben ihre Hausaufgaben gemacht“, sagt Fernow. Er hat einen weiteren Grund für die DAX-Stärke ausgemacht: „Die Versicherer haben ihre Aktienbestände inzwischen auf das Mindestmaß reduziert und treten nicht mehr als Verkäufer auf.“ Von dieser Seite besteht also kein Druck mehr. Gründe für Aktienkäufe gibt es dagegen genug. Duisenberg selbst hat die Möglichkeit einer weiteren Zinssenkung angedeutet, an den Terminmärkten wird bereits auf eine Reduzierung auf 1,75 Prozent bis September spekuliert. Auch die Zustimmung der SPD zum Reformpaket des Kanzlers wurde an der Börse mit großer Erleichterung aufgenommen.
Und besonders wichtig: Die US-Börsen als Taktgeber laufen wie geschmiert. Der Dow steht erstmals seit zehn Monaten wieder über 9000 Punkten, die Nasdaq ist auf Zwölf-Monats-Hoch. Die jüngsten Wirtschaftsdaten lassen auf eine Erholung der US-Wirtschaft hoffen. Zudem wird auch dort auf eine weitere Zinssenkung bei der nächsten Sitzung der US-Notenbank Ende des Monats spekuliert. Dennoch: Trotz des derzeitigen Optimismus an den Börsen bleiben Risiken. „Wir werden nach der Baisse sicher nicht sofort in eine Hausse übergehen“, warnt Fernow. Mit Rückschlägen ist jederzeit zu rechnen. Und um einen nachhaltigen Aufschwung zu untermauern, „brauchen wir klare Konjunktursignale“. Davon jedoch ist bislang nichts zu sehen.
Die starke heimische Währung bleibt ein Risiko. Obwohl die Zinssenkung der EZB die europäische Einheitswährung gegenüber dem Dollar unattraktiver macht, legte der Euro an diesem Tag um 1,6 Prozent zu. Hintergrund: „Offenbar mussten Leerverkäufer, die auf einen fallenden Euro gesetzt hatten, sich schnell eindecken“, hieß es unter den Händlern in Frankfurt. Etliche Währungsexperten glauben, dass der Euro dauerhaft über 1,20 Dollar steigen könnte. Das wäre Gift für die deutsche Exportwirtschaft. Dennoch bietet der Markt aktuell durchaus gute Chancen, nicht allein im DAX. Anlegern bieten sich drei Strategien an – von charttechnisch interessanten DAX-Papieren über risikoarme Tech-Aktien bis hin zu aussichtsreichen Nebenwerten (siehe Kästen). Für Muffigkeit à la Duisenberg besteht also nicht der geringste Anlass.
Strategie1: Charttechnik
Als am vergangenen Montag um 11.42 Uhr der DAX die 200-Tage-Linie nach oben durchbrach, bekamen nicht nur die Charttechniker unter den Börsianern glänzende Augen. Kein Wunder: Die 200-Tage-Linie gehört zu den einfachsten und bekanntesten Instrumenten der Charttechnik. Sie stellt den gleitenden Durchschnitt aus den Schlusskursen der letzten 200 Handelstage einer Aktie oder eines Index dar. Die Faustregel: Wird die Linie nach oben durchbrochen, sollte man investieren. Fällt der Index oder die Aktie dagegen unter die Linie, wird dies als Verkaufssignal gesehen. Allerdings: Das Überwinden dieser Marke allein macht noch keine Sommer-Rally. „Die 200-Tage-Linie ist ein wichtiger Indikator unter vielen“, relativiert Klaus Deppermann, Charttechniker bei der BHF-Bank. Überbewerten sollte man das Kaufsignal deshalb besser nicht. Auch Charttechniker Stephen Schneider von der WGZ-Bank warnt vor einer allzu starken Bewertung des jüngsten Durchbruchs. „Ich setze mehr auf kurzfristige Indikatoren.“ Doch auch hier sieht es gut aus für die deutschen Blue Chips. „Ich erwarte den DAX bis zum Jahresende bei 4000 Punkten“, sagt Schneider.
Damit lehnt sich der Technische Analyst deutlich weiter aus dem Fenster als die meisten seiner fundamental argumentierenden Kollegen. Die sehen den DAX eher zwischen 3200 und 3400 Punkten. Doch welche einzelnen Aktien sind aus charttechnischer Sicht derzeit besonders interessant? Schneider, der eher spezielle, zum Teil hochkomplizierte Indikatoren wie MACD-Kurven für seine Analysen heranzieht, hat für EURO einige DAX-Werte heraus gepickt. Ganz oben auf der Watch-List steht die SAP-Aktie, einer der Gewinner der vergangenen Woche. Die Indikatoren zeigen laut Schneider folgendes Bild: Nach dem jümgsten Anstieg bis auf knapp 110 Euro könne der Wert zwar kurzfristig korrigieren. Danach stehe aber eine erneute dynamische Aufwärtsbewegung an.
Interessant ist für Schneider auch die HypoVereinsbank (siehe Seite 25). Sie zeige deutliche Erholungstendenzen und eine ausgeprägte relative Stärke gegen den Gesamtmarkt. „Die Indikatoren deuten auf einen intakten Aufwärtstrend hin.“ Schneiders Kursziel für die HVB liegt bei 20 Euro – das wären 25 Prozent Plus. Viel Potenzial hat aus charttechnischer Sicht auch das Allianz-Papier. „Hier könnte sich in den nächsten Tagen eine umgekehrte Kopf-Schulter-Formation ausprägen“, so Schneider. Steigt die Aktie über 72 Euro, bedeute dies ein Kaufsignal. Das Kursziel liege dann bei etwa 120 Euro.
Ideal für eine Depotbeimischung sind nach Ansicht des Technischen Analysten die Deutsche Börse und die Deutsche Post. Beide Aktien rangieren in Aufwärtstrends. Die Performance und die erwarteten Kursziele, knapp 50 Euro bei der Deutschen Börse und etwa 17 Euro bei der Deutschen Post, seien zwar nicht so ausgeprägt wie bei den anderen genannten Titeln, doch verlaufe der Trend stabil und weniger volatil.
Strategie 2 Auf Nummer Sicher gehen
Sang- und klanglos war es vorbei. Seit am Donnerstag der Neue Markt offiziell abgeschafft wurde, ist die einstige Wachstumsbörse nur noch Geschichte. Der Witz daran: Gerade jetzt tauchen viele ehemalige Neue-Markt-Werte aus der Versenkung auf und präsentieren sich als aussichtsreiche, wenn auch spekulative Turnaround-Werte. United Internet hat es vorgemacht. Seit der im neuen TecDAX beheimatete Web-Dienstleister im März starke Jahreszahlen für 2002 und die Rückkehr in die Gewinnzone meldete, verdoppelte sich der Kurs. United Internet zahlt seinen Aktionären Dividende und ist auf dem besten Weg, sich als substanzstarke Wachstumsfirma zu etablieren. Dennoch trauen viele Anleger den Ex-Neue-Markt-Werten noch nicht. Zu groß ist die Angst, dass die Bilanzen nicht ganz sauber oder das Geschäftsmodell nicht nachhaltig ist. Bestes Beispiel ist der Windkraftanlagenbauer Nordex, der lange Zeit als gut positioniertes Unternehmen in einem weltweiten Wachstumsmarkt galt. Pustekuchen. Die Firma ist in die Verlustzone gerutscht, die Aktie auf dem Weg zum Pennystock.
Welchen Unternehmen und Geschäftsmodellen ist also zu trauen? Das unabhängige Analysehaus SES Research aus Hamburg hat die Bilanzen aller 170 Werte aus dem Technologiebereich des Prime Standard untersucht und ein eigenes Rating erstellt. Ergebnis: Sechs Unternehmen aus dem TecDAX sind mit der besten Note bewertet (siehe Tabelle).
„Dieses Ranking bedeutet nicht automatisch, dass die Werte besser performen als andere“, macht Klaus Linde von SES Research klar. „Aber das Risiko, dass Anleger mit diesen Titeln eine böse Überraschung erleben, ist deutlich geringer als bei schlecht bewerteten Firmen.“
Ein Blick in die Vergangenheit bestätigt dies. „Bei Unternehmen mit einem guten Rating kamen heftige Kurseinbrüche auf Grund von fundamentalen Problemen viel seltener vor als bei schlechter gestellten Unternehmen“, so Linde. Mit anderen Worten: Die sauberen Bilanzen sind in erster Linie eine Absicherung nach unten. Immerhin, mit dem Software-Haus IDS Scheer, dem Biotech-Unternehmen Qiagen und dem Internet-Wert Web.de finden sich drei der Saubermänner unter den zehn Top-Performern seit Jahresanfang. Aktuell am schlechtesten werden Medigene und Mobilcom mit einem C gewertet.
Außerhalb des TecDAX stehen der Computerzuberhör-Händler Bechtle sowie Funkwerk, Mobilfunk-Spezialist im Verkehrsbereich, am besten da. „Beide Unternehmen überzeugen durch ihre solide Bilanz sowie stabile operative Entwicklung“, sagt Linde. Die Folge: Zum fünften Mal in Folge erhielten beide Firmen ein A+.
Strategie 3 Kleine Werte anvisieren
Der DAX gibt in Deutschland zwar den Takt vor, doch die Musik spielt manchmal ganz woanders. So entwickelten sich die Aktien aus der zweiten und dritten Reihe im bisherigen Jahresverlauf wesentlich besser als die Standardwerte. Ein Trend, der weiter anhalten dürfte. Rolf Elgeti, Aktienstratege bei der Commerzbank: „Ich rate zu Nebenwerten.“
Klein aber fein, das gilt zum Beispiel für Fabasoft. Der österreichische Nischen.Player hat sich auf Software für die elektronische Datenverwaltung in Behörden spezialisiert. Stichwort E-Government, ein Markt, dem hohes Wachstumspotenzial bescheinigt wird.
Fabasoft steigerte im Geschäftsjahr 2002/03 den Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) um 153 Prozent auf 0,54 Millionen Euro. Beeindruckend ist vor allem die Gewinndynamik. So stieg das Ebitda im vierten Quartal auf 1,1 Millionen Euro, nach einem Verlust von 14000 Euro im Vorquartal. Hierbei ist ein Großauftrag der österreichischen Regierung noch gar nicht enthalten. Die liquiden Mittel erhöhten sich von 11,12 auf 13,79 Millionen. Dem steht eine Marktkapitalisierung von 20 Millionen Euro gegenüber. Auch Abit, Anbieter von Inkasso-Software, mit der Unternehmen ausstehende Summen effizient einfordern können, ist auf dem Weg zurück in die Gewinnzone. Nach zwei verlustreichen Jahren übertraf das Unternehmen im ersten Quartal die eigenen Erwartungen und erzielte einen kleinen Bruttogewinn von 120000 Euro. Für das laufende Quartal erwartet Abit „eine Fortsetzung des positiven Trends“, so ein Unternehmenssprecher gegenüber EURO. Substanziell steht der Turnaround-Kandidat ebenfalls wieder besser da. Innerhalb von drei Monaten stiegen die liquiden Mittel beachtlich – von 3,4 Millionen auf 4,9 Millionen Euro. Der Cash-Flow verbesserte sich im ersten Quartal binnen Jahresfrist von 491000 auf 846000 Euro.
Auf dem Weg nach oben ist auch Atoss. Die Münchner haben sich auf Software für einen effizienten Personaleinsatz spezialisiert. Firmenchef Andreas Obereder beziffert das Einsparpotenzial der Kunden bei Nutzung seiner Programme auf 16 bis 66 Euro pro Mitarbeiter und Monat.
Vergangene Woche zogen die Münchner einen Großauftrag des Einzelhandel-Discounters Aldi Süd an Land. Beobachter schätzen, dass das Volumen deutlich über 400000 Euro liegt. Mit über 35 Millionen Euro in der Kasse steht Atoss substanziell bestens da. Im ersten Quartal lag der Gewinn bei vier Euro-Cent je Aktie.
von Joachim Spiering / Euro am Sonntag